Protocol of the Session on September 17, 2008

Schon anhand der Verbreitung wird deutlich, dass der Brauch der Genitalverstümmelung keineswegs einer bestimmten Kultur oder Religion zuzurechnen ist. Wir müssen, wenn wir diese Tradition betrachten, nicht nur in die Ferne blicken, sondern gleichzeitig auch auf unser eigenes Land. Durch Zuwanderung wird diese menschenverachtende Tradition auch nach Deutschland getragen. Es gibt Sitten und Gebräuche, die wir nicht einfach ignorieren oder hinnehmen dürfen.

Es ist Fakt: In vielen Staaten ist die Genitalverstümmelung gesetzlich verboten, wird aber dennoch praktiziert. Das ist unfassbar. Insgesamt werden weltweit ca. 140 Millionen Mädchen und Frauen an ihren Genitalien verstümmelt. Dieses grausame Ritual ist und bleibt ein verbrecherischer Eingriff in die Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen und in das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])

Dieser Antrag sieht vor, dass wir, die Mitglieder des Landtags von Nordrhein-Westfalen, die Bundesregierung bei der Bekämpfung von Genitalverstümmelung unterstützen. Unabhängig davon, durch wen eine Genitalverstümmelung durchgeführt wird, gilt diese in Deutschland in jedem Fall als eine Körperverletzung gemäß § 223 Strafgesetzbuch.

(Beifall von der CDU)

In den meisten Fällen ist Genitalverstümmelung auch eine gefährliche bzw. eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 224 Nrn.1, 2, 4 und 5 und § 226 Strafgesetzbuch.

Unser Anliegen, auf Bundesebene prüfen zu lassen, ob die Genitalverstümmelung grundsätzlich in den Tatbestand des § 226 Strafgesetzbuch aufgenommen werden kann, ist bereits geschehen.

Um wirksam vor Genitalverstümmelung schützen zu können, ist es vor allen Dingen wichtig, die jungen Mädchen und ihre Familien zu erreichen, um klar zu machen, dass die Genitalverstümmelung in Deutschland verboten ist. Daher fordern wir die

Landesregierung dazu auf, die betroffenen Berufe, zu denen zählen insbesondere Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Ärztinnen und Ärzte und alle im Krankenhausbereich, für dieses Thema zu sensibilisieren.

Auch die Oppositionsfraktionen formulieren ihre Forderungen in ihrem gemeinsamen Antrag. Darüber hinaus stellen Sie jedoch Forderungen, die an der Handhabe und an der Realität völlig vorbeigehen. Das war auch der Grund, warum wir mit Ihnen zu keinem gemeinsamen Antrag gekommen sind.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Im Namen der CDU-Fraktion bedaure ich dieses ausdrücklich. Ich möchte hier aus Zeitgründen nur einige Punkte aufnehmen. Sie fordern, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass eine drohende Genitalverstümmelung generell als Asylgrund anerkannt wird. Hätten Sie kurz recherchiert, wüssten Sie, dass das neue Zuwanderungsgesetz, das Anfang 2005 in Kraft getreten ist, die Situation für bedrohte Frauen in Deutschland schon deutlich verbessert hat. So sind die geschlechtsspezifischen Bedrohungen für die Genitalbeschneidung im neuen Gesetz als Asylgründe anerkannt.

Und das Gesetz zur Umstellung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, das am 28. August 2007 in Kraft getreten ist, schaffte weitere Verbesserungen. Es erfolgte eine Ausweitung des Flüchtlingsschutzes auf Fälle nicht staatlicher Verfolgung und die Klarstellung bei der geschlechtsspezifischen Verfolgung in § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz.

Im Übrigen sollten Sie auch hin und wieder die Pressemitteilungen der eigenen Parteijugend lesen. Die grüne Jugend begrüßt darin ausdrücklich, dass das neue Zuwanderungsgesetz über die drohende Genitalverstümmelung im Herkunftsland als Asylgrund anerkannt wird. Ihre Forderung hinsichtlich des runden Tisches ist wie ein Sprung in einer Platte. Es wiederholt sich. Es hat keinen Neuigkeitswert. Runde Tische gibt es bereits.

Sie fordern die Verbreitung von Informationsmaterialien. An dieser Stelle muss ich annehmen, dass sie bereits laufende Kampagnen nicht sehen wollen und nicht kennen. Die entsprechende Öffentlichkeitsarbeit wirkt bereits darauf hin, dass die Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien als Körperverletzung der breiten Öffentlichkeit und insbesondere auch bei den Migrantenorganisationen bekannt gemacht wird und dass Mädchen und Frauen umfassend über ihre Rechte aufgeklärt werden.

