Fakt eins: Herr Schemmer, Sie greifen die Schlüsselzuweisung an, die die Stadt Gelsenkirchen aus dem GFG erhält. Dabei hat der der Verfassungsgerichtshof erst im vergangenen Mai das Gemeindefinanzierungsgesetz bestätigt, das die Verteilung der Schlüsselzuweisungen regelt. Ob auch bei dieser Entscheidung aus Sicht von Herrn Schemmer die Fakten bei der Urteilsfindung keine Rolle gespielt haben, möge jeder selber beurteilen.
Ob eine Gemeinde Schüsselzuweisungen erhält, wird im GFG nicht allein an der Höhe ihrer Einnahmen festgemacht, sondern auch an dem Umfang ihres Finanzbedarfs. Gemeinden, deren Steuerkraft nicht ausreicht, um ihren normierten Finanzbedarf zu decken, werden mit Schlüsselzuweisungen aus dem GFG unterstützt.
Zur Solidaritätsumlage werden nur solche Gemeinden herangezogen, die ihren Finanzbedarf aufgrund hoher Steuereinnahmen aus eigener Kraft decken können, sogenannte abudante Gemeinden. Mit der Umlage wird dabei nur ein kleiner Teil der über den Finanzbedarf hinausgehenden Steuerkraft abgeschöpft.
Fakt zwei: Finanzausgleichsumlagen gibt es mittlerweile in elf der 13 deutschen Flächenländer. In den meisten Fällen handelt es sich dabei – wie auch in Nordrhein-Westfalen – um eine sogenannte Abudanzumlage, die einen Teil der über den Finanzbedarf hinausgehenden Steuerkraft abschöpft. Die nordrhein-westfälische Solidaritätsumlage zeichnet sich dabei durch einen besonders niedrigen Umlagesatz aus.
Fakt drei: Mit seiner Entscheidung vom 30. August 2016 hat sich der Verfassungsgerichtshof in Münster der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte der anderen Länder angeschlossen, die vergleichbare Umlagen ebenfalls durchweg für zulässig erklärt haben.
Fakt vier: Das Aufkommen aus der Solidaritätsumlage dient dazu, Gemeinden mit bereits bestehender oder drohender Überschuldung den nachhaltigen Haushaltsausgleich zu ermöglichen. Das hat das Gericht ausdrücklich für zulässig erklärt, weil die besonders schwierige Haushaltssituation der überschuldeten oder von Überschuldung bedrohten Stärkungspaktgemeinden auf längere Sicht die Selbstverwaltungsgarantie beeinträchtigt hätte.
Herr Minister, eigentlich hatte ich vor, mich für eine Antwort zu bedanken. Das würde allerdings voraussetzen, dass zumindest ansatzweise versucht worden wäre, meine gestellte Frage zu beantworten. Außer ein paar belehrenden Fakten habe ich die Frage nicht beantwortet bekommen. Ich lese sie Ihnen noch mal vor:
„Wieviel Euro pro Einwohner weniger an Einnahmen darf eine in den Stärkungspakt zahlungspflichtige Gemeinde“
„(sogenannte reiche Gemeinde) haben als eine Gemeinde, die aus dem Stärkungspakt Zuschüsse erhält (sogenannte arme Gemeinde)?“
Nochmals: Ich habe eine präzise Frage gestellt. Sie haben mir einen großen Vortrag gehalten, was denn angeblich rechtens wäre oder auch nicht. Noch einmal die ganz schlichte Bitte an Sie: Wie groß darf denn der Unterschied sein?
Lieber Kollege Abgeordneter Schemmer, genau das habe ich versucht, Ihnen zu beantworten. Es gibt keinen fixen Eurobetrag, sondern es geht schlichtweg darum, dass das Gemeindefinanzierungsgesetz nicht die Einnahmesituation einer Kommune betrachtet. Das tun Sie. Steuerkraft und Schlüsseleinnahmen werden zusammengerechnet, und dann werden die Unterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden festgestellt.
Der Finanzausgleich zwischen den Gemeinden funktioniert mit einer zweiten Säule, Herr Schemmer, nämlich mit dem normierten Finanzbedarf. Der nor
mierte Finanzbedarf richtet sich nach unterschiedlichsten Kriterien. Ich nehme als Beispiel ein Kriterium heraus: die Zahl der Bedarfsgemeinschaften innerhalb einer Kommune.
Das heißt: Man kann nicht so vorgehen, dass Sie ausschließlich die Einnahmeseite betrachten, sondern man muss die Ausgabenseite dahin gehend betrachten, welcher normierte Aufwand für die Aufgabenerledigung einer Kommune vorhanden ist.
Sie werden wahrscheinlich schon festgestellt haben, Herr Abgeordneter Schemmer, dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften in der Gemeinde Gelsenkirchen mit Sicherheit höher ist als bei den anderen Gemeinden, die Sie vorhin angeführt haben.
