Protocol of the Session on November 5, 2014

Das heißt, meine Damen und Herren: Keine Sicherheitsbehörde der Länder oder des Bundes hatte Hinweise auf den überraschenden Gewaltausbruch, den wir in Köln erleben mussten.

(Zuruf von Serap Güler [CDU] – Weiterer Zu- ruf)

Die Intensität dieser Gewalt ging aber eindeutig über das bis dahin bekannte Maß hinaus. Heute im Rückblick wissen wir das. Mit dieser massiven Gewalt haben die Sicherheitsbehörden bundesweit und hat auch das Polizeipräsidium Köln nicht gerechnet.

(Zuruf: Doch!)

Wir werden dem Parlament selbstverständlich die Gelegenheit geben, sich selbst ein genaues, ein detailliertes Bild von dem Einsatzablauf zu machen. Kollegin Schäffer hat schon darauf hingewiesen: Dieser Bericht wird am 22. November dem Innenausschuss vorgelegt und kann dort auch kritisch besprochen werden.

Eines steht aus meiner Sicht aber jetzt unzweifelhaft fest: Die eingesetzten Beamtinnen und Beamten haben Schlimmeres verhindert. Sie haben verhindert, dass Hooligans unkontrolliert durch Stadtteile zogen, durch Stadtteile, wo viele Menschen mit Migrationshintergrund leben. Was wäre passiert, wenn sie auf Gruppen von friedlichen Gegendemonstranten gestoßen wären? Das galt es zu verhindern, und dies ist auch von der Polizei in Köln verhindert worden. Das war das Ziel der Polizei. Dass es dazu nicht gekommen ist, meine Damen und Herren – dafür bin ich allen eingesetzten Kräften außerordentlich dankbar.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Frage, die sich jetzt stellt, lautet: Wie gehen wir mit den Erfahrungen aus diesem Einsatz um? – Wir müssen an drei Stellen ansetzen:

Die erste betrifft die Hooliganszene selbst. Diese müssen wir bundesweit stärker in den Blick nehmen. Das betrifft zum einen das gemeinsame Vorgehen rivalisierender Hooligangruppen. Das betrifft zum anderen auch das Zusammenwirken dieser Gruppen mit Rechtsextremisten. Bisher liegen uns keine Erkenntnisse darüber vor, dass die Aktivitäten der Hooligans durch rechtsextremistische Personen und Gruppierungen gesteuert werden.

In Köln waren ca. 10 % der Teilnehmer organisierte bzw. vom Verfassungsschutz beobachtete Rechtsextremisten. Unseren bisherigen Schablonen – auf der einen Seite unpolitische Hooligans, auf der anderen Seite rechtsextremistische Hooligans – helfen uns in Zukunft nicht mehr weiter. Das zeigt uns der Vorfall in Köln.

Meine Damen und Herren, diese neue Formation aus Hooligans und Rechten wird durch eine andere, noch größere Klammer zusammengehalten. Das ist zum einen Islamfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit und zum andern vor allem Gewaltbereitschaft. Wir müssen diese Szene bundesweit analysieren. Wir müssen den soziologischen Hintergrund intensiver erforschen, mehr als wir bisher in allen Ländern dazu getan haben, und dabei die Frage beantworten: Was ist ihre Motivation? Was ist ihr Hintergrund? Was ist Ihr Background? Was sind das für Menschen? Und wir müssen uns fragen: Was hat sich in der Szene verändert? Was hat das Einsickern von Rechten in die Hooliganszene bewirkt?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die zweite Frage, die wir in diesem Zusammenhang beantworten müssen, betrifft die zukünftigen Verbote. Es gab aus keiner Behörde eines Landes oder des

Bundes gesicherte Hinweise oder Beweise, die ein Verbot einer solchen Veranstaltung gerechtfertigt hätten. Es war keiner Sicherheitsbehörde bekannt. Ich bin mit meinem Amtskollegen Pistorius einer Meinung und werde ihn dabei mit Kräften unterstützen, dass die von Hooligans und Rechten angemeldete Demonstration am 15. November in Hannover mit den Erkenntnissen aus Köln möglicherweise und hoffentlich gerichtlich untersagt werden kann.

