Wir können gerne durchzählen. Aber das wäre doch albern! Ich stelle einfach fest, dass Sie einen Antrag schreiben und damit noch nicht einmal Ihre eigene Mannschaft hinter sich bringen.
Die Themen kommen mir – wie bereits meiner Kollegin Ingrid Hack aus der Enquetekommission – äußerst bekannt vor. Die Ergebnisse der Enquetekommission stehen kurz vor der Fertigstellung. Im Hinblick darauf frage ich mich: Was soll dieser Show-Antrag hier und heute in der Öffentlichkeit? Wollten Sie das Recht des ersten Aufschlags? Ich habe die bisherige Debatte intensiv verfolgt und dabei nur von Herrn Lindner konstruktive und weiterführende Ergänzungen gehört, ansonsten aber im Wesentlichen nur Plattitüden.
Deutlich wird, dass auf eineinhalb Seiten lediglich eine Selbstbeweihräucherung der Regierungsarbeit stattfindet. Eine solche sind wir inzwischen von Ihnen gewöhnt. Aber Regierungshandeln muss nun einmal auch eine gewisse Kontinuität aufweisen. Das gilt übrigens auch für die U3Plätze. Ich erinnere daran, dass Sie 2005 bereits 15.722 U3-Plätze in Nordrhein-Westfalen vorgefunden haben.
Ich erinnere daran, Herr Laumann, dass Ihre Aussage, wir seien Schlusslicht gewesen, nicht stimmen. Ich weiß sehr genau, dass Niedersach
Wir haben das getan, was andere Flächenländer auch getan haben. Renate Schmidt hat in der Bundespolitik das auf den Weg gebracht, was Ulla von der Leyen jetzt umsetzt. Ich sage ganz deutlich: Diesbezüglich ist Produktpiraterie betrieben worden!
(Beifall von der SPD – Minister Karl-Josef Laumann: Und Gerhard Schröder hat von „Gedöns“ gesprochen!)
Aber wir sind froh, wenn für die Kinder etwas auf den Weg gebracht wird. Deshalb ist es uns egal, wer die Ideen am Ende umsetzt. Hauptsache ist, dass jedes Kind zählt und wir vernünftige Lebensbedingungen für die Kinder in Nordrhein-Westfalen schaffen. Viele Ideen, deren Urheberschaft Sie heute reklamieren, gab es bereits vorher, viele Maßnahmen waren schon angelegt und werden fortgeführt oder weiterentwickelt. Darüber hätten Sie auch etwas sagen können.
Sie wollen die Menschen in NRW glauben machen, im Jahr 2005 hätte ein Urknall einen umfassenden Neubeginn bewirkt. Das stimmt aber nicht! Ich nenne nur ein Beispiel: Die Initiativen zur Erprobung von Frühwarnsystemen wurden bereits vor 2005 auf den Weg gebracht und nun von Herrn Laschet weiterentwickelt. Das begrüßen wir. Über diese Kontinuität freuen wir uns.
Doch bei der Umsetzung hapert es. Die finanzielle Unterstützung dieser Frühwarnsysteme fällt mit 10.000 € mehr als mager aus. Die finanzielle Hauptlast dafür trifft wiederum die Kommunen, über deren unterschiedliche Leistungsfähigkeit wir schon des Öfteren diskutiert haben.
Mit wohlgesetzten Worten gibt der Antrag vor, dem Wohle der Kinder in NRW zu dienen. Jedes Kind zählt. Kein Kind darf verloren gehen. – Das sieht die SPD-Fraktion genauso. Da gibt es keinen Dissens, Herr Laumann, überhaupt nicht.
Wenn das alles schon gesagt wurde, kommt es umso mehr auf die Taten an, Herr Laumann! Die sind bei Ihnen zurzeit auch noch nicht festzustellen.
Die SPD-Fraktion freut sich sehr, dass die Erkenntnis nun auch bei den Regierungsfraktionen angekommen ist. Wir sind mit Ihnen der Meinung, dass alle Familien und Kinder die Hilfe bekommen müssen, die sie auch tatsächlich benötigen.
(Minister Karl-Josef Laumann: Warten Sie mal ab! – Gerda Kieninger [SPD]: Was sollen wir abwarten? – Weitere Zurufe von der SPD)
Ich möchte sehr darum bitten, Kolleginnen und Kollegen, dass wir der Rednerin zuhören und die privaten und zum Teil angeregten Diskussionen außerhalb dieses Saales führen. Das wäre angenehm. – Frau Hendricks, Sie haben das Wort.
Doch bei der Umsetzung kommt Ihnen Ihr leitender Wettbewerbsgedanke verbunden mit dem Streben, Aufgaben und Verantwortlichkeiten abzuschieben, in die Quere. Dieses Prinzip führt nämlich dazu, dass eben nicht jedes Kind in NRW gleich viel zählt.
