Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie merken schon, wir Ausschussmitglieder, die in der letzten Woche dieser Anhörung beigewohnt haben, haben tatsächlich einiges an Betroffenheit daraus mitgenommen. Ich glaube, das kann ich für alle Fraktionen feststellen. Wir sind uns sicherlich einig, dass wir noch einiges werden tun müssen und zu tun haben.
Heute wird uns ein Weg vorgeschlagen, wie man vielleicht für mehr Kinderschutz sorgen kann, nämlich der Weg, Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen. Da müssen wir uns ohne Emotionen fragen, ob dieser Weg wirklich zu dem Ziel führt, Kinder besser zu schützen und auch das Kindeswohl nach vorne zu stellen.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Da haben die Väter und Mütter und Grundgesetzes mit wenigen starken Worten sehr viel gesagt. Man muss sehr genau überlegen, ob man viele weitere Worte hinzufügen möchte.
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
Das sind auch wieder starke Worte. Sie sind klar, präzise und auch unmissverständlich. Oder sind sie eben doch ergänzungsbedürftig?
Die Kinder sind uneingeschränkte Träger aller Grundrechte. Ein Blick nach Europa zeigt, dass zum Beispiel sieben EU-Staaten keine besonderen Regelungen zu Kinderrechten haben. In den anderen Ländern gibt es ganz viele unterschiedliche Formen und Formulierungen. Der Schutz der Kinder ist durch dramatische aktuelle Entwicklungen und deren Veröffentlichung in den Medien mehr als früher in den Blick der Allgemeinheit und auch in den Blick der Politik geraten. Das ist gut so. Aufmerksamkeit, hinsehen und handeln! Das ist gut.
Trotz der Emotionalität des Themas muss sich die Politik jedoch die Frage stellen, welche Mittel geeignet sind, diese schrecklichen Fälle von Vernachlässigung, von Missbrauch, von Gewalt zu verhindern. Kann das eine Änderung des Grundgesetzes bewirken? – Ich glaube, dass wir, in dem Fall die Gesellschaft, die Eltern und der Staat, den bestehenden gesetzlichen Auftrag ohne Einschränkungen konsequent erfüllen müssen, bevor wir über Grundgesetzänderungen nachdenken. Diese würden möglicherweise auch dafür sorgen, dass der Grundrechtsschutz der Kinder gespalten würde. Denn wir müssten uns festlegen, wie und wo wir genaue Differenzierungen formulieren wollen, die dann eventuell sogar den Schutzbereich verkleinern.
Dazu wäre auch darauf zu achten, dass Kinder und Eltern nicht gegeneinander gestellt werden. Was würde zum Beispiel passieren, wenn Kinder Grundrechte bekämen, die sie den Eltern gegenüber einklagen könnten? – Sie würden eine Distanz zwischen Eltern und Kindern bewirken, den Familien eventuell sogar schaden oder das Kindeswohl schwächen.
Antworten auf die Entwicklungen müssen wir dennoch geben. Das heißt, wir müssen staatlicherseits alles tun, um es Eltern und Kindern in der Praxis leicht zu machen, in den Genuss ihrer Rechte zu kommen. Dabei gilt: Kinderschutz vor Datenschutz. Weiter gilt: Bekenntnis zum Elternrecht, aber auch konsequente Durchsetzung von Kinderschutz, notfalls gegen den Elternwillen immer dann, wenn Eltern ihrer Verantwortung nicht gerecht werden.
In NRW zum Beispiel spielen Frühwarnsysteme eine große Rolle. Sie sorgen dafür, dass Anzeichen von Vernachlässigung in vielen Fällen rechtzeitig werden können, dass passende Hilfe umgehend geleistet wird und somit der staatliche Auftrag besser erfüllt werden kann. Zum Beispiel wurden im Handlungskonzept der Landesregierung verschiedene Punkte verankert: das Sicherstellen der Frühuntersuchung für alle Kinder, die Ergänzung der Untersuchungsinhalte und Untersuchungsintervalle, das Angebot eines Elternbegleitbuches an Kommunen oder der Ausbau von Familienzentren, Fortbildungsinitiativen, Stärkung der Elternkompetenz und Zusammenarbeit mit Experten.
