Protocol of the Session on November 7, 2012

Es gibt die Aussage, dass den Hochschulen noch nie so viele Mittel zur Verfügung gestellt wurden wie in diesem Jahr. Überprüfen wir das einfach mal. Bei den Maßnahmen wird von einer Steigerung der Mittel um 433 Millionen € gesprochen. Davon sind 148 Millionen € Mittel, die gemäß der Vereinbarung aus dem Hochschulpakt 2020 sowieso fällig werden, sowie 124 Millionen € für die Kompensation der Studiengebühren.

(Beifall von den PIRATEN)

Apropos Studiengebühren: Die never ending Story in Nordrhein-Westfalen ist entschieden, liebe Kolleginnen von Schwarz-Gelb. Wir Piraten werden die Abschaffung der Studiengebühren auch in Zukunft von unserer Seite her vehement verteidigen.

(Beifall von den PIRATEN und der SPD)

Im Übrigen ist an dieser Stelle mal der deutliche Hinweis angebracht, dass die Einführung der Stu

diengebühren in Deutschland von Anfang an völkerrechtswidrig war.

(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

Die Bundesregierung hat den UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 1968 unterschrieben. Unter Willy Brandt wurde er im Parlament 1973 ratifiziert. Darin haben die Vertragsstaaten in Art. 13 Abs. 2 Buchstabe c die Verpflichtung übernommen, dass – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident – „Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit“ – und nicht der Gegentrend – „jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss“.

Man kann die UNO natürlich als Papiertiger betrachten. Man kann solche Verträge nicht ernst nehmen. Die FDP ist damals dabei gewesen. Ab und zu empfiehlt sich also ein Blick in die Geschichtsbücher.

(Beifall von den PIRATEN)

Was dieser Landesregierung allerdings zu Recht vorgeworfen werden muss: Das Wahlversprechen zur kompletten Gegenfinanzierung der Mittel ist nicht gehalten worden. Wir haben einen deutlichen Handlungsbedarf, die Qualität der Lehre weiter zu steigern.

Ich muss das auch noch mal anerkennen. Frau Ministerin Schulze, Sie haben mit Sicherheit in Anbetracht der Bewältigung des doppelten Abiturjahrgangs keine leichte Aufgabe. Wir fühlen da mit Ihnen. Aber viele Probleme scheinen hausgemacht. Vor allen Dingen verstehe ich nicht, warum im Ausschuss immer wieder über diese Frage gestritten wird, statt mal grundsätzlich über Hochschule und Wissenschaft nachzudenken.

Ich finde, in diesem Kontext sollten auch Union und FDP einmal schlicht verbal abrüsten. Denn Rüttgers und Pinkwart waren an G8 ja nachweislich beteiligt.

Das sprichwörtliche Kind ist nun im Brunnen. Was folgt, ist ein leider unverantwortlicher Umgang mit einer ganzen Generation Studierender. Junge Erwachsene, die sich wirklich engagieren und bilden wollen – das merkt man ja an den Zuwachszahlen –, werden aufgrund von sogenannten Sachzwängen in ihrem Lebensweg beeinträchtigt.

Genau diese Sachzwänge haben sich auch im Haushaltsverfahren wieder gezeigt. Wir haben beantragt, die Mittel für die Studentenwerke um 1,5 Millionen € zu erhöhen. Im Gegensatz zur FDP haben wir es für nötig befunden, doch noch mal einen Antrag zu stellen, sogar zwei. Ich denke, wir Piraten zeigen mit diesem Beispiel einer konstruktiven Politik, dass wir unseren Vorstellungen dort folgen.

Das Problem existiert schon seit Anfang des Jahres. Es wäre auch durchaus möglich gewesen, gemein

sam mit den Studentenwerken etwas zu bewegen. Da kamen auch Vorschläge. Auf deren Bitten, doch mehr Mittel zur Einstellung von zusätzlichen Bearbeiterinnen und Bearbeitern bereitzustellen, fand die Landesregierung aber nur die Antwort, dass sie für das nächste Jahr etwas plane. Das Problem ist aber sehr aktuell, und es wird ein Teil der Studenten erheblich darunter leiden. Stattdessen werden völlig unnötig Mittel für ein Online-Self-AssessmentVerfahren bereitgestellt, das man schon heute mit drei Klicks im Internet erreichen kann. Ich verstehe nicht, warum die Landesregierung dort versucht, das Rad noch einmal zu erfinden. Die Dinge gibt es doch schon.

(Beifall von den PIRATEN)

Die Folge wird sein, dass Studierende ein halbes oder ein ganzes Semester ohne finanzielle Unterstützung auskommen müssen. Dann springen natürlich die Eltern ein. Wir kennen das; es tut gut, ab und zu mal mit Studenten zu sprechen.

Sie sind mit dem Anspruch angetreten, Hürden im Bildungssystem zu beseitigen. Sie finden dabei die Unterstützung der Piratenfraktion; das ist überhaupt keine Frage. Deswegen fordern wir Sie auf: Lassen Sie einmal Taten folgen!