Ein anderes massives Hindernis ist Ihre ideologisch eng geführte Schulpolitik, die durchaus die Frage nahelegt, ob eine – ich zitiere hier – „Teilhabe an den Chancen der Bildungsförderung“ wirklich gewollt ist, wie es in dem Antrag bezeichnend formuliert ist.
Wir wollen nicht nur von Teilhabe und Chancen reden, wir wollen, dass jedes Kind entsprechend seiner individuellen Begabung optimal gefördert wird.
Selektion, insbesondere soziale Selektion im Bildungssystem, erzeugt Bildungsarmut. Wer die Zukunft der Kinder und damit die Zukunft dieses Landes sichern will, muss Bildungsarmut in der Kindheit und Jugend vermeiden. Er muss allen Kindern einen barrierefreien Zutritt zu allen Bildungsmöglichkeiten eröffnen.
Wir stimmen Ihnen zu, dass der individuellen Bildungsförderung eine besondere Bedeutung zukommt. Individuelle Förderung war und ist Auftrag der Kita. Sie wurde vor ihrem KiBiz durch die Bildungsvereinbarung von Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht, genauso wie die Bildungsdokumentationen. Sie war auch immer Bestandteil der Curricula der Schulen. In allen Curricula findet sich seit Mitte der 80er-Jahre ein eindeutiger Hinweis darauf, dass individuelle Förderung sozusagen Kernaufgabe der Schule ist.
Wie schwierig die Realität der Umsetzung ist, merken Sie jetzt gerade selber. Mit hehren Worten allein können Sie individuelle Förderung nicht umsetzen. Dazu braucht es mehr als Worte: Es braucht Zeit, es braucht Ressourcen, es braucht Personal, es braucht Unterstützungssysteme, und es braucht Entwicklungszeit.
Was „kein Kind zählt“ in diesem Land bedeutet, erfahre ich täglich, wenn mich Eltern anrufen, die verzweifelt sind, weil sie im Rahmen der Übergangsgutachten ein „vielleicht geeignet“ für Gymnasium oder Realschule nicht bekommen haben. Daran kann man ganz deutlich feststellen, dass Sie mit Ihrer Bildungspolitik eben nicht jedes Kind zählen lassen wollen,
sondern dass sie völlig ideologisch verbrämt versuchen, Ihre Politik umzusetzen, ohne Rücksicht auf die Menschen zu nehmen.
Und ich füge hinzu: Auch die Nichtgründung von Gesamtschulen, die Sie vehement in diesem Land zu verhindern versuchen, ist sozusagen etwas, was Sie gegen die Eltern und die Kinder in diesem Land tun.
Kein Kind zu verlieren bedeutet, Angebote für Kinder mit besonderen Bedürfnissen zu schaffen. In der Frühpädagogik sind solche Angebote noch stark unterentwickelt. Ein differenziertes, die besonderen Bedürfnisse dieser Kinder aufnehmendes Angebot ist dringend erforderlich. In den Kindertageseinrichtungen ist eine nicht unbeträchtliche Zahl von Kinder anzutreffen, die Entwicklungsauffälligkeiten oder -risiken zeigen. Das betrifft eben nicht nur die Sprachentwicklung, auf die Sie sich zurzeit kapriziert haben; vielmehr ist eine umfassende Förderung notwendig.
Ein Risikofaktor mit nachhaltigen und sehr komplexen Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung stellt Armut dar. In den Schulen haben Sie es
in der Zwischenzeit geschafft, dass es teilweise für Kinder ein Mittagessen gibt. ALG-II-Empfänger haben immer noch keine Lernmittelfreiheit. Meine Damen und Herren, die Initiativen auf Bundesebene, die Sie aufgegriffen haben, werden zurzeit von Ihren CDU-Kollegen im Bund torpediert, obwohl Herr Finanzminister Steinbrück deutlich signalisiert hat, dass er sich vorstellen könnte, Regelungen für ein warmes Mittagessen mitzutragen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen anderen Bereich hinweisen: Der Nachteilsausgleich bei Kindern mit Legasthenie und Dyskalkulie ist in diesem Land nicht sichergestellt. Jedes Kind, meine Damen und Herren, zählt. Jedes Kind hat einen besonderen Förderbedarf, und er kann eben nicht nur über den allgemeinen individualen Anspruch abgeleitet werden, sondern er braucht teilweise deutlich mehr.
Sie haben Ihre Aufgaben noch nicht gemacht. Wir warten ab, was in Ihrer Regierungszeit noch passiert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, Frau Hack, zuerst auf Sie eingehen. Sie werfen uns vor, politisch zu handeln, bevor die Enquetekommission „Chancen für Kinder“ zu einem Ergebnis kommt. Das ist doch wohl Hohn.
Glauben Sie etwa, Sie könnten hier ein Denkverbot aussprechen, nur weil eine Enquetekommission arbeitet? Für uns stehen Kinder und Familien im Mittelpunkt. Daher haben wir hier Dinge eingeleitet, von denen Sie jahrelang nur geredet haben.