Protocol of the Session on June 9, 2016

Vielen Dank, Herr Kollege Kern. Ich bitte um Verständnis dafür, dass Sie seitens des Präsidiums jetzt mit einem Mann vorliebnehmen mussten.

(Beifall und Heiterkeit)

Für die Fraktion Die Grünen spricht Frau Kollegin Paul.

(Die Abgeordnete stellt das Redepult auf ihre Körpergröße ein.)

Für meinen Rücken stelle ich das Rednerpult schon einmal runter als gesundheitspräventive Maßnahme.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP hat den heutigen Tag ja offensichtlich zum Männerkampftag erhoben. Das konnten wir heute Morgen schon in der Presse lesen, und ich freue mich schon auf die Debatte gleich zur Dienstrechtsmodernisierung. Ich bin schon gespannt darauf, was uns Herr Witzel da über seine Sicht auf die Frauenquote zu erzählen hat.

Aber kommen wir zunächst einmal zum Gesundheitsbereich! Denn bei der zielgruppenorientierten Gesundheitsförderung lohnt sich in der Tat ein geschlechtersensibler Blick auf die Gesundheitslagen von Mädchen und Jungen sowie Frauen und Männern. Denn immer noch ist das Geschlecht – wenigstens darüber sind wir uns hier im Haus ja einig – eine der zentralen Ordnungskategorien unserer Gesellschaft.

Das bedeutet, dass neben bestimmten geschlechtsspezifischen Faktoren, die sich unterschiedlich auf die Gesundheit von Frauen und Männern auswirken, auch Rollenstereotype Auswirkungen auf die Gesundheitslage haben. Kollege Kern hat das ja so schön zusammengefasst mit: Indianer kennen keinen Schmerz. – Selbstverständlich kennen auch kleine Jungs Schmerzen. Es geht auch darum, ihnen zu vermitteln, dass das auch völlig in Ordnung ist.

Geschlechtersensibel heißt dabei nicht nur, Zahlen von Jungen und Mädchen, Frauen und Männern nebeneinander zu legen, sondern eben auch den Blick darauf zu richten, welche Erklärungsansätze es für diese Unterschiede gibt.

Dieser gendersensible Ansatz wäre aber nicht denkbar – jetzt, Frau Schneider, sollten Sie vielleicht einmal kurz zuhören –, wenn nicht die Frauengesundheitsbewegung auf die speziellen Bedarfe von Frauen und Mädchen aufmerksam gemacht hätte. Denn noch bis in die 1980er-Jahre hinein gab es eine klare geschlechterbezogene Aufteilung innerhalb des Gesundheitssystems. Die Forschung zum gesamten Gesundheitsbereich, also auch zu Medikamenten etc., bezog sich in erster Linie und fast ausschließlich auf Männer als Patienten, wohingegen die Pflege dieser Patienten Frauensache war.

Einiges hat sich seitdem verbessert. Das wollen wir konstatieren. Medikamente und Therapien werden heute nicht mehr nur an Männern getestet, weil mittlerweile klar ist, dass Frauen und Männer durchaus unterschiedlich darauf reagieren. Auch ist mittlerweile bekannt, dass es geschlechtsspezifische

Symptomunterschiede bei bestimmten Krankheitsbildern geben kann, und auch die Frage der Krankheitsprävalenz wird mittlerweile geschlechtersensibel untersucht. Auch der aktuelle DAK-Gesundheitsbericht macht das deutlich.

Was sich – das ist sehr schade – allerdings bislang nicht substanziell verändert hat, ist die Tatsache, dass pflegerische Tätigkeiten nach wie vor schlecht bezahlt sind, und das nicht zuletzt, weil sie in erster Linie von Frauen ausgeübt werden. Das wäre auch einmal ein interessanter Punkt, mit dem sich die FDP-Fraktion auseinandersetzen könnte. Aber dafür hat es auch diesmal wieder nicht gereicht.

(Susanne Schneider [FDP]: Das ist aber nicht der Antrag, Frau Paul!)

Das stimmt. Das ist schade. Sie könnten auch dazu mal einen Antrag stellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, darüber brauchen Sie sich gar keine Sorgen zu machen: Die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen ist längst politikleitende Querschnittsaufgabe der Landesregierung. Im Übrigen ist das auch verfassungsrechtlich geboten. Ich erinnere an Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz. Herr Witzel, das können Sie sich auch schon für die Diskussion zum Dienstrechtsmodernisierungsgesetz merken.

(Beifall von Martin-Sebastian Abel [GRÜNE])

Es ist auch NRW gewesen – wie Sie der Antwort auf die Kleine Anfrage von Frau Schneider zur Situation der Jungen- und Männergesundheit in NRW entnehmen konnten –, das bereits im Jahr 2000 als erstes Bundesland einen Gesundheitsbericht „Gesundheit von Frauen und Männern in NRW“ erstellt hat. Seitdem sind alle Gesundheitsberichte in NRW geschlechterdifferenziert.

