Protocol of the Session on January 28, 2016

(Beifall von der FDP und der CDU)

Jetzt zu dem Thema Frühförderung: Wir Freie Demokraten stehen dafür, dass Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben führen können und dass gesellschaftliche Teilhabe in allen Lebensbereichen verwirklicht wird. Frau Kollegin, so sehen wir den Antrag auch erst einmal grundsätzlich positiv.

Damit dies auch für Kinder mit Behinderungen möglich wird, brauchen wir die Leistungen der Frühförderung. Die Frühförderstellen in unserem Land leisten eine wertvolle Arbeit. Mit frühzeitigen, vorbeugenden Hilfen können spätere soziale und gesundheitliche Beeinträchtigungen reduziert und so auch Folgekosten bei der Eingliederungshilfe und in der Krankenversicherung vermieden werden.

Wir haben im Ausschuss erst letzten Monat über die Frühförderung beraten. Die Ministerien haben uns über die Überarbeitung der entsprechenden Rahmenempfehlung berichtet. Anscheinend haben dies

die Fraktionen der Regierungskoalition zum Anlass genommen, um noch einmal einen Antrag einzubringen.

Dieser Antrag ist in unseren Augen aber weitgehend ein Schaufensterantrag. Er beschreibt die vorangegangenen Aktivitäten der Landesregierung und der beteiligten Akteure. Das klingt für uns eher nach Eigenlob. Er beinhaltet aber keine neuen Akzente für die Landespolitik. Seine Forderungen richten sich vielmehr an den Bundesgesetzgeber und an die Kostenträger vonseiten der Kommunen und Krankenkassen.

In den fachlichen Zielen besteht bei der Frühförderung sicher ein weitgehender Konsens. Das betrifft die Qualifikation des Personals, das betrifft interdisziplinäre Frühförderstellen, und das betrifft die Beratung der Eltern, die Einbeziehung der Kitas und die Entwicklung landesweiter Qualitätsstandards.

Meine Damen und Herren, es ist sicher sinnvoll, die Leistungen der Frühförderung als Komplexleistungen aus einer Hand zu erbringen und nicht in Form unabgestimmter Leistungen der Sozialhilfeträger und der Krankenkassen. Dieses Ziel ist auch in die bundesrechtlichen Vorgaben aufgenommen worden. In Westfalen allerdings ist die Komplexleistung bisher leider nur in sieben von 27 Kreisen und Städten verwirklicht. Ich glaube, das meinte Kollege Kern gerade mit der Trennung zwischen Westfalen und Rheinland.

Daher ist es zwar richtig, für die Umsetzung der Komplexleistungen auch vonseiten der Landespolitik zu werben und hier Anreize zu setzen; Sie können aber nicht in die Selbstverwaltungshoheit der Kommunen und der Sozialversicherung eingreifen und die unterschiedlichen Kostenträger über die bundesrechtlichen Vorgaben hinaus zur Zusammenarbeit zwingen. Sie sollten auch bedenken, dass sich die Hilfsstrukturen vor Ort oft über Jahrzehnte entwickelt haben und die Einrichtung interdisziplinärer Frühförderstellen oder zumindest eine abgestimmte Zusammenarbeit der Leistungserbringer dann das Engagement der jeweiligen Verantwortlichen erfordert.

Das Fehlen einer Hilfsstruktur in Form der Komplexleistungen bedeutet aber nicht, dass es Versorgungslücken oder unversorgte Kinder gibt. Dies hat auch die Evaluation der Frühförderung in NRW ergeben. Es geht hier nur um eine bessere Abstimmung zwischen Leistungserbringern bzw. Kostenträgern.

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie fordern in diesem Antrag eine verbindliche Rahmenvereinbarung. Diese kann aber nur im Einvernehmen der Kostenträger vonseiten der Kommunen und Krankenkassen erreicht werden. Ein Beschluss des Landtags kann nicht in deren Selbstverwaltungshoheit eingreifen.

(Beifall von der FDP)

Ihre weitere Kernforderung betrifft bundeseinheitliche Standards und die Einrichtung einer Schiedsstelle im SGB IX bzw. im künftigen Bundesteilhabegesetz. Gerade da kann ich an die SPD gerichtet nur sagen: Sprechen Sie mit Ihrer Bundesministerin, Frau Nahles. Sie kann doch diese Punkte in den Gesetzentwurf für ein Bundesteilhabegesetz aufnehmen.

Insgesamt – ich wiederhole es kurz – enthält dieser Antrag viel Eigenlob und Selbstvergewisserungen. Ich hoffe, wir können im Ausschuss noch einmal darüber diskutieren und kommen dann zu etwas besseren Ergebnissen. Grundsätzlich stimmen wir der Sache aber zu. – In dem Sinne bedanke ich mich für Ihr Interesse.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Alda. – Für die Piratenfraktion spricht nun Herr Düngel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer im Stream! Dieses Mal sehen Sie den Redner der Piraten im gleichen Format wie die anderen Rednerinnen und Redner. Vorhin, beim Tagesordnungspunkt 1, war das nicht der Fall. Man darf halt nicht das falsche T-Shirt anziehen.

