Was hat die Landesregierung unternommen, meine Damen und Herren? – Die Justizministerin hat schon lange vor dem Vorfall in Siegburg das Gewaltgutachten in Auftrag gegeben. Das haben Sie
in Ihrem länglichen Vortrag gar nicht erwähnt. Warum, haben Sie, wenn Sie sich fair mit Situationen auseinandersetzen, nicht ein Wort darüber verloren, dass die Ministerin mit der zunehmenden Gewalt – einer Situation, die sie vorgefunden und von Herrn Gerhards übernommen hat – nicht zufrieden war, ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, um zu erforschen, worauf die Gewalt beruht? Darüber haben Sie kein Wort verloren.
Ich will es an dieser Stelle aber tun, weil ich finde, dass das zu einer fairen Auseinandersetzung gehört. Ich will der Ministerin ausdrücklich dafür danken, dass sie das schon lange vor Siegburg auf den Weg gebracht hat.
Dann haben Sie wieder einmal unterschlagen, dass die kw-Vermerke von Ihrem Herrn Gerhards ausgebracht und von unserer Ministerin gestrichen wurden. Es ist einfach unglaublich, wie der ehemalige Justizminister Gerhards im Untersuchungsausschuss davon gesprochen hat, die Zustände im Strafvollzug seien ganz schlimm gewesen, aber man hätte Überstunden abbauen müssen. Er hat sich jedenfalls ganz anders eingelassen, als er das früher im Ausschuss getan hat. Das weiß nicht nur der Kollege Sichau, sondern das wissen andere auch. Der wahre Übeltäter – wenn wir denn einen haben – ist in meinen Augen der ehemalige Justizminister Gerhards. An den sollten Sie Ihre Sonntagsreden richten, lieber Herr Stotko.
Wenn wir uns überlegen, wie die Arbeit im Ausschuss gelaufen ist, möchte ich mich am Ende für die sachliche Arbeit des Kollegen Groth ganz herzlich bedanken. Der Kollege Groth hat von Anfang an das in den Vordergrund gestellt, was wichtig ist. Es geht nämlich um die Frage, wie wir nach vorn blicken können. Was können, was müssen wir im Strafvollzug ändern? Was können wir in Zukunft besser machen? Er hat diese Fragen gestellt, anstatt wie die SPD eine Scheinzuständigkeit/Scheinverantwortlichkeit zu konstruieren, was ich unerträglich finde.
Fordern Sie Herrn Gerhards auf, seine Ministerpension zurückzugeben. Das wäre das Vernünftigste, was Sie machen können. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Orth. – Ich darf nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Löhr
Schönen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte kurz erklären, warum ich hier vorne stehe und nicht der Kollege Groth, damit Sie das einordnen können. Wie einige wissen, sind der Kollege Groth und seine Familie in freudiger Erwartung von Nachwuchs. Der Herr Kollege Groth ist heute als werdender Vater gefragt. Ich hoffe, dass ich in Ihrer aller Namen gute Wünsche ausrichten kann. Diese Information einfach nur vorneweg.
Meine Damen und Herren, die Debatte zeigt, was wir im Grunde von Anfang an befürchtet haben, dass es nämlich zu einer sehr stark schwarz-weiß gefärbten Auseinandersetzung kommt, einem Schlagabtausch, der der Sache und dem schrecklichen Anlass, den wir alle bedauern, nicht gerecht wird. Ich habe schon bei anderer Gelegenheit zu dieser Fragestellung gesprochen.
Herr Giebels, nach Ihrem Beitrag sehe ich auch keinen Anlass, sich selbstzufrieden zu geben und in Triumphgeheul darüber auszubrechen, was die eine Regierung gemacht hat und die andere nicht. Dazu und zur Schwarz-Weiß-Malerei besteht auf keiner Seite ein Anlass.
Deswegen möchte ich gleich zu Beginn sagen, was unsere Fraktion ausdrücklich begrüßt: dass es über den Umweg des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses gelungen ist, mit dem heutigen Tage eine Enquetekommission einzusetzen, in der wir Vorschläge für eine effektive Präventionspolitik in Nordrhein-Westfalen erarbeiten und hoffentlich auch beschließen werden. Der Umweg über den PUA war offensichtlich notwendig. Ich danke der SPD ausdrücklich dafür, dass sie seinerzeit für die Einsetzung dieses Parlamentarischen Untersuchungsausschusses gesorgt hat, den wir mitgetragen haben, obwohl wir einen anderen Vorschlag unterbreitet hatten.