Die Antworten sowohl auf die Kleine Anfrage als auch auf die Große Anfrage der CDU zu den Lebenslagen von Jungen – angesprochen wurden sie ja bereits – listen eine Reihe von Maßnahmen auf, die sich speziell an Jungen und Männer richten, und nicht zuletzt das auch von Ihnen angesprochene Kompetenzzentrum Frauen und Gesundheit hat die Situation von Heranwachsenden seit diesem Jahr im Fokus, explizit übrigens auch die von Jungen. Vielleicht lohnt es sich, mit den Kolleginnen in diesem Kompetenzzentrum mal zu sprechen. Dann würden sich bestimmte Ungereimtheiten vielleicht auch für Sie klären, Frau Schneider.

Auch die Jahrestagung des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung wird sich in diesem Jahr mit dem Thema „Körper und Geschlecht im Schnittfeld von Gesundheit und Medizin“ befassen. Diese Tagung findet am 25.11. an der Uni Duisburg-Essen statt. Vielleicht tragen Sie sich diesen Termin schon einmal in Ihren Kalender ein. Das könnte der inneren Fortbildung dienen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, die Lebenslagen der Menschen differenziert in den Blick zu nehmen, unter anderem auch in Bezug auf das Geschlecht, aber auch Faktoren wie der soziale Hintergrund und kultursensible Ansätze spielen eine wichtige Rolle, wenn es um die Gesundheitsförderung der gesamten Bevölkerung geht. Diesem Anliegen – da können Sie versichert sein – trägt die Landesregierung Rechnung.

Ich will mal wohlwollend Ihren Antrag, liebe FDPFraktion, so verstehen, dass wir dabei mit Ihrer vollen Unterstützung rechnen können, auch wenn Sie mir jetzt fünf Minuten lang nicht zugehört haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Paul. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Düngel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Walter, ich muss ja mit dir anfangen. Du hast gerade von den Ess- und Trinkgewohnheiten der Männer gesprochen. Zweifellos reden wir bei mir dann über die Essgewohnheiten. Tun wir uns zusammen! Dann haben wir vielleicht auch die Trinkgewohnheiten mit abgeklärt. Ich weiß es nicht. Gucken wir mal.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Könnt ihr das bitte unter euch klären!)

Du kannst auch mitmachen.

Wir reden über Gleichstellungspolitik in der Gesundheitsförderung. Die Überraschung an der Thematik ist, dass der Antrag von der FDP kommt. Okay, gucken wir uns im Einzelnen an, wieso, weshalb, warum wir hier heute einen Antrag der Freien Demokraten vorliegen haben.

Die FDP setzt sich für einen ganzheitlichen GenderAnsatz ein. Männer und Frauen sollen gleichermaßen von Präventionsmaßnahmen profitieren – so weit, so gut.

Für uns Piraten endet ganzheitlich aber nicht bei der Trennung zwischen Männern und Frauen. Wir vergessen in dem Feld inter- und transsexuelle Menschen, die mit ihrem Körper beziehungsweise mit ihrer Gesundheit oftmals noch viel größere Probleme haben. Es gibt Berechnungen zur Lebenserwartung bei transsexuellen Frauen, die 35 Jahre betragen. Das sind keine Untersuchungen aus Deutschland oder aus Mitteleuropa – die liegen leider nicht vor. Da liegen keine Studienergebnisse soweit vor. Aber das finde ich, ehrlich gesagt, sehr beängstigend. Insofern würde ich mich freuen, wenn wir in der Ausschussarbeit auch diesen Aspekt in die Beratung mit einbeziehen.

Zu den gleichstellungspolitischen Bemühungen der FDP-Fraktion muss man allerdings auch feststellen, dass hier nicht die eigentlichen Probleme thematisiert werden.

Aus unserer Sicht ist das größere gesundheitspolitische Problem in dem Zusammenhang die unterschiedliche Lebenserwartung von einkommensstarken und einkommensschwachen sozialen Schichten beziehungsweise Menschen.

(Beifall von den PIRATEN)

Es gibt Studien, zum Beispiel vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung. Danach beträgt die Lebenserwartung von Menschen mit hoher Rente 84,3 Jahre, die Lebenserwartung von Menschen mit niedriger Rente beträgt hingegen 79,8 Jahre. Das Robert Koch-Institut auf Basis des sozioökonomischen Panels hat festgestellt, dass ein geringes Einkommen, niedrige Bildung und ein niedriger beruflicher Status mit einem höheren Sterberisiko und damit einer geringeren Lebenserwartung einhergeht.

Ich finde, das sind Probleme, die wir bei einer umfassenden ganzheitlichen Gleichstellungspolitik in der Gesundheitspolitik mit beachten müssen und mit beraten müssen.

Für uns Piraten komme ich zu folgender Schlussfolgerung: Für uns heißt das: Wir müssen in erster Linie mit einer gewissen Priorität Armut bekämpfen. Für uns Piraten ist dabei zum Beispiel das bedingungslose Grundeinkommen eine Lösung beziehungsweise ein Lösungsansatz. Wir haben auch hier im Landtag einen Antrag laufen, der leider nicht ganz so beraten wird in den verschiedenen Ausschüssen, wie er bzw. das Thema bedingungsloses Grundeinkommen es eigentlich verdient haben.

