Protocol of the Session on May 15, 2013

Die schlichte Gleichung „Tempolimit gleich Verkehrssicherheit“ gilt so also nicht. Auf rund 40 % der Autobahnen gibt es aus den verschiedensten Gründen stationäre oder temporäre Geschwindigkeitsbegrenzungen. 60 % der getöteten Unfallopfer sind auf den tempolimitierten Landesstraßen zu verzeichnen. Dieses Netz gilt es zu verbessern: durch Ortsumgehungen, durch Kreisverkehre in Kreuzungspunkten mit Unfallhäufigkeit, durch bessere Fahrbahnbelege im Zuge der Instandsetzung. Aber hier mauert die Regierung Kraft.

(Beifall von der CDU)

Derzeit zählen wir die geringsten Neu- und Umbauten der letzten 50 Jahre – die Instandsetzung liegt gerade auf dem Niveau von 2009, noch unter Schwarz-Gelb.

Was sagt die Ministerpräsidentin und stellvertretende Bundesvorsitzende zum Thema „Tempolimit“? – Nichts. Als sich der grüne Koalitionspartner im März 2012 für ein Tempolimit auf Autobahnen aussprach, sagte Frau Kraft: Mit mir gibt es kein geregeltes Tempolimit. Wir glauben das nicht so ganz, denn angesichts der grünen Bevormundung – siehe Ladenschlussgesetz, Tariftreuegesetz, Dichtheitsprüfung, Rauchverbot – zeigt sich, dass es auch anders geht.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wie lange können wir noch davon ausgehen, dass es das generelle Tempolimit nicht geben wird? Ich komme noch einmal auf die Beschlusslage der SPD im Jahr 2007 zurück. Da hat die SPD auf ihrem Bundesparteitag das Tempolimit beschlossen.

(Jochen Ott [SPD]: Welches denn, Herr Schemmer?)

Im Bundestagswahlkampf sagt sie nichts dazu, weder pro noch contra. Kaum ist der Kanzlerkandidat mal eine Woche pannenfrei, legt der SPDParteivorsitzende mit dem Thema „Tempolimit“ los, und die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende und Ministerpräsidentin des größten Bundeslandes sagt nichts dazu.

Bei zwei oder drei – über die Zahl können wir noch reden – Alphatieren in Berlin und einem nörgelnden Koalitionspartner hier vor Ort fehlt der Ministerpräsidentin schlicht die Beinfreiheit. – Schönen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Schemmer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Klocke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe FDP-Fraktion, man muss beim Blick auf Ihren Antrag klar sagen: Thema verfehlt! Warum sollte sich der Landtag in einer Aktuellen Stunde mit parteistrategischen Diskussionen der SPD auf Bundesebene beschäftigen?

Die Frage nach dem Tempolimit ist eine bundespolitische Frage; das ist eine Angelegenheit der Straßenverkehrsordnung. Dass sich der Landtag von Nordrhein-Westfalen sich heute zur Prime Time, zur besten Debattenzeit mit diesem Thema beschäftigen muss, ist eine reine Wahlkampffrage.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zu- rufe von der CDU)

Es geht darum, hier ein Thema aufzuziehen und Stimmung zu machen. Das ist nichts mehr als Wahlkampf; denn das Thema an sich gibt überhaupt nichts her.

Wenn ich den FDP-Antrag durchlese, erkenne ich den Versuch, wieder einmal am Freitag in die „heute-show“ zu kommen. Ich zitiere: Die deutschen Autobahnen sind die sichersten Straßen Deutschlands, und die deutschen Autobahnen sind auch die sichersten Autobahnen auf der ganzen Welt. – Tusch! Das klingt wie eine Karnevalsrede.

Es erinnert mich außerdem – wir wollen jetzt wieder sachlich werden – an Aussagen der FDP zum Thema „Kernkraft“ vor Fukushima, in denen es hieß: Die deutschen Kernkraftwerke sind die sichersten der Welt.

(Zuruf von der FDP: Sind sie ja!)

