Protocol of the Session on December 12, 2012

Ich verrate sicher kein Geheimnis, wenn ich feststelle, dass Nordrhein-Westfalen und seine Bürgerinnen und Bürger unter den Auswirkungen der Finanzmarktkrise ganz bitter leiden müssen. Ich erspare Ihnen dazu nähere Ausführungen.

Herr Finanzminister, Sie sprechen sehr gern davon, dass die öffentlichen Haushalte nicht nur ein Ausgabenproblem, sondern auch ein Einnahmenproblem haben. Da sind wir als Piratenfraktion im Großen und Ganzen auf Ihrer Seite. Sie müssen aber dann auch einmal ein glaubwürdiges und realistisches Konzept auf den Tisch legen, wie Sie die notwendigen Investitionen in die Zukunft unserer Bürger, in die Zukunft unserer Kinder und in die Zukunft unserer Infrastruktur finanzieren wollen.

(Beifall von den PIRATEN)

„Es ist einfach, darüber zu reden, wie man eine bessere Welt schafft, aber es ist schwieriger, das umzusetzen.“ – Mit Verlaub, Herr Präsident, ein Zitat von Noam Chomsky.

Haushaltsberatungen sind für die Landesregierung eine zentrale Möglichkeit, sich mit eigenen Initiativen politisch zu präsentieren und zu profilieren. Bienenfleißig hat die Landesregierung ein umfangreiches Zahlenwerk vorgelegt. Das soll hier auch durchaus gewürdigt werden.

Herr Finanzminister, der vorgelegte Haushaltsplan 2013 ist zwar etwas mehr als eine schlichte saldenmechanische Anstrengung, aber leider auch weniger als ein gelungener finanzpolitischer Wurf. Sie können keine systematischen Lösungswege für die Bewältigung der enormen Probleme in unserem schönen Land aufzeigen.

Ohne politische Ambitionen verwaltet die Landesregierung den Status quo. Für echte Reformen und die gewaltigen politischen Herausforderungen sehen Sie auf Sicht offensichtlich keinen finanziellen Handlungsspielraum. Ratlosigkeit und Hilflosigkeit greifen angesichts der im Grunde nicht mehr vorhandenen politischen Handlungsmöglichkeiten auf Landesebene um sich.

Statt sich weiter zur Förderung von Sozialem und Kultur zu bekennen, kürzen Sie kleinmütig die Zuschüsse für die Wohlfahrtsverbände um 64 %. Mit solchen kurzsichtigen Kürzungsmaßnahmen erschüttern Sie das Vertrauen der Bürger und der Zuwendungsempfänger von Arbeiterwohlfahrt, Caritas und Diakonie, die, wie Sie alle wissen, eine hervorragende soziale Arbeit in unserem Lande leisten.

(Beifall von den PIRATEN)

Auch der ohnehin schon kleine Kulturhaushalt wird geschröpft.

Es bestehen umfangreiche und zum Teil über Jahre aufgelaufene Investitionsbedarfe im öffentlichen Personennahverkehr und im Bereich zahlreicher Verkehrsinfrastrukturen. Wirft man einen Blick in den Einzelplan 09 – Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr –, so besteht ein wesentlicher Teil des dortigen Haushalts aus der Durchleitung von Bundesmitteln.

Es besteht dringender Bedarf in der Innovations- und Qualifizierungsförderung der kleinen und mittleren Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel im Rahmen der durch den Europäischen Strukturfonds bereitgestellten EFRE-Mittel. Nordrhein-Westfalen ist das Land des Mittelstandes. Sie kürzen stattdessen die landesseitigen Fördermittel um 9,8 Millionen €. Vielleicht haben Sie gedacht, dieser Tatbestand würde uns im Gedränge nicht so auffallen.

Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ stellen Sie gerade einmal 27 Millionen € an komplementären Landesmitteln bereit. Das ist angesichts der strukturpolitischen Herausforderungen in NRW geradezu die Verkündung der öffentlichen Armut.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn wir den Staat, die Landesregierung und das Parlament, als aktiv handelnden Teil im Gesamtgefüge einer Wirtschafts- und Finanzpolitik verstehen wollen, müssen wir auch die mittelfristigen und nachhaltigen Wirkungen nicht nur der Ausgabenseite, sondern der Einnahmenseite in den Fokus nehmen. Die Länder müssen zur Erfüllung ihrer Aufgaben mit ausreichender Finanzkraft ausgestattet werden.

