Protocol of the Session on July 8, 2016

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Das war der letzte Teil. Ich rede vom letzten Teil, in dem Sie ein proeuropäisches Bekenntnis abgegeben haben.

Der erste Teil zu Herrn Kretschmann ging so. Wissen Sie, warum? Sie fordern, es müsse hier unbedingt eine Regierungserklärung geben. Herr Kretschmann hat eine Regierungserklärung abgegeben, weil das baden-württembergische Parlament Plenarwoche hatte. Da bot sich das an.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Haben wir hier ein Kaffeekränzchen, oder was machen wir? Sa- gen Sie das einmal! – Weitere Zurufe von der CDU)

Fertig? Wenn ich beim Reden störe, sagen Sie Bescheid.

(Beifall von den GRÜNEN – Fortgesetzt Zu- rufe von der CDU)

Die Ministerpräsidentin ist nach der Entscheidung ziemlich schnell herausgegangen, um mit den Vertretern der Landespresse zu reden, und hat ihre Meinung kundgetan. Sie hat sie auch schriftlich kundgetan.

Wir haben – vielleicht ist Ihnen das entgangen – am letzten Freitag, als es die erste Möglichkeit gab, im parlamentarischen Raum darüber zu diskutieren, im Europaausschuss fast zwei Stunden lang darüber gesprochen. Europaminister Lersch-Mense stand dort zur Verfügung. Er hat eine fast halbstündige Einleitung vorgetragen und darin die Position und die Analyse der Landesregierung dargelegt. Wir hatten alle miteinander eine gute Debatte.

(Zurufe von der CDU)

Die nächste Möglichkeit, es hier in diesem Plenum aufzusetzen, haben wir genauso gesehen wie Sie und haben sofort gesagt: Wir brauchen eine Aktuelle

Stunde dazu. Wir würden gerne auch im Plenum darüber diskutieren.

Alle Möglichkeiten, die es gab, im parlamentarischen Raum darüber zu debattieren, haben wir genutzt. Man braucht keine Regierungserklärung, um hier über den Brexit zu diskutieren. Wir haben es im Europaausschuss gemacht und machen es jetzt im Plenum. Das ist doch völlig in Ordnung. Insofern bin ich da nicht ganz d’accord.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Herr Kretschmann hat natürlich eine gute Rede gehalten – wie sollte es auch anders sein? – und auch ein klares Bekenntnis zu Europa abgegeben.

Herr Laschet, zum zweiten Teil Ihrer Rede: Sie haben gefragt, was jetzt aus den ganzen ERASMUSStudenten werde. Die Hochschulen und die Professoren seien zu Ihnen gekommen, und die Landesregierung müsse doch einmal sagen, was da sei. Sie haben auch nicht gesagt, was das heißt.

Ich glaube, dass niemand, absolut niemand, Ihnen heute sagen kann, was das für die Erasmus-Studentinnen und -Studenten heißt. Niemand! Das kann Ihnen die Europäische Kommission nicht sagen; das können Ihnen die Programmverantwortlichen nicht sagen; das kann Ihnen keine Bundesregierung sagen; das kann Ihnen keine Landesregierung sagen.

Ich kann es Ihnen auch nicht sagen, weil wir alle noch nicht wissen, was das denn am Ende heißt. Wir wissen alle nicht, in welchem Verhältnis Großbritannien irgendwann einmal zu den verbleibenden 27 EUMitgliedsstaaten stehen wird. Das wissen wir derzeit nicht. Wir werden es im Rahmen des Prozesses in den nächsten zwei Jahren klären müssen.

Insofern finde ich es müßig, so etwas hier aufzubringen und zu fragen: Was passiert denn mit ihnen? – Für uns alle in diesem Plenum ist doch klar, dass wir alles tun werden, damit sie keinen Schaden nehmen, und dass wir darauf achten werden, dass die Schulpartnerschaften und die Städtepartnerschaften mit Großbritannien in Nordrhein-Westfalen weiter blühen. Dafür werden wir alle arbeiten.

Aber diese Fragen, die Sie gestellt haben, kann Ihnen heute niemand beantworten. Insofern war ich damit auch nicht ganz einverstanden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Welche Schlüsse für Nordrhein-Westfalen ziehen wir denn aus diesem Ergebnis, das wir alle leider akzeptieren müssen? Wir hatten vor der Entscheidung in Großbritannien im Landtag eine Debatte dazu. Wir waren alle der gleichen Auffassung. Natürlich ist das eine Zäsur im europäischen Einigungsprozess. Darin sind wir uns alle einig.

Ich würde Ihnen gern noch einmal ein paar Schlüsse darstellen, die wir gezogen haben.

Erstens. Wer ist eigentlich hauptverantwortlich und warum? Hauptverantwortlich für diese Entscheidung sind – das haben Sie gar nicht erwähnt – die Tories, vor allem in Person von David Cameron. David Cameron hat einen ganz entscheidenden Anteil an dieser Situation.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Das hat er doch gesagt! – Weitere Zurufe von der CDU)

Er hat drei grundsätzliche Sachen ganz falsch gemacht. Aus machtpolitischem Kalkül hat er zugunsten eines innenpolitischen Geländegewinns damals bei den Tories, um überhaupt Spitzenkandidat und Premierminister werden zu können, die Zusage gemacht, ein Referendum durchzuführen. Das war in Großbritannien keine Volksinitiative von unten, sondern das war eine Initiative von oben.