Was steckt denn hinter dieser Aussage? Schauen Sie sich, lieber Herr Lindner und lieber Herr Rasche, die Zahlen einmal ganz konkret an; ich zitiere jetzt aus dem Statistischen Jahrbuch: Knapp 50 % der

schweren Unfälle auf deutschen Straßen passieren auf den Autobahnen. Davon sind 42 % sogenannte Geschwindigkeitsunfälle. 70 % der tödlichen Unfälle ereignen sich auf Autobahnabschnitten, die keine Geschwindigkeitsbegrenzung haben.

(Zuruf von den GRÜNEN: Aha!)

Das sind doch eindeutige Zahlen, die belegen, dass auf Strecken – auch auf Autobahnen –, wo es eine begrenzte Geschwindigkeit gibt, die Zahl der Unfälle – insbesondere die schweren Unfälle – ganz klar zurückgeht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

15 % der deutschen Verkehrsopfer sterben auf deutschen Autobahnen. Um einmal Zahlen aus dem Jahr 2012 zu nennen: Auf deutschen Autobahnen hatten wir 441 Getötete auf Streckenabschnitten ohne Tempolimit. Von diesen Getöteten sind 220 deswegen ums Leben gekommen, weil sie mit nicht angepasster Geschwindigkeit auf einem Streckenabschnitt ohne Tempolimit gefahren sind. Zu sagen, die deutschen Straßen sind die sichersten der Welt und wir brauchen keine Temporeduzierung, weil sie sowieso nichts bewirken würde, ist faktisch einfach falsch. Die Zahlen – keine grünen Zahlen, sondern Zahlen des ADAC und Zahlen aus dem Statistischen Jahrbuch – sagen eindeutig etwas anderes.

(Beifall von den GRÜNEN)

In Nordrhein-Westfalen ist der Streckenabschnitt auf der A2 zwischen Gütersloh und Porta Westfalica ohne Tempolimit und ohne Lkw-Überholverbot. Hier fallen die meisten Unfälle in Nordrhein-Westfalen an, vor allen Dingen mit schweren Verletzungen und mit Todesfolge.

Zweiter Punkt des Antrags: Der ökologische Nutzen eines Tempolimits ist gering. Ich würde auch nicht sagen, der ökologische Nutzen ist das Hauptargument für ein Tempolimit. Die Hauptargumente für ein Tempolimit sind die Verkehrssicherheit, die Lärmreduzierung und der Verkehrsfluss.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber, wenn wir ein Tempolimit hätten, würden – Quellen: Statistisches Bundesamt und Umweltbundesamt – 10 % der Gesamtemissionen im Verkehrsbereich wegfallen. Wenn man sich die CO2Absenkung in Deutschland – Privathaushalte, Industrie – seit 1990 ansieht, gibt es einen Bereich, der überhaupt keine CO2-Absenkung gebracht hat: der gesamte Verkehrsbereich. Im Verkehrsbereich sind die Emissionen in den letzten 20 Jahren konstant gewesen. Wenn wir die Klimaschutzziele erreichen wollen, die wir international vereinbart haben, muss der Verkehr einen Anteil bringen, und ein Tempolimit wäre ein Beitrag, wenn auch, zugegeben, kein großer Beitrag.

(Beifall von den GRÜNEN)

Kommen wir zum eigentlichen Thema. Das eigentliche Thema ist die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur und ihre dringend notwendige Sanierung. Wenn wir das in den nächsten Jahren nicht angehen, fahren wir nicht 180, nicht 120, sondern vielleicht 30 und auf manchen Streckenabschnitten überhaupt nicht. An dieser Stelle, liebe FDP und liebe CDU, verweigern Sie jegliche Aussage.

(Christof Rasche [FDP]: Sie doch auch!)