Meine Damen und Herren, ich bin fest davon überzeugt: Nur wenn wir erkennbare Mängel sofort beseitigen und uns gleichzeitig mit den Fragen der Entstehung und der Eindämmung jugendlicher Gewalt und Kriminalität beschäftigen, nur dann werden wir unserer parlamentarischen Gesamtverantwortung für das Tatgeschehen von Sieg
burg in vollem Maße gerecht. Das kann nur gelingen, wenn wir uns für diese Herkules-Aufgabe gemeinsame, von allen Fraktionen getragene Ziele setzen und auf gegenseitige parteitaktische Schuldzuweisungen verzichten.
Meine Damen und Herren, damit bin ich beim Thema „Teilschlussbericht“ und komme zu den Mängeln und Missständen in der JVA Siegburg. Das, was sich – um es gleich vorneweg zu sagen – im Laufe der Untersuchungstätigkeit an Missständen und Mängeln im Jugendstrafvollzugswesen in NRW offenbarte, hat mich und uns alle berührt. Es sollte unser aller Verantwortungsgefühl als Politiker wecken. Ich hoffe und gehe davon aus, dass ich hier für uns alle spreche.
Weil sie in der Debatte alle schon Erwähnung fanden, erlaube ich mir bezüglich der Hauptmängel einen Schnelldurchlauf: Jahrelange Überbelegung bei chronischem Personalmangel im Allgemeinen Vollzugsdienst und beim Sozialdienst sowie ein hoher Krankenstand überfordern das Vollzugspersonal. Bei den jungen Gefangenen führen diese Missstände zu überlangen Einschlusszeiten, gerade auch an Wochenende, sowie zu einem eklatanten Mangel an psychosozialer Betreuung, an Sport- und Ausbildungsmöglichkeiten.
Wenn ein sogenannter Fernsehvollzug in Siegburg allgegenwärtig war, Anti-Gewalttrainings und Ähnliches mangels Personals nicht angeboten wurden, verwundert es nicht, dass die Gewalt unter den Gefangenen nicht systematisch abgebaut werden konnte. Im Gegenteil!
Was uns stark beunruhigt, ist, dass sich das System Strafvollzug offensichtlich zu großen Teilen mit diesen Missständen abgefunden hat. Ich sage ausdrücklich „System“, damit klar wird: Es geht nicht darum, Einzelnen Schuld zuzuweisen, sondern darum, dass das System diese Verhaltensweisen bedingt, dass man sich damit fast zwangsläufig und systembedingt einrichtet.
Tatkraft und ideenreiches Engagement für ein Abstellen der seit vielen Jahren bekannten Missstände sind nur vereinzelt aufgeblitzt. Aber auch das ist vorhanden und tritt dann zum Glück sehr kraftvoll und bestimmt in Erscheinung.
Auch wenn es niemals eine Garantie dafür geben kann, dass Gewaltvorfälle in Haftanstalten unter den Gefangenen mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden können, sind die Politik und alle
staatlichen Organe in NRW in der Pflicht, das ihnen Mögliche zu leisten, um die Voraussetzungen für einen erziehenden und resozialisierenden Jugendstrafvollzug ständig zu verbessern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Rücktrittsforderungen sind zwar manchmal gerechtfertigt, aber in diesem Falle unseres Erachtens nicht mehr angebracht.
Wir jedenfalls sehen uns nach den umfangreichen Untersuchungen des Ausschusses nicht dazu in der Lage, einzelne der festgestellten Missstände und Mängel als allein ursächlich für die Ermordung des jungen Häftlings am 11. November 2006 zu bestimmen. Dies würde die vielschichtige Wirklichkeit grob und fahrlässig vereinfachen; denn die Unzulänglichkeiten sind viel zu komplex und miteinander verwoben. Den Problemen sowie den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen der Jugendstrafvollzug in NRW stattfindet, würde das nicht gerecht werden können.
Ohne die Ministerin von ihrer politischen Verantwortung befreien zu wollen, müssen wir daher feststellen, dass die Art und Weise ihrer Amtsausübung im Vorfeld der Tat für die Tatgeschehnisse am 11. November 2006 nicht kausal war. Der Ministerin kann somit eine persönliche Mitschuld an dem Geschehen nicht vorgeworfen werden.
