Protocol of the Session on December 12, 2012

(Beifall von den PIRATEN)

Da hilft es auch nicht, Herr Römer, dass Sie den Kommunen, denen Sie Geld aus dem Stärkungspakt versprochen haben, lediglich mehr Zeit geben wollen. Sie brauchen weiterhin stärkere finanzielle Unterstützung.

An dieser Stelle verweise ich auf unsere Forderung zum Haushalt 2012, die Verbundquote, also die Zuweisungen des Landes an die Kommunen, zu erhöhen. Sämtliche Medienberichte nach der Verabschiedung des GFG zeigen eindeutig, dass die Landesregierung jetzt handeln muss. Nachzulesen ist dies explizit auch in der Studie von Ernst & Young. Darin wird noch einmal darauf hingewiesen, dass die finanzielle Situation der NRW-Kommunen im bundesweiten Vergleich miserabel ist.

Die finanziellen Handlungsspielräume sind auch durch den hier im Land zu verantworteten Schuldenaufbau in den vergangenen Legislaturperioden

enger geworden. Das Suchen nach den Schuldigen ist nicht so der Bringer. Aus Sicht der Piratenfraktion geht es schlicht darum, wie man es langfristig besser machen und wie man vor allem systematisch und nachhaltig die Zukunft für die Menschen in unserem Land verbessern kann.

(Beifall von den PIRATEN)

Warum liegt der Bund bei einer Gesamtverschuldungsquote von etwa 80 % im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt? Aus Verschwendungssucht? Wer hat diese Schulden verursacht? Ist deren Höhe im Verhältnis zur jährlichen Produktion von Gütern und Dienstleistungen volkswirtschaftlich und gesellschaftlich überhaupt vertretbar? Viele Politiker, die heute vehement und in der ersten Reihe den Abbau der Schulden fordern, haben in der Vergangenheit oft in Abstimmungen immer wieder für eine Kreditfinanzierung der Länder- und Bundeshaushalte gestimmt – auch hier in Nordrhein-Westfalen. Haben diese Politiker das leichtfertig und ohne triftigen Grund gemacht? Nein, sicher nicht. Aber gut gemeint ist nicht gut gemacht.

Bevor ich gleich zu den Schwerpunkten unserer Haushaltspolitik komme, möchte ich noch einige wichtige Aspekte unserer Politik insgesamt beleuchten:

Kreditklemme für kleine Unternehmen, Geldflut auf den Finanzmärkten, zweistellige Strafzinsen für Verbraucher bei Kontoüberziehung, astronomische Zinsen für Staatsanleihen, ständig neue Ratings für ganze Staaten – der normale Mensch und ebenso wir Politiker sind ohne Zweifel Getriebene der Märkte. Nie ist genug Zeit da, um zu verstehen und zu entscheiden. Nie ist genug Transparenz vorhanden, um Einblick zu bekommen. Verstehen benötigt nämlich Zeit, und das ist nicht gewollt. Die Finanzmärkte kennen keine Geduld; denn die kostet Geld. Es drohen Kursverluste. Intransparente Entscheidungszirkel und schnelles Handeln sichern Gewinn. Sogar jede Dopingkontrolle ist wirksamer als unsere Finanzregeln.

Wir als Piraten wollen die etablierten und in weiten Teilen gescheiterten Mechanismen der klassischen Entscheidungsträger im etablierten Wirtschaftssystem überwinden. Gerne greife ich auf die zentrale Kritik der sogenannten Freiburger Schule zurück, zu der ordoliberale Ökonomen wie Müller-Armack, Eucken, Rüstow, Miksch und Röpke gehörten. Sie alle warnten vor einer freien, unkontrollierten marktwirtschaftlichen Ordnung.

In einem von Eucken im Jahre 1946 verfassten Gutachten, dass erst 1999 veröffentlicht wurde, warnte er vor einer vermeintlich freien Marktwirtschaft. Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident:

„Woran krankte die ‚Freie Wirtschaft‘?

Die sogenannte Freie Wirtschaft war eine vermachtete Wirtschaft. … Die Bildung zahlreicher

Monopole, Teilmonopole und Oligopole war die Folge der Freien Wirtschaft. …

Und als die Wirtschaft immer mehr von solchen Machtgebilden durchsetzt wurde, musste sie krisenanfällig und unstabil werden; Arbeitslosigkeit musste entstehen und soziale Kämpfe brachen aus.“

Auch Wilhelm Röpke schrieb 1958 im Hinblick auf eine freie marktwirtschaftliche Ordnung:

Die Gesellschaft als Ganzes kann nicht auf dem Gesetz von Angebot und Nachfrage aufgebaut werden. Mit anderen Worten, fuhr er fort: Die Marktwirtschaft ist nicht alles.