Da die Kollegen von CDU und FDP das gerade gesagt haben: Nehmen Sie manchen Vorwurf vielleicht nicht persönlich, aber schauen Sie sich in den eigenen Reihen um. Wir haben vorhin ein paar Aussagen gehört – auch als Zitate –, die, mich zumindest, sehr nachdenklich stimmen. In meinen Reihen, in meiner Fraktion würde ich solche Aussagen nicht akzeptieren.

Kommen wir zum eigentlichen Antrag. Da stimme ich durchaus mit meinem Vorredner Uli Alda überein. Als ich den Antrag gelesen habe, habe ich ein bisschen gedacht, da hat irgendjemand den Koalitionsvertrag wiedergefunden und festgestellt: Wir haben irgendetwas in den Koalitionsvertrag geschrieben, worüber wir in der Wahlperiode im Landtag noch gar nicht richtig diskutiert haben.

Herausgekommen ist dann tatsächlich – Uli Alda hat es gerade gesagt – eine Art Schaufensterantrag. Hier wird, ein bisschen historisch, aufgeführt, was die Landeregierung alles gemacht hat, und dann werden, wie wir es ja kennen, zum einen Forderungen an den Bund gestellt. Na gut, das kann man machen.

Zum anderen werden eigentlich selbstverständliche Dinge, etwa der Wunsch, dass aus der ganzen Sache eine Rahmenvereinbarung wird, als Forderungspunkte formuliert. Liebe rot-grüne Koalition, ich hoffe doch sehr, dass da auch der kurze Weg in Richtung Landesregierung möglich ist. Der Herr Mi

nister sitzt da vorne. Daher können Sie das doch auf kurzem Wege einfordern und darauf hinwirken, dass die Dinge, die Sie sich offenbar wünschen, dann auch umgesetzt werden.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich weiß nicht, ob wir dafür tatsächlich diesen Antrag brauchen.

Nichtsdestotrotz ist das Thema wichtig. Ich erspare mir, jetzt noch einmal den Erklärbären zu spielen und darzulegen, was alles Frühförderung ist. Das haben wir in vier Redebeiträgen mehr oder weniger allen Zuhörerinnen und Zuhörern irgendwie nahegebracht und erklärt. Den Punkt spare ich mir an der Stelle.

Ich bin sehr gespannt, wie wir in den beteiligten Ausschüssen über die einzelnen Punkte beraten werden. Ich bin nicht nur im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales, sondern, wie der Kollege Walter Kern, auch im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Vor dem Hintergrund bin ich natürlich außerordentlich gespannt, wie wir dort insbesondere den Aspekt der Kitas lösen. Schließlich reicht es nicht aus, allein etwas ins KiBiz zu schreiben. Den Kitas müssen auch die entsprechenden Ressourcen und die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden.

Damit will ich sagen: Wir müssen den Kitas auch Geld zur Verfügung stellen, damit gerade an dieser wichtigen Schnittstelle – die Kitas sind schließlich der hauptsächliche Lebensbereich der Kinder – die Ressourcen vorhanden sind, damit Kindergärten und Kindertagesstätten optimal helfen können und wirklich alles Hand in Hand funktioniert.

Ich sehe hier, wie gesagt, ein Stück weit einen Schaufensterantrag. Nichtsdestotrotz werden wir in den entsprechenden Ausschüssen objektiv darüber beraten. Ich freue mich auf die weitere Beratung. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Düngel. – Nun spricht für die Landesregierung Herr Minister Schmeltzer.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es wird Sie nicht verwundern: Wir begrüßen diesen gemeinsamen Antrag der Regierungsfraktionen zur Frühförderung. Herr Düngel, ich werde gleich an der einen oder anderen Stelle auch noch auf Ihren Wortbeitrag eingehen.

Die Teilhabemöglichkeiten, die Menschen mit Behinderung auf ihrem Lebensweg erhalten, werden maßgeblich dadurch beeinflusst, welche Fördermöglichkeiten ihnen, beginnend in der frühen Kindheit, zur Verfügung gestellt werden. Frühförderung

ist deshalb ein Musterbeispiel präventiver Sozialpolitik und hat innerhalb der Landesregierung definitiv einen hohen Stellenwert.

Eine gute Frühförderung kann verhindern, dass sich Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen zu dauerhaften Behinderungen verfestigen. Sie kann Entwicklungsverläufe positiv beeinflussen und die Chancen unserer Kinder auf den Einstieg in ein selbstbestimmtes Leben verbessern. Frühförderung in Form der sogenannten, teilweise in den Wortbeiträgen schon erwähnten, Komplexleistung ist daher ein wichtiger Baustein zur Sicherung der gesellschaftlichen Teilhabe. Und: Frühförderung kann bei rechtzeitigem Einsatz darüber hinaus unsere Sozialleistungssysteme entlasten.