Ich möchte zum Schluss kurz darauf eingehen: Wieso kann so ein bedingungsloses Grundeinkommen auch in der Gesundheitspolitik eine Lösung beziehungsweise ein entscheidender Lösungsansatz sein? So ein BGE kann viele Stressoren reduzieren: Sozialer Druck, finanzieller Druck, persönlicher Druck können reduziert werden. Das sind alles Faktoren, die sich auf unser Wohlbefinden auswirken.

Gleichzeitig stärkt ein bedingungsloses Grundeinkommen unsere Ressourcen, die nachgewiesener Maßen für mehr Wohlbefinden sorgen, zum Beispiel Selbstverwirklichung oder Kreativitätsförderung.

An der Stelle möchte ich ganz bewusst diesen sozialen Aspekt in der Gesundheitsförderung mit reinbringen. Ich denke, dass es zum ganzheitlichen Ansatz zwingend dazu gehört.

Ich danke der FDP dennoch, auch wenn sie sicherlich da einen anderen Ansatz fährt als wir, für den Themenaufschlag, den wir damit im Ausschuss auch beleuchten können. Aber, ich glaube, dass wir hier

nur einen ganz kleinen Punkt in diesem Antrag benannt haben, den wir im Ausschuss erweitern sollten, damit wir wirklich eine vernünftige Diskussion dort führen.

Ich bitte dringend darum, dass wir den sozialen Aspekt mit reinnehmen, dass wir uns darüber unterhalten, wieso ein bedingungsloses Grundeinkommen zum Beispiel gegen die Armut wirken kann und ob das nicht den Menschen auch in der Gesundheitsförderung tatsächlich helfen kann. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Als Nächstes wird die Landesregierung vertreten durch Frau Ministerin Löhrmann, in Vertretung von Frau Steffens. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer geschlechterdifferenzierten Betrachtung von Lebensverhältnissen – dazu gehört auch der Bereich der Gesundheit – inzwischen gewachsen ist. Männer und Frauen weisen unterschiedliche gesundheitliche Risiken auf und benötigen eine geschlechtsspezifische Versorgung.

Als Landesregierung haben wir unsere Gesundheitspolitik deshalb schon seit vielen Jahren geschlechtsspezifisch und kultursensibel ausgerichtet. Ausgangspunkt hierfür war in der Tat die Etablierung von Frauengesundheitsstrukturen und Forschung in den 80er-Jahren. Dies war, historisch betrachtet, auch dringend geboten, denn bis dahin galt einzig und allein der männliche Körper als Norm für die medizinische Forschung und Versorgung.

Diese einseitige Ausrichtung ging mit einem erheblichen Mangel an Wissen über die gesundheitliche Lage von Mädchen und Frauen einher, und sie führte auch zu Fehl-, Unter- und Überversorgung. Im Übrigen war ein Meilenstein in der veränderten Diskussion hier in Nordrhein-Westfalen eine Enquetekommission, die seinerzeit von unserer Kollegin Marianne Hürten hier mit großem Engagement geleitet worden ist.

Mein Damen und Herren, anders als in dem Antrag der FDP suggeriert, versperrt die nach wie vor notwendige Frauengesundheitspolitik und -forschung aber gerade nicht die Perspektive auf die Gesundheit der Männer – im Gegenteil. Sie ermöglicht sie erst. Ich bin mir sicher, dass es ohne die Erfolge und Erkenntnisse der Frauengesundheitsbewegung und -forschung bis heute keinen spezifischen Fokus auf die gesundheitliche Lage von Jungen und Männern gäbe – weder in der Forschung noch in der Politik.

Denn – ich habe es eingangs schon erwähnt – das, was Sie hier fordern, tut die Landesregierung längst – nicht erst seit der Verankerung von GenderMainstreaming als Handlungsleitlinie in allen Politikfeldern, also auch in der Gesundheits- und Präventionspolitik. Alle Projekte, alle Maßnahmen, alle Gesetze und Verordnungen werden von Anfang an daraufhin geprüft, ob sie sich unterschiedlich auf Männer und Frauen, auf Jungen und Mädchen auswirken und ob gegebenenfalls besondere Projektbausteine oder bestimmte Maßnahmen besonders für Frauen oder eben auch für Männer sinnvoll und notwendig sind. Das ist der Ansatz des Gender-Mainstreaming.

Männergerechte Angebote, wie Sie sie hier fordern, gibt es daher längst.

Vielleicht macht es Sinn, wenn Sie sich einmal die Berichte anschauen, die die Ministerinnen und Minister in den verschiedenen Ausschüssen regelmäßig zur Umsetzung des Gender-Mainstreaming abgeben. Das sind für den Gesundheitsbereich zum Beispiel die Berichte der Kollegin Steffens, Vorlagen 16/2544 und 16/3929, oder die Antworten der Landesregierung auf die Kleine Anfrage und die Große Anfrage, in denen unsere Maßnahmen im Bereich der Männer- und Jungenpolitik ausführlich dargestellt sind.