Protocol of the Session on March 20, 2013

(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Andere Sachen sind nicht gemacht worden. Man kann solche Reformen machen. Man kann von Menschen Opfer verlangen, wenn man gleichzeitig klarmacht, dass sie sozial, gerecht und ausgewogen sind und dass die, die ein breiteres Kreuz haben, mehr tragen. Das haben wir in der Bundesregierung nicht gemacht. Wir haben den Spitzensteuersatz gesenkt, der unter Kohl noch viel höher war. Wir müssen an diesen Stellen korrigieren, weil wir sonst die vor uns liegenden Zukunftsaufgaben nicht hinbekommen.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir Sie in der Bundesregierung ablösen und dass tatsächlich in Berlin ein anderer Wind weht, der uns bei dem Bemühen unterstützt, die Schuldengrenze 2020 einzuhalten und die Neuverschuldung wie in den letzten vier Haushalten jedes Jahr weiter zu verringern.

(Zuruf von der FDP: Ein Ostwind!)

Ich kann mich nur bei beiden Fraktionen für die Zusammenarbeit in den letzten Jahren bei der Haushaltserstellung bedanken. Wir werden genauso weitermachen. Ich will auch ein Dankeschön in Richtung Regierung sagen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Häusern danken. Es ist eine schöne Aufgabe. Sie ist nicht immer einfach. Sie wird auch nicht immer Lob geben. Aber wir machen sie, während andere sich davor drücken. – Herzlichen Dank und Glück auf!

(Langanhaltender Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Priggen. – Nun spricht für die Fraktion der Piraten ihr Fraktionssprecher, Herr Dr. Paul.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne und daheim!

(Christian Lindner [FDP]: Im Stream!)

Wir alle wissen: Die konkreten Investitionen von heute sind im Ergebnis der gesellschaftliche Reichtum von morgen. Hier sprechen wir insbesondere von notwendigen Ausgaben für die Zukunftsvorsorge, die sich mittelfristig selbst finanzieren, und hier würde es sicherlich auch Gemeinsamkeiten mit den beiden die Landesregierung tragenden Fraktionen geben.

Es ist klar, dass unsere Vorstellungen, auf die ich gleich noch näher eingehen werde, nicht kurzfristig in einem einzigen Haushaltsjahr zu verwirklichen sind. Aber Politik muss den Anspruch haben, in ei

ner Legislaturperiode zu verändern und zu gestalten. Für diesen Ansatz müssen Schritt für Schritt Finanzierungswege erschlossen werden. Sonst kann Politik ihren Gestaltungsanspruch gleich aufgeben.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir halten auch nichts von den marktwirtschaftlichen Glücksphilosophen nach dem Motto: Der Markt ist gut, und der Staat ist schlecht. – Es ist ja klar, wie dort argumentiert wird. Man macht ein bisschen rhetorischen Oregano darüber und hofft dann, dass der Kuhfladen als Pizza durchgeht.

(Beifall von den PIRATEN)

Das stinkt und ist uns zu eindimensional.

Ich hatte es schon einmal gesagt. Die Moral und Ethik der Märkte beginnt bei uns selbst und in unserem sozialen Handeln. Die Länder müssen deshalb zur Erfüllung ihrer Aufgaben selbstverständlich mit ausreichender Finanzkraft ausgestattet werden.

Im Grunde haben die Bundesländer keine nennenswerte Finanzautonomie, und sie sind auf den gemeinsamen Steuerverbund mit dem Bund angewiesen. Für durchgreifende Verbesserungen auf der Einnahmeseite liegen bekanntermaßen die Entscheidungskompetenzen ausschließlich in den

Händen der CDU/CSU-FDP-geführten Bundesregierung. Auf diesen Sachverhalt muss hier einmal klipp und klar hingewiesen werden.

Das Land Nordrhein-Westfalen schiebt große aufgelaufene Schuldenberge in Höhe von rund 135 Milliarden € vor sich her. Die finanziellen Handlungsspielräume sind demzufolge immer enger geworden, und zwar in Sonderheit durch eine reichlich kurzsichtige Steuersenkungspolitik auf Bundesebene. Die finanziellen Handlungsspielräume sind aber auch enger geworden durch den hier im Land zu verantwortenden Schuldenaufbau in den vergangenen Legislaturperioden.

