Protocol of the Session on February 15, 2017

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Sie verhöhnen diejenigen, die davon betroffen sind. Ich sage Ihnen ganz deutlich – ich weiß vor dem Hintergrund meiner persönlichen Geschichte, worüber wir sprechen –: Bespitzelung von Menschen in Deutschland oder das Nachfassen und Ausspionieren werden wir nicht nur nicht dulden, sondern wir werden dem auch mit aller Konsequenz nachgehen.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva Voigt-Küp- pers [SPD])

Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es in Deutschland Spielregeln.

(Christof Rasche [FDP]: Es gibt eine politische Verantwortung!)

Die Spielregel lautet, dass der Generalbundesanwalt diesen Verdächtigungen nachgeht. Wir begrüßen ausdrücklich, dass es heute Hausdurchsuchungen gegeben hat. Allerdings – das muss ich dazusagen – weiß ich nicht, warum er sie gemacht hat und warum er sie konkret dort gemacht hat. Und das ist auch gut so: Ein Parlament hat nicht darüber zu entscheiden, wie die Justiz handelt und wie die Staatsanwaltschaft ihre Maßnahmen trifft. Das hat unabhängig zu geschehen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich sage Ihnen sehr klar: Mir wird schon angst und bange, wahrzunehmen, dass eine Behörde wie Diyanet offensichtlich den Auftrag erteilt, Bespitzelungen vorzunehmen. Ich finde auch nicht, dass der Vorgang – wie die DİTİB es am 13. Februar in ihrer Pressemitteilung getan hat – damit abgeschlossen ist, dass ein Vertreter im Moment sein Mandat innerhalb des Beirats ruhen lässt. Nein, viele Fragen stellen sich ganz konkret an die DİTİB: Wie ist die Struktur? Wie ist die Einsetzung? Wie nimmt die Religionsbehörde Einfluss? Das ist völlig klar.

Ich will Ihnen spiegeln, wie die Situation hier in Nordrhein-Westfalen aussieht. Die Schulministerin hat sehr klar diese Anforderungen an die DİTİB gestellt, und die DİTİB ist diesen Anforderungen auch nachgekommen.

Mir ist auch Folgendes wichtig: Die Arbeit des Beirats hat bisher gut funktioniert. Es wurde konstruktiv zusammengearbeitet. Und als es Probleme mit Mitgliedern dieses Beirats gegeben hat, hat auch die Schulministerin reagiert und ein Beiratsmitglied abberufen. Die Schutzmechanismen funktionieren. Ich weise auch darauf hin, dass die Mitglieder des Beirats vor Eintritt in den Beirat vom Verfassungsschutz überprüft werden. Die Landesregierung hat also bei der Besetzung des Beirats und auch bei der Konstruktion des Beirats sehr viel Sorgfalt walten lassen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Ja, es ist ein unerträglicher Vorwurf, der hier im Raum steht. Trotzdem darf es keine Vorverurteilung geben. Es müssen Urteile her. Auf Basis dieser Urteile werden Konsequenzen gezogen, und nicht vorher, weil es Zurufe aus dem Parlament gibt. Das geht hier Nordrhein-Westfalen nicht, und das gibt es auch nicht in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland. Da gibt es klare Spielregeln.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Worüber reden wir heute in dieser Diskussion? Wir reden über den Anspruch von 350.000 jungen Menschen, die dem muslimischen Glauben zusprechen.

Diese 350.000 jungen Menschen haben einen Anspruch auf einen qualifizierten Religionsunterricht. Im Übrigen ist ein Religionsunterricht keine Glaubenspredigt, sondern eine offensive Auseinandersetzung mit einer der führenden Weltreligionen in einem kritischen Dialog. Dazu brauchen wir in Deutschland an deutschen Hochschulen gut ausgebildete Religionslehrerinnen und Religionslehrer. Genau das wird in Nordrhein-Westfalen vollzogen.

(Beifall von den GRÜNEN und Michael Hüb- ner [SPD])

Wir wollen nicht, dass ein innertürkischer Konflikt in unsere Schulen hineingetragen wird. Wir wollen auch nicht, dass ein anderer Staat – schon gar nicht ein autokratisch geführter Staat – in unsere Klassenzimmer hineinregiert. Diese Ansage ist sehr klar und sehr eindeutig. Deswegen gibt es dieses Modell in Nordrhein-Westfalen.

Eins will ich Ihnen auch sagen: Die Verfassung von Nordrhein-Westfalen zu achten und einzuhalten und auch ein Verfassungspatriot zu sein, können Christen, aber auch Muslime und auch Freidenker. Unsere Verfassung in Deutschland ermöglicht das, was kluge Denker und Philosophen einen überlappenden Konsens nennen, nämlich die Anerkennung gemeinsamer Grundregeln bei aller Verschiedenheit der Akteure. Das ist die Basis, auf der wir hier in NordrheinWestfalen den Religionsunterricht ausgestaltet haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Was heißt das konkret?)

