Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Tribüne und an den Bildschirmen! Wir bemühen uns heute hier im Plenum darum, Lehren aus den Verbrechen der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof zu ziehen. Ich bin sehr froh über die Initiative ausnahmslos.org, die das Augenmerk auf die Opfer von Gewalt legt, und zwar auf alle Opfer; denn sexualisierte Gewalt gibt es nicht nur in dunklen Bahnunterführungen oder an verlassenen Orten. Es gibt sie überall – in allen Schichten, in Familien und Ehen, am Arbeitsplatz genauso wie auf der Straße. Es gibt eine regelrechte Kultur der Gewalt gegen Frauen, die sich im alltäglichen Sexismus äußert.
Die Autorinnen der Initiative ausnahmslos.org bemühen sich, diese Debatte vom Rassismus zu trennen, den die vermutliche Herkunft der Täter ausgelöst hat. Das ist auch dringend nötig.
Wenn sich jetzt Bürgerwehren aus dem Rocker-, Nazi-, Hooligan- oder Türstehermilieu auf der Straße bilden, wollen die doch nicht unsere Frauen schützen. Ausgerechnet die! Denen sind die Frauenrechte doch total egal. Ich glaube, die meisten Frauen können auf diese Art Schutz sehr gut verzichten. Eine andere Art Schutz ist nötig.
Vergangenes Jahr – an einem durchschnittlichen Donnerstagabend auf dem Oktoberfest – griff ein junger Deutscher einer amerikanischen Besucherin unter den Rock. Diese drehte sich um und zog dem Typen einen Maßkrug über den Schädel. „Geschieht ihm recht“, möchte man fast sagen. Das Ganze endete mit einer vierstelligen Geldstrafe – allerdings für die Frau, nicht für den Mann.
Der Wiesn-Report der Polizei sprach von einem „spaßig gemeinten“ Griff unter den Rock, den der „kecke Bursche“ gemacht habe. Ich weiß nicht, wie Sie das sehen. Ich finde den Griff an die Geschlechtsteile eines Menschen ohne dessen Zustimmung nicht spaßig. Ich persönlich bin über die Verharmlosung dieses sexuellen Übergriffs stocksauer.
Gerichte haben derzeit ein Problem damit, sexuelle Übergriffe zu ahnden, die ohne eine aktive Widerstandshandlung des Opfers stattfinden – etwa weil sie so schnell passieren. Das zeigt doch ganz klar eine Strafbarkeitslücke auf. Ich finde, niemand muss es hinnehmen, ohne seinen Willen angefasst zu werden. Wer sich zu spät wehrt, macht sich sogar
strafbar. So kann das nicht bleiben. Ein Nein muss immer ein Nein sein. Mehr noch: Kein Ja ist auch ein Nein.
Bei dem vorliegenden Antrag habe ich mich bei den Abschnitten eins und zwei mit freundlicher Genehmigung der Autorinnen beim Text der Initiative ausnahmslos.org bedient und einige politische Forderungen daraus abgeleitet. Die Arbeit der Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt muss gestärkt werden. Therapieplätze müssen in ausreichender Zahl und ausreichend schnell verfügbar sein. Schutzlücken bei sexueller Nötigung müssen auf Bundesebene geschlossen werden. Jetzt wäre die Zeit, wo sich die Landesregierung dafür aktiv einsetzen kann. Das Problembewusstsein ist jetzt da.
Polizei und Justiz müssen sensibel mit den Opfern umgehen und eine angemessene Strafverfolgung einleiten. Die Pädagogik muss in unserem Land geschlechtersensibel problembewusst sein. Es muss auch und gerade gegen die Stigmatisierung von Opfern sexueller Gewalt eine öffentliche Debatte geführt werden.
Den Aufruf von ausnahmslos.org unterstützen dankenswerterweise schon eine ganze Reihe Kolleginnen und Kollegen dieses Landtags aus ganz verschiedenen Parteien. Dafür möchte ich ihnen ganz herzlich danken.
Lassen Sie uns also einen gemeinsamen Beschluss fassen und als Parlament diesen Aufruf unterstützen. Ich fände, das wäre ein schönes Zeichen – gerade auch dafür, dass wir uns der Verantwortung für die Opfer stellen.
Es ist sehr schade, dass wir keinen gemeinsamen Antrag hinbekommen haben. Aber geben wir dem Ganzen noch eine Chance! Ich habe beantragt, dass dieser Antrag gemeinsam mit den anderen vorliegenden Anträgen in die Ausschüsse überwiesen wird, sodass wir noch die Gelegenheit haben, möglicherweise zu einem gemeinsamen Vorgehen zu kommen. Machen Sie etwas daraus! Jedenfalls sind alle drei Anträge dem Grunde nach gut und unterstützenswert. – Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Schwerd. – Als nächste Rednerin spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Jansen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Präsident! Mit Ihrer Erlaubnis beginne ich mit einem Zitat.
„Ich trage seitdem auch nur noch Hosen. Ich habe mich gewehrt, aber er war nicht leicht abzuwehren. Der Täter hat danach siegessicher gegrinst.“
Dieses Zitat stammt aus einem Artikel der „Aachener Nachrichten“ und schildert einen sexuellen Übergriff. So oder so ähnlich lauten auch viele Berichte von der Silvesternacht in Köln. Dieses Zitat stammt allerdings von einer heute 74-jährigen Frau, die vor über 30 Jahren einen sexuellen Angriff durch einen Nachbarn erleben musste.
