Protocol of the Session on July 3, 2014

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, 63. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Vertreterinnen und Vertretern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich drei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich zum einen daran erinnern, dass wir bereits gestern die Tagesordnung des heutigen Tages dahin gehend verändert haben, dass wir als neuen Tagesordnungspunkt 1 die Unterrichtung der Landesregierung über die Auswirkungen des Orkans Ela aufgenommen und dann festgestellt haben, dass sich die weiteren Tagesordnungspunkte entsprechend nach hinten verschieben.

Zusätzlich haben die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit Schreiben vom 2. Juli 2014 eine Ergänzung der Tagesordnung beantragt, nämlich die dritte Lesung des Gesetzes zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen und des Telemedienzuständigkeitsgesetzes.

Dieses Gesetz soll laut Beantragung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen als Tagesordnungspunkt 16 in die heutige Tagesordnung aufgenommen werden. Eine Redezeit von Block 1 ist beantragt worden.

Gemäß § 20 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung lasse ich hierüber abstimmen. Wer dieser Veränderung der Tagesordnung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die Piraten, CDU und FDP. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Dann haben wir die Tagesordnung einstimmig so verändert.

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch einmal auf das immer noch neue Instrument der Live-Tagesordnung hinweisen, in der Sie nicht nur die Veränderungen nachlesen können, die sich im Laufe des Vortages ergeben, sondern auch Veränderungen, die sich im Laufe des Tages ergeben, insbesondere auch veränderte Zeitabfolgen. Auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer – obwohl wir uns an diese nur selten wenden – der Hinweis: Wann immer Sie im Internet die Sitzung verfolgen, haben Sie die Möglichkeit, sich die Live-Tagesordnung anzuschauen.

Nach diesen Vorbemerkungen rufe ich auf:

1 Auswirkungen des Unwetterereignisses

vom 9. Juni 2014

Unterrichtung durch die Landesregierung

In Verbindung mit:

Nach dem Orkan „Ela“ – Jetzt die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen nicht allein lassen

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/6086

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/6202

Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass sich die Landesregierung die Unterrichtungszeit von 20 Minuten teilt. Zuerst wird Herr Minister Jäger unterrichten, anschließend Herr Minister Remmel. Die Aussprache, die danach folgt, findet wie verabredet statt, auch was die Redezeiten angeht. Allerdings beginnt die CDU-Fraktion und nicht, wie irrtümlich auf dem Redezettel und der Übersicht ausgewiesen, die SPD-Fraktion.

Herr Minister Jäger hat das Wort.

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Unwetter vom 9. Mai dieses Jahres hat einen verheerenden Schaden angerichtet. Das gilt zum einen für den hohen finanziellen Schaden, aber es gilt vor allem auch für das schreckliche Ausmaß, mit dem das Sturmtief Ela die Menschen, unsere Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen, getroffen hat.

Sechs Menschen haben ihr Leben verloren. In Düsseldorf wurden drei Menschen getötet, die vor dem Sturm in ein Gartenhaus geflüchtet waren, auf das eine große Pappel stürzte. In Köln erschlug ein umstürzender Baum nach einem Blitzeinschlag einen Radfahrer. In Krefeld zerstörte ein umstürzender Baum eine Stromleitung und traf einen 28-jährigen Radfahrer. Er verstarb durch diesen Stromschlag. In Essen verstarb ein Mensch bei Aufräumarbeiten. Unsere Gedanken waren und sind bei diesen Menschen, bei ihren Hinterbliebenen, ihren Familien und ihren Freunden.

Nach den uns vorliegenden Meldungen wurden durch das Unwetter und die anschließenden Aufräumarbeiten zudem 98 Menschen verletzt, davon 17 Einsatzkräfte. Die Landesregierung wünscht diesen Menschen eine gute Genesung sowie eine hoffentlich vollständige Erholung von den Folgen.

(Allgemeiner Beifall)

Das Interesse an einer Unterrichtung sowie einer Bewertung und Reaktion der Landesregierung im Anschluss an dieses Unwetter ist groß, sowohl hier im Landtag als auch in der Öffentlichkeit. Ich werde gleich darauf eingehen, aber lassen Sie mich zuvor noch etwas sagen, was mir besonders wichtig ist.

Im Namen der gesamten Landesregierung möchte ich allen Helferinnen und Helfern, allen Haupt- und Ehrenamtlichen und jedem Menschen danken, die dazu beigetragen haben, die Folgen des Unwetters zu beseitigen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich weiß, dass wir alle davon ausgehen, dass die Feuerwehr und die anderen Hilfskräfte das schon irgendwie richten werden. Dafür sind sie schließlich da. Ich möchte aber betonen: Der große, der schwere Einsatz, den nicht nur unsere Einsatzkräfte, sondern auch die Behörden vor Ort und die zahlreichen Freiwilligen geleistet haben, ist in diesem Ausmaß keine Selbstverständlichkeit. Dieser Einsatz verdient unser aller Respekt. Das sage ich sicherlich für alle Fraktionen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Durch die schweren Unwetter und Gewitter, den Starkregen und extremen Sturm wurde am Pfingstmontag, dem 9. Juni 2014, nahezu ganz NordrheinWestfalen getroffen. Besonders stark betroffen waren die Regionen Düsseldorf und Teile des Ruhrgebiets.