So etwas darf man nie machen. Man darf eine solche Staatsräson, nämlich die Zustimmung zur europäischen Einigung, niemals innerparteilichen Macht- und Grabenkämpfen opfern.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Das ist die erste Lehre.

Die zweite Lehre aus dem, was David Cameron falsch gemacht hat: Er hat von Montag bis Samstag immer gegen Brüssel gewettert, und am Sonntag hat er sich hingestellt und gesagt: Na ja; eigentlich ist das eine gute Sache; stimmt doch bitte dafür.

Diese Nummer „Sündenbock Brüssel“ – wenn es schlecht läuft, ist es Brüssel; wenn es gut läuft, war es David Cameron, waren es die nationalen Regierungen, waren wir das – muss aufhören. Das ist blöd. Das muss wirklich aufhören.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Man darf das nicht machen. – Das ist die zweite große Lehre.

Die dritte Lehre ist: David Cameron hat einfach schlecht regiert. Es ist bei diesen nationalen Volksabstimmungen über europäische Fragen nämlich fast immer so – das müssen wir einmal nüchtern konstatieren –, dass die nationalen Regierungen einen Denkzettel verpasst bekommen.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: das Assoziierungsabkommen zwischen den Niederlanden und der Ukraine, das letztens von der niederländischen Bevölkerung abgelehnt wurde. Ich behaupte: Niemand hat aus einer ernsthaften Wahlmotivation heraus dieses Abkommen abgelehnt, sondern man hat der niederländischen Regierung einen Denkzettel verpasst.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU] – Josef Hovenjürgen [CDU]: Da geben wir Ihnen ja recht! Ja!)

Das haben sowohl die Niederländer als auch die Franzosen bereits bei dem Verfassungsreferendum gemacht. Herr Cameron hat einfach schlecht regiert. Insofern war ein Teil der Abstimmung einfach ein Denkzettel für ihn. – Strich drunter.

Ich komme auf den zweiten Punkt zu sprechen, den ich in der Analyse noch gern benennen würde. Wir dürfen nicht übersehen, dass viele oder fast alle Menschen – und ich habe viele Fernsehberichte dazu gesehen – gesagt haben: Wir haben gar keinen Einfluss mehr; wir werden in Brüssel gar nicht gehört. 68 % der Gesetzgebung Großbritanniens erfolgt in Brüssel. – Dabei wird ja nicht differenziert, ob es sich um das Europäische Parlament, die EU-Kommission oder die Staats- und Regierungschefs, also den Europäischen Rat, handelt, sondern es heißt immer: Das kommt aus Brüssel.

Man will wieder zurück zum verklärten Mythos des goldenen Nationalstaates; man will wieder selbst bestimmen. Das ist aber echt gefährlich. Das sehen wir ganz oft in anderen europäischen Ländern.

Meines Erachtens ist der erste Schritt, den wir nach der notwendigen Analyse jetzt gehen müssen, dass wir erst einmal aufstehen – und da war ich durchaus bei Ihnen und habe Ihnen Beifall gezollt, Herr Laschet – und den Leuten wirklich klarmachen, …

Die Redezeit.

… welche Vorteile die Europäische Union und die europäische Einigung bringen. Aber wir müssen auch zuhören, mit den Leuten diskutieren und ihnen deutlich machen, dass in Brüssel keine Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden.

Die Redezeit.

Ja, ich komme zum Ende. – Das ist zentral. Wir werden das als grüne Partei auch morgen tun. Wir werden in 70 Städten in Nordrhein-Westfalen, auch in Düsseldorf, auf die Straße gehen und mit den Menschen reden.

(Das Ende der Redezeit wird erneut signali- siert.)

Eine zentrale Botschaft, die wir senden müssen, ist allerdings, zuzuhören und wirklich für die europäische Einigung einzutreten. Die Zeit der schweigenden Mehrheit der proeuropäischen Menschen ist vorbei. Wir müssen den Demagogen auf der Straße etwas entgegenhalten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Ver- einzelt Beifall von der SPD und den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Engstfeld. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Lindner das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Kollege Engstfeld, mit Großbritannien scheidet jetzt möglicherweise erstmals ein Mitgliedsstaat aus der Europäischen Union aus. Wir haben besondere Beziehungen zu Großbritannien – in wirtschaftlicher Hinsicht, aber auch weit darüber hinaus. Es sind noch britische Soldaten in unserem Land stationiert.

Und dann halten Sie es allen Ernstes für angemessen, diese Frage allein im Europaausschuss des Landtags zu debattieren? Sie haben die Dimension der Frage verkannt.

(Beifall von der FDP und der CDU – Zuruf von Stefan Engstfeld [GRÜNE])

Wenn das allen Ernstes Ihre Position ist und nicht nur eine Defensivstrategie, dann haben Sie die politische und auch die darüber hinausgehende Brisanz dieses Themas vollständig verkannt.