Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im politischen Raum stellt sich immer wieder einmal die Frage: Wann wird eigentlich der Wahlkampf eingeläutet? Ich glaube, das ist heute der Fall.
Ihre 15 Seiten Fleißarbeit, die Sie heute großspurig als Meilensteine abfeiern, sind doch ganz klar Ihr Bekenntnis: Wir machen jetzt nichts mehr. Wir machen nur noch Marketing. – Das ist an sich schon bedenklich; denn Sie könnten das letzte Jahr Ihrer Regierungszeit ja auch sinnvoll nutzen. Wenn das Marketing dann aber auch noch in die Hose geht, ist das etwas peinlich.
Hier stehen seitenweise Zustandsbeschreibungen. Jedes Unterkapitel endet damit, was man einmal machen müsste. Warum machen Sie aber nichts? Warum haben Sie nichts gemacht?
Nach sechs Jahren 15 Seiten vorzulegen, auf denen steht, was man einmal machen müsste, ist peinlich.
Die Forderungen am Ende des Antrags sind auch entsprechend. Man möge für ein besseres Verständnis von Kinderrechten werben und bitte schauen, dass die Kinderrechte auch irgendwie umgesetzt werden. Man möge berichten. Man solle Wertschätzung fördern. Und so weiter.
Etwas konkreter sind die Forderungen an den Bund. Das ist aber auch einfach, wenn jemand anderes zuständig ist und wenn sich die Ministerpräsidentin auch noch freiwillig aus der Führungsrolle im Bundesrat verabschiedet hat.
Bei dem nun wirklich wichtigen Thema Kinderrechte ein paar wohlgefällige Forderungen aufzulisten, die konkretes Handeln vernebeln, ist peinlich. Was das Marketing angeht, ist das wirklich schon grenzwertig. Das ist in allererster Linie aber Ihr Problem.
Inhaltlich wird es dann aber wirklich schwierig. Da ist dann eher Ärger als Mitleid angesagt. Sie füllen viele Seiten mit angeblichen Erfolgen, die sich bei näherer Betrachtung als wenig gehaltvoll herausstellen.
Es ärgert mich, wenn Sie groß Ihr Handlungskonzept gegen Armut und Ausgrenzung anpreisen und dies in Ihr „Kein Kind zurücklassen“-Programm schreiben, wir hier aber alle wissen, dass die Kinderarmut in Nordrhein-Westfalen nicht sinkt, sondern steigt. Die Zahlen sind absolut eindeutig.
Fast jedes fünfte Kind in Nordrhein-Westfalen lebt von Hartz IV, und es werden nicht weniger. Die Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr um fast 4 % gestiegen. Was sagen Sie den 435.000 Kindern unter 15 Jahren, die auf diese Sozialleistungen angewiesen sind, Frau Asch?
Wir wissen doch alle, der Ausstieg aus der Armut gelingt über Arbeit und vor allem über Bildung. Beste Schulen und Kitas sind die beste Armutsprävention.
Wir haben das in der Aktuellen Stunde am Mittwoch diskutiert. In der Praxis ist es doch im Zweifel weniger wichtig, ob Eltern und Lehrer die Paragrafen der Kinderrechtskonvention zitieren können. Viel wichtiger ist die Verinnerlichung dieser Norm, die Motivation, sich fürsorglich um die Kinder in diesem Land zu kümmern.
Dafür brauchen wir einen guten wirtschaftlichen Rahmen und das beste Bildungssystem. Dabei stelle ich den grundsätzlichen präventiven Ansatz von „Kein Kind zurücklassen“ gar nicht infrage. Aber ohne diese Grundvoraussetzung werden wir mit Prävention allein die Kinderarmut nicht bekämpfen können.
Wenn das fundamentale Recht auf Teilhabe aufgrund einer verfehlten Wirtschaftspolitik und einer wenig ambitionierten Bildungspolitik nicht umgesetzt wird, sind 15 Seiten über Kinderrechte viel Text und wenig Substanz.
Besonders geärgert habe ich mich über das Kapitel „Beteiligung“. Das ist wirklich geradezu unverschämt. Das Thema haben Sie nur defensiv aufgenommen. Hierbei stehen Sie seit sechs Jahren auf der Bremse. Ich weiß das deshalb so genau, weil ich mich gut erinnere, woher das Thema kommt und woher die Fortschritte dabei kommen, nämlich von uns.
Hören Sie gut zu! Die FDP-Fraktion hat dieses Thema in den Landtag eingebracht. Der initiative Antrag zur Jugendbeteiligung stammt von uns und ist aus dem Jahr 2010.
Das haben wir dann endlos hin und her diskutiert, und es ist furchtbar lange überhaupt nichts passiert. Dann erkennen Sie plötzlich, dass das, was in unserem Antrag steht, vielleicht doch gar nicht so schlecht ist. Was für eine Überraschung. Deshalb gibt es zum Beispiel die Servicestelle Jugendbeteiligung in diesem Land,
weil wir sie gefordert haben, aber nicht deshalb, weil Sie irgendeine Idee hatten. Es ist schon dreist, sich das hier als Erfolg anzurechnen und abzufeiern.
Meine Damen und Herren, das einzig wirklich konkrete Projekt zum Thema Jugendbeteiligung ist daher auf eine FDP-Forderung zurückzuführen. Ich freue mich, dass wir Sie an dieser Stelle inspirieren konnten.
Es geht dreist weiter. Beim Teil zur Jugendbeteiligung auf Landesebene – ich erinnere daran, dass wir unseren Antrag vor mehr als sechs Jahren gestellt haben – haben Sie gesagt, dass Sie an dieser Stelle keine Jugendbeteiligung wollen. Und dann kommt endlich etwas Bewegung in die Sache.
Frau Asch, bitte hören Sie zu. Wir diskutieren seit über einem Jahr interfraktionell über das Thema Jugendbeteiligung. Wir haben die Diskussion noch nicht abgeschlossen. Der Respekt vor der Sache hätte es erfordert, dass nicht hier aufzunehmen, sondern die Gespräche fortzusetzen.
Sie schreiben sich das jetzt auf die Fahne und meinen, Sie wären hier der Treiber. Das hat nichts mit Anstand, mit Respekt vor Jugendbeteiligung und mit der Verfolgung eines Ziels zu tun, sondern das ist einfach nur Wahlkampfgetöse. So sieht das aus, Frau Kollegin Asch.
Herzlichen Dank, lieber Marcel Hafke. – Können Sie mir einmal erklären, was Sie in der Zeit von 2005 bis 2010, in Ihrer Regierungszeit, für die Demokratie, für die Partizipation von Jugendlichen getan haben? Wie kommt es, dass die Anträge, die Sie gerade angeführt haben, erst in Ihrer Oppositionszeit auf den Tisch kamen? Warum haben Sie es nicht in der Zeit gemacht, in der Sie es konnten?