Durch einen Antrag auf Bundesebene ist zudem kürzlich erreicht worden, dass dahingehend noch stärker informiert werden wird. Meiner Ansicht nach sind weitestgehend die Möglichkeiten der Aufklärung in Arbeit. Deshalb würde ich mich freuen, wenn

gerade bei diesem Thema die Vernunft siegt und die Oppositionsfraktionen unserem Antrag zustimmen. – Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Westerhorstmann. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Pieper-von Heiden.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Genitalverstümmelung ist eine scheußliche und erschütternde psychische und physische Menschenrechtsverletzung. Sie ist durch keine kulturellen oder sozialen Traditionen zu rechtfertigen.

Die betroffenen Mädchen und Frauen erleiden Verstümmelungen, die zu lebenslangen Beeinträchtigungen führen. Die Praxis der Genitalverstümmelung führt sogar nicht selten auch zum Tod der misshandelten Mädchen. Viele der betroffenen Mädchen und Frauen leiden ihr Leben lang unter schwersten psychischen und physischen Belastungen.

Es ist richtig, dass wir auf allen staatlichen Ebenen den Kampf gegen diese körperliche und seelische Misshandlung aufnehmen und verstärken. Hierbei gilt es auch, mit der Härte des Rechtsstaates gegen die Täter vorzugehen.

Insofern bedauere ich im Namen der FDP-Fraktion die bisherigen Entscheidungen auf Bundesebene, denke aber, dass wir diesbezüglich weiterhin einwirken sollten. Wichtig ist dies auch, um gerade als Einwanderungsland zu verdeutlichen, dass solche Misshandlungen in einer rechtsstaatlichen Demokratie auch nicht unter dem Deckmantel kultureller Traditionen geduldet werden dürfen, sondern hart bestraft werden müssen.

Die schweren körperlichen und seelischen Schäden der betroffenen Mädchen und Frauen zeigen, wie wichtig die Prävention, aber auch die medizinische Versorgung der Opfer dieser Misshandlungen ist.

FDP und CDU legen daher im Kampf gegen die Genitalverstümmelung einen wichtigen Schwerpunkt auf den Aspekt der Aufklärung und Sensibilisierung. Die bereits vielfach eingeleiteten Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen der Landesregierung, wie „Runder Tisch NRW gegen Beschneidung“, begrüßen wir nachdrücklich.

Wir fordern die konsequente Verstetigung und Optimierung dieser Maßnahmen, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Gerade Menschen, die aufgrund ihrer Berufe oft und regelmäßig mit potenziell bedrohten Mädchen in Kontakt sind, müssen für diese Gefahr besonders sensibilisiert werden, etwa die Angehörigen der erzieherischen und sozial betreuenden Berufe, aber auch das medizinische Personal.

Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger und Hebammen gehören zu den unverzichtbaren Berufsgruppen, wenn es darum geht, frühzeitig eine drohende Gefahr erkennen zu können. Aber ebenso unverzichtbar sind die Angehörigen derjenigen Professionen, die betroffenen Frauen bei der Behandlung von psychischen und physischen Folgeschäden besonders zur Seite stehen.

Daher sind die Aktivitäten der Ärzteverbände ein wichtiger Schritt, der den betroffenen Frauen und Mädchen zugute kommen wird. Das verdeutlicht, dass es richtig und wichtig ist, einen Schwerpunkt der Aufklärungs- und Fortbildungsarbeit auf diese Gruppen zu legen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir versuchen, mit diesen Maßnahmen den betroffenen oder bedrohten Frauen zu helfen. Deshalb kann man die Problematik nur realistisch betrachten. Was ist sinnvoll? Was ist erreichbar?

SPD und Grüne fordern zum Beispiel, dass sich die Landesregierung für ein generelles Abschiebeverbot von Mädchen aus Risikogruppen einsetzt. Diese Forderung klingt zunächst nachvollziehbar und nicht unsympathisch.

Aber Sie wissen auch, dass zum Teil sogar die Daten darüber variieren, in welchen Ländern die Genitalverstümmelung verbreitet ist. Auch innerhalb einzelner Länder – innerhalb einzelner ethnischer Gruppen – gibt es Regionen, in denen die Genitalverstümmelung verbreitet zu sein scheint, während sie in anderen Regionen wiederum nicht verbreitet ist.

Selbst die Vertreter von Organisationen, die gegen die Genitalverstümmelung kämpfen, schwanken in Gesprächen, wenn es um die Eingrenzung der Risikogruppe geht. Eine einfache Hochrechnung aufgrund des Melderegisters ist zumindest problematisch.

Ihnen ist auch bekannt, dass die aufenthaltsrechtlichen Regelungen bereits heute umfassende Möglichkeiten zum Schutz der von Genitalverstümmelung betroffenen Mädchen und Frauen beinhalten.

Ich denke, wir sollten hier keine weiter gehenden Hoffnungen und Wünsche erzeugen, von denen wir wissen, dass wir sie nicht erfüllen können. Das ist unredlich. Das Thema ist zu ernst und eignet sich nicht dafür, sich als die vermeintlich besseren Menschen zu profilieren.

