Protocol of the Session on March 13, 2008

Weil die beste Bewerbung die Praxis ist, ist Zeitarbeit besser als Arbeitslosigkeit. Wer seine Fähigkeiten beweisen kann und Wissen in unterschiedlichen Unternehmen sammelt, steigert seine Chancen, durch Leistung einen Arbeitgeber zu überzeugen und eingestellt zu werden.

Der Anteil der Leiharbeit an der Gesamtarbeit in Deutschland liegt bei etwa 2,3 %, mit weiter steigender Tendenz.

Schon in der letzten Debatte am 21. Februar 2008 haben wir im Plenum festgestellt, dass sich – mit rund 128.000 Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern – die Zahlen in Nordrhein-Westfalen im Zeitraum von 2000 bis 2007 mehr als verdoppelt haben. Das sind Zahlen, mit denen wir unser Niveau in der Leiharbeit an Verhältnisse wie in den Niederlanden mit 2,5% der Beschäftigten, in Frankreich mit 2,1 % der Beschäftigten und in England mit 5 % der Beschäftigten angleichen.

Die Reform der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung ist noch nicht lange her. Mir ist wichtig,

dass wir, wenn jetzt darüber diskutiert wird, Teile der Reform rückgängig zu machen, möglichst auf der Basis einer objektiven Analyse der tatsächlichen Verhältnisse sprechen.

Zur Abschätzung des tatsächlichen zahlenmäßigen Anteils eines missbräuchlichen Einsatzes der Leiharbeit mithilfe von Regelungen, die zwar rechtskonform sind, aber gegen den Geist der Reform der Arbeitnehmerüberlassung gerichtet sind, fehlen aktuell allerdings weitgehend wissenschaftlich fundierte Zahlen. Die Betriebsrätebefragung der IG Metall kann dabei bestenfalls zu einem Ausschnitt der Branche Aussagen machen. Fundierte Erkenntnisse über die gesamte Branche liegen aktuell nicht vor.

Herr Schmeltzer, das war der Ausgangspunkt für meine Entscheidung, dass Nordrhein-Westfalen in einem ersten Schritt mit einer entsprechenden Untersuchung Anstöße für eine fundierte Debatte geben wird. Solche Untersuchungen brauchen wir dann aber auch auf der Bundesebene.

Ich werde also ein Gutachten über die Auswirkungen der Zeitarbeit in Nordrhein-Westfalen erstellen lassen, damit wir wissenschaftlich fundierte Zahlen haben, wie die Situation in dieser Frage ist.

Auch aus meiner Sicht gibt es Entwicklungen, die mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden müssen. Dazu gehören sicherlich die Erkenntnisse aus dem Organisationsbericht der IG Metall.

Ich nenne insbesondere Ausgründungen von Betriebsteilen in Zeitarbeitsunternehmen, um dann die Zeitarbeitnehmer statt anderer Beschäftigter einzusetzen, und eine deutlich höhere Beschäftigungsquote von Zeitarbeitnehmern in den Betrieben, als für die Organisation eines vernünftigen Flexibilitätskorridors der Beschäftigten erforderlich wäre. Wenn die mir bekannt gewordenen Zahlen stimmen, lag bei Nokia wohl ein solches Missverhältnis vor.

Zu einer versachlichenden Debatte gehört allerdings auch, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Zeitarbeit in vielen Fällen eben nicht zur Lohnkostenersparnis eingesetzt wird. In vielen Fällen erfüllt sie die notwendige Aufgabe, Schwankungen in der Auftragslage vernünftig abzufedern.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Der Flexibilitäts- gedanke! Das ist richtig!)

Zu berücksichtigen ist nämlich: Die Zeitarbeitsunternehmen stellen den entleihenden Betrieben in der Regel einen Zuschlag von 100 bis 130 % zu den jeweiligen Tariflöhnen der Beschäftigten in Rechnung. Selbst bei niedrigen Tariflöhnen bleibt

für die entleihenden Unternehmen nur selten eine Ersparnis bei den Lohnkosten übrig.

Bei aller Kritik am Lohnniveau der Tariflöhne der Zeitarbeit: Diese Tarifverträge sind von den Tarifvertragsparteien, also von den Gewerkschaften und den Arbeitgeberorganisationen, einvernehmlich abgeschlossen worden. Wer sie kritisiert, kritisiert auch beide Tarifvertragsparteien. Positiv finde ich im Übrigen, dass die Tarifbindung in der Zeitarbeitsbranche, auch aufgrund des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, bei sicherlich rund 100 % liegen wird.

Schließlich gelten bei Massenentlassungen, wie übrigens auch bei allen anderen Entlassungen, auch für Unternehmen der Zeitarbeitsbranche alle gesetzlichen Regelungen, die in allen anderen Branchen ebenfalls beachtet werden müssen. Natürlich gilt der Kündigungsschutz mit allen Folgen völlig uneingeschränkt auch in der Zeitarbeitsbranche.

Dass Betriebe durch die tatsächliche Rechtsgestaltung immer wieder bestimmte, für sie unerwünschte Rechtsfolgen ausschließen wollen – und dies auch zum Nachteil der Beschäftigten tun –, ist keine Besonderheit der Zeitarbeitsunternehmen. Die Art und Weise, wie Nokia als wirtschaftlich erfolgreicher Betrieb den Standort Bochum aufgibt, ist, denke ich, ein Beispiel dafür. Und Nokia ist eben keine Zeitarbeitsfirma.

