Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende SPD-Fraktion Herrn Kollegen Bischoff das Wort. Er ist schon eilenden Fußes unterwegs. Bitte.
Danke schön. – Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Nach vielen, wie ich fand, überflüssigen, unsachlichen, zum Teil unsäglichen Anträgen, die es zum Thema „Mindestlohn“ hier im Hause gab, und zwar immer aus einer Nische heraus, aus einer Ecke heraus – beispielsweise wurde im Sportausschuss von der FDP ein Antrag gestellt, der impliziert, die Sportvereine gingen durch den Mindestlohn zugrunde; das ist jetzt meine Interpretation –, haben wir heute hier einen sachlichen Antrag vorliegen, in dem wir als Regierungskoalition nach einem Jahr Mindestlohn Bilanz ziehen. Der Mindestlohn ist am 1. Januar 2015 eingeführt worden. Jetzt ziehen wir Bilanz. Das neudeutsche Wort wäre „evaluieren“. Wir gucken also: Was hat funktioniert? Was hat nicht funktioniert?
Ich kann schon vorweg sagen: Diese Bilanz ist ausgesprochen positiv. Es ist durch den Mindestlohn gelungen, dass eine Million Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – das sind wissenschaftliche Zahlen, nicht meine – in NRW eine Lohnerhöhung bekommen haben. Wann haben wir als Gesetzgeber jemals ein Gesetz gemacht, das eine solche Folge hatte? Ich kann es auch in Personen umsetzen. Jeder siebte Arbeitnehmer, jede siebte Arbeitnehmerin in NRW – das verbirgt sich hinter der Zahl von einer Million – hat vom Mindestlohn profitiert.
Im Bereich des Niedriglohnsektors, also bei den Personen, die ganz gering bezahlt werden, haben wir natürlich erhebliche Fortschritte erzielen können. Das betrifft vor allen Dingen auch Frauen. Von Lohndumping und Niedriglohn sind insbesondere Frauen betroffen. Damit kommen wir dem Ziel „Equal Pay“ durch den Mindestlohn ein Stückchen näher.
Wir haben – das ist wichtig für die Menschen unter uns, die in die Sozialversicherung einzahlen – weniger Aufstocker, also weniger Menschen, die arbeiten und gleichzeitig Sozialmittel beziehen müssen, also gleichzeitig noch Unterstützung von der Arbeitsagentur bzw. dem Jobcenter brauchen, weil der Mindestlohn das Niveau anhebt. Deswegen wird auch die Sozialversicherung ein Stück weit entlastet.
Neben der Sicherung der Sozialsysteme haben wir vor allen Dingen auch einen verbesserten Wettbewerb. Wir Sozialdemokraten haben schon oft von diesem Pult aus gesagt: Wir wollen, dass Wettbewerb bei verschiedenen Angeboten von Unternehmen stattfindet – aber bitte nicht über Lohndumping, also nicht darüber, dass man die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer drückt, sondern darüber, dass die Qualität besser ist als bei dem Konkurrenten oder Wettbewerber. Das erreichen wir eben auch dadurch, dass es den Mindestlohn gibt.
Zudem haben wir die Zahl der Minijobs erheblich reduziert. Es war immer unser Verdacht, dass Minijobs
auch ein Stück weit zu Lohndumping genutzt werden. Wir haben nichts gegen Minijobs; das ist gar nicht die Frage. Nur: Wenn der Arbeitgeber den Minijob einführt, damit er keinen regulären Lohn bezahlen muss, weil der Minijobber möglicherweise gar nicht darüber informiert ist, dass er dieselben Rechte hat wie jeder andere Arbeitnehmer auch, dann ist das natürlich kein richtiges Instrument. Und siehe da: Wenn man sich die Kurven anguckt, sieht man eine hohe Korrelation zwischen der Einführung des Mindestlohns und dem Abbau von Minijobs. Offensichtlich ist ein hoher Anteil solcher Jobs also genau zu dem genutzt worden, was wir nicht wollen. Das haben wir abgeschafft.
Wir haben also wirklich eine gute Bilanz. Vor allem haben wir auch die negativen Prophezeiungen widerlegen können.
Vor der Einführung des Mindestlohns gab es Unkenrufe, der Mindestlohn werde zu einer Konjunkturdelle führen. Das ist nicht passiert.
Es wurde argumentiert, er werde die Inflation anheizen, weil durch die Einführung des Mindestlohns bestimmte Preise erhöht würden. Die EZB hat den Leitzins gerade auf 0,0 % gesenkt, weil es im Euroraum und damit auch in Deutschland überhaupt keine Inflation gibt.
Wir haben auch nicht erlebt, dass ein Bürokratiemonster aufgebaut worden ist. Auch diese Unkenrufe kamen von interessierter Seite – das konnte man vorher schon einschätzen –, nämlich von denen, die nicht bereit waren, den Mindestlohn zu zahlen.