Dies hat auch das Gutachten des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik aufgezeigt. Weil hier an der einen oder anderen Stelle über Zeitverzögerung gesprochen wurde – dreieinhalb Jahre sind ins Land gegangen, bis man gehandelt hat –, möchte ich an dieser Stelle deutlich hervorheben, dass das Land dieses Gutachten im Jahr 2012, direkt zu Beginn der neuen Legislaturperiode – so steht es im Koalitionsvertrag –, in Auftrag gegeben hat. Das Gutachten ist gemeinsam mit der Freien Wohlfahrtspflege, den kommunalen Spitzenverbänden, den Krankenkassen und dem Land NRW erstellt worden. Das braucht natürlich auch seine Zeit, wenn man ein inhaltlich ordentliches Gutachten haben möchte.

Dieses Gutachten hat aber auch verdeutlicht, dass die Frühförderung in den 53 Städten und Kreisen hier in Nordrhein-Westfalen nach wie vor sehr unterschiedlich praktiziert wird. Sie haben es teilweise erwähnt. Bezogen auf die flächendeckende Verteilung wird die Komplexleistung im Rheinland in der Tat in 20 von 26 Städten und Landkreisen, in Westfalen-Lippe dagegen nur in sieben von 27 Städten und Kreisen angeboten.

In den Gebietskörperschaften, in denen die Frühförderung nicht als Komplexleistung organisiert ist, wird die medizinische und heilpädagogische

Frühförderung getrennt und damit unabgestimmt erbracht. Diese Entwicklung ist meines Erachtens in zweierlei Hinsicht sehr ärgerlich. Zum einen können wir nicht allen Kindern ein flächendeckendes Angebot für die Komplexleistung in Nordrhein-Westfalen anbieten. Zum anderen zeigt das Gutachten, dass die Frühförderung auch das wirtschaftlich günstigere Angebot ist. Es ist deshalb unser Ziel, dass alle Kinder in Nordrhein-Westfalen unabhängig von ihrem Wohnort den Anspruch auf Frühförderung und Komplexleistung auch tatsächlich einlösen können.

Unter Moderation des MAIS und des MGEPA haben Krankenkassen, Städtetag, Landkreistag und die Freien Wohlfahrtsverbände eine neue Rahmenempfehlung zur Frühförderung abgeschlossen. Viele bisher ungeregelte Fragestellungen zur Frühförderung werden dadurch nun beantwortet. Ich freue

mich, dass nach diesem dreijährigen intensiven Beratungsprozess ein solcher Erfolg erzielt werden konnte.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen nun einheitliche Empfehlungen zu Dauer, Zugang und Inhalten von Diagnostik und Fördereinheiten, zu einem Qualitätsdialog, zu Elternberatung, zu niederschwelligen Beratungsangeboten und den Regelungen zur Kostenteilung. Aber es sind definitiv noch weitere Handlungsschritte notwendig, damit in Nordrhein

Westfalen alle Kinder die gleichen Chancen bekommen. Hier zeigt der gemeinsame Antrag von den Fraktionen der SPD und der Grünen viele notwendige Maßnahmen auf.

Für die Realisierung bedarf es weiterer Gespräche und Verhandlungen zwischen allen Akteuren, insbesondere den Kreisen und kreisfreien Städten, den Krankenkassen, aber auch den Anbietern und hier insbesondere der Freien Wohlfahrtspflege, auch, wie es hier angesprochen wurde, mit Blick auf eine verbindliche Rahmenvereinbarung.

Wir werden diesen Prozess als Land begleiten und entsprechend moderieren, weil wir dies als Land ohne diese Gespräche und ohne diese Akteure nicht verordnen können. Die Landesregierung wird sich weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die inhaltliche und fachliche Reform der Eingliederungshilfe im Rahmen der Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes auch die notwendigen gesetzlichen Änderungen zur Frühförderung enthält.

Lassen Sie uns gemeinsam mit dem Ziel „Kein Kind zurücklassen!“ auch im Bereich der Frühförderung arbeiten und den Prozess auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft im Dialog gestalten. Ich entnehme allen Diskussionsbeiträgen, dass die Zielrichtung die richtige ist. Ich freue mich, dass Walter Kern und Uli Alda ihre konstruktive Mitarbeit angeboten haben. Das wird eine interessante sachliche und fachliche Diskussion fern von allen anderen politischen Geschehnissen werden. Darauf freue ich mich. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Schmeltzer. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/10786 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend –, den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend und den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Abschließende Beratung und Abstimmung sollen im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Die Frage ist: Verfahren wir so? Wer stimmt dem zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir einstimmig so überwiesen.

Wir kommen zu:

3 Leistungsfähige Infrastruktur als Staatsziel in

der Landesverfassung verankern