Die Frage, wie all das ausgebaut, verbessert oder gestärkt werden kann, werden wir beantworten müssen. Der Weg über eine Änderung des Grundgesetzes scheint mir, zum heutigen Tage, nicht zum Ziel zu führen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Intention des Antrags, die Rechte von Kindern zu stärken, insbesondere ihre konkreten Entfaltungsmöglichkeiten zu verbessern, ist ja aller Ehren wert. Diese politische Intention wird gewiss von allen Fraktionen in diesem Haus geteilt.
Fraglich indes ist, ob wir dazu eine Aufnahme von Kindergrundrechten in das Grundgesetz tatsächlich benötigen. Nach Auffassung meiner Fraktion kann es sehr wohl sinnvoll sein, Staatsziele und auch ausdifferenzierte Grundrechte in das Grundgesetz aufzunehmen. Im vorliegenden Fall sehen wir das Vorhaben aber differenziert. Ich verschweige nicht, dass es auch innerhalb der FDP Befürworter für den einen wie für den anderen Weg gibt.
Wir als FDP-Landtagsfraktion sind allerdings der Auffassung, dass die Aufnahme von Kindergrundrechten in das Grundgesetz nicht erforderlich ist. Kinder sind bereits durch Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes geschützt. Sie haben ein Recht auf Pflege und Erziehung. Der Staat nimmt ein Wächteramt ein und achtet insofern auf Entfaltungsmöglichkeiten von Kindern. Jeder hier weiß, dass es in der Vergangenheit – auch in der jüngsten Vergangenheit – Fälle gegeben hat, wozu wir zu Recht fragen müssen, ob das Instrumentarium im Bereich des Kinderschutzes ausreicht, wir uns fragen müssen, ob Bildungschancen in hinreichender Weise gesichert sind. Aber all das wird nicht durch die Aufnahme von Kindergrundrechten in das Grundgesetz verbessert, sondern würde nur verbessert werden, wenn man an einfachgesetzlichen Rechtsgrundlagen arbeitet, wenn man Verwaltungsverfahren gegebenenfalls verändert.
Ich weise darauf hin, dass wir in der vergangenen Woche hier eine Anhörung zum Thema Kinderschutz durchgeführt haben. Ich habe dieser Anhörung nicht entnehmen können, dass dringende gesetzgeberische Maßnahmen gefordert werden.
Ja, vielleicht ein Sprecher. Aber grosso modo gab es Sprecherinnen und Sprecher, die Veränderungen von Verwaltungsverfahren eingefordert haben, die mehr Aufmerksamkeit verlangt haben, nicht nur von Behörden, sondern auch von uns allen in Familien und Nachbarschaften. Es ging
Deshalb glauben wir, dass die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz nicht erforderlich ist. Es ist eine zusätzliche Staatszielbestimmung respektive ein Grundrecht, das eher zu systematischen Problemen führt – Frau Kollegin Milz hat das ausgeführt –, ohne dass sich konkret etwas für die Lebenssituation von Kindern verbessern würde. – Schönen Dank.
Danke schön, Herr Lindner. – Für die Landesregierung spricht Frau Justizministerin Müller-Piepenkötter.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich die von Herrn Abgeordneten Lindner bereits angesprochene einschlägige Regelung des Grundgesetzes zitieren. Denn angesichts der Debatte der letzten Monate habe ich manchmal den Eindruck, dass sie in Vergessenheit geraten ist. Art. 6 Abs. 2 Sätze 1 und 2 des Grundgesetzes lauten:
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
Glauben Sie wirklich, dass mit weiteren Klauseln besser, präziser und klarer ausgedrückt werden könnte, dass Eltern und staatliche Institutionen gegenüber Kindern wichtige über die Gewährleistung der für alle Menschen von Geburt an geltenden Grundrechte hinausgehende Pflichten treffen? Das Wohl der Kinder ist zentrales Schutzgut von Art. 6 des Grundgesetzes. Jedes Kind hat eigene Würde und eigene Rechte. Art. 6 Grundgesetz verpflichtet bereits jetzt den Staat in Ausübung seines Wächteramtes zu entschlossenem Einschreiten, wenn das Wohl des Kindes dies erfordert, und zur Förderung der Erziehung und Bildung der Kinder.
