Deswegen ist es sowohl theoretisch schwierig, das Freizügigkeitsrecht zu entziehen, als auch natürlich praktisch sehr schwierig. Wie soll das denn funktionieren? Werden die Leute mit Gewalt in ihr Heimatland zurückgebracht, dann nehmen sie den nächsten Bus, kommen wieder zurück und sagen, sie haben das Freizügigkeitsrecht. Das funktioniert alles nicht.
Deswegen ist es auch ziemlicher Blödsinn, was Sie da mit hohem bürokratischem Aufwand fordern. Das dient nur der Stimmungsmache, ähnlich wie bei Herrn Seehofer: „Wer betrügt, der fliegt“.
Das wirkliche Problem, meine Damen und Herren, ist doch: Die Menschen kommen hierher und haben eine geringe ökonomische Basis, um hier zu leben. Sie kriegen hier bisher allenfalls Kindergeld.
Wir haben die Situation, dass die Mehrheit der deutschen Sozialgerichte, auch der Landessozialgerichte, sagt – das steht auch in dem Gutachten drin –: Die Leute haben einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe, jedenfalls wenn sie hier ihren Lebensmittelpunkt begründet haben. Nur in Berlin und Bremen haben die Gerichte den Anspruch abgelehnt. Deswegen ist das ja dem Bundessozialgericht vorgelegt worden. Das Bundessozialgericht hat es an den Europäischen Gerichtshof weitergereicht.
Und jetzt sagt die Bundesagentur für Arbeit in ihren Hinweisen: So lange das nicht entschieden ist, wird der Anspruch nicht anerkannt. – Gleichzeitig wird in dem Gutachten dargestellt: Wenn einer meint, einen Anspruch zu haben, dann kann er ja eine einstweili
Da frage ich natürlich: Ist das wirklich ein praktikabler Weg? Denn wir haben ja jetzt schon eine Fülle von Menschen, die eigentlich Ansprüche haben, aber zum Gericht gehen müssten, um sie durchzusetzen, es aber meistens nicht tun. Wie sollen das denn die Zuwanderer machen?
Das heißt, in Wirklichkeit belassen wir sie in dem Status, in dem sie allenfalls Kindergeld haben. Selbstverständlich wird es viele Familien geben, die versuchen, irgendwo Geld herzubekommen, sei es durch Selbstständigkeit, sei es möglicherweise auch durch die eine oder andere Straftat. Wir wundern uns dann, dass die sich kriminell verhalten, obwohl wir denen eigentlich nach unserer Sozialrechtsprechung etwas zahlen müssten. Deswegen muss man sich mal überlegen: In welche Situation bringen wir eigentlich diese Menschen? Ist das gerechtfertigt oder nicht gerechtfertigt?
Ich bin relativ sicher, dass die europäischen Gerichte den sozialhilferechtlichen Anspruch anerkennen. Denn es gibt natürlich in vielen, vielen anderen Ländern ähnliche Probleme. Bisher hat kein Land beim Europäischen Gerichtshof angefragt, ob nationale Leistungen an Zuwanderer zu zahlen sind. Ausgerechnet wir Deutschen lassen prüfen, ob die Zuwanderer wirklich einen Anspruch haben, obwohl wir Deutschen erheblich mehr Vorteile haben durch Zuwanderung als viele andere Länder, die unter ganz anderen Zahlen von Zuwanderern leiden müssen.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, das regt Sie zu Überlegungen an. Wir sind ein Sozialstaat. Wir geben zum Beispiel Asylbewerbern Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die sind fast so hoch – wie es das Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben hat – wie die üblichen Sozialleistungen. Wir geben Geduldeten, die noch hier sind, bis zur Abschiebung die gleichen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Den europäischen Leuten Nachbarn, die hier leben dürfen, sagen wir dann aber: Um Gottes Willen, ihr dürft keine Sozialleistungen erhalten.
Ich hoffe, dass Sie darüber nachdenken. Was ist das denn für ein Verhältnis des Sozialstaates zu den Menschen, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben? Es kann doch nicht sein, dass wir für Asylbewerber und Geduldete zahlen, aber für niederlassungsberechtigte EU-Bürger nicht.