Ich sage Ihnen, Herr Kollege Stamp: Der Islam gehört zu Deutschland. Wichtiger noch: Die Muslime gehören zu Nordrhein-Westfalen. Und deswegen brauchen wir einen guten und qualifizierten Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen. Dafür müssen wir die Basis in diesem Land schaffen. Das ist unsere Aufgabe.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sehen wir uns den Beirat an: Der Beirat ist mit vier Vertretern der Verbände konstruiert worden, einer kommt von DİTİB. Vier werden vom Schulministerium benannt und drei von anderen Verbänden. Wir sind umsichtig vorgegangen und haben auch Schutzmechanismen eingebaut. Ich habe soeben darauf hingewiesen: Als ein Beiratsmitglied in verfassungsrechtlicher Hinsicht auffällig geworden ist, hat die Schulministerin gehandelt und dieses Beiratsmitglied abgezogen.

Dieses Konstrukt unterscheidet sich im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ganz fundamental von dem, was Sie und Herr Jörg-Uwe Hahn in Hessen konstruiert haben. Sie haben die DİTİB als Religionsgemeinschaft anerkannt.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Richtig! Das ist nämlich verfassungskonform!)

Sie haben einen Exklusivvertrag mit der DİTİB abgeschlossen, um „sein Baby“, wie Herr Hahn den islamischen Religionsunterricht in Hessen nennt, umzusetzen. Ein solches Vorgehen, Herr Kollege Stamp, war nicht sehr besonnen.

Wenn Sie jetzt einen Antrag in Nordrhein-Westfalen einbringen, wie heute mit dieser Aktuellen Stunde, um das Thema scharfzustellen, dann möchte ich Sie doch daran erinnern, wie viel Porzellan Sie mit dieser Debatte zerschlagen können,

(Christof Rasche [FDP]: Nur nicht debattie- ren!)

wenn Sie unsere Gesellschaft weiter spalten wollen und die Schwellen für einen qualifizierten Religionsunterricht weiter nach oben ziehen.

(Widerspruch von der CDU und der FDP – Zu- ruf von Ralf Witzel [FDP] – Zuruf von Serap Güler [CDU] – Glocke)

Sie schaden nicht uns, sondern Sie schaden dem Dialog mit den islamischen Religionen. Im Übrigen machen Sie letztlich Ihren Parteikollegen in Hessen, Herrn Hahn, lächerlich.

Wir stehen für einen qualifizierten Religionsunterricht. Wir wollen die Brücke bauen. Wir werden den Bespitzelungsvorwürfen sehr konsequent nachgehen und dabei auf der einen Seite rechtsstaatlich handeln und auf der anderen Seite jedoch dafür sorgen, dass der Dialog der Kulturen in Deutschland weitergehen kann. Wir brauchen die Menschen, die hier leben. Wir werden ihnen auch in jeder Hinsicht ein Zuhause geben. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Mostofizadeh. – Für die Piraten spricht Herr Kollege Sommer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Zuschauer und Zuschauerinnen im Saal und natürlich auch im Livestream. Ich will mal ein bisschen Schärfe aus der ganzen Nummer rausnehmen. Religion ist ohnehin schon emotional aufgeladen. Dazu müssen wir hier nicht noch etwas beisteuern.

(Beifall von den PIRATEN und Serap Güler [CDU])

Vielleicht ist es an der Stelle sinnvoll, durch Steuermittel geförderte Religionsausübung grundsätzlich infrage zu stellen, wie wir das schon immer tun.

Schließlich ist es so, dass wir den Religionsunterricht – das brachte Kollege Mostofizadeh gerade ausgezeichnet auf den Punkt – als neutralen Unterricht – und eben nicht in eine Richtung prägend – gestalten wollen. Daran müssen wir eigentlich arbeiten. Das hätten wir aber auch schon jahrzehntelang tun müssen.

Das ist hier, mit Verlaub, verpasst worden – allerdings nicht nur hier im Land, sondern eigentlich in fast allen Bundesländern. Wir müssen uns alle ins Büchlein schreiben lassen, dass das falsch gelaufen ist. Das hätten wir besser machen müssen. Denn nur so konnte es gelingen – Kollegin Güler brachte soeben sehr schön das Beispiel –, dass die DİTİB dieses Vakuum füllen konnte.

Was macht die DİTİB daraus? Sie macht manche guten Sachen, wie zum Beispiel die Überführung verstorbener Muslime in die Türkei, weil wir es in Deutschland – genauso wie beim Religionsunterricht – verpasst haben, etwa für vernünftige Bestattungsgesetze zu sorgen. Auch das haben wir jahrzehntelang von uns weggeschoben.

(Britta Altenkamp [SPD]: Auf welchem Plane- ten leben Sie denn?)

Danke für den wunderbaren sachlichen Beitrag. – Das mit den Bestattungsgesetzen hätten wir viel früher haben müssen. Genau in diese Vakuumsituation, die wir gelassen haben, ist DİTİB gerne hineingegangen. Das hat die Kollegin Güler eben treffend benannt.