Von unserer am Anfang geäußerten Kritik daran, wie die Ministerin im Zusammenhang mit der Tat agiert hat, haben wir allerdings ausdrücklich nichts zurückzunehmen. Das sage ich auch an dieser Stelle ausdrücklich.
Selbstverständlich bleibt die politische Gesamtverantwortung für die Vorfälle an das Amt der Justizministerin gebunden; denn das Opfer wurde unter der Obhut des Staates gefoltert und getötet, und die Täter wurden erst in der Justizvollzugsanstalt Siegburg zu Mördern.
Auch wenn wir mit der politischen Bewertung der Untersuchungsergebnisse mit der Regierungsmehrheit ausdrücklich nicht konform gehen, begrüßen wir es, dass auch die Regierungsfraktionen in ihrem Teilabschlussbericht zu den Geschehnissen in der JVA Siegburg eine Vielzahl von Mängeln und Missständen festgestellt und niedergeschrieben haben. Diese Feststellungen sind mit unseren zum Teil deckungsgleich. Das möchte ich hervorheben.
Mit der Drucksache 14/6900 liegen die Ergebnisse der Ermittlungen des Untersuchungsausschusses zu den unhaltbaren Zuständen in der JVA Siegburg auf dem Tisch. Dahinter kann auch die jetzige Regierung nicht mehr zurück, egal, welche Schuldzuschreibungen an die Vorgängerregierung der CDU/FDP-Regierung vorgenommen werden.
Wir werden die jetzige Regierung fortwährend mit ihrem Mehrheitsbericht konfrontieren, wenn die Reformüberlegungen nicht entsprechend in die Tat umgesetzt werden.
Ich bin mir sicher, dass die Mängel, die in Siegburg vorherrschten, auch in anderen Haftanstalten zu ähnlichen Problemen führten – und weiterhin führen werden, wenn nicht wirksam gegengesteuert wird. Deshalb müssen die Zustände in unseren Haftanstalten insgesamt weiter verbessert werden.
Dafür bekämen die Frau Ministerin und welche Mehrheit auch immer in diesem Hause von uns jede Unterstützung. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Löhrmann. – Als nächster Redner hat Herr Kollege Jäger für die SPD-Fraktion das Wort. In der Zeit, bis er am Rednerpult steht, möchte ich allerdings im Namen des gesamten Hauses dem Kollegen Groth und der werdenden Mutter alles Gute wünschen.
Herr Dr. Orth, Sie haben sich schon einmal, zusammen mit Herrn Giebels, bei Herrn Stotko und mir entschuldigen müssen. Herr Giebels, wie ich feststelle, haben Sie das nur halbherzig getan.
Herr Dr. Orth, ich fordere Sie als Vorsitzenden des Rechtsausschusses auf, mir den Protokollauszug vorzuzeigen, in dem festgehalten ist, dass ich von „grillen“ gesprochen habe, oder sich ein zweites Mal bei mir zu entschuldigen. Ich bin bereit, das anzunehmen. Doch die Stelle werden Sie mir zeigen, Herr Dr. Orth.
Sehr geehrte Damen und Herren, Hermann ist über Stunden gefoltert und letztendlich ermordet worden. Die drei Täter wurden vor Gericht gestellt und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Dieser Mord geschah allerdings nicht irgendwo an einem anonymen Ort – in irgendeinem Keller, einer Wohnung oder sonst wo. Dieser Mord geschah zu einem Zeitpunkt, als sich Hermann in der Obhut des Staates befand. Zum Zeitpunkt des Mordes war er Insasse einer nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalt, nämlich der JVA Siegburg.
In der Urteilsbegründung für diese drei Täter wird, wie ich finde, relativ kühl juristisch dargelegt, wie Hermann über Stunden bestialisch gefoltert, gedemütigt und sexuell missbraucht wurde. Am Ende, jedes Lebenswillens beraubt, fleht er seine Peiniger an, das Martyrium durch seinen Tod zu beenden.
Das ist in der Urteilsbegründung relativ kühl juristisch formuliert. Ich gestehe, es war für mich – und, ich glaube, auch für viele andere in diesem Untersuchungsausschuss – das Furchtbarste, womit ich mich in den acht Jahren meiner Abgeordnetentätigkeit in diesem Hause habe auseinandersetzen müssen.