Ich weise darauf hin, dass der Antrag der Fraktion der Piraten gemäß § 82 Abs. 2 Buchstabe b unserer Geschäftsordnung vom Plenum an den Hauptausschuss überwiesen wurde mit der Maßgabe, dass eine Aussprache und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt.
Da uns die Beschussempfehlung und der Bericht des Hauptausschusses nun vorliegen, und zwar als Drucksache 16/13044, kommen wir heute zur Aussprache. Als erste Rednerin hat für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Warden jetzt das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem die Diskussion um die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in den letzten Jahren etwas weniger im Blick der Öffentlichkeit gestanden hat, ist sie spätestens mit der Volksabstimmung in der Schweiz in diesem Sommer wieder mehr im Blick der Medien. In der Schweiz haben sich im Übrigen 77 % der am Volksentscheid Beteiligten gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ausgesprochen.
Mit Ihrem Antrag, seine geehrte Piratenfraktion, fordern Sie, der Landtag möge beschließen, die Landesregierung aufzufordern, eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel zu starten, dass auf Bundesebene eine Volksabstimmung über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens stattfinden kann.
Ich finde, allein diese Formulierung hat es schon ein bisschen in sich, und sie wirft auch die Frage auf, ob wir hier die richtige Stelle in Nordrhein-Westfalen sind, um dieses Thema inhaltlich zu beraten. Es geht nämlich nicht nur um die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, sondern Sie beabsichtigen auch eine Grundgesetzänderung. Das Grundgesetz soll nämlich ergänzt werden um das Element einer Volksabstimmung, was im Grundgesetz nicht vorgesehen ist.
Wir haben Ihren Antrag, so wie Sie es vorgesehen hatten, in den letzten Monaten im Hauptausschuss und auch im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales beraten, und – Frau Präsidentin hat es gerade auch schon ausgeführt – die Fachausschüsse haben Ihren Antrag abgelehnt. Wir hatten im Hauptausschuss auch eine Beratung mit einer Sachverständigenanhörung. Diese Sachverständigenanhörung haben wir als SPD-Fraktion ausgewertet.
Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen. Ich will das auch begründen. Ihr Antrag zeigt uns, dass Ihre
Fraktion und die SPD-Fraktion unterschiedliche Vorstellungen von gesellschaftspolitischer und persönlicher Verantwortung haben. Für uns stehen zunächst die Eigenverantwortlichkeit und deren Stärkung durch gesetzliche Rahmenbedingungen im Vordergrund des staatlichen Handelns.
Wir stehen zum Prinzip der Nachrangigkeit, wonach jeder die Möglichkeit hat, seinen Lebensunterhalt zunächst aus eigenen Kräften zu erwirtschaften. Ist dies durch ungleiche Bedingungen nicht in einer auskömmlichen Form möglich, dann treten staatliche Leistungen ein. So ist es in der Sozialgesetzgebung als Ausfluss unseres Grundgesetzes und unseres Sozialstaatsprinzips verankert. Denn Arbeit dient nicht nur der Sicherung des Lebensunterhaltes, sondern Arbeit stiftet auch Identität, sie gibt Sinn im Leben und hilft einen Platz in der Gemeinschaft zu festigen.
Unser Ziel ist es deshalb vorrangig, die Rahmenbedingungen für gute Arbeit zu stärken. Wir möchten deshalb zum Beispiel auch einen sozialen Arbeitsmarkt realisieren, um allen Arbeitsfähigen die Möglichkeit zu geben, den eigenen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften sicherzustellen. Und mit Blick auf die von Ihnen auch im Antrag erwähnten Herausforderungen der Digitalisierung möchte ich beispielsweise auf das Projekt der Landesregierung „Arbeit 2020 in NRW – Digitalisierung der Arbeitswelt“ verweisen – ein Pilotprojekt, gemeinsam mit den Gewerkschaften, IG Metall, DGB und vielen anderen, in dem sich die Betriebsräte aus ausgewählten Unternehmen mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitsplätze befassen.
