Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Menschen im Stream und auf der Tribüne! Das, was ich hier mitbekommen muss, finde ich sehr schade. Ich hatte mich eigentlich gefreut, als ich den Titel des Antrags der CDU gelesen habe, und gedacht, dass heute wirklich über das Problem der Kinderarmut geredet wird.
Das Wort oder überhaupt das Problem „Kinderarmut“ ist zwar immer mal wieder erwähnt worden, aber alle Redner, die bis jetzt hierzu gesprochen haben – eine kleine Ausnahme bildet Frau Asch, das muss ich ihr zugutehalten –, haben diesen Begriff immer nur als Aufhänger genommen, um irgendwelche anderen Programme, die die Regierung auf den Weg gebracht hat, zu verteidigen, die nicht direkt etwas mit der Kinderarmut zu tun haben.
Die Opposition, vor allem die CDU, hat auch nur auf der Regierung herumgehauen, ohne konkrete Vorschläge zu machen, wie die Kinderarmut in diesem Land wirklich zu bekämpfen ist.
Ich muss Frau Asch recht geben. Es ist ein Skandal, dass es im reichen Deutschland überhaupt arme Kinder gibt. Aber das ist kein spezielles Problem von Nordrhein-Westfalen, sondern das ist ein gesamtdeutsches Problem.
Sie hatten es schon gesagt: Die Arbeitslosenzahlen sinken, aber die Kinderarmut in Deutschland nimmt zu. Natürlich nimmt sie in Nordrhein-Westfalen dann auch stärker zu, wo die Arbeitslosenzahlen nicht so stark sinken oder auch steigen. Das ist nicht die Frage. Aber die Diskrepanz zwischen einer steigenden Zahl nicht arbeitsloser Menschen und Kinderarmut ist doch wohl offensichtlich.
Kommen wir noch einmal zum Titel zurück. Sie fragen: Welche Schlüsse zieht die Landesregierung aus den Berichten über die Kinderarmut? Das wissen wir noch nicht. Die Landesregierung wird gleich etwas dazu sagen.
Ich hoffe, dass sie ein bisschen mehr sagt, als zurzeit die regierungstragenden Fraktionen, die auf das Thema“ Kinderarmut“ – zumindest Herr Scheffler – meiner Meinung nach nicht eingegangen sind. Wie gesagt, die Antworten der Regierung kennen wir noch nicht. Ich kann nur die Antworten geben, die wir Piraten aus diesen Berichten ziehen.
Der Umstand der Kinderarmut ist auf einer Ebene ohne Probleme sofort zu beheben. Genau die Empfehlungen stehen auch in den Berichten. Wir brauchen eine Kindergrundsicherung in Form eines Kindergrundeinkommens, sodass jedem Kind ein bestimmter Betrag zur Verfügung gestellt wird, der ihnen die soziokulturelle Teilhabe ermöglicht.
Jetzt schaue ich zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD. Ihre Parteifreunde und Parteifreundinnen auf Bundesebene könnten die Kinderarmut, wenn sie es nur wollten, von heute auf morgen beenden. Die Zahlen sind bekannt – das ist ganz klar –: Es sind um 550 € für jedes Kind – ohne weiterhin Kindergeld zu zahlen –, um die soziokulturelle Teilhabe in diesem Land zu sichern.
Allerdings stimmt das nicht ganz; auch diese Rechnung ist uns vor Kurzem in der Enquetekommission aufgemacht worden. Selbst wenn wir jedem Kind genug Geld für sein auf sich bezogenes soziokulturelles Existenzminimum geben, heißt das nicht, dass die Familie ausreichend versorgt ist. Kein Kind lebt al
leine, kein Kind muss einen Haushalt allein bestreiten. Das heißt, es ist immer abhängig von dem Gesamthaushalt.
Damit kommen wir schon zu dem nächsten Punkt, in dem die Piraten die Lösung sehen: Wir brauchen mindestens auch ein Grundeinkommen für Eltern. Denn eines muss uns klar sein: Die Existenzängste, die Eltern haben, übertragen sich immer auf das Kind. Was soll man machen? In einem Haushalt, in dem die Eltern zu wenig Geld haben, um an der Gesellschaft teilzuhaben, wird es schwierig sein, das Kind zur Teilhabe zu animieren.
