Protocol of the Session on July 11, 2013

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle

gen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer hier und natürlich im Livestream! Fast genau vor 63 Jahren ist die Landesverfassung in Nordrhein-Westfalen in Kraft getreten. Herr Engstfeld und die anderen Vorredner bezogen sich bereits darauf.

In einem solchen Alter sollten Menschen in der Regel in den verdienten Ruhestand gehen können. Das wollen wir von unserer Verfassung natürlich nicht. Wir möchten unsere Verfassung in den Stand setzen, auch die nächsten 63 Jahre noch zukunftsfest die Rahmenbedingungen unseres Lebens in Nordrhein-Westfalen abbilden zu können.

Das heißt nicht, dass man alle paar Monate an der Verfassung herumschreibt, weil sich die Mode geändert hat oder weil die Tagespolitik das gerade verlangt. So weit darf ein Veränderungsverständnis an der Stelle nicht gehen. Sonst wird aus diesem grundlegenden Leitfaden für unser gesellschaftliches Zusammenleben eine Beliebigkeit, die keiner demokratischen Gesellschaft bisher gut getan hat.

Andererseits darf – nein, ich möchte sagen: muss – eine haltgebende Schrift auch Veränderungen ertragen. Andernfalls ergibt sich eine gelebte Asymmetrie, durch die die Menschen in NordrheinWestfalen ihre Realität in dieser Verfassung nicht widergespiegelt sehen.

Um nicht noch weiter auseinanderzudriften, unterstützt die Piratenfraktion den vorliegenden Antrag zur Einsetzung der Verfassungskommission vollumfänglich, auch wenn der vorgelegte Katalog, der schon viele Punkte beinhaltet, die auch wir gerne umgesetzt sehen würden, ein paar Punkte auslässt, die wir sehr gerne besprochen hätten. Gerade beim zweiten Teil, den Staatszielen, aber auch im ersten Teil der Verfassung lassen sich ein paar Beispiele nennen, die eine Veränderung in dieser Gesellschaft durchaus widerspiegeln würden.

Man muss selbstverständlich nicht immer alles gleich ändern. Aber die Piratenfraktion hätte sich beispielsweise sehr gefreut, wenn sich hier Angelegenheiten des Verbraucherschutzes und der informationellen Selbstbestimmung wiedergefunden hätten. Gerade vor dem aktuellen Hintergrund der Ausspähung von uns allen, unserer Wirtschaft, unserer Verwaltung ohne Ausnahme und Tabu wäre ein deutliches Zeichen der informationellen Selbstbestimmung in unseren Augen sehr sinnvoll gewesen. Das gilt besonders, wenn man sich vor Augen führt, dass jeder von uns von dem massiven Eingriff der Informationsbeschaffung Dritter betroffen sein kann – nein: wird. Es ist keine Frage des Ob, sondern nur noch eine Frage des Wann und des Umfangs.

Der Piratenfraktion ist zwar bewusst, dass über Art. 4 unserer Verfassung die Grundrechte des Grundgesetzes Bestandteil der Verfassung und unmittelbar geltendes Landesrecht sind. Zusätzlich wäre es aber ein Zeichen an die Menschen in unse

rem Land gewesen, dass wir nicht nur deren vergangene und jetzige Sorgen verstehen, sondern auch versuchen, die zukünftigen zu antizipieren. Dazu zählen ohne Ausnahme die Informationsfreiheit und die informationelle Selbstbestimmung.

Als wichtig in diesem Zusammenhang empfinden nicht nur wir Piraten, dass am Ende der Aufgabenbeschreibung folgendes festgehalten ist:

„Der Landtag behält sich Erweiterungen der Verfassungskommission um weitere Sachverhalte, deren Überprüfung sich im Zuge der Beratungen ergeben, ausdrücklich vor.“

Das finden wir besonders gut.

Die Leitlinien der gemeinsamen Arbeit an der Verfassung gibt der Antrag sehr schön wieder: überparteilich, konsensual und mit einem Höchstmaß an Transparenz. Wir werden das leben. Wir fordern das sowieso schon auf unseren Wahlplakaten. Dementsprechend haben wir damit überhaupt kein Problem, sondern unterstützen das vollumfänglich.

Das Ziel dieser Verfassung muss es sein, für uns die Lebensgrundlage darzustellen. Deshalb freue ich mich sehr auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit speziell mit meinem Kollegen Michele Marsching. Uns konstruktiv einzubringen und an der Stelle mitarbeiten zu dürfen, wird uns eine Ehre sein. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN, der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir kommen damit zum Schluss der Beratung.

Da es sich um einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen des Hohen Hauses handelt, könnten wir, wenn alle Fraktionen einverstanden sind, direkt zur Abstimmung des Antrags übergehen. – Ich sehe beifälliges Nicken und keinen Widerspruch.

Also kommen wir zur Abstimmung. Die antragstellenden Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Piraten haben direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zu dieser Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/3428 – Neudruck. Ich darf fragen, wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte; den darf ich um das Handzeichen bitten. – Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Gibt es Enthaltungen? – Auch das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag Drucksache 16/3428 – Neudruck – einstimmig angenommen und die Verfassungskommission des Landtags Nordrhein-Westfalen hiermit eingesetzt.

(Allgemeiner Beifall)

Wir treten ein in Tagesordnungspunkt

6 Erfolgreichen U3-Ausbau in NRW fortsetzen –

Bund muss Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz umsetzen

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/3425

Ich eröffne die Beratung und erteile für die erste der beiden antragstellenden Fraktionen Herrn Kollegen Dudas das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute in drei Wochen ist der 1. August – ein außerordentlicher Tag. Natürlich gibt es jedes Jahr einen 1. August, aber diesen 1. August haben wir in ganz Deutschland seit Jahren besonders intensiv beäugt.

Denn ab dann gilt der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige. Die rot-grüne Landesregierung hat seit 2010 viel Geld bereitgestellt und damit den U3-Ausbau massiv vorangetrieben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Allein in den vergangenen Jahren ist landesweit die Zahl der Betreuungsplätze für die Unterdreijährigen um 27.000 gestiegen. Hierfür gebührt den Verantwortlichen in den Kitas, bei den zuständigen Jugendämtern und den Trägern unser Respekt. Damit können die Kommunen ab dem 1. August landesweit für jedes dritte Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz zur Verfügung stellen; insgesamt sind es knapp 145.000.

Doch auch wenn damit das Etappenziel, der 1. August 2013, nun weitestgehend erreicht ist, so ist es nicht an der Zeit, sich zurückzulehnen. Denn der U3-Ausbau endet nicht 2013/14. Vielmehr ist künftig mit weiter steigenden Betreuungsbedarfen zu rechnen. NRW wird bis 2017 allein den Kommunen 1,4 Milliarden € bereitstellen.

Gerade bei den Investitionen in die Zukunft unserer Kleinsten ist auch der Bund gefragt. Bundesmittel müssen längerfristig zur Verfügung stehen, um den Rechtsanspruch dauerhaft realisieren zu können. Denn nur durch eine konsequente Beteiligung an den Betriebskosten können U3-Plätze entsprechend der tatsächlichen Nachfrage vorgehalten werden.

Schließlich profitiert der Bund durch Steuermehreinnahmen und höhere Beiträge weit überdurchschnittlich von dem Ausbau. Den Löwenanteil der Ausgaben, Betriebs- und Investitionsmittel aber tragen die Kommunen, das Land und zum erheblichen Teil auch Träger und Eltern. Wir müssen deutschlandweit – da sind wir uns hier alle einig – mehr in die Bildung investieren. Bislang ist es nur 0,1 % des Bruttoinlandprodukts, das Deutschland für die frühkindliche Bildung ausgibt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist daher für den Bund an der Zeit, dem Rat der Länder zu folgen. Gerade mit familienpolitischen Maßnahmen wie dem Betreuungsgeld wurde ein Irrweg beschritten, der völlig falsche Signale setzt und daher zu Recht als „Bildungsfernhalteprämie“ tituliert wird.

Wir haben nicht nur die Verantwortung, Kindern entsprechende Bildungsangebote vorzuhalten, sondern wir müssen auch Eltern die Möglichkeit geben, sich frei zu entscheiden, wie und wo ihr Kind betreut wird. Und zur Wahlfreiheit gehört erst einmal überhaupt die Möglichkeit, einen Betreuungsplatz zu bekommen.

Leider gibt es auf Bundesebene einige, die das nicht verstehen, nicht verstehen wollen oder es einfach ausblenden. Daher sind wir auf Landesebene alle gemeinsam gefragt, für die Belange der Kinder und Eltern einzutreten und auf die Versäumnisse des Bundes hinzuweisen – ob es die lange Weigerung ist, mehr Mittel bereitzustellen, oder die Weigerung, die Akteure des U3-Ausbaus an einen Tisch zu holen. Es bedurfte erst der veränderten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat und der Ergebnisse zum Fiskalpakt, damit auch die Bundesregierung den U3-Ausbau endlich mit unterstützt.

Auch wenn nach vielem Hin und Her den Kommunen nun die Mittel zugeteilt werden, gibt es hier wieder eine neue Baustelle: Zu enge Antragsfristen, zu viele Berichtspflichten, knappe Fristen zur Mittelverausgabung haben sich praktisch als Hemmnis erwiesen.

Die Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder hat uns auf ihrer Jahrestagung am 6. und 7. Juni 2013 einen guten Weg aufgezeigt. Dort hat man sich dafür ausgesprochen, dass der Bund die Fristen für sein Investitionsprogramm lockern soll, damit begonnene Maßnahmen abgeschlossen werden können.

Ich würde mich daher freuen, wenn wir diesen einstimmigen Beschluss ebenfalls geschlossen begleiten würden und die Landesregierung beauftragten, sich auf Bundesebene für eine Verlängerung des Verwendungszeitraums der Mittel und für eine dauerhafte, der Nachfrage und der realen Kostenentwicklung angepassten Betriebskostenbeteiligung des Bundes einzusetzen. Dies wäre ein starkes Bekenntnis zum weiteren Ausbau und ein ebenso wichtiges Signal an die Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, Kommunen, Träger und insbesondere die Kinder.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss und hoffe auf eine gemeinsame Linie für und im Sinne unserer Kinder. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die zweite antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Asch das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 1. August ist in Deutschland in der Tat ein wichtiger Tag. Wir wissen: Dann tritt der Rechtsanspruch für die Kleinen, für die Unterdreijährigen, in Kraft. Damit schließt Deutschland – ich denke, das sollte man noch einmal in besonderer Weise betonen – an den Standard in den meisten OECD-Ländern an, was die Betreuung der Kleinen anbelangt. Denn in den meisten OECDLändern gibt es diese staatliche Garantie der Betreuung bereits. Ich denke, das ist ein Meilenstein, und den sollten wir heute alle miteinander noch einmal würdigen.

Es bedeutet vor allem für junge Eltern einen großen Schritt in Bezug auf die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist das Hauptziel, was wir verfolgen. Und diese Unterstützung ist gerade für junge Frauen besonders wichtig. Wir wissen, es sind gerade die Frauen, die noch immer den Spagat zwischen Kindern und Karriere leisten müssen. Es sind zu 80 % Frauen, die in Elternzeit gehen. Es sind die Frauen, deren Erwerbsbeteiligung in Deutschland immer noch weit hinter der von Männern liegt. Es sind also die Mütter, bei denen meistens Beruf und Karriere auf der Strecke bleiben, wenn sie Kinder bekommen.

Wir sind hier in NRW besonders stolz, dass wir die große Aufholjagd geschafft haben nach der miserablen Bilanz, die wir von der Vorgängerregierung in diesem Bereich übernehmen mussten.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Meine Güte!)

Uns liegen ganz aktuelle Zahlen vom Statistischen Bundesamt vor, und zwar die U3-Ausbau-Zahlen des Vorjahres. Danach ist NRW unter den führenden Bundesländern, und zwar mit einem Platzzuwachs von 10 %; im Bundesdurchschnitt waren es nur 6,5 %. Aber es kommt noch besser: Im nächsten Kindergartenjahr werden weitere 27.000 Plätze neu zur Verfügung stehen. Insgesamt haben wir dann 145.000 Plätze, die wir als Land gefördert haben. Das, meine Damen und Herren, ist die größte Ausbauleistung, die jemals ein Bundesland in fünf Jahren U3-Ausbau geschafft hat. Und das ist unsere rot-grüne Leistung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Aber es ist nicht nur das Verdienst dieser Regierung – wir haben einen hohen Anteil daran –, es ist auch die Leistung von ganz vielen Menschen in diesem Lande, und die wollen und müssen wir auch erwähnen. Es sind 100.000 Erzieherinnen und Erzieher, die die Umbauphase gemanagt haben. Es sind Tausende Menschen in den Jugendämtern, in den Landesjugendämtern, im Ministerium und bei

den Trägern. Nicht zuletzt sind es auch ganz viele Eltern, die zum Teil selbst ihr Knowhow und ihre Tatkraft beim Zupacken auf den Baustellen geleistet haben.

Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bei all denen bedanken, die hierzu beigetragen haben und dieses Ergebnis miteinander erzielt haben.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Eine allerdings fehlt bei den Unterstützerinnen dieser Leistung, und das ist die Noch-Bundesministerin Frau Schröder. Aus Berlin bekommen wir statt Rückenwind vor allem Gegenwind beim Aufbau der U3-Plätze. Wir stehen alle im Maschinenraum und arbeiten mit Hochdruck, aber Frau Schröder in Berlin steht auf der Bremse. Während Ministerin Schäfer hier in Nordrhein-Westfalen drei Krippenkonferenzen organisiert hat, weigert sich Frau Schröder, auch nur einen einzigen Termin hinzubekommen und einen einzigen Termin zu organisieren, bei dem sie mit den Trägern, den Kommunen und den Eltern zusammensitzt und die Probleme erörtert. Sie steckt nach wie vor den Kopf in den Sand, wenn es darum geht, den Ausbau nach 2013, der notwendig ist, von dem wir wissen, dass er vor allem in den großen Städten erforderlich ist, zu organisieren und weiterhin mit Geld aus Berlin zu decken.