Die heutigen Schlagzeilen führen zu Retraumatisierungen bei Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, und sei sie auch noch so viele Jahre her. Sexuelle Gewalt ist kein neues Phänomen. Neu ist allerdings die Form, wie sie in der Silvesternacht Hunderten von Frauen widerfahren ist. Ich glaube, das Ausmaß dieser Abscheulichkeit hätte sich niemand vorstellen können. Eine bandenmäßige Verabredung zu sexuellen Übergriffen oder auch nur zu Diebstählen ist ein neues Phänomen für Deutschland. Diese Taten sind abscheulich. Den Opfern ist unsägliches Leid widerfahren. Und nicht nur das: Auch ein Gefühl der Ohnmacht stellt sich ein; denn im öffentlichen Raum befindet sich – anders als sonst – kein ausreichender Schutz durch die Polizei.
Dieses Phänomen der verabredeten Übergriffe und der Organisiertheit ist neu. Alt ist leider die Erfahrung vieler Frauen mit sexueller Gewalt. Jahr für Jahr werden bei der Polizei zwischen 7.000 und 8.000 Anzeigen wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung aufgenommen. 40 % aller Frauen erleben körperlich sexuelle Übergriffe.
Eine Analyse im Auftrag des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe ergab: Das deutsche Strafrecht schützt, zumindest gegenwärtig, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung der Frau nicht. Werden Frauen belästigt, begrapscht und an Geschlechtsteilen angefasst, gehen die Täter zumeist straflos aus.
Heute sieht die Rechtslage wie folgt aus: Wenn der Täter das Opfer an einen Ort verbringt, an dem es keine Hilfe erwarten kann und angesichts seiner hilflosen Lage auch keine Verteidigung für sinnvoll hält und vor Schrecken starr den sexuellen Übergriff über sich ergehen lässt, handelt es sich um eine objektiv schutzlose Lage. Da wir nicht alle Juristen sind, erkläre ich Ihnen kurz, was das bedeutet: Der Tatbestand der Nötigung fällt weg, und es kommt in den meisten Fällen noch nicht einmal zur Erhebung einer Anklage oder zur Eröffnung des Verfahrens.
Wir benötigen deshalb sehr dringend eine Reform der §§ 177 und 179 Strafgesetzbuch, um diese Schutzlücke zu schließen.
Das komplette Ausmaß der Übergriffe rund um den Kölner Hauptbahnhof ist erst nach und nach deutlich geworden. Das liegt auch daran, dass viele Frauen erst durch diese öffentliche Debatte den Mut hatten, eine Anzeige zu erstatten.
Jetzt komme ich zu den negativen Seiten dieser Debatte, die es leider auch gibt. Es melden sich Menschen, egal ob Politiker, Bürgerwehren oder Populisten, zu Wort, die sich, zumindest bis zu dieser Silvesternacht, noch nie für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau interessiert haben.
Deshalb sage ich Ihnen an dieser Stelle ganz klar: Wir brauchen keine selbsternannten feministischen Lautsprecher, die früher eher Leisetreter waren.
Situationsfeministinnen brauchen wir genauso wenig wie Rechtspopulisten, die versuchen, aus den Geschehnissen politisches Kapital zu schlagen.
Herr Kollege Schwerd hat es schon angedeutet. Es gab schon 2013 eine Debatte unter dem Hashtag „#aufschrei“, die jetzt mit dem Hashtag „#ausnahmslos“ ihre Fortführung findet. Erst wenn die Opfer verstehen, dass sie nicht die Einzigen sind, die Erniedrigung und Entwürdigung ertragen mussten, finden viele den Mut, darüber zu sprechen.
Aus diesem Grund legen wir den Antrag vor – mit vielen Punkten, die Sie dem Antrag noch einmal entnehmen können.
Ich finde es sehr schön, dass auch die FDP mit einem Entschließungsantrag deutlich gemacht hat, dass der Punkt „Gendersensibilität“ nicht völlig fremd in ihrem Wortschatz ist.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal möchte ich anmerken, dass ich es ein bisschen schade finde, dass ein derart wichtiger politischer Punkt doch so wenig Publikum und leider auch wenig mediales Interesse hat.
Denn wenn wir, wie ich gerade höre, die Opferperspektive mehr in den Blick nehmen wollen, wäre es schön, wenn das auch in der Diskussion mehr Wi
Aber zum Thema: Die Ereignisse der Silvesternacht in Köln und anderen Städten haben uns zutiefst schockiert. In Düsseldorf, in Bielefeld, in Hamburg, in Stuttgart und auch in anderen Städten NordrheinWestfalens und Deutschlands ist es zu Übergriffen gekommen, die die Menschen verunsichert haben und ihr Sicherheitsgefühl erschüttert haben.
In dieser Nacht sind wir nicht in der Lage gewesen, insbesondere Frauen vor sexualisierter Gewalt und vor Übergriffen zu schützen. Öffentliche Räume, wie es Bahnhofsvorplätze und andere belebte Plätze nun einmal sind, sind in dieser Silvesternacht zu Angsträumen geworden. Das dürfen und das werden wir in Zukunft nicht zulassen.
Die massenhaften Angriffe waren widerlich. Sie dürfen sich nicht wiederholen. Die Täter müssen verfolgt und bestraft werden. Das sind wir nicht zuletzt den Opfern schuldig. Im Übrigen ist das auch keine Frage von Herkunft; denn Straftäter sind Straftäter.