Herr Finanzminister Walter-Borjans, Sie sagten in der 8. Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

„Die öffentlichen Haushalte sind unterfinanziert angesichts dessen, was sie zu leisten haben, um Bildung und Wachstum, öffentliche Sicherheit, Nachhaltigkeit, Zusammenhalt und Chancenentfaltung für jede und jeden Einzelnen zu gewährleisten.“

Vollmundig haben Sie uns noch vor ein paar Wochen von den immensen Demografiegewinnen er

zählt, die Sie zur Konsolidierung des Haushaltes einsetzen wollen. Mittlerweile haben Sie auf unseren Druck das Gutachten von PricewaterhouseCoopers veröffentlicht. Die utopische Zahl von 1,4 Milliarden € taucht in der Tat in diesem Dokument auf. In der Zusammenfassung am Ende heißt es aber – ich zitiere wieder mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident –:

„Insgesamt können hier Einsparpotentiale aufgrund der demografischen Entwicklung von 620 Millionen € ausgewiesen werden. Dem stehen jedoch 196 Millionen € Mehrausgaben im Bereich der Vormundschaften, Pflegschaften und Betreuungen gegenüber.“

Also sind es nur noch 424 Millionen €. Die Kosten für den U3-Ausbau sind noch gar nicht hineingerechnet. – Weiterhin kann man dort lesen:

„Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die prognostizierten demografischen Konsolidie

rungspotentiale auch tatsächlich realisiert werden können und welche Konsequenzen dies für die Haushaltsplanung hätte.“

Der Deutsche Beamtenbund hält das in seiner Stellungnahme für nicht machbar. Stellenpläne über die Demografie zu steuern würde seiner Ansicht nach bedeuten, eine Personalpolitik fortzusetzen, die wie in der Vergangenheit bei pauschalen Stellenkürzungen das Gießkannenprinzip realisiert. Wie soll – laut Beamtenbund – zum Beispiel Personal aus demografischen Gründen abgebaut werden, das für den Straßenbau und die Pflege von Straßen zuständig ist, wenn gleichzeitig der Verkehr ständig zunimmt?

(Beifall von den PIRATEN)

Die Anzahl der Betriebe hat bisher von Jahr zu Jahr zugenommen. Das ist eine positive Entwicklung. Diese müssen jedoch steuerlich geprüft werden. Der Rückgang der Bevölkerung kann doch noch nicht zu einem Personalabbau in der Betriebsprüfung führen!

Gleiches gilt für den Bereich der Justiz. Die Anzahl der Verfahren steigt ständig. Beim Beratungsbedarf speziell älterer Mitbürger ist das ebenso der Fall. Hier sorgt die Demografie nicht für weniger Mittelbedarf, sondern für mehr Mittelbedarf im Personalhaushalt.

(Beifall von den PIRATEN)

Stattdessen bekräftigt der Deutsche Beamtenbund Nordrhein-Westfalen seine Forderung nach einer Politik der ehrlichen Aufgabenkritik. Das ist immer gut. Hierzu gehören bei jeder Gesetzesvorlage eindeutige Aussagen zur Arbeitsbelastung der betroffenen öffentlichen Dienste. Nur so kann der Landtag Personalentwicklung und -bedarfe – gleich welcher Richtung – präventiv erkennen.

Zur Umsetzung Ihrer Haushaltspolitik schweigt das Gutachten. Warum wohl? In diesem Zusammenhang muss ich an ein Zitat des US-amerikanischen Politikers Maurice Stans denken: „Das Aufstellen eines Budgets ist die Kunst, Enttäuschungen gleichmäßig zu verteilen.“ – Demnach können Sie mit diesem Haushalt noch nicht einmal richtig enttäuschen.