In dem Zusammenhang habe ich ein paar Vorschläge – lassen Sie uns mal gemeinsam über die Zukunft nachdenken –:

Erstens: Bahnhofsdenken. Wenn ein Verkehrsplaner immer nur neue und vielleicht größere Bahnhöfe bauen und umbauen würde, statt die Frage nach einer reibungslosen Verkehrsregulierung zu stellen, würden wir sehr schnell die Leute in den weißen Kitteln rufen. Wir müssen, wenn wir die Forderungen nach lebenslangem Lernen nicht nur zum Bestandteil bildungspolitischer Sonntagsreden machen, sondern uns auch ernsthaft dem vernachlässigten Problem der altersbedingten Chancenungleichheiten stellen wollen, den Hochschulbereich als offenen Teil eines Postsekundarbereichs verstehen.

Zweitens: Medienentwicklung. Sie macht es schon seit längerer Zeit für jeden Mann und jede Frau möglich, an jedem Ort an didaktisch aufbereitete Informationen zu kommen. Die Chance, das Lernen und Lehren in einem sozial gestützten ubiquitären Bildungssystem zu nutzen, ist bislang zugunsten desintegrierter Lösungen verhindert worden. Viele unserer Probleme – hier vor allem die Kapazitätsprobleme – könnten gelöst werden, würde das Studium im Medienverbund in die Hochschulen integriert, statt weiterhin ein relativ isoliertes Landesfernlehrinstitut zu betreiben. Die Kompetenz, die dort vorhanden ist, lässt sich auch anders verwenden.

Drittens. Mit dualen Studiengängen sind vor allem in anderen Bundesländern auch gute Erfahrungen gemacht worden. Dieser Weg berufsqualifizierender Studienabschlüsse ist sinnvoller, als weiterhin nur

auf den Bachelor zu setzen, was sich als Potemkinsches Dorf in der Perversion des Hochschulstudiums, als zunehmendes Bulimie-Lernen erweist.

Viertens. Wer A sagt, muss auch nicht unbedingt B sagen. Der Bologna-Prozess hat nunmehr zehn Jahre lang seine Erwartungen nicht erfüllt. Bevor wir weitere Generationen verheizen, sollten wir das mal neu denken. In der Lebensphase der Menschen wird die Zeit der Berufstätigkeit immer kürzer werden – erst recht, wenn wir lernen, den Produktivitätsfortschritt zugunsten eines Menschenrechts auf menschenwürdige Arbeit und menschenwürdige Muße gerechter zu verteilen. Außerdem wird ein Persönlichkeitsmangel der Bachelor-Absolventen beklagt. Der Bologna-Prozess ist in seiner jetzigen Realisierung mit dem Menschenrecht auf offene Bildung nicht vereinbar.

(Beifall von den PIRATEN)

Zum Abschluss noch eine grundsätzliche Anmerkung. Wissenschaft ist eine Tätigkeit, die Wissen schafft.

(Zuruf)

Ja, der dauert etwas. – Ein Kernanliegen von Wissenschaft ist daher – und sei es auch noch so kompliziert – die Nachvollziehbarkeit, die Erkenntnis, das Weltverständnis, der Konsens und der Diskurs als kulturelles Gemeingut von uns allen. Und was machen wir hier? Wir überlassen Hochschulbewertungen Institutionen wie dem Centrum für Hochschulentwicklung und anerkennen ihre Rankings, zu denen weder Datensätze noch eine detaillierte wissenschaftliche Beschreibung der angewandten Methodik veröffentlicht werden. Meine Damen und Herren, das nenne ich Esoterik. Wir überlassen die Bewertung unserer Hochschulen einer sich selbst als elitär verstehenden Sekte.

(Beifall von den PIRATEN)

International renommierte Wissenschaftler – ich meine, die können wir nicht einfach für blöd halten – haben davor gewarnt, im Bereich Wissenschaft alles zu ökonomisieren. Dazu gehören Chomsky, Dijkstra, Erwin Chargaff – er hat davor gewarnt, dass „l“ im Wort „Wissenschaftler“ nicht zum selben „l“ werden zu lassen wie im Wort „Gschaftlhuber“ – und Richard Sennett – als Pirat dachte ich mir, ich mache mal das mit dem Buch –, dessen Buch den einfachen Titel „Zusammenarbeit“ trägt.

Die Dimension dessen, was wissenschaftliche Effizienz und Effektivität ausmacht, erschließt sich nicht allein betriebswirtschaftlich kontaminiertem Vorstellungsvermögen. Ich habe das schon mal gesagt. Das ist mein persönliches hochschulpolitisches Ceterum censeo. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Schulze.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Haushaltsentwurf 2012 werden zwei zentrale Weichen gestellt, zwei zentrale Schwerpunkte gesetzt: einer für die gute Lehre und der andere für die exzellente Forschung in Nordrhein-Westfalen. Deshalb ist es gut, sich einfach noch mal die Fakten anzusehen. Was sind denn die Zahlen, die in diesem Haushalt stehen?