Ich möchte hier und jetzt nicht einen Schuldigen für die Schulden suchen oder gar benennen. Aus unserer Sicht geht es darum, wie man es langfristig besser machen kann. Aus unserer Sicht geht es vor allem darum, wie man systematisch und nachhaltig die Zukunft für die Menschen in NordrheinWestfalen verbessern kann. Denn die kurzfristigen Rezepte sind alle gescheitert, und mit großen Worthülsen verliert die Politik ihren letzten Rest an Glaubwürdigkeit.

Ich möchte an dieser Stelle erneut einige einfache Fragen stellen, deren Beantwortung eher kompliziert ausfallen würde:

Wer will eigentlich vorsätzlich und ohne Not Schulden machen? Wohl kaum jemand, den man unvoreingenommen befragt.

Warum haben wir dann in Nordrhein-Westfalen diese hohen aufgelaufenen Schuldenberge in Höhe

von 135 Milliarden €? Aus Dummheit oder Sorglosigkeit im Umgang mit Geld?

Warum liegt der Bund bei einer Gesamtverschuldungsquote von etwa 80 % im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt? Aus Verschwendungssucht?

Wer hat diese Schulden verursacht, und ist deren Höhe im Verhältnis zur jährlichen Produktion von Gütern und Dienstleistungen volkswirtschaftlich und gesellschaftlich eigentlich vertretbar?

Viele Politiker, die heute vehement und in der ersten Reihe den Abbau der Schulden fordern, haben in der Vergangenheit lange Zeit in Abstimmungen immer wieder für eine Kreditfinanzierung der Länder und Bundeshaushalte votiert, auch hier in Nordrhein-Westfalen. Haben diese gewählten Politiker das leichtfertig und ohne triftigen Grund gemacht?

Wir als Piratenfraktion sind jedenfalls der Auffassung, die Pflicht zum Abbau von Schulden darf eine Entlastung der Bürger und neue politische Schwerpunktsetzungen zugunsten einer Gemeinwohlorientierung für alle nicht verhindern.

(Beifall von den PIRATEN)

Ein ausgeglichener Staatshaushalt kann jedoch kein Selbstzweck sein und sagt zudem überhaupt nichts aus über die allgemeine Wohlstandsentwicklung. Die Entstehung von Staatsschulden ist immer auch eine Folge wirtschaftlicher Entwicklungen oder politischer Entscheidungen. Starke konjunkturelle Krisen führten in Deutschland immer zu deutlichen Defiziten der öffentlichen Gesamthaushalte.

Ich möchte es hier einmal besonders betonen: Nicht nur eine verfehlte Ausgabenpolitik führt zu strukturellen Haushaltsdefiziten. In gleicher Weise ist auch eine verfehlte Einnahmenpolitik die Ursache für ein strukturelles Defizit.

Die Finanzierungsgrundlagen, die Steuer- und Abgabenpolitik rücken immer mehr in den Mittelpunkt der sozialen Auseinandersetzungen. Vor allem vor dem Hintergrund der Globalisierung und der Entkopplung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft stehen für die staatlichen Ausgleichs- und Regulationsfunktionen immer weniger finanzielle Ressourcen zur Verfügung.

Für die Veränderungsnotwendigkeiten in Wirtschaft und Politik, zum Beispiel im Rahmen einer Steuerung des Strukturwandels, einer regulativen Industrie- und Investitionspolitik, bleibt immer weniger Raum. Die Neujustierung der staatlichen Finanzen hat immer mehr zum Ergebnis, dass die Sozialsysteme auf ein Niveau zurechtgeschnitten werden, das gerade noch ausreicht, um die politische Stabilität zu erhalten. Der Steuerzahler wird ständig zur Kasse gebeten.

Die systematische Verarmung der öffentlichen Kassen ist auf allen Ebenen unübersehbar. Wenn sich aber die Politik als unfähig erweist, diese in der Ge

sellschaft offensichtlichen Missstände zu beseitigen und nachhaltig zu lösen, wird sich der Unmut der Bürgerinnen und Bürger gegen die Politik insgesamt richten.

