Protocol of the Session on March 16, 2017

werden; denn es gibt hier und da auch Wissenschaftler, die auf Zuruf sagen: Das muss jetzt umgesetzt werden.

Zu dem zweiten Irrglauben, der immer im Raum steht: Auch Sachsen hat nicht mal eben so entschieden, sondern das war eine eigene Impfkommission. Auch da ist das nicht auf Zuruf, sondern auf wissenschaftlicher Basis passiert. Es ist wichtig, das wirklich so zu betrachten.

Die STIKO ist dabei, genau dies zu prüfen. Sie setzt sich im Moment in einer Unterarbeitsgruppe mit der Aufnahme der HPV-Impfung auseinander. Wenn die STIKO dann in der Zukunft zu einer Impfempfehlung kommt, wird diese auch in Nordrhein-Westfalen eins zu eins übernommen.

Daher: Nordrhein-Westfalen setzt darauf, den Menschen in diesem Land die wissenschaftlichen Empfehlungen der STIKO eins zu eins weiterzugeben. Wir wollen nicht politisch über solche Dinge entscheiden.

Noch eins, was auch immer wieder als Irrglaube im Raum steht: Wenn Nordrhein-Westfalen eine Empfehlung aussprechen würde – wir tun das zum Beispiel bei der Grippeimpfung; im Rahmen der Pandemie damals haben wir eine flächendeckende Impfempfehlung ausgesprochen –, dann heißt das weder, dass es eine Kostenübernahme dafür gibt, noch heißt es, dass sich die Menschen deswegen mehr impfen lassen. Das Einzige, was eine separate Impfempfehlung des Landes bedeutet, ist, dass wir im Schadensfall für die Schädigungen bzw. für die Kosten aufkommen.

Frau Schneider, ich glaube, an der Stelle ist die STIKO entscheidend. Danach wird sich der G-BA damit auseinandersetzen müssen. Das sind die wesentlichen Faktoren, die auf einer wissenschaftlichen Basis für die Menschen vertretbar sind. Politik sollte sich aus diesen Entscheidungen heraushalten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin Steffens. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion FDP hat direkte Abstimmung beantragt. Wer also stimmt dem Antrag der FDP Drucksache 16/14390 zu? – Die FDP-Fraktion sowie die Piratenfraktion, wie angekündigt. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – SPD, Grüne, CDU und Herr Stüttgen, fraktionslos, stimmen gegen diesen Antrag. Enthaltungen? – Eine Enthaltung aus der Piratenfraktion. Damit haben wir das Ergebnis eindeutig festgestellt. Der Antrag ist mit breiter Mehrheit abgelehnt.

Wir rufen auf:

9 Wissenschaftsfreiheit und Internationalisie

rung der Forschung sind unverzichtbar und elementar für NRW und weltweit

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/14393

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion Herrn Kollegen Schultheis das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der gemeinsame Antrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Piraten zur Wissenschaftsfreiheit und Internationalisierung ist eine Einladung an alle Fraktionen dieses Hauses, ein gemeinsames kräftiges Signal für Wissenschaftsfreiheit und Internationalität zu setzen.

Die dichte Forschungs- und Hochschullandschaft Nordrhein-Westfalens und ihre internationale Vernetzung verlangt Unterstützung, und diese Unterstützung muss der Landtag den Hochschulen und Forschungseinrichtungen auch gezielt zukommen lassen. Wir müssen den Hochschulen und Forschungseinrichtungen in der aktuellen Situation den Rücken stärken.

Die Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit und auf die internationale Zusammenarbeit haben in den letzten beiden Jahren zugenommen. Die nachfolgenden Beispiele prägen das Bild, sind allerdings nur ein Ausschnitt. Man kann eigentlich sagen: Überall dort, wo Menschenrechte, wo bürgerliche Freiheiten eingeschränkt werden, wird auch Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt. Das ist nicht nur ein gedanklicher Zusammenhang, das ist ein faktischer Zusammenhang, dass sich eben das Abbauen von Rechten und Wissenschaftsfreiheit immer berühren.

Ich will daher als erstes Beispiel die Türkei nennen und hier mit Genehmigung des Präsidenten auf ein Zitat zurückgreifen, das HRK-Präsident Prof. Hippler in einer Pressemitteilung der HRK so festgestellt hat. Er sagt:

„Der Druck auf die Hochschulen in der Türkei wächst seit Monaten. Schließung von 15 Universitäten, Entlassung von mehreren Tausend Hochschulmitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Verhängung von Ausreiseverboten, Verhaftung von mehreren Hundert Hochschulangehörigen, die Absetzung von frei gewählten Rektoren – die Liste der staatlichen Repressionen gegen unsere türkischen Kolleginnen und Kollegen ist erschreckend lang. Ich fordere die Türkei auf, die weltweit gültigen akademischen Freiheiten wieder herzustellen.“

Das war eine Feststellung des HRK-Präsidenten am 17. November. Seitdem hat sich die Situation nicht verbessert; sie hat sich weiter verschlechtert. Das können wir jeden Tag den Nachrichten entnehmen. Von daher sind wir aufgerufen, hier weiter zur Wissenschaftsfreiheit unsere Stimme zu erheben.