Bei der Überlegung, wie wir die größten Probleme in diesem Land in den Griff bekommen, vor allem die sozialen Probleme, lautet die Antwort für die Piraten: ein garantiertes Einkommen für jeden Menschen in diesem Land. Ob Kind, ob Erwerbstätiger, ob Arbeitsloser, ob Rentner – jeder Mensch hat das gleiche Recht, zu existieren, ob er für die Gesellschaft nützlich ist oder nicht. Denken Sie einmal darüber nach. Es gibt keine bessere Familienpolitik. Die Familien würden innerhalb der Gesellschaft so gut gestellt, das würde auch den Kindern zugutekommen. So wären die Probleme innerhalb einer ganz kurzen Zeit – ich sage: innerhalb einer Legislaturperiode – zu lösen.
Damit bin ich wieder bei Ihnen von der SPD und der CDU. Ich habe nicht das Gefühl, dass Sie diese Probleme wirklich lösen wollen, sondern Sie reden nur drum herum. Sie machen sich hier im Land gegenseitig fertig und wollen nicht in die Konfrontation mit dem Bund gehen. Dadurch, dass wir hier reden, ändert sich nichts für die Kinder in NRW, sondern das müsste ganz klar auf Bundesebene geregelt werden. Da sind Sie in der Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD, bzw. Ihre Parteifreunde in Berlin. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Kinderarmut breitet sich aus. Jedes vierte Kind in Nordrhein-Westfalen wächst in Armut auf. Ja, das sind die Schlagzeilen. Aber das sind nicht die Schlagzeilen der letzten Wochen, sondern das sind die Schlagzeilen aus dem Jahr 2007, Herr Kollege Laschet.
Im Jahr 2009 stellte der damalige Sozialminister Laumann in seinem Bericht zu prekären Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen in NordrheinWestfalen fest – ich zitiere –:
„In Nordrhein-Westfalen leben rund 776.000 Kinder und Jugendliche in einem einkommensarmen Haushalt. Damit tragen Minderjährige ein überdurchschnittlich hohes Armutsrisiko … (24,3 %).“
Es geht nicht darum, von Problemen abzulenken, es geht bei einem solchen Thema auch nicht um gegenseitige Schuldzuweisungen oder etwa – wie Sie es fast wöchentlich versuchen – um einen frühen Wahlkampf.
Ich will zu den im Antrag benannten Studien nur so viel sagen: Unterschiedliche Methoden liefern natürlich auch unterschiedliche Zahlen.
2014 gab es in Nordrhein-Westfalen rund 2,9 Millionen Personen unter 18 Jahren. Davon sind 637.000 Kinder und Jugendliche von Armut betroffen. Die Armutsrisikoquote von Minderjährigen lag 2014 bei 21,9 %. Diese Zahl ist vergleichbar mit der des Kollegen Laumann. Sie ist eindeutig zu hoch. Darüber sind wir uns alle einig, und darüber brauchen wir uns auch gar nicht zu streiten.
Es handelt sich um Kinder und Jugendliche, deren Eltern geringqualifiziert sind, die mit einem alleinerziehenden Elternteil aufwachsen, die aus einer kinderreichen Familie kommen, teilweise mit Migrationshintergrund, oder deren Eltern arbeitslos sind. Das sind die wesentlichen Ursachen, Herr Kollege Wegner, und diese Ursachen muss man natürlich angehen.
Es kommt also darauf an, Kinderarmut vor allem als Ergebnis der Armut von Eltern zu begreifen. Kurz gefasst: Eltern brauchen eine gute und sichere Erwerbsarbeit.
(Beifall von der SPD – Eva Voigt-Küppers [SPD]: Genau! – Michele Marsching [PIRATEN]: Was für ein Blödfug!)
Vor dem Hintergrund dieser Analyse sollte es nicht verwundern, dass das Ruhrgebiet, das einem solchen Strukturwandel unterworfen war und ist – Frau Thoben hatte den Strukturwandel sogar als abgeschlossen angesehen –, besonders von Armut betroffen ist. Wir arbeiten daran, arbeitslose Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen und junge Menschen erst gar nicht dem hohen Risiko von Arbeitslosigkeit auszusetzen.