Ebenso stellte Alfred Müller-Armack, der geistige Vater der sozialen Marktwirtschaft, unmissverständlich klar:

„Das Zutrauen in die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft hat sich den Wirtschaftskrisen gegenüber nicht behaupten lassen. … Die Fehler und Unterlassungen der liberalen Marktwirtschaft liegen so letztlich in der Enge der ökonomischen Weltanschauung beschlossen, die der Liberalismus vertrat.“

Ganz schlicht zusammengefasst ist die ökonomische Botschaft dieser Aussagen: Marktwirtschaft braucht ein übergeordnetes Regulativ. Dies kann aber nur ein aktiver und vor allem ein präventiv handelnder Staat sein. Müller-Armack sah dabei die Rolle des Staates in einem Ausgleich zwischen ökonomischem Wettbewerb und sozialen Ansprüchen.

Die Piratenfraktion ist mit ihrer kritischen Haltung also in ziemlich guter Gesellschaft. Wir halten nichts von den marktwirtschaftlichen Glücksphilosophen nach dem Motto: Der Markt ist gut, und der Staat ist schlecht. – Das ist uns schlicht zu eindimensional. Die Moral und Ethik der Märkte beginnt bei uns selbst und in unserem sozialen Handeln. Das ist die Position der Piratenfraktion in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den PIRATEN)

„I Have a Dream“, sagte einst Martin Luther King und führte dann aus, was er damit meinte: Hoffnung auf solidarischen Zusammenhalt der Gesellschaft ohne Diskriminierung nach Hautfarbe, Einkommen und Bildung – und natürlich religiöser Überzeugung.

Seit Wochen wird in der Presse der Umstand debattiert, dass das Wohnen in unseren Städten immer teurer und für einen wachsenden Teil der Bevölkerung zunehmend unbezahlbar ist. Der Deutsche Mieterbund geht davon aus, dass einkommensschwache Familien, von denen es immer mehr gibt, mehr als 45 % ihres Haushaltseinkommens für Wohnkosten aufbringen müssen.

Das überfordert nicht nur die finanzielle Leistungsfähigkeit dieser Menschen, sondern ist auch Gift für eine sozial nachhaltige Stadtentwicklung. Segrega

tion ist die Folge. Denn hohe und steigende Mieten führen zu fortschreitender Ghettoisierung, zu einem Auseinanderfallen der Stadtgesellschaft. Gerade für das städtische Nordrhein-Westfalen ist das eine echte Bedrohung, eine Bedrohung für uns als Solidargemeinschaft insgesamt. Schon jetzt fehlen Hunderttausende Wohnungen bundesweit, Zehntausende in Nordrhein-Westfalen, und der Fehlbestand wird angesichts unzureichender Neubauaktivitäten weiter wachsen.

Daraus ergibt sich aufgrund der vom Angebot nicht bedienten Nachfrage die evidente Gefahr einer weiteren Preisspirale zulasten all derjenigen, die zur Miete wohnen.

Der Haushalt trägt diesem doppelten Problem, dass es nicht genügend viele und nicht genügend bezahlbare Wohnungen gibt, nur unzureichend Rechnung. Das Wohngeld für einkommensschwache Haushalte verharrt bei 330 Millionen €; die Hälfte davon kommt vom Bund. Gegenüber dem Haushaltsansatz 2010 bedeutet dies einen Rückgang um über 86 Millionen €, also um über 20 %. Vor dem Hintergrund der skizzierten dramatischen Situation ist das schlicht nicht nachvollziehbar.

Die Landesregierung ist über diese Entwicklung sehr gut informiert. Sie selbst erwartet in ihrem aktuellen Sozialbericht 2012 eine Verschlechterung der Chancen wohnberechtigter Haushalte auf eine Sozialmietwohnung. Angesichts des laufend zurückgehenden Bestands solcher Wohnungen und des faktisch nicht mehr stattfindenden Neubaus in diesem Bereich ist das keine besonders gewagte Aussage.

Doch was folgert man daraus? Außer frommen Aufrufen, die nichts kosten, und gegenseitigen Schuldzuweisungen nicht besonders viel. Seit 1990 ist dieser Bestand an Wohnraum mit Mietpreis- bzw. Belegungsbindung um über 50 % auf aktuell unter 600.000 Wohnungen zurückgegangen. Nur noch jede zwölfte Wohnung ist öffentlich gefördert.

Insgesamt werden so 800 Millionen € im Jahr 2013 für die Förderung des sozialen Wohnraums zur Verfügung gestellt, fürwahr eine gewaltige Summe. Allerdings sind es schon bei allgemeiner Betrachtung 50 Millionen weniger als im Haushaltsjahr 2012. Und immerhin 170 Millionen € sollen gar nicht für den Kernbereich der sozialen Wohnraumförderung ausgegeben werden, sondern für quartiersbezogene Maßnahmen und die Förderung studentischen Wohnraums. Das heißt, dass binnen Jahresfrist das Budget für die soziale Wohnraumförderung um 220 Millionen € gekürzt werden soll, also ein Minus von über einem Viertel.

