Protocol of the Session on August 28, 2008

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit dem Regierungswechsel steht Nordrhein-Westfalen wirtschaftlich gut da. 2006 und 2007 lag das Wirtschaftswachstum das erste Mal seit Menschengedenken über dem Bundesdurchschnitt. Seit dem Regierungswechsel haben wir 300.000 Arbeitslose weniger und 240.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr. Sie werden zugeben: Bei solchen Raten hätten unsere Vorgängerregierungen tagelang die Glocken läuten lassen. Wir haben also wirklich keinen Grund, mit der wirtschaftlichen Lage unzufrieden zu sein. Sie werden sich deshalb vielleicht fragen, warum wir ausgerechnet bei einem solchen Höhenflug einen solchen Antrag stellen.

Meine Damen und Herren, wir dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Wir müssen Vorsorge treffen, damit wir erfolgreich bleiben. Im 17. Jahrhundert hat ein Jesuit ein sehr lesenswertes Büchlein über die Kunst der Weltklugheit geschrieben. Er hat festgestellt, der Kluge und der Dumme tun am Ende immer das Gleiche – der eine tut es zur rechten Zeit, der andere legt den Deckel auf den Brunnen, wenn das Kind hineingefallen ist.

Unser Ministerpräsident Jürgen Rüttgers gehört zweifellos zu den klugen Menschen. Deshalb ist er um Vorsorge bemüht. Wir haben das gestern schon in der Haushaltsdebatte mitbekommen. Er hat nie gesagt, dass wir eine Rezession haben. Er

sieht aber Anzeichen dafür, dass eine Rezession kommen könnte, die uns alle empfindlich treffen würde. Die Risikofaktoren, die er ausgemacht hat, sind die internationale Finanzkrise, die Rohstoff- und Energiepreise als einer der zentralen Punkte sowie die Inflation und die damit zusammenhängende Konsumschwäche.

Wir haben uns in unserem Antrag darauf konzentriert, den Risikofaktor „Rohstoff- und Energiepreise“ zu beleuchten und Vorsorge zu treffen, damit dieser Risikofaktor nicht zu einem wirklichen Risiko wird und dann zu einem wirtschaftlichen Abschwung, zu einer Rezession führen könnte. Wir wollen also vorbeugen.

Mit Blick auf die energiepolitische Situation in Deutschland – wir haben gestern auch schon kurz über längere Laufzeiten für Atomkraftwerke geredet – und auf unsere europapolitischen, bundespolitischen und landespolitischen Ziele bezüglich des Klimaschutzes müssen wir uns schon Gedanken darüber machen, wie wir zu bezahlbaren Preisen Versorgungssicherheit, preiswerten Strom für Wirtschaft und Verbraucher sowie Klimaschutz gemeinsam auf die Reihe bekommen.

Wenn wir die sicheren und völlig funktionsfähigen Kernkraftwerke in Deutschland abschalten und deren Leistung durch erneuerbare Energien ersetzen, führt dieser Austausch von 140 Millionen Terawattstunden Atomenergie gegen die entsprechende Menge erneuerbarer Energien dazu – das habe ich Ihnen gestern schon einmal in einem einfachen Dreisatz vorgerechnet –, dass sich der Strompreis in Deutschland mindestens verdoppelt und wahrscheinlich sogar auf das Zweieinhalbfache steigt.

Was das für Wirtschaft und Verbraucher bedeutet, brauche ich Ihnen nicht näher auszuführen. Doppelte Energiepreise wären für uns eine Katastrophe – insbesondere dann, wenn eine solche Preisverdoppelung in anderen Ländern nicht stattfindet. Daher müssen wir uns davor hüten, dass es dazu kommt.

Deswegen fordern wir in unserem Antrag zwei Dinge. Erstens wollen wir unter Kostengesichtspunkten längere Laufzeiten für Atomkraftwerke. Zweitens wollen wir aber auch eine Brückentechnologie nutzen können, die die Versorgungssicherheit garantiert, bis andere CO2-freie Energieträger in ausreichendem Umfang preiswert verfügbar sind.