Ich habe bereits im Innenausschuss einen ausführlichen Bericht vorgelegt, aus dem sich die Leistungen der Einsatzkräfte und das bis dahin bekannte Ausmaß des Schadens ergeben. Darin sind auch Zahlen enthalten, die Auskunft geben über die vorläufige Schadensbilanz der Kommunen.

Ich vermute, wir alle haben an der einen oder anderen Stelle gesehen und gespürt, welche Auswirkungen der Sturm in den Kommunen hatte, in denen er gewütet hat. Wir konnten sehen, wie die Zerstörung von Baumlandschaften das Stadtbild verändert hat, wie das tägliche Leben zum Erliegen kam, weil Straßen und Zugstrecken durch Bäume blockiert waren, welche Kraftanstrengungen es für die Kommunen bedeutet hat, die Infrastruktur Schritt für Schritt wiederherzustellen. Für uns als Landesregierung war klar, dass wir die Kommunen bei dieser enormen Anstrengung unterstützen müssen.

Deshalb haben wir am 17. Juni 2014 beschlossen, einen Hilfsfonds für die besonders von den Unwettern betroffenen Kommunen einzurichten. Zweck dieses Fonds wird vorrangig die Beteiligung des Landes an der Wiederherstellung der notwendigen Infrastruktur in den Kommunen sein. Versicherbare Schäden sind davon nicht erfasst.

Die Gesamtsumme der bisher von den Kommunen gemeldeten Schäden beträgt ca. 220 Millionen €. Dabei handelt es sich um erste grobe Schätzungen. Es haben noch längst nicht alle Kommunen berichten können, weil die Aufräumarbeiten an vorderster Stelle standen. Ich schätze aber, dass wir am Ende auf einen gemeldeten Schaden in den Kommunen in einem dreistelligen Millionenbereich kommen werden.

Ich möchte an dieser Stelle auf die aktuelle Diskussion eingehen, bei der die uneinheitlichen Meldungen der Kommunen zu den Schäden an den Bäumen kritisiert werden. Es ist richtig, dass die höchste Schadensposition in den bisher vorliegenden Meldungen der Kommunen die Beseitigung und Neupflanzung zerstörter innerstädtischer Bäume ist. Nicht zu vergessen sind die Schäden auf den Verkehrswegen, im öffentlichen Nahverkehr, an öffentlichen Gebäuden, aber auch am Abwassersystem.

Was die Bäume betrifft, ist es richtig, dass nicht alle Kommunen die gleichen Berechnungsgrundlagen gewählt haben. Die auch in der Presse genannten Beträge umfassen eine Spanne von 200 € bis 2.000 €. Sicher ist, dass die Neupflanzung von Stadtbäumen höhere Kosten verursacht als eine Aufforstung im Wald.

Wir brauchen ein Verfahren, das so objektiv und so gerecht wie möglich die Schäden in den Kommunen abbildet und selbstverständlich Überzahlungen ausschließt. Hierzu gibt es aus meiner Sicht zwei Wege.

Der eine Weg wäre die Standardisierung. Das heißt, wir bräuchten geeignete Parameter, wonach die Schadensarten nach denselben Maßstäben erhoben und bewertet werden.

Ein anderer Weg wäre das Verwenden geeigneter Indikatoren, wie es uns seinerzeit beim Wintersturm Kyrill gelungen ist. Wir haben damals den sogenannten gefallenen Festmeter Holz zur Grundlage genommen. Danach wurden die Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds für die Wiederherstellung der Schäden an der Infrastruktur auf die Kommunen verteilt. Es gab keinen Streit über diese Grundlage. Damals war man sich einig, dass dort, wo viel Holzschaden angefallen war, das Unwetter auch an der Infrastruktur heftigen Schaden angerichtet haben muss.

Solche abstrakten Indikatoren, die nicht die Schadenshöhe der jeweiligen Schadensmeldung abbilden, objektivieren das Verfahren. Indikatoren wie das Ausmaß, in dem die einzelne Kommune vom Unwetter getroffen wurde, spiegeln zugleich die reale Schadenshöhe wider und bilden zugleich keine Anreize zu Mitnahmeeffekten.

Ich persönlich bevorzuge diese Variante. Wichtig ist mir aber, dass wir zu einer gerechten Verteilung kommen, Überzahlung vermeiden und möglichst schnell Hilfe leisten. Dazu werde ich auf die kom

munalen Spitzenverbände zugehen und versuchen, gemeinsam mit ihnen konsensual geeignete Kriterien zu finden. Ein erstes Gespräch mit den betroffenen Kommunen hatte ich bereits am 20. Juni. Dort habe ich diese Überlegung erläutert und Zustimmung erfahren.