Wir fördern seit Anfang 2013 Projekte zur Verringerung von Langzeitarbeitslosigkeit. In der letzten ESFFörderperiode wurden dadurch allein 1.100 Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen, und natürlich setzen wir das in der neuen Förderperiode fort.
Seit 2013 gibt es zudem die Landesinitiative „Faire Arbeit – Fairer Wettbewerb“, mit der wir uns für die Eindämmung prekärer Beschäftigung einsetzen. Ich wünschte mir Sie bei der Bekämpfung der prekären Beschäftigung dann und wann auch einmal an unserer Seite.
Denn wir brauchen sichere Jobs, um Armut verhindern zu können. Wir brauchen keine prekäre Beschäftigung. Insofern wäre eine überfällige Novelle des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auch für das heutige Thema sehr hilfreich gewesen; darauf kommen wir heute Nachmittag noch zu sprechen.
Meine Damen und Herren, um Arbeitslosigkeit zu verhindern, arbeiten wir präventiv. Darum machen wir ein Programm wie „Kein Abschluss ohne Anschluss“, mit dem wir auf einem sehr guten Weg sind. Die kommunale Koordinierung steht flächendeckend. Ab dem Sommer werden wir alle achten Jahrgangsstufen mit der Berufsorientierung erreichen. Warum machen wir das? Damit sie wissen, was sie später machen wollen, nämlich schnell in Ausbildung oder in ein Studium zu kommen. Denn die Langzeitarbeitslosenquoten sind hoch: 80 % aller Langzeitarbeitslosen haben keine Ausbildung. Deshalb müssen wir die jungen Leute schnellstmöglich darauf vorbereiten.
Der Armut ausschließlich mit Erwerbsbeteiligung zu begegnen, wäre aber leider zu einfach und würde der Komplexität des Themas nicht gerecht. Deswegen haben wir als Konsequenz aus unserem letzten Landessozialbericht die Landesinitiative „NRW hält zusammen … für ein Leben ohne Armut und Ausgrenzung“ ins Leben gerufen.
Im Rahmen des Projektaufrufs „Starke Quartiere – starke Menschen“ stellen wir allein bis 2020 350 Millionen € an Mitteln aus den europäischen Strukturfonds für benachteiligte Quartiere und somit für benachteiligte Menschen zur Verfügung.
Und: Seit 2015 unterstützen wir Kinder, Jugendliche und ihre Familien in benachteiligten Quartieren und verbessern damit Zugänge zu Beratungs-, Bildungs- und Gesundheitsangeboten.
(Lutz Lienenkämper [CDU]: Alles ohne Er- folg! – Armin Laschet [CDU]: Was habt ihr denn gemacht? Was habt ihr denn erreicht?)
Haben Sie einmal auf die Jahreszahl geachtet? Bevor Sie dazwischenschreien, sollten Sie erst einmal überlegen, was Sie gehört haben. Aber scheinbar verstehen Sie es nicht, Herr Kollege Laschet.
Mit dem Härtefallfonds „Alle Kinder essen mit“ unterstützen wir Kinder und Jugendliche, die an einer gemeinsamen Mittagsverpflegung teilnehmen, aber trotz sozialer Notlage aus dem Bildungs- und Teilhabepaket herausfallen. Derzeit profitieren 1.350 Kinder davon.
Meine Damen und Herren, diese Landesregierung findet sich definitiv nicht mit Armut ab. Sie tritt ihr mit vielfältigen Maßnahmen entschlossen entgegen. Herr Laschet, da Sie hier den Paritätischen zitiert haben, möchte auch ich aus der Pressemitteilung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zitieren – Zitat –:
„Es ist Zeit für einen sozial- und steuerpolitischen Kurswechsel, um Armut zu bekämpfen und eine Verringerung sozialer Ungleichheit zu erreichen.“
Dieser Hinweis ging in Richtung Berlin. Statt zu lamentieren, lade ich Sie ein, uns zu unterstützen.