Wir haben das im Ausschuss diskutiert. Es gab die Daehre-Kommission. Wir hatten den ehemaligen CDU-Verkehrsminister aus Sachsen-Anhalt im Ausschuss, der klar vorgetragen hat: Uns fehlen im Jahr 7,2 Milliarden €, um unsere Verkehrsinfrastruktur in Deutschland aufrechtzuerhalten. – Danach wurde bei der Debatte im Ausschuss klar, weder CDU noch FDP haben irgendeine konkrete Vorstellung, wie wir die zusätzlichen Milliarden finanzieren wollen. Die Lkw-Maut wollen wir nicht, die schadet der Wirtschaft. Die Pkw-Maut wollen wir nicht, die können wir dem Bürger nicht zumuten. Die City-Maut wollen wir nicht, die können wir dem Einzelhandel nicht zumuten. Grundsätzliche Steuererhöhungen wollen wir nicht, grüne Steuererhöhungsorgien lehnen wir auch ab.

Sie bereiten eine echte Wahllüge vor. Denn Sie müssen den Leuten nach der Bundestagswahl sagen – wenn das passieren sollte, was wir alle nicht hoffen, dass Sie weiterregieren –, wie Sie diese Sanierungen finanzieren wollen. Dazu haben CDU und FDP überhaupt keine Vorstellung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist die eigentliche verkehrspolitische Debatte, die ansteht – da hat Minister Groschek eindeutig recht – und zu der Sie grundsätzlich jegliche Aussage verweigern.

(Christian Lindner [FDP]: Wir sind klarer als Sie!)

Nein, wir sind da sehr klar. Wir haben all das im Programm. Lieber Herr Lindner, Sie haben doch das Programm gelesen und kritisieren es ständig.

(Zurufe von Christian Lindner [FDP] und Christof Rasche [FDP])

Ich nehme die Zurufe gerne entgegen. Es scheint, ich habe einen wunden Punkt getroffen; das freut mich.

SPD und Grüne haben im Koalitionsvertrag sowohl 2010 als auch 2012 in dieser Frage eine sehr klare Festlegung getroffen. Wir machen auf Landesebene all das, was möglich ist. In Nordrhein-Westfalen sind 30 % der Streckenabschnitte auf Autobahnen temporeduziert. Es gibt eine Studie im Regierungsbezirk Arnsberg, die wir bezüglich der Fragen Sicherheit, Verkehrsfluss, Lärm und Abgasemissionen auswerten werden. Danach werden wir weitere Entscheidungen treffen.

Das Land Nordrhein-Westfalen kann kein grundsätzliches Tempolimit verordnen. Das ist auch nicht das Ziel dieser Landesregierung. Von daher ist die Debatte heute auch an diesem Punkt eindeutig verfehlt. Liebe FDP und liebe CDU, Sie machen heute Wahlkampfklamauk; das möchte ich Ihnen noch einmal ganz klar sagen.

Am Ende meiner Rede möchte ich gerne den ehemaligen Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU zitieren, den ehemaligen Kollegen Heinz Hardt, der heute Vorsitzender der Verkehrswacht in Nordrhein-Westfalen ist und bei dem wir vor einigen Wochen noch zum Parlamentarischen Abend eingeladen waren. Herr Hardt sagt ganz klar: Ein Tempolimit von 130 oder 120 auf deutschen Autobahnen wäre eine deutliche Verbesserung für die Verkehrssicherheit, für den Verkehrsfluss und für den Lärmschutz.

Der Aussage des Kollegen Hardt kann ich mich nur ausdrücklich anschließen. Schade, dass er heute nicht mehr dem Parlament angehört. Wenn das der Fall wäre, würde er vielleicht seiner Fraktion an der Stelle die Leviten lesen. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Guter Mann!)

Guter Mann, Herr Hardt, genau – ein schlechter Antrag der FDP, völlig überflüssig.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Klocke. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Bayer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Autofahrer im Saal, am Stream, bei Tempo 200 auf der Autobahn, die Sie vielleicht gerade zuschauen!

(Zuruf von Minister Johannes Remmel)

Egal, ob diese Aktuelle Stunde heute passt und ob Sigmar Gabriel sie als sinnvoll bezeichnet hätte, sie gibt uns Gelegenheit für folgende effekthascherische Warnhinweise: Achtung, ohne Tempolimit können Terroristen hier herumfahren wie in Afghanistan, Kommunisten wie in Nordkorea und Piraten wie in Somalia, also in Ländern, in denen es halt auch kein generelles Tempolimit gibt.