Eine weitere Verschlechterung ist also erfolgt. Aber man darf auch sagen, dass die Entwicklung, die Wissenschaftsfreiheit in der Türkei zurückzudrängen, vor dem 17. November – auch vor dem Putschversuch – schon erkennbar war.

Der Präsident der HRK legt natürlich besonderen Wert darauf, die ganz konkreten Bereiche der Zusammenarbeit in den Fokus zu nehmen. Die türkisch-deutsche Universität in Istanbul ist ihm hier ein besonderes Anliegen. Dort kann man erkennen, wie Wissenschaftsfreiheit zurückgedrängt wurde.

Als zweites Beispiel, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich die gemeinsame Stellungnahme von HRK, DAAD, DFG, HFG – also allen Wissenschaftsorganisationen, die es in unserer Republik gibt – nennen. Daher wundere ich mich eigentlich, dass weder CDU noch FDP unserem Antrag beitreten. Alle Organisationen, die Wissenschaft vertreten, sind hier auf einer Seite, und ich glaube, es würde allemal Sinn machen, dies auch gemeinsam in diesem Landtag auszudrücken.

(Beifall von der SPD)

Ich zitiere, auch mit Genehmigung des Präsidenten. Hierzu heißt es in einer Pressemitteilung der HRK:

„Wissenschaftliche Erkenntnisse können nur in einem offenen, freien und internationalen Diskurs gewonnen werden. Hierfür ist der persönliche Austausch über akademische Disziplinen, Nationen und Kulturen hinweg notwendig. Das vom US-Präsidenten am vergangenen Freitag erlassene Dekret ist eine pauschale Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft und damit ein Angriff auf die Grundwerte der Wissenschaft.“

Also: Einschränkung von Wissenschaftsfreiheit in einem Staat, von dem wir das nie erwartet hätten. Das ist natürlich ein besonders erschreckendes Beispiel der Einschränkung von Wissenschaftsfreiheit, die sich auch in den Vereinigten Staaten durch unterschiedlichste Maßnahmen durchsetzt. Gerade wegen der intensiven Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus Nordrhein-Westfalen mit US-amerikanischen Instituten und Hochschulen ist dies ein herber Einschnitt, dem wir gemeinsam entgegentreten müssen.

Lassen Sie mich auch den Brexit nennen: Auch hier wird wegen der engen Zusammenarbeit in Europa eine Entwicklung eintreten, die uns und unsere Hochschulen betreffen wird. Großbritannien lebt in diesem Zusammenhang ganz wesentlich vom Geld der EU. Der europäische Forschungsraum finanziert

ganz wesentlich Infrastruktur im Bereich Forschung und Hochschulbildung. Deshalb werden wir hier, auch wenn es um die Brexit-Verhandlungen geht, herbe Einschnitte erleben, die uns und unsere Einrichtungen ebenfalls betreffen werden.

Also: Setzen wir ein starkes Signal für Internationalisierung! Senden wir ein starkes Signal für die Zusammenarbeit der Forschungs- und Hochschuleinrichtungen! Ich darf Sie nochmals bitten, dies im Landtag von Nordrhein-Westfalen möglichst gemeinsam zu tun. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schultheis. – Für die grüne Fraktion spricht nun Frau Dr. Seidl.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben weltweit ein Erstarken nationalistischer autoritärer und fremdenfeindlicher politischer Bewegungen. Immer länger scheint die Liste der Länder zu werden, in denen Journalistinnen und Journalisten, Andersgläubige und Andersdenkende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entlassen, verfolgt, drangsaliert, eingekerkert oder sogar getötet werden.

Dabei geraten auch die Hochschulen als Orte kritischen Denkens zunehmend unter Druck. Weltweit und auch in Europa schrumpfen die Budgets für Wissenschaft. Vielerorts sind Strömungen auf dem Vormarsch, die ihre Identität in Wissenschaftsfeindlichkeit und Wissenschaftsdiffamierung suchen.

Wissenschaftliche Faktenlagen wie der Klimawandel oder Ergebnisse der Genderforschung werden diskreditiert oder gar geleugnet. Das können und dürfen wir nicht hinnehmen. Deutschland und die EU stehen in der Pflicht, sich mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie mit der Zivilgesellschaft solidarisch zu zeigen.