Aus unserer Sicht – und das entspricht auch dem Ergebnis der Anhörung – ignoriert ein bedingungsloses Grundeinkommen den tatsächlichen persönlichen Bedarf. Es stört nach meiner Meinung das Solidaritätsprinzip und verhindert auch eine Bedarfsgerechtigkeit des Staates, denn das Bedarfsdeckungsprinzip ist ebenfalls in der Sozialgesetzgebung verankert.
Fraglich sind auch Finanzierungsmodelle. Es gibt Modelle – auch in anderen Ländern –; aber die Frage, inwieweit sich diese Modelle in der Realität umsetzen lassen, ist nicht beantwortet. Es wäre auch die Frage zu beantworten, wie sich eine Regelung auf den Arbeitsmarkt und die Arbeitsbereitschaft der einzelnen Menschen auswirken würde.
Das sind aus unserer Sicht schon einige wesentliche Gründe gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Eingehen möchte ich aber auch noch auf den Gedanken der von Ihnen beabsichtigten Volksabstimmung. Unser Grundgesetz sieht ganz bewusst das Element einer Volksabstimmung nicht vor. Wir haben
da schlimme Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht. Deswegen haben wir ein solches Element nicht im Grundgesetz verankert.
Wir stehen zu unserer parlamentarischen Demokratie und zu diesem bewährten Demokratiemodell. Aus diesen Gründen werden wir der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht zustimmen. Denn das würde das Problem des Sozialstaates nicht lösen, sondern eher verstärken. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen der Piratenfraktion, wir haben Ihren Antrag bereits im Ausschuss diskutiert und auch Experten angehört; Frau Warden hat es gerade schon gesagt. Ihr Antrag müsste zuständigkeitshalber an den Bundestag adressiert sein, weil wir hier keine Entscheidung treffen können. Trotzdem kann man hierzu eine Meinung haben.
Zuallererst vertreten wir als CDU-Fraktion die Meinung, dass Sie, liebe Piraten, verschiedene Themenkomplexe miteinander vermischen und auch den Begriff des bedingungslosen Grundeinkommens nicht wirklich sauber definieren. Man kann aus Ihrem Antrag nicht genau herauslesen: Was meinen Sie? Welche Sozialleistung ist tatsächlich gemeint?
Für ein BGE oder wie man diese Leistung auch immer nennt, mag es inhaltlich gute Gründe geben, die aber nicht aus Ihrer Argumentation resultieren. Sie reden über die digitale Revolution und eine steigende Automatisierung. Hieraus ziehen Sie den Schluss, dass der arbeitende Mensch schlichtweg überflüssig wird. Das mag in einigen Arbeitsfeldern korrekt sein. Aber angesichts des demografischen Wandels und angesichts des Fachkräftemangels allerorten muss man hier doch etwas genauer hinschauen und differenzierter schlussfolgern.
Sie skizzieren in Ihrem Antrag eine Arbeitswelt, die es so nicht gibt und die es hoffentlich so nie geben wird. Sie wollen durch die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens den Arbeitsbegriff verändern. So steht es in Ihrem Antrag. Sie glauben, dass dies zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt. Sie prognostizieren den – ich zitiere – „Abschied von der Arbeitsgesellschaft“, fordern aber lauthals Teilhabe.
Das ist gut gemeint, aber nicht gut umgesetzt und viel zu kurz gesprungen. Denn Sie übersehen dabei, dass Arbeit und Beschäftigung nachweislich zu Selbstvertrauen und auch zu dem Gefühl, gebraucht zu werden, führen. Das ist doch genau die Teilhabe, die Sie in ihrem Antrag fordern. Erfolgserlebnisse,
Motivation führen zur Zufriedenheit. Der Mensch möchte gebraucht werden. Ob ich mit Flüchtlingen, mit Langzeitarbeitslosen oder mit beeinträchtigten Menschen rede – sie alle möchten das Gefühl haben, gebraucht zu werden, und sie alle möchten nicht nur ehrenamtlich arbeiten, sondern auch Geld für ihre Leistung erhalten.