Ich bin dagegen, dem Bürger zu suggerieren, es gäbe Defizite beim Kinderschutz wegen eines Mangels der Verfassung. Kein Fall von Vernachlässigung, keines der zurückliegenden Familiendramen, keiner der schockierenden Fälle der Verwahrlosung oder der Misshandlung von Kindern sind einem fehlenden Verfassungsartikel zuzuschreiben. Es kommt darauf an, dass die Befehle, die die Verfassung bereits heute in wunderbarer Klarheit und eindringlicher Formulierung
Meine Damen und Herren, wir handeln. Die Landesregierung nimmt die bestehende Verfassungslage ernst. Wir haben umfangreiche Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes von Kindern ergriffen. Wir haben ein Handlungskonzept für einen besseren und wirksameren Kinderschutz beschlossen und damit ein Bündel von Maßnahmen auf den Weg gebracht:
Wir fördern den landesweiten Aufbau von sozialen Frühwarnsystemen und diversen weiteren Projekten zur Stärkung des Kinderschutzes.
Nordrhein-Westfalen ist das erste Land, das Familienzentren in Weiterentwicklung der Kindertagesstätten schafft, in denen für Eltern und Kinder Betreuung, Bildung und Beratung an einem Ort angeboten werden.
Gezielte Sprachförderung, die bessere Ausstattung der Schulen mit Lehrern und Erziehern, die Sicherstellung der gesunden Ernährung durch Schulessen und die Förderung der musischen Bildung etwa durch „Jedem Kind ein Instrument“ sind weitere fundamentale Bausteine.
Diese nur beispielhaft genannten Maßnahmen zeigen, dass wir kein verfassungsrechtliches, sondern ein gesellschaftliches Problem haben. Wir müssen das Bewusstsein in der Gesellschaft schärfen, nicht wegzuschauen, wenn Eltern offenkundig ihr Kind vernachlässigen, es körperlich und seelisch misshandeln oder gar missbrauchen. Was daneben rechtlich verbessert werden kann ist, auf der Ebene des einfachen Gesetzes zu lösen.
Ich möchte noch einmal betonen: Das Grundgesetz schützt die Würde jedes Menschen, ganz gleich, ob alt oder jung, krank oder gesund. Das Grundgesetz begründet den Anspruch der Kinder auf Fürsorge und Erziehung. Eine Formulierung einzelner Aufgaben in kleinteiligen Regelungen im Grundgesetz würde, so befürchte ich, die Rechtswirklichkeit ebenso wenig verändern wie die Änderung der Verfassung des NordrheinWestfalen 2002 die Rechtswirklichkeit in unserem Lande verändert hat.
Es ist richtig und wichtig, uns dem Schutz der Kinder noch stärker zu widmen. Insofern stimme ich mit Ihnen inhaltlich völlig überein. Ob eine symbolische Änderung unserer Verfassung allerdings einen Beitrag leisten kann, erscheint mir zumindest zweifelhaft. Symbolpolitik birgt vielmehr die Gefahr, dass der Blick für das, was wirklich notwendig ist, verstellt wird. – Ich danke Ihnen.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 14/7347 an den Ausschuss für Generationen, Familie und Integration – federführend – sowie den Hauptausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überweisung einstimmig beschlossen.
Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen, muss ich eine Rüge aussprechen. Sie betrifft den Abgeordneten Helmut Stahl. Er hat sich in der heutigen Plenarsitzung in seinem Redebeitrag zu TOP 2 – Aktuelle Stunde – in Bezug auf die laufende Debatte unparlamentarisch geäußert. Herr Stahl wird daher für diese unparlamentarische Äußerung gerügt.