Was macht man dann da? Man versucht als DİTİB so viele Einflussmöglichkeiten wir irgend möglich auf die Menschen zu bekommen. Das ist so lange gutgegangen, wie die Türkei das säkulare Erbe von Atatürk hochgehalten hat. So lange hat das halbwegs funktioniert. Allerdings spätestens seit 1994 gibt es erste Berichte darüber, dass die DİTİB Andersdenkende ausspioniert und diese Informationen fleißig nach Ankara meldet. Da wundert es mich, wenn das seit 23 Jahren bekannt ist, warum das jetzt zum ersten Mal im Verfassungsschutzbericht auftaucht. Arbeitet unser Verfassungsschutz wirklich so schlecht? Ich glaube das eher nicht. Ich glaube einfach, das war bis jetzt politisch gewollt, weil es ein bequemer Ansprechpartner war. Und das müssen wir uns jetzt um die Ohren hauen lassen, dass wir es uns zu einfach und zu bequem gemacht haben. Das müssen wir jetzt ändern. Religionsausübung und staatliches Handeln gehören getrennt.

(Beifall von den PIRATEN)

Allerdings müssen natürlich auch die lebenden Menschen islamischen Glaubens ein wenig mehr auf die Gesellschaft hier zugehen. Ich möchte es mit einem Zitat von Aiman Mazyek sagen, der erfrischend klar

den Mangel an Geistlichkeit 2010 schon zum Ausdruck gebracht hat. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

Was uns weiterhin fehlt, uns als Menschen muslimischen Glaubens, ist eine europäisch-muslimische Gelehrsamkeit, sind muslimische Intellektuelle, die den Islam in seiner europäischen Ausprägung und das Leben hier kennen. Unsere Aufklärung liegt noch vor uns.

Das ist etwas, was wir den Menschen muslimischen Glaubens wieder näherbringen müssen, dass ihr Leben hier liegt und sie sich deshalb auch an die Regeln nicht nur halten müssen, sondern diese Regeln quasi leben müssen. Und das ist ein Punkt, den müssen wir jetzt auch von der DİTİB verlangen. Wenn die DİTİB weiter hier arbeiten möchte – da bin ich anderer Meinung als die Kollegin Güler –, dann muss die DİTİB glaubwürdig und wirklich nachdrücklich erklären, dass sie sich unabhängig aufstellt. In welchem Zeitraum, darüber kann man sich streiten, das geht nicht von jetzt auf gleich, da sind wir uns wieder einig. Aber dass das Ziel sein muss, dass die DİTİB unabhängig vom türkischen Staat agiert und selbstverständlich nicht irgendwelche Akten oder Bespitzelungsprotokolle nach Ankara schickt. Ganz klar, das muss jetzt passieren. Und der erste Anfang muss dafür jetzt gemacht werden. Das sehe ich im Moment bei DİTİB tatsächlich nicht.

Das Erste, was die DİTİB-Funktionäre gemacht haben, als das Ganze jetzt aufgeploppt ist: Man fliegt nach Ankara zu einer Diskussionsrunde, um zu schauen, wie man mit der Situation umgeht. Ist man hier wirklich so verwurzelt, wie man verwurzelt sein möchte und wie man als Ansprechpartner sowohl der Landesregierung als auch der Gesamtgesellschaft sein möchte, dann kann man solche Diskussionen auch hier führen und muss das nicht mit ErdoganGetreuen zusammen machen.

(Beifall von den PIRATEN)

Aber – das ist eben auch schon angesprochen worden – wir müssen selbstverständlich differenzieren. Der Dachverband von DİTİB muss dringend reformiert werden. Wir haben aber auch viele Gemeinden – Kollege Yetim hat es eben sehr deutlich gemacht –, die sehr, sehr sinnvolle Arbeit in den Gemeinden machen, die seelsorgerische Arbeit machen, die sich auch nicht politisieren lassen, die das Ganze sehr nachhaltig tun, und zwar mitten in unserer Gesellschaft und mit unserer Gesellschaft. Das funktioniert an vielen Stellen sehr, sehr gut. Als Beispiel sei nur genannt eine Veranstaltung letzte Woche in Dortmund gegen Rechtspopulismus in der Abu-Bakr-Moschee, zusammen mit dem Moscheeverein und der Evangelischen Kirche. Das ist nicht nur 1965 passiert, das passiert ja eigentlich laufend hier. Das müssen wir unterstützen, da müssen wir ansetzen, das müssen wir stärken.

Aber sobald staatliche und religiöse Interessen vermischt werden und religiöse Interessen dazu benutzt werden, um staatliches Handeln durchzuziehen und um, wie jetzt geschehen, die Bespitzelung voranzutreiben, teilweise auch Hetze zu betreiben – Kollege Dr. Stamp sagte es ja eben, zitiert aus dieser Facebook-Gruppe –, geht das absolut nicht. Hier brauchen wir eine strikte Trennung. Religion muss Privatsache sein, das darf nicht anders funktionieren. Wir stehen für eine strikte Trennung. Und das müssen wir von allen Religionsgemeinschaften erwarten, an der Stelle auch von der DİTİB. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)