Frau Kollegin Thönnissen, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Frau Kollegin Pieper von den Piraten würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich verstehe nicht, warum Sie nicht zwischen Arbeit und Erwerbstätigkeit differenzieren. Können Sie noch mal klarer formulieren: Was meinen Sie mit Arbeit? Wir sprechen ja von Erwerbstätigkeit. Arbeit, die nicht Erwerbstätigkeit ist, kann ja trotzdem zu Befriedigung und zur Zufriedenheit führen. Dazu hätte ich gern noch etwas gehört.
Das kann ich Ihnen gerne beantworten. Ich habe mehr als zehn Jahre lang beruflich mit psychisch beeinträchtigten Menschen gearbeitet. Diese Menschen möchten nicht ehrenamtlich arbeiten – Sie sagen: Arbeit ist Arbeit –, sondern möchten für das, was sie tun, auch eine Leistung bekommen.
(Michele Marsching [PIRATEN]: Ich dachte, die wollen nur Erfolgserlebnisse haben! Jetzt widersprechen Sie sich selber!)
Dies führt zur Zufriedenheit und zu dem Gefühl, gebraucht zu werden. Ich stelle mir morgens den Wecker, weil ich weiß, es wartet eine Aufgabe auf mich, und für diese Aufgabe werde ich entlohnt. Wenn ich morgens schlafen kann, solange ich will,
(Michele Marsching [PIRATEN]: Können Sie nicht! Um 10 Uhr haben Sie trotzdem einen Termin, auch wenn es ehrenamtlich ist!)
Genau hierauf haben übrigens auch die Experten in der Anhörung verwiesen. Die IG Metall beispielsweise äußerte sich sehr skeptisch zum BGE und verwies auf fehlende Anreize. Wer durch ein Grundeinkommen den Anreiz nach einem Beruf reduziert, nimmt vor allen Dingen jungen Menschen die Chance auf Selbstverwirklichung.
Ebenso hat Prof. Enste aus Köln in der Anhörung davor gewarnt, die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zu gefährden.
„Es entspricht nicht unseren tradierten und gelebten Vorstellungen von Gerechtigkeit, dass jemand von einem bedingungslosen Grundeinkommen lebt, das durch die Arbeit anderer finanziert wird, obwohl er selbst in der Lage wäre zu arbeiten.“
Genau dies, liebe Kollegen der Piratenfraktion, ist das Kernproblem Ihres Antrags. Sie fordern dort, dass jedem ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zur Leistungserbringung ein Grundeinkommen gewährt wird.
Aber ich frage Sie: Wer erwirtschaftet denn die notwendigen Steuern für genau dieses Projekt? Wo sind noch Anreize, überhaupt Arbeit aufzunehmen?
Unabhängig davon ist es aus praktischen Erwägungen offensichtlich, dass ein Grundeinkommen nach dem Gießkannenprinzip sowieso unmöglich wäre. Denn man müsste nach regionalen Unterhaltskosten und auch nach der Familiensituation unterscheiden. Es müsste berücksichtigt werden, ob es Krankheiten, Behinderungen oder andere sonstige Gründe gibt,
die die individuellen Lebenshaltungskosten erhöhen würden. – Das alles führt zu genau jener Bürokratie, die Sie in Ihrem Antrag als Schikane mit System bezeichnen.
Ungerechtigkeit, Unausgegorenheit und ein irrer bürokratischer Aufwand rechtfertigen die Zustimmung zu Ihrem Antrag selbst bei Sympathie für den Inhalt nicht.
Die beste Antwort auf die Frage: „BGE ja oder nein?“ ist einfach die: beste und bedingungslose Bildung für jedes Kind und jeden Jugendlichen. Wir lehnen daher, wie auch die Kollegen, Ihren Antrag ab. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Thönnissen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Engstfeld.
Der Haushalts- und Finanzausschuss hat den Antrag der Piraten in seiner Sitzung am 6. September 2016 mit den Stimmen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der Piratenfraktion abgelehnt. Der Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk hat den Antrag der Piratenfraktion in seiner Sitzung am 7. September 2016 mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der Piratenfraktion abgelehnt. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales