Protocol of the Session on March 22, 2013

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 26. Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 16 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Am heutigen Tag feiern zwei Kolleginnen ihren Geburtstag, nämlich Frau Kollegin Heike Gebhard und Frau Ute Schäfer aus der Fraktion der SPD. Beiden Kolleginnen gilt unser ganz besonderer Glückwunsch. Alles Gute für das neue Lebensjahr, Gesundheit, Glück und Erfolg!

(Allgemeiner Beifall – Präsidentin Carina Gödecke begibt sich an das Rednerpult.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir vor Eintritt in die Tagesordnung einige Worte zum historischen Datum des 23. März 1933, das sich morgen zum 80. Mal jährt.

Mit dem Jahr 1933 ist der Beginn des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte verbunden – die Terrorherrschaft durch die Nationalsozialisten, die in der Geschichte beispiellos ist. Meilensteine auf dem Weg dorthin waren die Machtergreifung vom 30. Januar, dann die sogenannte Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar, mit der die Bürgerrechte der Weimarer Verfassung aufgehoben wurden, und schließlich das Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933.

Dieses Ermächtigungsgesetz bedeutete den formalen Schritt zur Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur. Der Historiker Karl Dietrich Bracher spricht zu Recht von der „pseudoparlamentarischen Legitimierung der Diktatur“. Während die Schlägertrupps der SA in den Straßen bereits hemmungslos und gesetzlos wüteten, war es Hitler als Reichskanzler dennoch wichtig, zumindest den äußeren Anschein der Legalität zu bewahren.

Der 23. März 1933 ist der Tag, an dem die Demokratie ihren Feinden endgültig das Feld überließ bzw. überlassen musste. Rund 100 Abgeordnete waren kurz zuvor in Haft genommen und konnten an der Abstimmung gar nicht mehr teilnehmen. Die Debatte um das Ermächtigungsgesetz in der KrollOper geschah unter der massiven Drohgebärde der Braunhemden vor und im Sitzungssaal selbst.

Die furchtlose Rede des Sozialdemokraten Otto Wels, der an die Grundsätze des Rechtsstaates erinnerte, an Demokratie und Freiheit, war die letzte freie Rede im Reichstag und endete mit dem eindringlichen Appell:

„Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die... unzerstörbar sind, zu vernichten.“

Mit 444 gegen 94 votierte das Parlament schließlich für seine Entmachtung. Dieses Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, wie es zynisch hieß, beendete in drei Lesungen die erste deutsche Demokratie und öffnete der Nazibarbarei Tür und Tor.

Was 1933 in nur sieben Wochen zwischen Machtergreifung und Ermächtigungsgesetz geschah – die Zerstörung der Demokratie und die Aushebelung von Recht und Gesetz –, das hatte entsetzliche Folgen: Exzesse des Hasses und Rassenwahns, den Genozid an 6 Millionen Juden und einen Vernichtungskrieg mit unzähligen Toten und traumatisierten Opfern, die bis heute darunter leiden.

Heute wissen wir: Die Weimarer Republik ist nicht daran gescheitert, weil sie zu starke Feinde hatte, vielmehr ist sie gescheitert, weil sie von zu wenigen Demokraten verteidigt worden ist. Dabei hätte zumindest die politische Klasse wissen können, was Goebbels schon im April 1928 in der NSDAPKampfschrift „Der Angriff“ angekündigt hat:

„Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. (…) Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafsherde einbricht, so kommen wir!“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, 80 Jahre danach leben wir in einer gefestigten parlamentarischen Demokratie, die für die meisten, gerade die Jüngeren, der Normalfall ist.

Deshalb ist es unsere gemeinsame Aufgabe, gerade an Tagen wie heute an ihre Zerbrechlichkeit zu erinnern. Es ist unsere Aufgabe, dem Rechtsextremismus frühzeitig entgegenzutreten, damit es nie wieder zur Schwächung von demokratisch legitimierten Parlamenten und zur Einschränkung von Rechtsstaatlichkeit kommen kann.

Erich Kästner hat das bildlich so ausgedrückt – und damit will ich schließen –:

„Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, achten wir deshalb gemeinsam behutsam, aufmerksam, mutig und wehrhaft auf unsere parlamentarische Demokratie. – Ich danke Ihnen.

(Langanhaltender allgemeiner Beifall)

Vielen Dank.

Landtag

22.03.2013

Damit treten wir in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Ursachen und Erscheinungen des verfas

sungsfeindlichen Salafismus in NRW konsequent bekämpfen

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2332

Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben mit Schreiben vom 18. März dieses Jahres gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der erwähnten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Kollegen Yetim von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich will Ihnen zunächst ganz herzlich für Ihre eindringlichen, aber auch mahnenden Worte danken, die wir als Plenum als Auftrag für unser weiteres Handeln in den nächsten Jahren auffassen sollten. Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns in den vergangenen Monaten und Jahren intensiv mit dem Thema des Rechtsextremismus befasst. Wir haben die braune Gefahr als ein ernstes Thema für uns aufgenommen und, wie ich glaube, sehr eindringlich diskutiert.