Wir haben auch darauf hingewiesen, dass unserem Wirtschaftsstandort auf europäischer Ebene eine weitere Gefahr droht, wenn es ab 2013 in allen Bereichen – dann nicht nur bei den Kraft

werksbetreibern, sondern auch im industriellen Bereich – zu einer Vollauktionierung von Emissionszertifikaten kommt.

Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Sie sich bewusst sind, was eine Vollauktionierung von CO2-Zertifikaten beispielsweise für die Stahlindustrie bedeutet. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel, dass beispielsweise ThyssenKrupp, das jetzt schon in Brasilien baut und auf den nordamerikanischen Markt mit Zukäufen ein Auge geworfen hat, dann in Deutschland auf Dauer nichts mehr produziert, weil sich das überhaupt nicht mehr rechnet. Es braucht die CO2-Mengen, um den Produktionsprozess technisch durchführen zu können. Wenn es sie bezahlen muss, während andere nicht dafür bezahlen, ist der Produktionsstandort Deutschland tot.

Diese Punkte muss man sehen. Hier muss Vorsorge getroffen werden. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt.

Ich will gleich noch eines hinzufügen. Einige Leute sagen, das sei ja eine ganz billige Operation: Wir fordern eine Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken, obwohl wir in diesem Bundesland überhaupt keine haben, und machen uns damit einen schlanken Fuß. – Meine Damen und Herren, so einfach kann man das nicht sehen. Ich bin auch bereit, mit Ihnen oder den zuständigen Leuten darüber zu diskutieren, was bei einer solchen Laufzeitverlängerung passieren muss – als Gegenwert, wenn man so will –; denn selbstverständlich fallen bei den Unternehmen erhebliche Zusatzgewinne an, wenn abgeschriebene Kernkraftwerke länger laufen.

Nun bin ich kein Planwirtschaftler; das wissen Sie. Ich denke aber, dass wir über die Verwendung dieser Zusatzgewinne – wenn es denn dazu kommt – mit den entsprechenden Unternehmen einen Konsens dahin gehend herbeiführen müssen, dass sie dann tatsächlich im Sinne einer Brückentechnologie eingesetzt werden, um dafür Sorge zu tragen, dass wir die erneuerbaren Energien, die CO2-freien Energien, weiter nach vorne bringen.

Ich will mich hier nicht auf Zahlen im Einzelnen festlegen, das macht keinen Sinn, damit belastet man die Verhandlungen nur. Aber sicher ist eines: Genauso wenig, wie wir Windfallprofits durch die Einpreisung von Zertifikaten, die gar nicht bezahlt werden, haben wollen, wollen wir Zusatzgewinne auf der Unternehmensseite haben, wenn es um eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung geht, die CO2-freie Energieversorgung mithilfe von Lautzeitverlängerungen besser vorzubereiten.

Von daher halte ich diesen Antrag für einen klugen und vernünftigen Ansatz. Wir müssen die Energieversorgung besser absichern, um Wachstum und Beschäftigung in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen zu stärken, damit wir weiter an der Spitze der Entwicklung bleiben. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Weisbrich. – Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Brockes.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sichere Versorgung mit Energie ist das Rückgrat unserer Wirtschaft. Dies gilt ganz besonders für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen. Die Wettbewerbsfähigkeit, die uns eine im internationalen Vergleich sichere Energieversorgung gewährleistet, gilt es auch in Zukunft zu bewahren.

Meine Damen und Herren, in Bezug auf eine zukunftsfähige Energieversorgung verfolgen wir gleichermaßen die Ziele der Versorgungssicherheit, der Preisstabilität und der Umweltverträglichkeit. Das ist der Anspruch, den wir an eine Energieversorgung der Zukunft haben müssen.

Dazu brauchen wir einen angemessenen Energiemix. Darin müssen zwangsläufig sowohl Kohlekraftwerke, erneuerbare Energien, aber auch die CO2-freie Kernenergie ihren Platz haben. Das Märchen, man könne eine sichere und bezahlbare Energieversorgung ohne Kohlekraftwerke und ohne Kernkraftwerke erreichen, glaubt doch inzwischen keiner mehr.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, dieses Wolkenkuckucksheim, in dem die eierlegende Wollmilchsau wohnt, ist eine reine Verdummung der Bürgerinnen und Bürger.