(Beifall von den PIRATEN)

Sie geben leider nicht an, welche Aufgaben Sie mit Ihren Kürzungen zurückführen wollen. Tatsächlich aber haben Sie die globale Minderausgabe weiter erhöht, und zwar auf über 789 Millionen €. So wird verhindert, dass das Parlament und die Öffentlichkeit genau feststellen können, an welchen Stellen Sie weiter kürzen wollen. Herr Finanzminister, mit der Ausbringung einer globalen Minderausgabe von einer dreiviertel Milliarde Euro beschreiten Sie erneut einen reichlich intransparenten Weg, um Einsparungen im Haushalt 2013 vorzunehmen. Bei allem Respekt, das können wir als Piratenfraktion nicht gutheißen. Das ist mit unseren Transparenzgrundsätzen nicht vereinbar.

(Beifall von den PIRATEN)

In diversen Anhörungen von Sachverständigen und in den Ausschusssitzungen sind die Haushaltsprobleme des Landes explizit benannt worden, so zum Beispiel

1. die sich immer weiter erhöhenden Überstunden

und der hohe Krankenstand bei Lehrkräften und Polizisten,

2. der Sanierungsstau PCB-belasteter öffentlicher

Gebäude,

3. das strukturelle Defizit bei den Kommunen und

4. die soziale Schieflage beim Wohnen.

Aus einer Antwort der Landesregierung geht hervor, dass allein in den vergangenen acht Jahren bei der Polizei Mehrarbeit im Umfang von mehr als 1,4 Millionen Stunden geleistet wurde, die weder in Freizeit ausgeglichen noch vergütet wurden.

Gleichzeitig liegt laut des Gutachtens von PwC, das die Landesregierung in Auftrag gegeben hat, die Aufklärungsquote von Gewalt- und Sexualverbrechen in Nordrhein-Westfalen um mehr als 10 % unter dem Durchschnitt der anderen Flächenländer Westdeutschlands.

Das zeigt, wie wichtig die Polizeiarbeit und wie hoch die Belastung der Polizei in unserem Land ist. Aufgrund der ständig hohen Belastungen können Überstunden nicht abgebaut werden. Immer mehr Polizeikräfte werden durch den Stress krank. Hier liegen Gefahren für diesen, vor allem aber auch für künftige Haushalte.

PCB ist ein schlimmes Thema in Deutschland und vor allem in Nordrhein-Westfalen. Trotz langer Be

kanntheit des Problems liegen immer noch keine verlässlichen Zahlen und Fakten auf dem Tisch, wie viele von den infrage kommenden Gebäuden tatsächlich belastet sind. Egal ob Rot-Grün, SchwarzGelb, oder meinetwegen Lila-Blassblau, wie so oft fehlt einfach der Mut zum Handeln. Die Landesregierungen schieben das Thema vor sich her wie ein Schneemobil die Schneemassen bei plötzlichen Wintereinbrüchen. Nur leider werden die Schneemassen dadurch nicht kleiner, sondern der Berg wird immer größer, ebenso wie der Berg an Folgekosten, die auf das Gesundheitswesen zukommen.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Beratung im Fachausschuss muss dazu erneut geführt werden. Wir haben die Initiative ergriffen und fordern eine flächendeckende Überprüfung und Feststellung von PCB-belasteten öffentlichen Gebäuden, insbesondere von Schulen und Kitagebäuden.

Ein weiteres Problem ist das strukturelle Defizit der Kommunen des Landes. Das Gutachten von Junkernheinrich und Lenk hat ergeben: Viele Kommunen in unserem Land leiden eben nicht nur an selbstverschuldeten Haushaltsproblemen. Vielmehr haben insbesondere Ruhrgebietsstädte strukturelle Haushaltsprobleme, die aus den schlechten Einkommensverhältnissen der Menschen in diesen Städten resultieren. Der Stärkungspakt bestraft nun die Menschen in diesen Kommunen zusätzlich. Die Kommunen müssen die Grundsteuer B erhöhen, die auf die Mieter umgelegt wird.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir stehen für eine Finanzierung der Kommunen, sodass nicht die Menschen in den reichen Kommunen geringe Steuern und die in den armen Kommunen hohe Steuern zahlen müssen. Regierungshandeln darf nicht zu solchen kommunalen Kollateralschäden führen.

(Beifall von den PIRATEN)