Ich bitte Sie darum, jetzt im Integrationsausschuss eine sachliche Diskussion zu führen und uns über Sachverständige vielleicht noch mehr informieren zu lassen. Bitte hören Sie auf, diese Art von Populismus zu verbreiten. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich drei Redner haben uns gefragt, warum wir zwei Anträge stellen, nämlich Herr Dr. Stamp, Frau Brand und Herr von Grünberg. Das haben wir deshalb gemacht, weil wir hier tatsächlich über zwei Seiten einer Medaille sprechen.
Diese beiden Punkte gehören zusammen. Dennoch sind sie in einigen Facetten ganz unterschiedlich zu diskutieren. Wir haben nun einmal auch zwei Fachausschüsse. Mit diesen beiden Anträgen haben wir immerhin erreicht, dass bei jedem dieser beiden Themenfelder ein Fachausschuss federführend ist. Ich glaube, dass es uns als Integrationspolitikern gut ansteht, durchaus differenzierter oder auch über andere Teilaspekte dieses Themas zu diskutieren, als es die Innenpolitiker tun.
Bei den Ausführungen von Herrn Minister Schneider hat sich mir die Frage gestellt: Dürfen wir, wenn wir hier über Missbrauch reden, immer nur über Missbrauch durch bestimmte Personengruppen, zum Beispiel Wohnungseigentümer, Vermieter oder Unternehmer, sprechen, aber nicht über Missbrauch durch die andere Seite? Den Eindruck konnte man bei der Rede des Ministers gewinnen.
Herr von Grünberg, selbstverständlich weiß ich, dass wir demnächst eine öffentliche Anhörung von Experten durchführen. Das ist ein komplexes Thema. Ich freue mich, dass wir Wissenschaftler und andere Fachleute hören werden, die uns ganz bestimmt auch wieder neue Denkanstöße geben werden. Mit unseren Anträgen wollen wir einfach noch mehr Futter dazutun. Ich halte das für statthaft. Das heißt auch nicht, dass wir den Experten deswegen weniger neugierig zuhören werden.
An dieser Stelle befassen wir uns also tatsächlich mit den Menschen, die zu großen Teilen aus Bulgarien oder Rumänien nach Nordrhein-Westfalen kommen. Wir wissen, dass die öffentliche Debatte dazu nicht immer objektiv geführt wird. Es gerät schnell in Vergessenheit, dass die Menschen hier von ihrem verbrieften Recht Gebrauch machen. Das ist das Recht der Freizügigkeit, Herr Stamp, das auch niemand in der CDU irgendwo angreift oder infrage stellt.
Wenn man sich die Situation in NordrheinWestfalen anschaut, stellt man natürlich fest, dass es in größeren Städten Verwerfungen gibt. Ich nehme meine Kollegin aus Duisburg, die uns häufiger eingeladen hat, da auch als Zeugin. Wir konnten uns dort selber davon überzeugen, wovon wir hier reden; denn dort, wo sich konzentriert Menschen aus extremer Armut ansiedeln, ergeben sich nun einmal komplexe Problemlagen, die auch zu Recht als unzumutbar empfunden werden.
Wenn wir in Deutschland das europäische Recht auf Freizügigkeit mit Leben füllen wollen, darf uns natürlich nicht nur die dringend nötige bulgarische oder rumänische Fachkraft willkommen sein. Vielmehr müssen wir uns dann auch um die Menschen kümmern, die aus menschenunwürdigen Verhältnissen zu uns kommen und im schlimmsten Fall in ihren Heimatländern Gewalt oder Diskriminierungen erfahren haben.
Aus genau diesen Gründen haben wir bewusst zwei Anträge vorgelegt, um diese wichtigen Ziele auch gebündelt und konzentriert diskutieren zu können.
Lassen Sie mich kurz noch einmal die vier Ziele nennen, die für uns im Zusammenhang mit unserem zweiten Antrag am wichtigsten sind. Die Erstbetreuung der Zuwanderer aus extremer Armut muss verbessert werden. Wir müssen dauerhaft Integrationschancen eröffnen. Natürlich müssen wir den Missbrauch von Freizügigkeit verhindern. Schließlich müssen wir auch die Kommunen unterstützen.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das steht alles in unserem Antrag drin! Mit welchen Finanzmit- teln wollen Sie das machen?)