Für uns in Deutschland ist die grundgesetzlich verbriefte Wissenschaftsfreiheit ein hohes Gut. Art. 13 der Grundrechtecharta garantiert diese in der Europäischen Union. Wissenschaftsfreiheit ist die Grundbedingung für erfolgreiche Forschung und Lehre, für Kooperationen im eigenen Land und über dessen Grenzen hinaus. Deshalb liegt es in unserer Verantwortung, diese Freiheit zu verteidigen und denjenigen beizustehen, denen sie verwehrt wird.

Mit der Strategie zur Internationalisierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung hat die Bundesregierung die Grundlage für eine stärker vernetzte internationale Zusammenarbeit gelegt. Sie hat aber versäumt, darin die Wissenschaftsfreiheit zum Markenkern zu machen. Vor dem Hintergrund der aktu

ellen Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit, insbesondere mit Blick auf die aktuellen Geschehnisse in der Türkei und den USA, erwarten wir, dass der Bund konkrete Maßnahmen für den weltweiten Schutz der Wissenschaftsfreiheit aufzeigt.

Insbesondere die Lage in der Türkei ist dramatisch. Wenn Teile der Opposition verhaftet sowie die Presse- und Wissenschaftsfreiheit de facto außer Kraft gesetzt werden, sind das tiefe Eingriffe in die Freiheitsrechte. Die Zahl der in der Türkei entlassenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegt mittlerweile bei über 5.000. Friedliche Proteste von Akademikerinnen und Akademikern an der Universität Ankara werden von der türkischen Polizei mit Tränengas und mit Gummigeschossen gewaltsam aufgelöst.

Viele der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hoffen auf eine Zuflucht in Deutschland. Wir sollten sie mit offenen Armen empfangen, damit sie ihre Forschungen zumindest zeitweise bei uns fortsetzen können.

Internationalisierung heißt aber auch Austausch, Kooperation und Vielfalt. Deutschland gehört mit Großbritannien, Frankreich, Kanada und der Schweiz zu der Gruppe von Ländern, die nach den USA zu den wichtigsten Knotenpunkten internationaler Wissenschaftlermobilität zählen. Sie gehören sowohl zu den wichtigsten Gast- als auch zu den wichtigsten Herkunftsländern international mobiler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Vor diesem Hintergrund verheißt die aktuelle Lage in den USA nichts Gutes. Nachdem Donald Trumps Erlass für ein Einreiseverbot von der Justiz gestoppt wurde, hat er nun ein neues Dekret erlassen, das eigentlich heute in Kraft treten sollte und das erfreulicherweise erneut gerichtlich einkassiert wurde. Trumps Populismus schadet der internationalen Verständigung, dem Austausch über Kontinente hinweg und nicht zuletzt den USA selbst. Schon der erste Erlass führte dazu, dass sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Europa wandten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Zeiten von Brexit, Abschottung à la Trump und Verhaftungen à la Erdogan ist es umso mehr unsere Aufgabe, die Kooperation und den Austausch von Studierenden, Lehrenden und Forschenden weiter auszubauen. Dazu gehören die Ausweitung der Austausch- und Stipendienprogramme, aber auch bessere aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten für Forschende aus Entwicklungs, Schwellen- und Krisenländern.

Deshalb wollen wir die Landesregierung mit unserem Antrag auffordern, zusammen mit dem Bund und den anderen Ländern ein deutliches Signal für eine freie und international kooperierende Wissenschaft zu setzen – sowohl auf europäischer als auch auf darüber hinausgehender internationaler Ebene. Wir wollen mit den Hochschulen und außerhochschulischen

Einrichtungen dafür werben, dass sich international tätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei uns niederlassen, um frei und erfolgreich forschen und lehren zu können. Wir wollen prüfen, welche Unterstützung unsere Hochschulen brauchen, um geflüchteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Arbeitsmöglichkeiten zu bieten, und wie man die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihren Aufenthalt bei uns verbessern kann.

(Beifall von Dietmar Bell [SPD])

Lassen Sie uns gemeinsam ein Zeichen für eine freie Wissenschaft, für Demokratie und Meinungsfreiheit setzen und dafür einstehen, dass wissenschaftliche Fakten als Grundlage des gesellschaftlichen Diskurses nicht verhandelbar sind.

Stimmen Sie in diesem Sinne alle zusammen unserem Antrag zu.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Torsten Sommer [PIRATEN])

Vielen Dank, Frau Kollegin Seidl. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Dr. Paul.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten – das ist ein stetiger, nie endender Prozess – weltweit an der Beantwortung der vier großen Fragen des Aufklärers Immanuel Kant – ich habe mir die Freiheit herausgenommen, dabei das „ich“ durch ein „wir“ zu ersetzen –: Was können wir wissen? Was können wir tun? Was dürfen wir hoffen? Was ist der Mensch?