Protocol of the Session on March 17, 2016

Inklusive der nächsten Jahre: Verpflichtungsermächtigung 23 Millionen €, ja!

Das war eine Reaktion von Rot-Grün auf Silvester. Aber hilft das? Ist das sachgerecht? Ist das wirtschaftlich? Diese Fragen ignoriert man. Wir haben die Zahlen im Haushalt. Es wird gefordert. Mehr gibt es dazu nicht.

Es geht Ihnen also gar nicht um Sicherheit, denn wenn es um Sicherheit gehen würde, würden Sie sich anschauen, was funktioniert, und das dann übernehmen. Überlegte und evidenzbasierte Sicherheitspolitik erreicht man aber nicht, indem man einfach nach mehr Kameras ruft. Maßnahmen muss man evaluieren. Damit meine ich nicht, dass wir das Gleiche machen müssen wie alle Bundesländer, sondern wir müssen grundsätzlich unsere Videoüberwachung evaluieren, auf die Wirksamkeit und Eingriffstiefe untersuchen und prüfen, ob dadurch nicht nur eine Verlagerung von Kriminalität stattfindet.

Kameras bringen keine Sicherheit und ersetzen auch keine Polizisten. Das sollte eigentlich langsam bekannt sein. Sie können weder eingreifen, noch verhindern sie Affekttaten Betrunkener. In Köln hätte es auch nichts gebracht – Herr Körfges, Sie hatten es auch schon erwähnt –, denn wenn Bodycams dagewesen wären, dann wären auch Polizisten dagewesen, und die hätten hoffentlich etwas anderes gemacht, als Filmchen zu drehen.

Abschließend bleibt zu sagen: Sie wollen offensichtlich Videoüberwachung. Der Nutzen ist egal. Vor dem Schaden schließen Sie die Augen. Das ist purer Populismus. Wir werden nicht aufhören, das hier weiter zu thematisieren.

Warum gibt es abnehmenden Respekt gegenüber Polizisten? – Herr Bolte, Ursachenforschung muss man sicherlich weiterbetreiben, aber mit Verboten und Überwachung zu antworten, ist sicherlich der falsche Weg.

Zur angesprochenen Gesetzesänderung: Welche Gesetzesänderung zu mehr Überwachung ist jemals zurückgenommen worden? – Keine einzige! So wird das auch hier sein. Sie verkaufen also scheibchenweise die Bürgerrechte in diesem Land. Das werden wir weiter anprangern, in diesem Parlament, gegebenenfalls auch außerhalb. Das letzte Wort ist da noch nicht gesprochen. Das schauen wir uns nächstes Jahr an. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Obwohl schon fast alles gesagt ist, will ich versuchen, einige Dinge zu präzisieren, damit diese Diskussion in Zukunft etwas sachlicher geführt wird.

Wir haben es mit einer unglaublichen Beurteilungsspreizung zu tun. Wir haben auf der einen Seite die Piraten, die sagen, dass, egal wie sie ausgestaltet sind und nach welchem rechtlichen Rahmen wir richten, Bodycams auf jeden Fall des Teufels Zeug sind. Und wir haben auf der anderen Seite eine unreflektierte CDU, die sagt, so etwas muss man sofort und überall einführen. Zwischen diesen beiden Spreizungen muss man einen vernünftigen Weg finden.

Weil es wieder diesen Zwischenruf gegeben hat, noch einmal: Ich glaube, dass der hessische Trageversuch zu wenig wirklich fundierten Erkenntnissen führt. Wenn ich eine Polizeistreife aus zwei Personen um zwei Personen auf vier Personen erhöhe, wovon eine Person eine Videokamera trägt, und feststelle, dass die Zahl der Übergriffe in Sachsenhausen von 27 auf 20 gesunken ist, dann ist es, um es vorsichtig

zu formulieren, ein bisschen oberflächlich betrachtet, daraus herzuleiten, das liege an der Bodycam.

Dieses Beispiel zeigt, dass, wenn wir uns bei der Innenministerkonferenz im Herbst damit auseinandersetzen, die Beurteilungen der Kolleginnen und Kollegen aus ihren jeweiligen Bundesländern möglicherweise nicht zweifelsfrei dafür taugen, dass eins zu eins auf Nordrhein-Westfalen zu übertragen.

Wir haben den rheinland-pfälzischen Versuch, der – da teile ich die Ansicht von Herrn Körfges – sehr viel grundrechtsschonender ist und sehr viel mehr Rücksicht nimmt auf das Verhältnis zwischen Polizei und Bürgern. Aber in dem entscheidenden Augenblick, in dem es zu einer Auseinandersetzung zwischen Polizei und dem polizeilichen Gegenüber kommt, könnte dies ein Einsatzmittel sein, das deeskalierend wirkt. Das wissen die Kollegen aus Rheinland-Pfalz noch nicht. Das ist deren gefühlte Wahrnehmung.

