(Beifall von Dr. Joachim Paul [PIRATEN] – Lothar Hegemann [CDU]: Da haben Sie recht! – Heiterkeit von den PIRATEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit acht Monaten erleben wir immer wieder neue Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden über die Umtriebe von NSA, GCHQ und anderen Diensten.
„Die Öffentlichkeit hatte ein Recht, von diesem Programm zu erfahren. Die Öffentlichkeit hatte ein Recht, zu wissen, was die Regierung in ihrem Namen tut und was die Regierung gegen die Öffentlichkeit tut.“
Wir haben als regierungstragende Fraktionen mit unseren Anträgen im Juli und September 2013 auch Konsequenzen für das Land beschlossen. Wir wollen nicht nur Druck in Richtung Berlin machen, sondern auch die umfassende Überprüfung der IT-Infrastruktur des Landes vorantreiben. Das ist die gegenwärtige Beschlusslage. Wir haben immer wieder Berichte im Innenausschuss angefordert, wenn es Neuigkeiten gab, zuletzt vor zwei Wochen.
Moment, an einer Stelle, Herr Kern, verdrehen Sie tatsächlich die Tatsachen, nämlich immer, wenn Sie uns bei Verweisen auf die Bundesebene angebliche Ablenkungsmanöver unterstellen und die Verantwortung des Bundes dadurch negieren. Das ist doch der Punkt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Nicolaus Kern [PIRATEN]: Es geht nicht um „entweder – oder“, sondern um „sowohl als auch“! – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das ist die klassische Entweder-oder-Politik!)
Gerade die Vertretung der Bundesrepublik in der Außenpolitik ist Aufgabe der Bundesebene. Das haben wir uns nicht ausgesucht, sondern das steht so im Grundgesetz. Daran halten wir uns.
Meine Damen und Herren, der Bund muss sich natürlich seiner Verantwortung endlich stellen. Denn es geht um den größten Überwachungsskandal der Geschichte, um Behörden, die Möglichkeiten zur anlasslosen und flächendeckenden Ausforschung unserer Kommunikation haben, um einen möglichen Ringtausch zwischen den Nachrichtendiensten und um staatliche Wirtschaftsspionage. Das alles und noch viel mehr hätte Frau Merkels Regierung aufrütteln müssen. Gerade vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung hat jede deutsche Regierung eine besondere Verantwortung für die unbedingte Verteidigung des Rechtsstaats und die Verteidigung der Freiheitsrechte.
Um all diese Fragen geht es nicht, weil ein Spionageprogramm der üblichen Verdächtigen bekannt geworden wäre, sondern weil es hier um Bündnispartner geht, mit denen Deutschland intensive Beziehungen pflegt, die auch richtig und notwendig sind. Aber gerade unter Freunden muss es doch wohl möglich sein, schwierige Themen zu besprechen und zu klären.
Genau das – das ist aus meiner Sicht der zentrale Vorwurf, den wir der Bundeskanzlerin machen müssen – hat die Kanzlerin aus einer falsch verstandenen transatlantischen Freundschaft lang genug abgelehnt. Herr Pofalla
hat im August die Affäre für beendet erklärt. Die Bundesregierung hat das Antispionageabkommen mit den USA in den letzten Wochen komplett vor die Wand gefahren. Der frühere Innenminister Friedrich hat beim Start in sein neues Amt zu Protokoll gegeben, er hätte in seiner Zeit als Innenminister etwas Wichtigeres als die NSA-Affäre zu tun gehabt.
Einzig bei der Überwachung des Handys der Kanzlerin hat die Regierung einmal kurz gezuckt. Was ist schon die Kommunikation von 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger gegen die Bequemlichkeit der Bundeskanzlerin?
Achselzuckend hat Frau Merkel auf den größten Überwachungsskandal der Geschichte geschaut. Verzagt und verdruckst waren die dürren Statements. Dass sie parallel die europäische Datenschutzreform hintertrieben hat, ist ein weiterer trauriger Höhepunkt.
Meine Damen und Herren, wir Grüne haben gemeinsam mit der Linksfraktion in dieser Woche im Deutschen Bundestag den Antrag auf Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum NSA-Skandal eingebracht. Ich möchte von dieser Stelle an die Mehrheit des Deutschen Bundestages appellieren, ihren Worten zu parlamentarischen Minderheitenrechten Taten folgen zu lassen, um diesen Ausschuss zu ermöglichen.
Denn die Aufklärung durch einen Untersuchungsausschuss des Bundestages ist dringend geboten: nicht nur, weil damit politische Verantwortungen geklärt werden können, sondern auch, weil wir endlich Transparenz brauchen, um vernünftig Konsequenzen ziehen zu können – auch hier im Übrigen.
Ich nenne nur ein Beispiel, das in den letzten Tagen häufiger diskutiert wurde, nämlich die Vergaben an US-Unternehmen und die Möglichkeit, bestimmte Unternehmen von Vergaben auszuschließen. Das ist so lange nicht möglich, bis klar ist, welche konkreten Verpflichtungen zur Herausgabe von Daten, dem Einbau von Backdoors oder anderen Manipulationen bestehen. Jedenfalls müssten diese Vorgaben so rechtssicher nachgewiesen sein, dass das vor der Vergabekammer eines deutschen Gerichts rechtlich Bestand hat.