In diesem zweiten Antrag geht es um den integrationspolitischen Ansatz, den wir langfristig ausformulieren müssen. Wir brauchen da tatsächlich Bedingungen, die existenziell sind.
In der interministeriellen Arbeitsgruppe zur Zuwanderung aus Südosteuropa haben wir einen schriftlichen Bericht bekommen. Darin ist ein grundsätzlich begrüßenswerter Maßnahmenkatalog enthalten.
Vielen Dank, Frau Kollegin Milz. – Sie führen hier aus, dass Ihnen das so wichtig ist. Ich würde gerne wissen, was an Ihrem Antrag neu ist – und vor allem, womit Sie das Ganze finanzieren wollen.
Herr Stamp, Ihr Antrag ist uns natürlich bekannt. Ich habe eben schon auf die Expertenrunde hingewiesen, die wir nicht umsonst durchführen werden, sondern um neue Aspekte und vielleicht auch neue Antworten zu bekommen. Ich werde heute ganz bestimmt nicht Dinge vorwegnehmen, die wir dann erst nachher in den Fachausschüssen konkretisieren werden.
Wir haben einige Punkte aufgegriffen, die uns aus integrationspolitischer Sicht wirklich wichtig sind. Ich beginne einmal mit dem Erwerb der deutschen Sprache – besonders für die Kinder, die in Deutschland Schulen besuchen wollen. Wir stellen fest, dass viele zugewanderte Kinder, aber manchmal auch die Erwachsenen nur in geringem Maße alphabetisiert sind. Wer seine Muttersprache nicht oder nur unzureichend beherrscht, wird sich schwertun, Deutsch zu lernen. Diese Zuwanderer müssen bei den künftig anstehenden Maßnahmen der nachqualifizierenden Alphabetisierungs- und Grundbildungsangebote als Zielgruppe in den Blick genommen werden.
Bezüglich der Beschulung appelliere ich an die Landesregierung, dass sie das gern zitierte Motto „Kein Kind zurücklassen!“ beim Thema „Zuwanderung“ wirklich wörtlich nimmt und die notwendigen Rahmenbedingungen schafft. Beispielsweise müssen die Lehrkräfte für diese Aufgaben weitergebildet werden. Außerdem muss man unnötige Schulwechsel für diese Schülerinnen und Schüler so weit wie möglich verhindern.
Des Weiteren möchte ich das Thema „Gesundheit“ ansprechen. Unklarheiten über den – wenn überhaupt vorhandenen – Krankenversicherungsschutz dürfen kein Hemmnis bei der Umsetzung von gesundheitsfördernden Maßnahmen sein. Wir brauchen niederschwellige Beratungen zum Beispiel zu Hygiene oder Impfungen – gegebenenfalls auch in der Muttersprache. Kinder müssen vor der Einschulung auch medizinisch untersucht werden.
Das Thema „Pflege“ ist im Kontext der Zuwanderung ebenfalls relevant. Dort muss man ebenfalls die Situation analysieren und Lösungsvorschläge erarbeiten.
Auch wenn keine gesicherten Zahlen existieren, wissen wir, dass eine Vielzahl der südosteuropäischen Zuwanderer den Roma und Sinti zugehörig ist. Gerade hat Amnesty International anlässlich des Internationalen Roma-Tages eine aktuelle Studie vorgestellt – das ist von der Kollegin bereits angesprochen worden –, in der die schwierige Situation der Roma dargestellt wird.
Wir haben daher in unserem Antrag von besonderen biografischen Hintergründen und kulturellen Prägungen gesprochen. Das hat Frau Schäffer kritisiert. Ich finde nicht, dass diese Begriffe negativ belegt sind. Wir alle – selbst hier im Landtag – haben unterschiedliche Prägungen.
Meines Erachtens ist das nicht generell etwas, was man nur negativ belegt diskutieren muss. Daher kann ich nur wiederholen: Diesen Unterschieden muss Rechnung getragen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Der aktuelle Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses zu Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EUMitgliedstaaten enthält eine umfassende Sammlung relevanter Daten und Zahlen.
Ich denke, wir sind uns alle einig: Das ist ein aktuelles Thema. Wir packen es an. Es ist für die Kommunen brisant. Wir wollen helfen, gute Lösungen zu finden. Daher hoffe ich auch auf gute Beratungen in den beiden Ausschüssen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Milz. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Velte.