Mit dem vorliegenden Antrag von FDP und CDU unterstützen und stärken wir diejenigen Maßnahmen, die den Mädchen und Frauen unmittelbar helfen. Ich denke, das ist ein großer Schritt, der den Mädchen und Frauen zugute kommen wird. Wir müssen weiter daran arbeiten und dies im Fokus behalten. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Pieper-von Heiden. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Gießelmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Westerhorstmann, liebe Frau Pieper-von Heiden, wir sind uns in diesem Haus einig: Genitalverstümmelungen sind eine schwere Menschenrechtsverletzung. Den Mädchen werden schwere körperliche, seelische und sexuelle Schäden zugefügt, die zu drastischen Beeinträchtigungen der Lebensqualität, häufig sogar zum Tod führen können. Die Sterberate bei der schwersten Form der Verstümmelung liegt in den entsprechenden Ländern bei nahezu 30 %. Auch langfristige Komplikationen sind nicht selten Folge der Genitalverstümmelung.

Nicht nur Frauen in Ländern Afrikas oder in Teilen von Ländern Afrikas, in einigen Ländern – oder in Teilen von Ländern – Asiens und des Mittleren Ostens sind betroffen, sondern auch in Deutschland leben betroffene Frauen. Darauf haben Sie zu Recht hingewiesen.

Rund 60.000 Frauen kommen aus Ländern mit einer Tradition der Genitalverstümmelung. Das ist auch in diesen Ländern in der Regel nicht erlaubt. Es wird trotzdem vollzogen. In den meisten Ländern wird das nicht landesweit vollzogen, sondern es ist in bestimmten Landesteilen ausgeprägter.

In Deutschland leben 60.000 Frauen aus solchen Gebieten. NRW gehört zu den Bundesländern, in denen die meisten Migrantinnen aus den betreffenden Ländern oder Landesteilen leben. Aufgrund der Meldedaten wurden die Zahlen errechnet. Nach diesen Berechnungen sind es rund 5.640. Das mag problematisch sein. Aber ich will mich nicht darüber streiten, ob die Zahl ganz genau stimmt. Ich will nur den Blick darauf lenken, dass auch in NordrheinWestfalen betroffene Frauen leben.

Deren Töchter sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, illegal in Deutschland oder in den Ferien in ihrem Heimatland an den Genitalien verstümmelt zu werden.

Diese Form der Menschenrechtsverletzung kann uns nicht ruhen lassen. Hier müssen und wollen wir tätig werden, und das ganz besonders, wenn es in Europa und hier in Deutschland stattfindet.

So weit sind wir uns ja wohl einig: Wir sitzen gemeinsam am runden Tisch gegen Genitalverstümmelung, tauschen uns mit Migrantinnen-Selbsthilfeorganisationen und verschiedenen anderen Organisationen und Hilfeeinrichtungen aus, und wir haben im Ausschuss für Frauenpolitik zu einem Fachgespräch eingeladen, um besser zu verstehen, um bedrohten Mädchen besseren Schutz bieten zu können, um aufzuklären und Betroffenen Hilfe zu gewähren. Da wäre ein gemeinsamer Antrag sicher wünschenswert gewesen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das war ja auch Konsens unter den frauenpolitischen Sprecherinnen aller Fraktionen. Aber Sie von den Regierungsfraktionen sind vorgeprescht und haben noch vor Weihnachten einen eigenen Antrag auf den Weg gebracht. Und alle Bemühungen, doch noch einen gemeinsamen Antrag hinzubekommen, sind gescheitert. „Schade!“, kann ich nur sagen. Sie haben sich dieser Zusammenarbeit verweigert. Das ist etwas, was man den vielen ehrenamtlich Tätigen in diesem Feld wirklich schwer vermitteln kann: dass wir uns ans solcher Stelle nicht einigen können!

(Beifall von der SPD)

Schauen wir uns einmal die Anträge an. Sie haben in Ihrem Antrag vier Forderungen an die Landesregierung gestellt. Die sind sehr weich formuliert, zum Beispiel: „… sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, zu prüfen“ – zu prüfen! –, „ob die Genitalverstümmelung grundsätzlich als schwere Körperverletzung … zu definieren ist“. Selbst hier können oder wollen Sie sich nicht entscheiden!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Da kann man doch eindeutig sagen: Wir wollen das ändern! Sie aber fordern nur auf, auf die Bundesebene einzuwirken, zu prüfen. Das finde ich wirklich schwach.

Die wichtigste Forderung, nämlich die generelle Anerkennung der drohenden Genitalverstümmelung als Asylgrund, nennen Sie nicht. Ein Abschiebeverbot von Mädchen aus der Risikogruppe nennen Sie nicht. Wir fordern Informationsgespräche, Aufklärungsmaterialien, Hinweise auf die Strafbarkeit der FGM als festen Bestandteil der Integrationskurse. Nichts dergleichen bei Ihnen! Auch nicht zur Kostenübernahme bei notwendigen Operationen! Weitere Forderungen, wo die Landesregierung tätig werden müsste, stellen Sie gar nicht.