Obwohl wir sehr wohl einsehen, dass studentisches Wohnen und stabile Quartiere unbedingt förderungswürdig sind und dafür auch Geld bereitzustellen ist, kann es doch nicht sein, dass dieses Geld gerade dort eingespart werden soll, wo es am dring

lichsten gebraucht wird, nämlich bei der Förderung von Wohnraum für die Menschen, die sonst kaum eine Chance haben, sich am Markt adäquat mit Wohnraum zu versorgen.

(Beifall von den PIRATEN)

Natürlich wollen wir funktionierende Quartiere, natürlich wollen wir bezahlbaren studentischen Wohnraum. Beide Aspekte tragen zudem zur Stabilisierung städtischen Zusammenlebens bei, machen unsere Städte attraktiv. Aber wenn das Geld, das die Landesregierung dafür bereitstellt, bei denen weggenommen wird, die auf Unterstützung angewiesen sind, dann wird der Name „Soziale Wohnraumförderung“ geradezu auf den Kopf gestellt. Wohnen ist ein Grundrecht, keine Ware.

(Beifall von den PIRATEN)

Kommen wir nun in den Bereich der haushalterischen Teilchenphysik. Der Kulturetat ist das Elementarteilchen des Landeshaushalts. Dieses ist denkbar klein, gleichwohl hält es uns zusammen. Jedoch wollen einige dieses Bindeglied der Gesellschaft nur noch weiter schrumpfen, bis es so winzig ist, dass es selbst am CERN nicht mehr gefunden werden kann. Das ist jedenfalls unser Eindruck.

Lassen Sie bitte die Finger von der Kulturförderung!

(Zuruf von Martin Börschel [SPD])

Lassen Sie die Finger von den Musikschulen, den Künstlern, die sich für das Landesprogramm „Kultur und Schule“ zu oft zu erbärmlichen Löhnen mit Herzblut engagieren! Lassen Sie bitte die Finger von den Museen, Opern und Theatern, den Archiven und Bibliotheken! Und geben Sie den Bereichen, in denen Neues oder Andersartiges entsteht, entsprechend Raum zur Entwicklung!

(Zuruf von Martin Börschel [SPD])

Nur so können wir, vielleicht auch rückblickend, feststellen, dass es uns gar nicht so schlecht geht, Herr Körfges.

(Heiterkeit von Hans-Willi Körfges [SPD] und Martin Börschel [SPD])

Ich appelliere an alle hier, dieses hohe Gut der Kultur in die Zukunft mitzunehmen. Wir brauchen sie jetzt und werden sie in Zukunft noch viel, viel nötiger haben.

(Beifall von den PIRATEN)

Leider ist Nordrhein-Westfalen, was nachhaltige Landwirtschaft betrifft, kein gutes Vorbild. Deutschlandweit belegen wir einen der hinteren Plätze in Sachen ökologische Landwirtschaft.

In unserem Bundesprogramm haben wir Piraten uns ganz deutlich zu einer nachhaltigen umwelt- und ressourcenschonenden Landwirtschaft bekannt. Die von uns geforderte Studie zum Medikamenteneinsatz in der industriellen Landwirtschaft ist

daher nur als kleiner Anfang zu sehen. Da es in diesem Punkt offensichtlich Missverständnisse gab, sage ich es noch einmal ganz klar und deutlich: Antibiotika sind da bei Weitem nicht das einzige Problem.

Dass es zu der großen Palette weiterer Medikamente in der Tieraufzucht keine Daten gibt, ist für uns ein untragbarer Zustand. Hier ist es unvermeidlich, dass die Landesregierung zu ihrem Wort steht und die hundert versprochenen Stellen in der Umweltüberwachung auch wirklich schafft. Wir werden Sie da in den nächsten Jahren kritisch begleiten und auch immer wieder nachhaken. Nur wenn die diesbezüglichen schwarzen Schafe wirklich auffliegen, können sich die Bürger unseres Landes darauf verlassen, dass sie sichere und gesunde Lebensmittel bekommen.

Allerdings kann es bei der Umweltüberwachung allein nicht bleiben. Was ist mit der Hygiene- und Lebensmittelkontrolle? Die jüngsten Geschehnisse mit kontaminierten Früchten aus China zeigen, dass wir hier mit unseren Bemühungen nicht nachlassen dürfen. Das eigentliche Ziel aber muss es sein, in Nordrhein-Westfalen den Weg weg von der industriellen Intensivtierhaltung hin zu einer ökologischen und damit auch ethisch vertretbaren Landwirtschaft zu schaffen.

(Beifall von den PIRATEN)