Wir stellen diesen Antrag zur Diskussion. Ich freue mich auf die Diskussion. Wir wollen zur Versachlichung der Diskussion beitragen. Aber ich sage auch ganz sachlich und ganz selbstbewusst: Aus unserer Sicht ist die Einführung des Mindestlohns eine wahre Erfolgsgeschichte. Wir freuen uns, dass es demnächst mit einer Erhöhung des Mindestlohns auch so weitergehen kann.
Ich danke schon für den Applaus, bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche den Debatten einen erfolgreichen Verlauf.
Vielen Dank, Herr Kollege Bischoff. – Für die zweite antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Maaßen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 1. Januar 2016 war der erste Geburtstag
des Mindestlohngesetzes. Dies ist aus unserer Sicht wahrlich ein Grund zum Feiern. Die Zustimmung zum Mindestlohn liegt unverändert hoch bei 86 % aller Befragten.
Jobkiller, Bürokratiemonster, Preistreiber – kaum ein Argument ließen die Gegner des gesetzlichen Mindestlohns aus, um Stimmung gegen die Lohnuntergrenze zu machen. Keines der Horrorszenarien ist eingetreten. Meine Damen und Herren, die Mythen der Mindestlohnkritiker haben sich nicht bewahrheitet.
Mythos eins: Der Mindestlohn kostet Jobs. – Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist um mehrere Hunderttausend gestiegen, vor allem in traditionellen Niedriglohnbranchen. Die Minijobs gingen spürbar zurück. Es sind mehr Jobs entstanden, mehr reguläre, weniger atypische Beschäftigung. Der Mindestlohn ist ein Instrument, Altersarmut zu bekämpfen und insbesondere Frauen aus der Niedriglohnfalle zu führen.
Mythos zwei: Der Mindestlohn treibt die Preise. – Der Mindestlohn macht das Leben für Verbraucherinnen und Verbraucher mitnichten unerschwinglich. Die Preise sind bisher in einigen Bereichen, zum Beispiel im Taxigewerbe oder in der Gastronomie, moderat gestiegen, jedoch Millionen Beschäftigte verdienen nun mehr Geld. Leichte Preisanstiege sind somit kein Problem.
Mythos drei: Der Mindestlohn bringt den Beschäftigten nicht viel. – Meine Damen und Herren, der Mindestlohn kommt besonders Geringqualifizierten zugute, Beschäftigte in Niedriglohnbranchen in Ostdeutschland sowie den Minijobbern in ganz Deutschland. Die Löhne der Un- und Angelernten in Ostdeutschland sind um fast 10 % gestiegen, auch der Verdienst der Geringbeschäftigten steigerte sich bei uns um 5 %. Des Weiteren ist die Zahl der Aufstocker gesunken, im Osten um 10 %, im Westen um 2 %.
Der Mindestlohn – Mythos vier – ist schädlich für die Wirtschaft. – Im Gegenteil: Die Konsumlaune ist im Jahr 2015 gestiegen. Gerade Geringverdiener können nun mehr ausgeben. Es ist Kaufkraftgewinn entstanden, die Inlandsfrage ist gestärkt und neue Beschäftigung entsteht.
Mythos fünf: Der Mindestlohn ist ein Bürokratiemonster. – Da möchte ich Sie ganz persönlich ansprechen, Herr Uli Alda. Es gibt keine neue Bürokratie. Die Arbeitsstunden mussten schon in der Vergangenheit aufgezeichnet werden. Gerade wenn ein Arbeitgeber seine Beschäftigten korrekt und ehrlich nach tatsächlich geleisteter Arbeit bezahlen will, ist die Erfassung und die Dokumentation der Arbeitsstunden selbstverständlich. Zudem reicht es aus, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer handschriftlich einen Stundenzettel ausfüllen. Hier kann man wahrlich nicht von einem Bürokratiemonster sprechen.
Kommen wir zur aktuellen Debatte über eine Absenkung oder Aussetzung des Mindestlohns für Flüchtlinge. Meine Damen und Herren, die Arbeitsmarktchancen für Flüchtlinge erhöhen sich dadurch nicht. Was sich erhöhen würde, ist der Missbrauch als Billigarbeitskräfte und das Ausspielen gegen andere Beschäftigte. Dadurch wird Integration nicht vorangetrieben, sondern Diskriminierung und Unfrieden geschürt. Für uns Grüne macht es keinen Unterschied, woher die Beschäftigten kommen, die in Deutschland arbeiten. Dumpinglöhne für Flüchtlinge sind mit uns nicht zu machen.