Deshalb sollten wir, wenn wir dies in NordrheinWestfalen diskutieren, es unter ganz gewissen Kautelen tun, nämlich:

erstens eine geordnete wissenschaftliche Evaluierung mit Vergleichsgruppen,

zweitens kein wahlloser Einsatz bei irgendwelchen Einsatzsituationen, sondern sehr zielgenau auf die Einsatzsituationen gerichtet, wo überwiegend Gewalt gegenüber Polizeibeamtinnen und -beamte stattfinden könnte,

drittens ein vernünftiges wissenschaftliches Studienprofil, das insbesondere auch die Frage der Nachhaltigkeit betrachtet: Ist das möglicherweise nur ein kurzfristiger Effekt, oder lassen sich bestimmte Störer tatsächlich langfristig von einer solchen Videotechnik von Taten abhalten?

Meine Damen und Herren, ich finde, dass dieses Thema im Sinne unserer Beamtinnen und Beamten, wenn es um gewalttätige Übergriffe geht, Sachlichkeit, fundierte Sachkenntnis und Entscheidungen verdient hat, die in einem vernünftigen Rahmen stattfinden zwischen Grundrechtseingriff auf der einen Seite und körperlicher Unversehrtheit der Polizeibeamtinnen und -beamten auf der anderen Seite. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe damit die Aktuelle Stunde.

Ich rufe auf:

2 Kulturelle Vielfalt als wirtschaftlichen Er

folgsfaktor nutzen

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/11427

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion der Frau Kollegin Müller-Witt das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Teil der Erfolgsgeschichte Nordrhein-Westfalens ist auch die Erfolgsgeschichte der gelungenen Integration von Zuwanderern. Die Industrialisierung des heutigen Gebiets von NordrheinWestfalen ist ohne Zweifel ohne Zuwanderung gar nicht denkbar. Bereits vor gut 300 Jahren wanderten die Hugenotten hier ein, übrigens auch Flüchtlinge vor Verfolgung und meist ohne Deutschkenntnisse. Sie haben hier Handwerksbetriebe und kleine Manufakturen gegründet und damit Impulse gesetzt.

Später war es der Steinkohlebergbau, der Arbeitskräfte aus Polen anwarb, anschließend die Stahl- und Automobilindustrie unseres Landes, die zusätzliche Arbeitskräfte benötigten. In den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden Arbeitskräfte aus Südeuropa angeworben. Mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit wurden dann die letzten Hindernisse innerhalb Europas beseitigt.

Heute ziehen wirtschaftlich florierende Regionen wie Nordrhein-Westfalen Arbeitskräfte aus vielen Ländern an. Für unser Land war und ist diese permanente Zuwanderung eine Erfolgsgeschichte. Die so entstandene kulturelle Vielfalt entwickelte sich zu einem Markenzeichen unseres Landes und trug maßgeblich zum Wirtschaftswachstum bei.

(Beifall von der SPD)

So ist festzustellen, dass die Zahl der sich hier niederlassenden selbstständigen Ausländer in den letzten beiden Jahrzehnten prozentual etwa dreimal so stark angestiegen ist wie die Zahl der einheimischen Selbstständigen. Mittlerweile besitzt jede sechste unternehmerisch engagierte Person in Deutschland einen Migrationshintergrund. Angesichts des höheren Anteils an Menschen mit Migrationshintergrund in NRW im Vergleich zu anderen Bundesländern dürfte diese Relation in Nordrhein-Westfalen noch deutlich höher zugunsten der Zuwanderer ausfallen. Da bei der statistischen Erfassung der Selbstständigen, um jegliche Form der Diskriminierung zu vermeiden, keine Unterscheidung zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gemacht wird, kann diese Erfolgsgeschichte nicht ohne Weiteres mit konkreten Zahlen belegt werden.

Nach gut festgefügtem Vorurteil wird häufig bei den Gründerinnen und Gründern mit Migrationshintergrund davon ausgegangen, dass sie insbesondere kleinere gastronomische Betriebe, Änderungs

schneidereien oder kleinere Lebensmittelgeschäfte aufbauen. Das Gegenteil ist der Fall. Untersuchungen zeigen, dass der Anteil der in diesen Segmenten tätigen Migranten seit Jahren rückläufig ist, andererseits die Bedeutung wissensintensiver Dienstleistungen wächst. Diese Entwicklung hat neben gerade mal zwei Millionen Arbeitsplätzen auch eine wachsende Zahl an Ausbildungsplätzen zur Folge gehabt.

Wie wir erst kürzlich bei der Debatte zu den Freien Berufen feststellen konnten, hat gerade der Dienstleistungssektor auch im Industrieland NordrheinWestfalen aufgrund des stetigen Wandels von der Industrie zur Dienstleistungsgesellschaft immer noch größere Bedeutung erlangt. Hieran partizipieren insbesondere die Migranten.

Derzeit erfährt die sogenannte migrantische Ökonomie in Deutschland neue Impulse. Durch den tendenziell rückläufigen Anteil Selbstständiger aus den ehemaligen Anwerbeländern der 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts und durch den Zustrom neuer, besser gebildeter Zuwanderergruppen, vor allem aus Mittel- und Osteuropa und aus dem Nahen und Mittleren Osten, verändern sich nicht nur die Charakteristika, sondern auch die Entwicklungsbedingungen von Migranten-Selbstständigkeit.