In diesem Zusammenhang sind wir der Auffassung, dass die zunehmende staatliche Verschuldung die Handlungsspielräume von Bund, Land und Kommunen einschränkt und daher mittelfristig auf ein finanzwirtschaftlich vertretbares Maß reduziert werden muss. Aber es gibt Möglichkeiten, selbst in Zeiten verengter finanzieller Spielräume, und diese bemessen sich gerade nicht an der Höhe der Investitionen, sondern an deren Qualität.

Am Horizont ist ein Silberstreif – ich möchte sagen: ein Silberstreifchen – erkennbar. Wir sehen hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen, dass unsere Vorschläge zumindest ernsthaft diskutiert werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir nehmen wahr – das sage ich in aller Bescheidenheit –, dass wir Piraten mit unseren Ideen gebraucht werden, und zwar um einen Beitrag zu leisten, unser Land zukunftsfähig zu machen.

(Beifall von den PIRATEN)

Kreativ und zukunftsorientiert – das sind die beiden Grundsätze, die unser Konzept zum aktuellen Haushalt am besten beschreiben, kreativ deshalb, weil wir einige neue Ideen in Anträge umgesetzt haben, und zukunftsorientiert, weil wir frischen Wind hineinbringen und uns nicht nur von der Vergangenheit leiten lassen wollen. Langfristigkeit ist der Königsweg zur Nachhaltigkeit. Es könnten, ja, es müssen jetzt die Weichen für eine Erneuerung, eine Weiterentwicklung von Demokratie, Infrastruktur und kostenfreiem Zugang zu Wissen in NordrheinWestfalen gestellt werden.

(Beifall von den PIRATEN)

Unsere Schwerpunkte liegen daher in diesem Jahr in den Bereichen Bildung, öffentlicher Personennahverkehr und Open Government. Wir setzen auf Modellprojekte.

Natürlich gibt es im Land noch viele weitere wichtige und auch große Themen. Aber wir arbeiten das Stück für Stück ab und setzen dabei verschiedene Schwerpunkte.

Zunächst etwas Allgemeines zu unseren Haushaltsanträgen: Die quantitativen Grenzen ökonomischer und ökologischer Besonnenheit sind längst überschritten. Wir alle sind mit der Endlichkeit unserer materiellen Ressourcen konfrontiert. Geld allein ist kein Äquivalent mehr für einen gesellschaftlichen Wert. Wir haben es mit einer qualitativen Geldentwertung, mit einer Verselbstständigung des Geldes zu tun. Das Geld hat keine wirkliche Rückbindung mehr zu den realen Bedürfnissen der Menschen.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Investitionen von heute sind der Wohlstand von morgen. Gesamtgesellschaftlich ist zu beobachten, dass der Wachstumsbegriff und seine Grenzen kontrovers diskutiert werden. Bei Wissen und Bildung zum Beispiel ist Wachstum nicht begrenzt. Aber dieses Wachstum ist nicht ausschließlich in monetären Kategorien zu fassen. Es vermittelt sich nicht über den Markt. Das heißt, wir können hier von einem qualitativen Wachstum sprechen.

Die Qualität eines Antrags bemisst sich nach unserer Auffassung daher folgerichtig nicht nur an der Höhe der Ausgaben. Interessant ist hingegen die Wirkung, die eine Ausgabe erzielen kann, die Qualität jedes einzelnen investierten Euros.

Teilhabe ist das Stichwort für den ersten Bereich – Open Government. Hier machen wir einen Aufschlag mit dem Projekt „Kommune 2.0“. Damit wollen wir Lösungen aufzeigen, wie wir gemeinsam mit den Bürgern Demokratie erneuern und erneut zum Leben bringen können. Wir verbinden dabei mehrere bereits existierende Softwarelösungen, um die Kommunikation zwischen Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft zu stärken. Das ist nicht nur Politik für die Bürger, das ist Politik mit den Bürgern.

(Beifall von den PIRATEN)