Zum Schluss möchte ich die Ausnahmeregelung für langzeitarbeitslose Menschen ansprechen. Arbeitssuchenden, die bei einer Arbeitsagentur oder einem Jobcenter arbeitslos gemeldet sind, kann der Mindestlohn vorenthalten werden. Hiermit geht Deutschland einen Sonderweg. Aus keinem anderen europäischen Land mit gesetzlichem Mindestlohn ist dies bekannt. Hier liegt die Annahme zugrunde, dass der Mindestlohn die Chancen der Langzeitarbeitslosen auf Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt verschlechtern.
Meine Damen und Herren, dies ist eine Mutmaßung. Gibt es hier nicht eher den Anreiz, nach sechs Monaten zu entlassen und dann wieder jemand Billigeren einzustellen? Gibt es hier nicht einen Wettbewerbsvorteil für nicht tarifgebundene Unternehmen?
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Der gesetzliche Mindestlohn hat sich als wirkungsvolle Untergrenze und als Stütze der Tarifpolitik erwiesen. Der Mindestlohn ist ein arbeitsmarktpolitischer Meilenstein. Rund 3,6 Millionen Menschen profitieren von der gesetzlichen Lohnuntergrenze. Wir Grünen wollen eine Anhebung des Mindestlohns. Der Mindestlohn muss existenzsichernd sein, nicht nur für Alleinstehende, auch für Familien. Wir Grünen wollen keine Herabsenkung für Flüchtlinge, und wir wollen zukünftig keine Ausnahmen für Langzeitarbeitslose. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich den vorliegenden Antrag zum ersten Mal las, habe ich mich gefragt: Aus welchem Anlass wird der Antrag gestellt? Gibt es Handlungsbedarf? Was ist die Absicht dieses Antrages? Nach den Reden meiner Vorredner, insbesondere von Herrn Kollegen Bischoff, ist mir klar, dass das eine Feierstunde sein sollte – eine Bilanz,
wie Herr Kollege Bischoff gesagt hat, ohne dass erkennbar geworden ist, welcher weitere Handlungsbedarf in dem Bereich möglicherweise besteht.
Wir wissen, das Mindestlohngesetz ist seit Januar 2015 in Kraft. Es ist das Ergebnis der Vereinbarung der Großen Koalition in Berlin im Koalitionsvertrag. Es ist möglich geworden, nachdem die CDU Deutschlands auf ihrem Leipziger Bundesparteitag im November 2011 die Einführung einer flächendeckenden Lohnuntergrenze beschlossen hatte. Daran war der uns allen bekannte Karl-Josef Laumann als Bundesvorsitzender der CDA wesentlich beteiligt,
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was den Antrag angeht, so wird durchweg ein positives Bild seit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns am 1. Januar 2015 gezeichnet. Ich stelle das in keiner Weise in Abrede, will aber der guten Ordnung halber wiederholen, was der Kollege Bischoff gesagt hat: Schutz vor Dumpinglöhnen, mehr Wettbewerb, Verringerung der Zahl der Aufstocker, also derjenigen, die ansonsten Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssten, flächendeckende Einführung spätestens 2018, eine Million Beschäftigte, insbesondere Frauen, sollten davon profitieren, Stabilität in den Sozialversicherungssystemen, keine signifikanten Preissteigerungen. Dokumentationen, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen natürlich aus Gründen der Kontrolle sein.
Jetzt kann man nach einem Jahr Bilanz ziehen. Aber Tatsache ist auch, dass am Ende die Fakten zählen, und dafür sieht das Gesetz eine Evaluierung im Jahre 2020 vor. Dann wird man sehen, wie die Auswirkungen dieses Gesetz tatsächlich sind.
Das Mindestlohngesetz ist also längst beschlossen, und die Auswirkungen sind erkennbar. Warum das heute zum Gegenstand einer parlamentarischen Initiative oder Debatte gemacht wird, ist auf der einen Seite verwunderlich.
Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass dadurch die rot-grüne Landesregierung eine Schwäche offenbart. Denn man muss ja ein solches Thema nicht ins Parlament bringen, wenn es keinen Handlungsbedarf gibt oder wenn es ein solches Erfolgsrezept ist, wie es im Einzelnen dargestellt worden ist.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhangt interessiert sicherlich auch die Frage, was aus den vom nordrhein-westfälischen Arbeitsministerium im Januar 2015, also unmittelbar nach Einführung
des Mindestlohngesetzes, angekündigten flankierenden Maßnahmen zur Durchsetzung des Mindestlohnes geworden ist. Was ist denn auf der Grundlage des damals gefassten Beschluss seitdem gemacht worden? Gab es wirklich Handlungsbedarf? Mit welchem Erfolg sind welche Maßnahmen durchgesetzt worden?
Es entstand der Eindruck, dass der damalige Minister davon ausging, dass sich die vom Mindestlohn betroffenen Unternehmen nicht gesetzestreu verhalten würden. An dieser Stelle muss ich sagen: Dieses Misstrauen, das hier gestreut wird, ist an keiner Stelle gerechtfertigt, und das weisen wir auch zurück.