Herr Minister Jäger, diese wortreichen Ausführungen sind Steine für Brot. Dass da viele Faktoren zum Tragen kommen, ist sicher uns allen klar. Gleichwohl gibt es eine konkrete Fragestellung, nämlich welche Unterschiede zwischen den ärmeren und, ich sage mal, reicheren Gemeinden vorhanden sind. Wenn man diese Beträge einfach mal nebeneinandersetzt, kann man mitteln, man kann Beispiele finden. Das kann jedenfalls mehr zur Erhellung beitragen als eine wortreiche Darstellung der Kriterien, die hier zum Tragen kommen.
Die Zahlen gibt es doch, die kann man doch aufführen. Wir können auch eine Kleine Anfrage machen, wenn wir die Zahlen heute nicht bekommen. Es muss doch möglich sein, anhand der tatsächlichen Zahlen die Unterschiede festzumachen.
Herr Abgeordneter Ellerbrock, ich habe es vorhin schon versucht, und ich versuche es noch einmal. Es reicht nicht, die Steuereinnahmen – ich versuche jetzt, das Ganze wirklich sehr vereinfacht darzustellen – pro Einwohner und die Steuereinnahmen pro Einwohner zuzüglich der Schlüsselzuweisung bei zwei unterschiedlichen Gemeinden einfach nur gegenüberzustellen. Vielmehr muss man den normierten Finanzbedarf gegenüberstellen.
Um es sehr einfach auszudrücken, anstatt von normiertem Finanzbedarf zu sprechen: Nach den durchschnittlichen Aufwendungen einer Kommune richtet sich die Höhe der Schlüsselzuweisung. Hat eine Kommune viele Aufgaben zu erledigen und eine geringe Steuerkraft, bekommt sie viele Schlüsselzuweisungen. Hat eine Kommune eine hohe Steuerkraft und vergleichsweise wenige Aufgaben, bekommt sie weniger bis hin zu gar keiner Schlüsselzuweisung.
Deshalb ist eine Betrachtungsweise, dass eine Kommune im Kreis Recklinghausen weniger je Einwohner zur Verfügung zu stehen hat als in Gelsenkirchen, kein wirkliches Vergleichskriterium.
Herr Minister, nochmals: Ich hatte eigentlich weniger Interesse daran, vorgetragen zu bekommen, wie das GFG funktioniert. Als jemand, der der ifo-Kommission von 2008 bis 2010 angehört hat, traue ich es mir selbst zu, das beurteilen zu können.
Ich hatte schlicht und einfach die Frage gestellt, wo denn bei den Finanzen die Grenzen sind. Wenn Sie davon sprechen, dass die Bedarfe sehr unterschiedlich sind, dann sage ich: Erst einmal sind bei allen Kommunen plus Kreis – dies gilt für die kreisangehörigen – und bei den kreisfreien Städten die Aufgaben alle gleich. Ob die Fallzahlen gleich sind, ist ein anderes Thema.
Deshalb muss mir einmal jemand erklären – ich ziehe einmal den Vergleich zum Verdienst –, warum jemand, der 1.240 € netto verdient, einen Teil seines Gehalts nehmen muss, um jemandem, der 1.970 € netto verdient, finanziell zu unterstützen. Diese Frage habe ich eigentlich gestellt, und die wollte ich von Ihnen beantwortet haben.
Herr Abgeordneter Schemmer, Sie beziehen sich auf das Urteil des Landesverfassungsgerichtshofs zur Solidaritätsumlage von diesem Jahr und wollen erläutert haben, warum aus Ihrer Sicht eine Kommune, die weniger Geld je Einwohner zur Verfügung hat als beispielsweise die Stadt Gelsenkirchen, trotzdem eine Solidaritätsumlage zahlen muss, von der im Rahmen der zweiten Stufe des Stärkungspaktes Städte wie Gelsenkirchen profitieren. Diese Frage haben Sie gestellt, und ich will versuchen, Ihnen diese Frage ein drittes Mal zu beantworten.
Die Wirkungsweise der Solidaritätsumlage ist wie folgt: Unterstellt wird nicht die tatsächliche Steuerkraft, auch nicht der tatsächliche Finanzbedarf, sondern unterstellt werden normierte Ausgaben zu normierten Einnahmen.
Ich möchte es noch deutlicher formulieren: Eine Stadt, die beispielsweise besonders wirtschaftlich ist, ein innovatives Konzept zur Senkung der Jugendhilfe auflegt und damit bei den Kosten unterhalb des Durchschnitts liegt, behält diesen finanziellen Vorteil, weil normierte Ausgaben zugrunde gelegt worden sind, also durchschnittliche und nicht tatsächliche.