Trotz strenger Ausgabendisziplin, die wir uns vorgenommen haben, steigen die Ausgaben für Innovation, Wissenschaft und Forschung auf

6,6 Milliarden €. Das ist ein Rekordniveau. Sie können das im Haushalt nachlesen. Wir geben rund 7 % mehr aus als im Vorjahr.

Schauen wir uns das im Einzelnen an:

Erstens. Wir setzen die Öffnung der Hochschulen fort. 2011 gab es den ersten Schritt mit der Abschaffung der Studiengebühren. Ich finde es sehr gut, dass wir das in fast jeder Plenarrunde und in fast jedem Ausschuss wieder diskutieren, denn es ist ein entscheidendes Merkmal, an denen man die großen Parteien unterscheiden kann. Ja, wir stehen zur Abschaffung der Studiengebühren. Das war gut und richtig so.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN)

Viele Bundesländer sind uns darin übrigens schon gefolgt. Niedersachsen und Bayern sind die letzten, die noch Studiengebühren erheben. Aber auch dort gibt es Diskussionen darüber. Und wenn die Mehrheiten stimmen, werden auch dort die Studiengebühren abgeschafft.

Herr Berger, Sie sagen, dass über die Studiengebühren Studienplätze finanziert werden sollen. Ich freue mich auf die öffentliche Debatte dazu. Erklären Sie einem Mediziner, einer Medizinerin, dass sie bald 180.000 € oder 200.000 € zahlen müssen. Erklären Sie jemandem, der einen eher labororientierten Studienplatz hat, über welche Summen wir da reden. Lassen Sie uns offen weiter darüber diskutieren, ob wir uns dem britischen Niveau nähern und 10.000 € an Studiengebühren nehmen wollen, damit ein Studienplatz finanziert werden kann, oder ob wir bei der solidarischen Finanzierung bleiben, die wir im Hochschulpakt haben: Bund und Land finanzieren den doppelten Abiturjahrgang gemeinsam.

Frau Ministerin, würden Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Ja.

Vielen Dank, Frau Ministerin. Erst einmal bin ich mir nicht sicher, ob Sie mich da richtig verstanden haben; ich habe diese Aussage nicht so getätigt. – Ich habe eine zweite Frage: Ist es richtig, dass die Finanzierung pro Kopf im Vergleich zum letzten Jahr gesunken ist oder nicht?

Herr Berger, die Frage, die Sie eben aufgeworfen haben, ist, ob die Studiengebühren zur Schaffung von Studienplätzen genutzt werden. Mein Vorgänger Andreas Pinkwart hat hier immer wieder gesagt, sie seien zur Verbesserung der Qualität der Lehre. Was Sie neu eingebracht haben – das finde ich ein interessantes Modell –, ist, dass Sie Studiengebühren wollen, um darüber Studienplätze zu schaffen. Lassen Sie uns offen weiter darüber diskutieren. Das ist spannend.

Mir geht es aber um die Öffnung der Hochschulen. Dafür ist es wichtig, dass wir jetzt ein Online-SelfAssessment auf den Weg gebracht haben. Herr Paul, Sie sagen, man brauche es nicht. In den ersten Tagen sind schon über 3.000 Interessierte auf dieser Seite gewesen. Es ist ein neues Angebot, weil man dort genau nachsehen kann: Passt dieser Fachbereich zu mir? Habe ich die entsprechenden Fähigkeiten? – Es ist gemeinsam von Lehrerinnen und Lehrern und von Professorinnen und Professoren entwickelt worden. Ich glaube, es ist ein gutes Instrument.

Wir haben die Hochschulen geöffnet durch ein Diversity-Management, das Chancengerechtigkeit schafft und die Vielfalt der Gesellschaft auch aufnimmt. Wir haben zum Zweiten die Lehr- und die Studienqualität durch die Qualitätsverbesserungsmittel erhöht. Es ist gut, dass die Hochschulen 2012 an der Stelle 124 Millionen € mehr haben. Das ist Geld, das unmittelbar zur Verbesserung der Lehre eingesetzt wird. Dass die Hochschulen das behalten können, ist nicht selbstverständlich. In Hessen hat eine Koalition ihnen das Geld auf anderem Wege wieder abgenommen. Es ist gut, dass es unseren Hochschulen zusätzlich zur Verfügung steht.

Unser Ziel ist vollkommen klar: Wir wollen ein attraktives, ein konkurrenzfähiges Studienangebot. Dazu brauchen wir die Fortführung des Hochschulpakts ebenso wie das Fachhochschulausbauprogramm und das Hochschulmodernisierungsprogramm. Wir sorgen mit dieser Landesregierung und mit dem Parlament für eine gute, verlässliche Finanzierung für die Hochschulen. Wir haben eine Hochschulvereinbarung, die bis 2015 den Hochschulen garantiert, dass sie diese Mittel zur Verfügung haben.

Zusammengefasst: Rund 3,8 Milliarden € für die Hochschulen, eine Milliarde € für die Medizin dazu – das ist eine Steigerung von 8,6 % für die Hochschulen. Suchen Sie das einmal in einem anderen Bundesland! Wir haben hier wirklich Enormes geleistet.