(Thomas Eiskirch [SPD]: Eins von beiden braucht man!)

Nur Frau Ypsilanti, Herr Scheer, Herr Eiskirch scheinbar und Frau Höhn halten das immer noch für realistisch.

(Zuruf von Thomas Eiskirch [SPD])

Meine Damen und Herren, schauen wir uns das Ganze doch einmal im internationalen Vergleich an. Wie sieht es da mit der CO2-freien Kernenergie aus? Außer in Deutschland hält nämlich niemand mehr – kein einziges Land! – am Atomausstieg fest. Es denkt auch kein anderes Land dar

über nach, auszusteigen. Schweden hat den Ausstieg revidiert und nach zwei Abschaltungen seine restlichen Kernkraftwerke aufwendig modernisiert. Belgien und die Niederlande, unsere direkten Nachbarn, haben bereits 2005 ihren Ausstieg aus dem Ausstieg verkündet. Die Niederlande bauen bis 2015 sogar vier neue Kernkraftwerke ebenso wie Italien, das 1990 ebenfalls aus der Kernenergie ausgestiegen war.

(Uwe Leuchtenberg [SPD]: Da brauchen Sie doch kein Krefelder Kohlekraftwerk!)

Finnland baut das größte Kernkraftwerk überhaupt mit 1.600 Megawatt Leistung. Herr Priggen, sonst schauen die Grünen doch immer, was in Skandinavien gemacht wird.

(Beifall von der FDP)

Großbritannien baut sechs neue Anlagen. China plant 24 neue Reaktoren, die USA zwölf und Japan elf.

(Zuruf von Thomas Eiskirch [SPD])

Tschechien, Polen und die Schweiz planen neue Reaktoren direkt an den Grenzen zur Bundesrepublik.

Meine Damen und Herren, das sind nur einige Beispiele. Kann es dann noch richtig sein, dass wir weiterhin am Ausstieg festhalten?

(Uwe Leuchtenberg [SPD]: Ja, kann es!)

Ich glaube nicht, meine Damen und Herren. Liebe Kolleginnen und Kollegen seitens der SPDFraktion, ich weiß ja, dass Sie uns von den Regierungsfraktionen in der Regel nicht zuhören bzw. dass Sie unsere Ratschläge nicht annehmen.

(Thomas Eiskirch [SPD]: Das ist langweilig!)

Aber dann hören Sie doch wenigstens einmal auf Ihre eigenen Leute, auf die Personen in Ihren eigenen Reihen. Altkanzler Schmidt und der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Wolfgang Clement haben es doch schon längst erkannt, Herr Kollege Eiskirch.

(Beifall von der FDP – Thomas Eiskirch [SPD]: Hören Sie auf Frau Hambücher?)

Sie, lieber Herr Eiskirch, würden sehr gut daran tun, den alten Granden in Ihrer Partei Gehör zu schenken, anstatt sie aus Ihrer Partei hinauszuwerfen und ihnen sogar freie Meinungsäußerung zu verwehren.

(Beifall von FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Die Kosten, die der Ausstieg

aus der Kernenergie uns aufbürdet, sind ein volkswirtschaftliches Desaster. Allein für Bayern wurden die Kosten bis 2030 auf 60 Milliarden € errechnet. Das, meine Damen und Herren, müssen Sie als Stromkunden zahlen. Es ist nicht auszumalen, was dies bundesweit bedeuten würde. Ich freue mich auf die weitere Beratung. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Danke schön, Herr Brockes. – Für die SPD spricht nun Herr Kollege Leuchtenberg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich kann nachvollziehen, dass Reiner Priggen die Kollegen von der FDP schon einmal in die Nähe einer Sekte gestellt hat. Der gerade gehörte und die gestrigen Wortbeiträge haben diesen Eindruck bei mir noch verstärkt.

(Svenja Schulze [SPD]: Ja!)

Dennoch ist das Bild nicht ganz zutreffend. Man tut den meisten Sekten damit unrecht. Sekten haben nämlich häufig charismatische Anführer – die sehe ich bei Ihnen überhaupt nicht –,

(Beifall von der SPD)