Wenn über ein solches Verfahren mit den Kommunen Konsens erzielt werden kann, könnten diese Mittel schneller an die Kommunen weitergegeben werden. Aufwendige Prüfungen der Angaben der Kommunen über die Höhe der verschiedenen Schadensarten würden entfallen. Es käme dann eben nicht mehr darauf an, ob die Kommunen akzeptable Beträge zum Beispiel für die Schadensposition Baum angesetzt haben.

Meine Damen und Herren, neben der Vorbereitung des Landesfonds prüfen wir auch, ob wir Mittel aus dem Europäischen Solidaritätsfonds in Anspruch nehmen können. Dieser Fonds, der Mittel zur Bewältigung schwerer Katastrophen bereitstellt, setzt allerdings höhe Hürden. Ich bin nicht sehr zuversichtlich, dass wir diese Hürden nehmen. Erst wenn ein Ereignis einen gesamtwirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe verursacht hat, können aus diesem Fonds Mittel fließen. Das sind für Deutschland insgesamt 3,7 Milliarden €. Selbst wenn man die neue EU-Richtlinie und die lokale Betrachtung zugrunde legt, müsste hier ein Schaden von 2,7 Milliarden € allein im Regierungsbezirk Düsseldorf festgestellt werden.

Nichtsdestotrotz prüfen wir das selbstverständlich; denn beim Sturm Kyrill gab es damals auch zunächst Skepsis. Am Ende konnten wir doch Mittel aus diesem Fonds erhalten, weil die privaten Schäden, die hier mit subsumiert werden, enorm hoch waren.

Meine Damen und Herren, auch dieses Mal stellen wir fest, dass die Zahlen im privaten Bereich steigen. Unsere ersten Anfragen bei den Versicherungen hatten Schätzungen von 200 Millionen € an privaten Schäden ergeben. Inzwischen meldet der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft Schäden von 600 Millionen € in Privathaushalten.

Wir haben einen strukturierten Fragebogen an die Kommunen verschickt, um die vorläufigen Schadenschätzungen aller Kommunen zu erfahren. Wir erwarten am 18. Juli diese Antworten. Dann werden wir prüfen können, ob ein Antrag bei der Europäischen Union Erfolg versprechen könnte.

Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, dass wir dann auch ein besseres Bild für das ganze Land haben, welche Schäden im Bereich der Infrastruktur bei den Kommunen entstanden sind. Wir werden in der Landesregierung dann darüber zu beschließen haben, mit welcher Summe das Land die Kommunen unterstützen kann – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Herr Minister Remmel, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Sturmtief Ela hat uns wieder sehr deutlich vor Augen geführt, dass wir trotz unserer privilegierten Lage in Mitteleuropa zukünftig vermehrt Naturstarkereignissen, Wetterereignissen ausgeliefert sein werden. Uns hat es in den Städten vor Augen geführt, was manche in Nordrhein-Westfalen schon 2007 bei Kyrill erfahren haben, dass diese Wetterereignisse innerhalb von Minuten ein komplettes Stadt- oder Landschaftsbild völlig verändern können. Ich habe mich mit den ökologischen Schäden zu beschäftigen, hier insbesondere im Wald. Im Gegensatz zu Kyrill sind die Schäden in unseren Wäldern nach Meldungen der Forstämter begrenzt. Der Landesbetrieb Wald und Holz schätzt, dass gut 80.000 Festmeter vor allem an Laubbäumen geschädigt wurden; zu Zeiten des Sturms Kyrill waren es 15 Millionen Festmeter.

Schäden sind vor allem in Kommunal- und Privatwäldern entstanden, aber auch der Landesbetrieb und damit der Landeswald ist mit 5.000 Festmetern betroffen.

Im Unterschied zum Sturm Kyrill hat es aber kaum großflächige Schäden gegeben, eher in kleinen Gruppen sind Waldbäume deshalb auch heute noch zu angemessenen Preisen zu vermarkten. Auch im Laufe des Jahres ist das noch möglich. Aufforstungen werden sich beschränken, weil wir teilweise mit Naturverjüngung arbeiten.

In der Priorität steht der Schutz der Bevölkerung, also das Entfernen beschädigter Bäume an Wegen und Straßen, im Vordergrund und hat absolute Priorität. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf das bestehende Waldbetretungsverbot bis zum 7. Juli hinweisen. Die Erfahrung gerade bei solchen Schäden macht deutlich, dass die größten Personenschäden oft im Nachgang entstehen, weil man die aktuellen Gefahren nicht mehr im Blick hat – herunterfallende Äste, Bäume, die unter Spannung stehen. Deshalb bitte absolute Vorsicht!