Mit der „braunen Gefahr“ meine ich nicht nur den Rechtsextremismus der NSU, sondern auch deren parlamentarischen Arm, die NPD, und nicht zuletzt die Partei Pro NRW oder Die Rechte.

Was uns genauso umtreibt und was genauso gefährlich ist, ist der verfassungsfeindliche Salafismus in unserem Land. Deswegen ist die heute von SPD und Grünen beantragte Aktuelle Stunde genau richtig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer Morddrohungen ausstößt und einen Anschlag auf das Leben anderer Menschen plant, ist ein Verbrecher. Wer Hetzschriften verteilt und unseren Rechtsstaat aushebeln will, ist Gegner unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und ein Verfassungsfeind.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN, der FDP und den PIRATEN)

Die Salafisten planen die gewaltsame Umgestaltung unseres Staats hin zu einem Gottesstaat. Sie nutzen den islamischen Glauben als Deckmantel für eine menschenfeindliche Ideologie. Staat und Gesellschaft sollen sich ihren Lehren unterwerfen.

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Freiheit, eine Religion auszuüben oder Atheist zu sein, die Freiheit, sein Leben individuell selbst zu bestimmen – all das wird von den Salafisten abgelehnt und bekämpft.

Salafisten sind frauenfeindlich, sie sind schwulenfeindlich und sie sind demokratiefeindlich. Sie sind Gegner von Menschen anderen Glaubens, auch Gegner der überwältigenden Mehrheit der Muslime in unserem Land, die sich zum Grundgesetz bekennen und die in einem toleranten Deutschland leben wollen. Sie sind ganz offen Gegner unseres Grundgesetzes.

Vor allem aber bieten sie mit ihrer Ideologie den Nährboden für gewaltbereiten Islamismus und Terrorismus. Die vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz vereitelten Attentate zeigen als jüngstes Beispiel ganz deutlich, dass die Salafisten gewaltbereit sind und aktiv unseren Staat unterlaufen wollen. Möglicherweise steckten auch Salafisten hinter dem geplanten Anschlag auf den Bonner Hauptbahnhof.

Hier zeigt sich, wie ich finde, ganz deutlich, welche Gefahr von den Salafisten ausgeht. Es zeigt aber auch, wie gut es ist, dass unsere Landesregierung so energisch gegen die salafistische Gefahr vorgeht, salafistische Vereine verbietet, und dass potenzielle Attentäter festgenommen werden.

Ich will an dieser Stelle unserem Innenminister ganz besonders danken, der hart und entschlossen gegen die Salafisten durchgreift.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Ereignisse in Bonn haben aber auch deutlich gemacht, dass NRW ein sicheres Land ist, dass genau darauf geachtet wird, dass das Zusammenspiel zwischen Polizei und Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen funktioniert. Das ist gut so. Dadurch konnten die Anschläge verhindert werden. Für uns ist klar: Gegen Extremismus – ob mit rechtsextremem, islamistischem oder einem anderen Hintergrund – wird in Nordrhein-Westfalen entschieden und konsequent vorgegangen.

Ich möchte darauf hinweisen, dass Salafisten nicht „die Muslime“ sind. Die große Mehrheit der hier lebenden Muslime ist demokratisch gesinnt und will friedlich in unserem Land leben. Darum möchte ich die große Gruppe der Muslime und insbesondere deren Verbände darum bitten, sich sehr klar und deutlich von den Salafisten, von gewaltbereiten, intoleranten Verfassungsfeinden abzugrenzen.

Ich würde mich sehr freuen, wenn die muslimischen Verbände hier ein klares Wort sprechen und deutlich

22.03.2013

sagen würden, dass die Salafisten eine Minderheit sind und dass sie sie genauso hart bekämpfen, wie wir das tun. Vielleicht führt ein Weg auch über den islamischen Religionsunterricht – wir hatten den muslimischen Verbänden dabei die Hand gereicht –, um hier deutlich aufzuzeigen, welche Ideologie hinter den Salafisten steckt.

Wichtig ist aber auch, dass wir die Gruppierungen der Salafisten identifizieren und uns mit deren menschenfeindlicher Ideologie auseinandersetzen, dass wir Aufklärungsarbeit leisten, dass Lehrerinnen und Lehrer, Betreuerinnen und Betreuer sowie Familienangehörige rechtzeitig erkennen, wodurch sich Salafisten auszeichnen oder wenn jemand Gefahr läuft – insbesondere ein junger Mensch –, von dieser Ideologie gefangen genommen zu werden.