Generell steigt die Zahl ausländischer Selbstständiger in den letzten Jahren stark und überproportional zur Entwicklung der ausländischen Bevölkerung an. Wenn man die Selbstständigen mit Migrationshintergrund betrachtet, so besteht noch die Hälfte aus sogenannten ehemaligen Gastarbeitern und ihren Nachfahren. Von den 4,5 Millionen Selbstständigen in Deutschland haben rund 760.000 einen Migrationshintergrund. Dies macht deutlich, welche ökonomische Bedeutung die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft hat.

Noch starten zurzeit Migranten je nach Herkunftsgebiet mit 1,5- bis dreifach höherer Wahrscheinlichkeit als Deutsche ihr Unternehmen aus der Position der Arbeitslosigkeit. Mit dem Thema Gründungsneigung, Gründungsmentalität haben wir uns in diesem Hause schon mehrfach beschäftigt. Allerdings zählt schon jedes vierte Migrantenunternehmen zu den wissensintensiven Dienstleistungen – ein Trend, der weiterhin stark zunimmt.

Der typische selbstständige Migrant ist bei Weitem nicht der Arbeitsuchende, der anstelle einer abhängigen Beschäftigung die Dönerbude oder den kleinen Gemüseladen an der Ecke aufmacht, auch wenn diese unverzichtbar sind für unsere Quartiere – nein, die Motivation ist vielfältiger, und die Berufe sind wissensbasierter.

Deutschland, NRW scheinen allen Unkenrufen zum Trotz ein attraktiver Standort für Selbstständigkeit zu sein. Es sind Bedingungen, die uns Deutschen vielleicht nicht immer sofort bewusst sind, weil sie für uns zu einer Selbstverständlichkeit geworden sind: ein verlässlicher Rechtsstaat, geringes Vorhandensein von Korruption und ein zuverlässiges Banken- und Sparkassenangebot zur Finanzierung.

Allerdings ist auch festzustellen, dass gerade Selbstständige mit Migrationshintergrund auch auf spezifische Hindernisse stoßen. So mangelt es häufig an Anerkennung von ausländischen Qualifikationen und Abschlüssen. Sie stoßen vermehrt auf Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Gründungs-, aber auch der Wachstumsphase – eine im Vergleich zu den Gründern ohne Migrationshintergrund verschärfte Herausforderung.

Dies mag unter anderem an der mangelhaften Vermittlung der vorhandenen Förderangebote liegen, aber auch an den noch immer vorhandenen Vorbehalten der migrantischen Gründer gegenüber den Kammern. Und schließlich macht der sonst so positiv wahrgenommene Rechtsstaat Vorgaben und stellt Anforderungen, die in der Herkunftskultur weniger oder gar nicht ausgeprägt sind und dadurch teilweise auf Unverständnis stoßen.

Mit dem vorliegenden Antrag möchten wir für den großen Beitrag, den die kulturelle Vielfalt zum wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes leistet, einerseits unsere Wertschätzung ausdrücken, andererseits darauf aufmerksam machen, dass die Voraussetzungen für die weitere Erfolgsgeschichte der migrantischen Ökonomie noch zu verbessern sind.

So sind alle infrage kommenden Einrichtungen und Partner hinsichtlich ihrer interkulturellen Beratungskompetenz für Selbstständige und solche, die es werden wollen, zu verbessern – seien es die STARTERCENTER NRW, die NRW.BANK, die Bürgschaftsbank oder auch die Kammern und viele andere mehr.

Es ist höchste Zeit, dass wahrgenommen und wertgeschätzt wird, welchen wichtigen Beitrag die kulturelle Vielfalt unserer Bevölkerung zum wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes leistet. Es ist ein Beitrag zur erfolgreich gelebten Integration. Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss. – Danke schön.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Witt. – Für die Fraktion Die Grünen spricht Frau Kollegin Dr. Beisheim.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich den Beginn meiner Rede dazu nutzen, die Leistungen der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu

würdigen, die in den letzten 50 Jahren für NordrheinWestfalen erbracht worden sind. Deshalb beinhaltet der vorliegende Antrag zu Recht eine Wertschätzung den Menschen gegenüber, die durch ihr Engagement, durch ihre Arbeitsleistung einen unersetzlichen Beitrag für Wohlstand und Wachstum in unserem Land geleistet haben.

Wie schon von Frau Müller-Witt dargestellt, diskutieren wir in diesem Hohen Haus sehr häufig das Thema „Fachkräftemangel“ – meistens auf der Arbeitnehmerseite. Wir wissen aber auch, dass uns auf der Arbeitgeberseite die Talente langsam ausgehen. Die Politik ist daher weiterhin gefordert, positive Impulse zu schaffen. Denn eine sinkende Anzahl von Gründungen und eine nachlassende Zahl an Übernahmen können die heimische Wirtschaft langfristig schwächen.

Deshalb ist die Förderung der migrantischen Ökonomie ein wichtiges Wirtschaftsthema. Wir können es uns nicht länger leisten, Potenziale, die sich anbieten, ungenutzt liegen zu lassen.