Genauso ist es auf der Einnahmeseite. Auch hier wird eine normierte Steuerkraft unterstellt. Das heißt, es wird beispielsweise ein durchschnittlicher Gewerbesteuerhebesatz unterstellt, unabhängig davon, wie hoch der Gewerbesteuerhebesatz tatsächlich ist. Die Stadt Monheim ist beispielsweise ein hoher Nettozahler innerhalb der Solidaritätsumlage, weil der Hebesatz deutlich geringer ist als die unterstellte Steuerkraft.
Rechnet man jetzt also diese normierten Säulen gegeneinander, dann stellt man fest, dass die Steuerkraft die normierten Ausgaben übersteigt. Im Rahmen der Solidaritätsumlage ist dann ein kleiner Teil dieses überschießenden Betrages in die Solidaritätsumlage einzuzahlen. Ich glaube – ich gucke gerade einmal nach hinten –, es sind 25 %. Richtig, Herr Emschermann?
Eigentlich sind es nur 10 %, maximal sind es 25 %. Damit zeichnet sich Nordrhein-Westfalen durch einen sehr niedrigen Abschöpfungsgrad aus.
Dass die Stadt Gelsenkirchen nicht abundant ist und keine Solidaritätsumlage zahlen muss, liegt daran, dass ihre unterstellte normierte Steuerkraft bei Weitem nicht ausreicht, um die normierten Aufgaben zu erledigen.
Es gibt im Übrigen, Herr Schemmer, in den vielen Regelungen des GFG nicht die Unterstellung, dass alle dieselben Aufgaben haben. Da wir beide Mitglied der ifo-Kommission waren, erinnere ich daran, dass beispielsweise der Zentralitätsansatz eine Rolle spielt. Das heißt, dass größerer Städte eine andere kommunale Infrastruktur vorhalten müssen als kleinere. Aus diesem Grund wird dieser Zentralitätsansatz abgebildet. Großflächige Kommunen müssen beispielsweise ein größeres Abwassernetz betreiben und finden dafür auch eine Berücksichtigung im GFG.
Also: Nicht alle haben dieselben Aufgaben. Man darf Ungleiches nicht gleich behandeln. – Ich hoffe, ich habe Ihre Frage hiermit beantwortet.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister Jäger, ich habe eine Frage im Zusammenhang mit dem Stärkungspakt. Das Landes
verfassungsgericht Sachsen-Anhalt hat kürzlich festgestellt, dass auch eine Aufgabenübertragung in Form einer reinen Finanzierungsverpflichtung konnexitätsrelevant ist.
Inwiefern hält es die Landesregierung vor diesem Hintergrund für möglich, dass – einige Bürgermeister haben zum Beispiel bereits angekündigt, im weiteren Klageverfahren bis zum Bundesverfassungsgericht zu ziehen – die Finanzierungsverpflichtungen im Kommunalsoli am Ende doch ausgleichspflichtig für das Land werden?
Das Landesverfassungsgericht hat eindeutig festgestellt, dass die Solidaritätsumlage verfassungskonform und zumutbar ist. Deshalb geht die Landesregierung davon aus, dass diese Beurteilung auch in anderen Instanzen halten wird.
Dafür vielen Dank. – Herr Minister, 72 Städte und Gemeinden haben sich mit sehr viel juristischem und haushalterischem Sachverstand und mit hervorragenden Juristen und Fachleuten auf diese Klage vorbereitet und sie entsprechend begründet. Worin sehen Sie in der Begründung des Landesverfassungsgerichts das entscheidende juristische und haushalterische Argument, dass diese Klage zurückgewiesen worden ist?
Herr Abgeordneter Jostmeier, zum einen möchte ich dem Eindruck entgegentreten, dass ausschließlich die sogenannten abundanten Gemeinden in Nordrhein-Westfalen den Stärkungspakt finanzieren. Ich darf daran erinnern, dass das Land Nordrhein-Westfalen den Löwenanteil aufbringt, sowohl in der ersten Stufe, vollständig, als auch einen großen Teil in der zweiten Stufe, und dass die abundanten Kommunen nur zu einem geringen Teil zur Finanzierung des Stärkungspaktes beitragen. – Das ist das Erste.
Das Zweite ist: Ich will gar nicht beurteilen, wie „hervorragend“ – so waren Ihre Worte – die juristischen Vertreter dieser 71 oder 72 Städte gewesen sind. Wenn man aber unterstellt, dass das so ist, dann ist es eher ein Zeichen für die Aussichtslosigkeit der Klage, dass diese Kommunen trotz hervorragender Vertretung vor dem Landesverfassungsgerichtshof gescheitert sind.
Das Hauptargument des Verfassungsgerichtes war, dass die kommunale Selbstverwaltung, insbesondere bei den empfangenden, vom Stärkungspakt begünstigten Kommunen, durch Überschuldung oder
drohende Überschuldung ernsthaft gefährdet ist und deshalb ein solcher Eingriff vom Landesgesetzgeber „zumutbar“ ist – wortwörtlich.