Protocol of the Session on June 19, 2013

Ganz ernsthaft: Bei dem Freiheitsbegriff, der gerade offen zutage trat, überkommt mich sogar bei einem Wetter wie heute das Frösteln. Sie reden die ganze Zeit von Hochschulfreiheit und meinen die Freiheit der leitenden Gremien. Herr Schultheis hat es schon ausgeführt: Über die an den Hochschulen beteiligten Gruppen wird an dieser Stelle überhaupt nicht nachgedacht.

Das will ich Ihnen im Folgenden begründen:

Erstens. Das, was durch diesen Antrag verteidigt wird, ist im Grunde ein Auslaufmodell. Immer und immer wieder wird beschworen, dass sich die Mehrzahl der Experten in den bisherigen Ausschussanhörungen für das jetzige „Politikentmündigungsgesetz“, das da sinnverzerrend Hochschulfreiheitsgesetz genannt wird, ausspricht.

Wenn Sie die Hochschulrektoren als die einzigen Experten betrachten, ist das natürlich richtig. Welcher Vogel sägt schon an dem Ast, auf dem er sitzt? Welcher Frosch legt gerne den eigenen Sumpf trocken?

(Zurufe von der FDP)

Dass eines Ihrer Hauptprojekte der Staatsdiffamierung angegriffen werden soll, das schmerzt Sie bis ins Mark, oder sollte ich lieber „bis in den Markt“ sagen?

(Lachen von der FDP)

Denn Ihre marktradikalen Dogmen des New Public Management sind und bleiben völlig ungeeignet, um eine Hochschule zu steuern, die der ganzen Gesellschaft gegenüber verantwortlich ist.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Zweitens. Die alten Polaritäten: „Mehr Staat ist schlecht, mehr Markt ist gut“ oder umgekehrt: „Mehr Staat ist gut, mehr Markt ist schlecht“, gelten hier nicht mehr. Es geht um eine echte Autonomie in der Wissenschaft. Wie eine solche Umsetzung gelingt, wird ein Maß für die Zukunftsfähigkeit unserer Parlamente und ihrer Fraktionen sein.

(Zuruf von der FDP: Dazu brauchen wir keine Piraten!)

Herr Kollege, entschuldigen Sie bitte. Der Kollege Dr. Berger würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Bitte, Herr Berger.

Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Herr Paul, Sie haben jetzt die Marktradikalität erwähnt, die angeblich Einzug gehalten hat. Wieso orientieren sich Ihrer Meinung nach die Universitäten, die im Moment eigentlich in einer guten Verfassung sind, am Markt? Wie kommen Sie zu der Auffassung und Behauptung, dass sich die Universitäten in der jetzigen Organisationsform marktgesteuert verhalten?

Das kann ich Ihnen ganz einfach begründen. Innerhalb und unter den Universitäten und Fachhochschulen wird eine Überbetonung des Wettbewerbs ausgerufen. So ist es ja in der Rüttgers/Pinkwart-Regierung eindeutig geschehen. Sicherlich hat aber auch die damalige rot-grüne Bundesregierung ihre Anteile hieran.

Außerdem brauchen Sie sich nur die Zusammensetzung der Hochschulräte anzuschauen. An dieser Stelle herrscht eindeutig ein Übergewicht. Dabei meine ich nicht nur Professoren. Ich sehe keine anderen gesellschaftlichen Gruppen in diesen Räten repräsentiert. Dort trifft man die Hochschule selbst –

das ist richtig – und auf der anderen Seite Menschen aus dem Management, vor allem von größeren Unternehmen.

Aber lassen Sie mich fortfahren. Es geht uns um echte Autonomie in der Wissenschaft. Wie eine solche umgesetzt werden kann, ist nach unserer Auffassung ein Maß für unsere Zukunftsfähigkeit, auch für uns als Parlament.

Sicherlich, die bekannt gewordenen Rahmenvorgaben kann man kritisch sehen; da stimmen wir sogar ein klein wenig mit Ihnen überein. Wir würden uns jedoch hier mehr Verantwortungsbewusstsein und mehr Schwung vonseiten der Regierung und der Koalitionsfraktionen wünschen.

Das könnte auch ohne Autonomieverlust – im Gegenteil, sogar mit Autonomiegewinn – wunderbar im Hochschulgesetz geregelt werden. Wir Piraten bleiben dabei, dass die Hochschulräte als Gremium erstens systemfremd und zweitens in ihrer aktuellen Zusammensetzung undemokratisch und intransparent sind und deshalb abgeschafft gehören.

(Beifall von den PIRATEN)

Das ehrgeizige Ziel des offenen Dialogverfahrens verkommt im Grunde zu einer Farce, wenn versucht wird, die Hochschulrektoren auf die eigene Seite zu ziehen. Diese werden sich so oder so auf die Hinterbeine stellen und kritisch anmerken, dass Bestrebungen laufen, ihnen ihre Spielzeuge wegzunehmen.

Beenden wir daher, Frau Ministerin, diesen Dialogprozess einfach und legen zügig einen Referentenentwurf vor. Das soll ja geschehen. Wir freuen uns auf die konstruktive Auseinandersetzung hier im Parlament. Mit CDU und FDP scheint das leider nicht möglich zu sein.

Kommen Sie endlich aus dem Schützengraben heraus und stellen sich den wirklichen Problemen der nordrhein-westfälischen Hochschulen: chronische Unterfinanzierung, fehlende Demokratie, prekäre Beschäftigungen bei wissenschaftlichen Mitarbeitern, Open Access als Chance für jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Reform des Bachelor- und Master-Systems, Intransparenz von Hochschuletats und, und, und.

(Beifall von den PIRATEN)

Dann würden wir hier nicht zum tausendsten Mal diese Nebelkerzendebatte führen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Schulze das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist sinnvoll, einmal zu sortieren, um was es eigentlich geht: Es geht um ein Hochschulzukunftsgesetz.

(Zuruf von der CDU: Oh!)

Es geht nicht um den Ankauf eines Bleistiftes oder die Rückabwicklung von irgendetwas; es geht auch nicht darum, das heutige Gesetz hier zum Weltkulturerbe zu erklären.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Es geht vielmehr darum, dass wir eine der dichtesten Forschungs- und Bildungslandschaften Europas zukunftsfähig halten müssen. Das ist die eigentliche Diskussion, die wir hier führen müssen.

Wenn es um die Hochschulfreiheit geht, brauchen wir keinerlei Belehrungen. Die Autonomie der Hochschulen ist von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen nach vorne gebracht worden. Das ist Teil unserer Geschichte hier in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD)

Die Autonomie war nie Selbstzweck; sie ist kein Heiligtum. Es geht darum, die Hochschulen handlungsfähig zu erhalten. Ich kann mir vorstellen, meine Damen und Herren von der FDP und der CDU, dass der Prozess Sie ärgert. Sie haben Gesetze anders gemacht. Sie haben sie einfach schnell auf den Tisch gelegt, das Donnerwetter ausgehalten, und dann war Schluss. Wir machen das anders. Wir haben daraus gelernt und diskutieren über solch ein Gesetz im Vorfeld. Ich bin fest davon überzeugt, dass das sehr sinnvoll investierte Zeit ist.

Letzte Woche hatten wir ein sehr interessantes Werkstattgespräch. Dabei ist sehr deutlich geworden, dass wir uns mit der Hochschullandschaft in vielen Punkten einig sind, zum Beispiel wie die Wahl des Rektorats oder des Präsidiums erfolgen soll, wie man Mitgliederbegehren in der Hochschule voranbringen kann, wie man eine Hochschulversammlung gestalten kann. In vielen Punkten sind wir uns einig.

Bei diesem Werkstattgespräch habe ich auch etwas Neues gelernt. Die Jungen Liberalen waren da und haben gegen die Einschränkung der Hochschulfreiheit „demonstriert“. Ich habe dann gefragt, was sie als Einschränkung empfinden. Die Antwort war, die Frauenquote sei die Einschränkung der Hochschulfreiheit. Dazu sage ich Ihnen glasklar: Wir wollen an den Hochschulen eine Quote nach dem Kaskadenmodell einführen; denn es geht um die Qualität der Wissenschaft, um die Qualität der Lehre. Wir werden dort Vorreiter sein, und wir werden dort einen Schritt weiterkommen. Das ist keine Einschränkung, sondern das ist absolut notwendig.

(Beifall von der SPD)

Es gibt auch Punkte, die noch in der Diskussion sind. Das sind zum Beispiel die Rahmenvorgaben. Aber, meine Damen und Herren, das, was Sie hier daraus machen, ist etwas überdimensioniert. Verwaltungsvorschriften gelten für die Hochschulen nicht mehr. Wollen Sie etwa ernsthaft, dass das Antikorruptionsgesetz nicht nach der Verwaltungsvorschrift ausgelegt wird, sondern von jeder einzelnen Hochschule separat ausgelegt werden muss?

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Ja!)

Wollen Sie ernsthaft, dass das SGB IX von jeder einzelnen Hochschule separat ausgelegt werden muss? Das kann doch nicht Ihr Streben sein.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Doch!)

Es geht um einheitliche Standards für ganz Nordrhein-Westfalen. Das bringen wir nach vorne.

(Dr. Stefan Berger [CDU]: Genau, Standards! Darum geht es!)

Wir werten die Diskussionen jetzt in aller Ruhe aus. Dann werden wir Ihnen einen zunächst einen Referentenentwurf und danach einen Gesetzentwurf vorlegen; der Referentenentwurf ist für Ende des Jahres geplant. Auf dieser Basis können wir dann substanziiert darüber reden, wohin wir das Gesetz entwickeln. Es ist ein Hochschulzukunftsgesetz. Das wird dieses Gesetz einhalten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind somit am Schluss der Beratung angekommen.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende FDP-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt. Wir kommen somit zur Abstimmung über den Inhalt des Antrags Drucksache 16/3235. Wer dem vorliegenden Antrag seine Zustimmung geben möchte, den darf ich um das Handzeichen bitten. – Wer ist gegen diesen Antrag? – Gibt es Enthaltungen? – Dann ist der vorliegende Antrag mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten gegen die Stimmen von CDU und FDP mehrheitlich abgelehnt.

Wir treten ein in Tagesordnungspunkt

10 Arbeit der Biokontrollstellen überprüfen. Le