Insofern ist die Transparenz über das, was da passiert, so wichtig. Das ist die Transparenz, die wir immer einfordern. Das wird uns oft vorgeworfen. An dieser Stelle muss ich sagen: Diese konkrete Maßnahme wäre durchaus sinnvoll. Sie scheitert momentan noch an der Trägheit der Bundesregierung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Beispiel illustriert, dass wir endlich Transparenz über das brauchen, was wirklich passiert, statt eine Bundesregierung, die den Kopf immer tiefer in den Sand steckt.
Das ist umso ärgerlicher, als es Mittel gäbe, Druck auf die Vereinigten Staaten auszuüben: die schon bestehenden Abkommen SWIFT, PNR, Safe Har
bour, besonders aber auch das anstehende Freihandelsabkommen. Dass diese Trümpfe bislang nicht gespielt wurden, um für Aufklärung im NSASkandal zu sorgen, geht gar nicht. Dass die Bundesregierung aber bislang nicht mal bereit war, bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP zumindest für so viel Transparenz zu sorgen, dass es eine ernsthafte Debatte über den Datenschutz in diesem Bereich geben kann, ist erst recht ein Versäumnis.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel ist und bleibt als rot-grüne Mehrheit in diesem Haus, den NSA-Skandal vollständig aufzuarbeiten. Unser Ziel bleibt, die berechtigten Fragen zu klären und dafür zu sorgen, dass nicht mehr jede zweite Firma in NordrheinWestfalen ausgespäht werden kann. Unser Ziel bleibt, eine sichere Kommunikation für alle Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema beschäftigt uns im Parlament immer wieder. Ich kann die Kritik allerdings nicht nachvollziehen, dass das als Belastung des Parlamentarismus empfunden wird, sondern wir sollten die Situation eher zum Anlass nehmen, grundsätzlich über das Thema „Datenschutz“ nachzudenken und der Frage nachzugehen, wie wir die Koordination neu justieren.
Wir haben immer davon gesprochen, dass wir eine Balance zwischen Sicherheit und Freiheit brauchen. In den vergangen zehn bis 15 Jahren gab es immer wieder die Situation, dass die Freiheitsrechte verteidigt werden mussten und dass Daten gesammelt wurden – immer unter dem Verdikt der Sicherheit.
Ich glaube, dass Snowdens Verdienst – ich finde, er hat schon Verdienste, lieber Kollege Biesenbach – vor allen Dingen ist, dass wir uns nicht nur auf die Frage zurückbesinnen, bei welchen Wünschen wir den Sicherheitsbehörden nachgeben, sondern auch auf die Bedürfnisse, die wir als Bürgerinnen und Bürger in diesem Land hinsichtlich Privatheit und Vertraulichkeit haben.
So möchte ich auch den Antrag der Piratenfraktion heute verstehen. In ihm werden Themen angesprochen, die uns alle angehen und bewegen. Wir müssen uns darüber klar sein: Auf der einen Seite wird vom Kollegen Bolte zum Beispiel gesagt, dass alles daran gesetzt wird, die NSA-Affäre durch das Land aufzuklären; aber auf der anderen Seite geht der Innenminister her und forderte eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Meine Damen und Herren, das ist doch falsch. Es nützt doch nichts, den einen Dieb sozusagen vor der Haustür zu lassen und den nächsten dann hineinzubitten.
Wir müssen uns doch grundsätzlich die Frage stellen: Wollen wir Daten preisgeben? Da ist mir übrigens die NSA genauso unlieb wie der Verfassungsschutz in Deutschland und alle anderen ähnlichen Institutionen.
Einerseits gehen wir in der Politik her und sagen immer: Liebe Konzerne, liebe Telefongesellschaften, speichert doch die Daten auf Vorrat. Auf der anderen Seite gehen aber dieselben Politiker her und sagen: Aber dass ihr die jetzt preisgegeben habt, ist nicht richtig. Meine Damen und Herren, Datenschutz fängt beim Datensammeln an. Diese Erkenntnis gibt es, seitdem wir über Datenschutz in Deutschland reden.
Diese Erkenntnis müssen wir zur Leitschnur unseres gesamten Handelns machen. Es gäbe keine Daten auf dem iPhone, wenn es verboten wäre, dort Daten zu speichern. Dann könnte sie auch keiner nutzen.
Ich habe heute in dem einen oder anderen Redebeitrag immer wieder etwas über das Handy der Kanzlerin gehört. Dazu muss ich sagen: Ich bin natürlich darüber – wie viele andere auch – betroffen, dass das Handy der Kanzlerin offenbar abgehört wurde.
Für mich hat es aber keine besondere Qualität, dass es um die Kanzlerin geht. Es hat für mich auch keine besondere Qualität, wenn es sich um die Landesregierung handelt. Für mich hat es, meine Damen und Herren, die gleiche Qualität, ob es nun „Lieschen Müller“ oder „Hans Wurst“ ist.