Die dritte Frage, mit der wir uns auseinandersetzen müssen – das hat schon Frau Schäffer angesprochen –: Wir dürfen nicht Gewalttätern die Straße überlassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Gewalttäter vermeintlich eine Antwort auf gewaltbereite salafistische Propaganda haben. Die Antwort auf extremistische Propaganda darf nicht extremistische Propaganda und Gewalt durch Hooligans und Rechtsextremisten sein.

Ein Rechtsstaat wird diese rechte Propaganda nicht hinnehmen, meine Damen und Herren. Und er wird mit voller Härte gegen Hooligans und Rechtsextremisten vorgehen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Lohn.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben schon viel gehört über die schlimmen Vorfälle in Köln, darum will ich die ganzen Beschreibungen nicht wiederholen.

Einen Satz jedoch zu den Äußerungen von Frau Schäffer und Herrn Yetim: Das war der peinliche Versuch, einen miserablen Innenminister irgendwie zu rechtfertigen.

(Beifall von der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Herr Jäger, Sie sprechen hier von einer „völlig neuen Gefahr“. Im nächsten Satz sagen Sie: Das war seit Langem bekannt. Dann sagen Sie: Die Lage war schwierig.

Dann kommt die erste wahrheitsgemäße Äußerung. Sie sagen: Der Einsatz war kein Erfolg. – Also, lernfähig sind Sie schon. Es war nämlich kein Erfolg, da 49 verletzte Polizisten zu beklagen sind. Da sind Sie jetzt auf dem richtigen Weg.

Weiter sagen Sie: Entsetzen und Empörung sind angesagt. – Richtig, Entsetzen und Empörung sind zur Genüge vorhanden: Das ganze Land ist entsetzt und empört über den Scherbenhaufen, den Sie hinterlassen haben. Die Polizisten schämen sich für Sie!

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf: Das ist eine Frechheit!)

Dann sagen Sie: Wir haben im Bund und in den Ländern eine Abfrage gemacht, aber wir haben keine Hinweise bekommen. – Wie wollen Sie aus München derartige Hinweise bekommen? Dort passiert so etwas nicht. Der Brennpunkt solcher Gewaltexzesse liegt in Nordrhein-Westfalen. Bei uns liegen diese Erkenntnisse vor. Sie müssen die Möglichkeiten im eigenen Haus nutzen!

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von der Regierungsbank)

Da über die Rolle der Opfer – der Geschäftsleute, der Reisenden und der Passanten – schon viel Zutreffendes gesagt wurde,

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Zur Sache kom- men! Das wäre nicht schlecht, Herr Kollege!)

möchte ich nun einmal Ihren Blick auf die Betroffenheit der Polizistinnen und Polizisten lenken. Stellen Sie sich einmal vor, was ein Polizist, der am 26. Oktober 2014 in vorderster Reihe an der Front eingesetzt war, heute über das Geschehene und das Berichtete denkt.

Die Polizisten wurden bespuckt und geschlagen. Steine, Fahrräder und andere Gegenstände wurden nach ihnen geworfen. Ihr Streifenwagen wurde umgekippt. Und dann mussten sie auch noch feststellen, dass sie hoffnungslos in der Unterzahl waren. Es gab viele Verletzte, und letztendlich mussten die Gewalttäter ohne Identifizierung – geschweige denn Festnahmen – ziehen gelassen werden. Das ist ein Zustand, den wir nur brandmarken können, und deswegen sind wir heute hier.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Verehrte Kollegen, was bei den jungen Polizistinnen und Polizisten neben möglichen Verletzungen aber dauerhaft hängen bleiben wird, ist die Enttäuschung und die Fassungslosigkeit darüber, dass Politik und Polizeiführung sie ohne Vorwarnung und ohne jegliche Chance, den Kampf zu gewinnen, in diese Schlacht mit den Hooligans und Rechtsradikalen geschickt haben.

(Beifall von der CDU)

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Dann müssen sie noch hören, wie ihr oberster Chef, Innenminister Jäger, zunächst versucht, alles schönzureden und den Einsatz als Erfolg zu verkaufen. Danach gibt er als Entschuldigung für das offenkundige Versagen an, es habe sich um eine völlig neue Zusammenstellung von Tätern und um eine neue Dimension der Gewalt gehandelt. Kurze Zeit später behauptet er wiederum das Gegenteil, nämlich dass eben doch bekannt war, dass 4.000 Gewalttäter erwartet wurden, aber letztlich der Polizeiführer in Köln für das Versagen verantwortlich sei. – Herr Minister, das ist so erbärmlich, dass

selbst Ihre Polizistinnen und Polizisten berechtigte Zweifel am Funktionieren des Rechtsstaates haben.

(Beifall von der CDU)

Solch ein „Tag der Schande“, wie es eine große Kölner Boulevardzeitung betitelt hat, war der bisherige Gipfel an rechtextremer Massengewalt gegen Polizisten, Reisende, Geschäftsinhaber und Passanten.

Den Polizisten will ich an dieser Stelle für ihre vielen regelmäßigen und sehr oft auch gefährlichen Einsätze und die unzähligen Überstunden ausdrücklich danken und ihnen Respekt und Anerkennung aussprechen.

(Beifall von der CDU)

Für die Hilflosigkeit der Polizei, die ohne Spezialkräfte, ohne Reiterstaffel und ohne Diensthunde auskommen musste, gegenüber einer dreimal so starken Übermacht von kriminellen Gewalttätern gibt es allerdings keine Entschuldigung, Herr Minister. Das war die Kapitulation des Rechtsstaates vor der Gewalt und eine Schande für unser Land als Dienstherr und Arbeitgeber. Die Verantwortung trägt Minister Jäger, und kein anderer.

(Beifall von der CDU)

Herr Minister Jäger, Sie haben die Möglichkeiten Ihres Hauses und Ihres Zuständigkeitsbereiches nicht genutzt; denn hätten Sie dies getan, wären Sie zu einer richtigen und sachgerechten Lageeinschätzung gelangt.

(Zuruf von der CDU: Der war doch gar nicht da!)

Richtigerweise wären dann nämlich nicht nur 1.300 Polizisten eingesetzt worden, sondern mindestens 2.000 Polizisten plus Unterstützung durch Spezialkräfte aus den Sondereinsatzkommandos usw.

Herr Minister, ob diese Einsatzkräfte der Spezialeinheiten und die Hundertschaften aus Köln, aus Nordrhein-Westfalen oder aus anderen Bundesländern kommen, das ist völlig egal. Sie hatten die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie vor Ort waren, und da haben Sie versagt.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Die Erkenntnisse, dass es eine kriminelle Allianz von gewaltsüchtigen Hooligans und Rechtsradikalen gibt, sind nicht neu – genau das Gegenteil ist der Fall. Hier an dieser Stelle haben wir am 29. Januar dieses Jahres über Vorfälle gesprochen, die sich ebenfalls in Köln zugetragen haben. Dabei hatten sich Kölner Hooligans mit Rechtsradikalen aus Dortmund verbrüdert, um gemeinsam auf Schalker Fans einzutreten. Die Folge: eine lebensgefährliche Verletzung.

Ich hatte Ihnen damals in meiner Plenarrede empfohlen, diese Entwicklung, diese kriminelle Allianz

zu beobachten und in künftige Einsatzkonzepte einfließen zu lassen. – Sie aber gehen immer nach der Devise vor: nichts hören, nichts sehen, nichts riechen – alles ist gut. Nichts haben Sie getan!

(Beifall von der CDU)