Die Gesamtdiskussion über die Zukunft der Zeitarbeit in Deutschland kann man aber nicht alleine an Einzelfällen wie Nokia festmachen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist richtig!)

Bei aller Bedeutung des Falles Nokia für Deutschland, Nordrhein-Westfalen und vor allen Dingen auch für Bochum ist er doch kein Spiegelbild der gesamten Zeitarbeitsbranche. Eine Verengung auf diesen Einzelfall kann nicht das Rezept sein, um die Zukunft der Zeitarbeit in Deutschland insgesamt zu gestalten. Das wäre ein Schuss aus der Hüfte, der sich schon bald als falsch erweisen könnte.

Natürlich sollen auch die betroffenen Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer unterstützt werden. Aber mit dem, was in den SPDForderungen steht, werden ihnen nur Steine statt Brot gegeben.

Wir brauchen ein solides Fundament, um die Diskussion über die Leiharbeit in Deutschland zu führen. Wir müssen mithilfe einer objektiven Untersuchung zu einer realistischen Analyse der IstSituation kommen. Hier ist aus meiner Sicht vor allem der Bundesarbeitsminister gefordert. Nord

rhein-Westfalen will und wird seinen Beitrag leisten, um diese Diskussion anzustoßen.

Noch ein Punkt ist mir wichtig. Herr Kollege Romberg, Sie haben aus der CDU-Vorstandssitzung zitiert. Sie wissen, dass ich dem Präsidium und dem Vorstand der CDU in Deutschland angehöre.

Der Beschluss lautet folgendermaßen: Wir haben gesagt, dass wir, bis die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland kommt – 2011 –, die Frage anders beurteilen müssen.

Eines muss man hier nämlich festhalten: Wenn es – vielleicht ab 2011 – die Arbeitnehmerfreizügigkeit gibt – 2011 wird es spätestens soweit sein –, folgt aus der Rechtslage nach dem heute gültigen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, dass dann eine ausländische, etwa in Osteuropa ansässige Zeitarbeitsfirma ihre Dienstleistungen in Deutschland mit dort beheimateten Arbeitnehmern und zu dortigen Tarifbedingungen anbieten kann. Das würde bedeuten, dass man mit osteuropäischen Löhnen auf dem deutschen Zeitarbeitsmarkt operieren könnte.

(Zuruf von der SPD: Herr Romberg ist immer dafür, wenn es den Unternehmen hilft!)

Das kann keine Politik im Interesse unseres Landes sein. Wir können nicht in Deutschland leben, aber polnische Löhne bekommen. Das geht nicht, weil wir andere Lebenshaltungskosten haben.

(Beifall von CDU und SPD)

Deswegen bleibe ich dabei, dass sich zu diesem Zeitpunkt die Aufnahme der Leiharbeit in ein Entsendegesetz stellt. Ich bin ganz sicher, dass dann, wenn wir die Freizügigkeit in Europa haben, die Kraft der Fakten in der Debatte auch dazu führt, dass es zu diesem Ergebnis kommt.

Als Arbeitsminister muss ich an eines denken: 40 % der Menschen in der Zeitarbeit sind Hilfskräfte. Die Arbeitsplätze für Ungelernte werden immer weniger. Aber wir haben auch Menschen, die eine einfache Arbeit brauchen. Ich möchte in Nordrhein-Westfalen auch Arbeitsplätze für einfache Leute, denn auch sie sollen an Arbeit teilhaben, und zwar zu Bedingungen, die wir akzeptieren können. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Für die CDU-Fraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Weisbrich gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege

Schmeltzer, ein kluger Jesuit hat mir einmal gesagt: „Misstraue dem, der mit den Argumenten anderer kommt und mit dem eigenen Vorteil abzieht.“ Sie haben das alles wunderschön vorgetragen. Aber mir gefällt die Schlagrichtung Ihres Antrags nicht.

Es ist schon erstaunlich: 2004 hat die rot-grüne Bundesregierung das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz modernisiert, dereguliert – wie immer man es auch nennen will.

Damals, unter Ihrer Verantwortung, wurde das Synchronisationsverbot gestrichen. Die Befristung von Leiharbeitseinsätzen in einem Unternehmen auf maximal zwei Jahre wurde ebenfalls gestrichen. Jetzt jaulen Sie auf – die gleiche Truppe – und verlangen von uns umfassende Reparaturen an Ihrem Gesetz und fordern zusätzlich – und das gleich mit; das stört mich – Verschlimmbesserungen, die mit dem alten Gesetz nichts tun haben, die aber schon lange auf dem Wunschzettel bestimmter Gewerkschaften stehen.

Vor allem die IG Metall fürchtet um ihre Organisationsmacht, denn seit der rot-grünen Deregulierung hat sich die Anzahl der Leiharbeitnehmer im verarbeitenden Gewerbe praktisch verdreifacht. Das ist ausgesprochen gut, das ist prima für den Abbau der Arbeitslosigkeit, aber schlecht für die Gewerkschaft, wenn die Mitglieder davonlaufen, weil sie kein Rezept findet, Zeitarbeitnehmer zu organisieren.

Herr Schmeltzer, ich räume ein: Der Aufhänger zu diesem Antrag, der Fall Nokia, ist psychologisch geschickt gewählt, weil das Verhalten von Nokia selbst wieder einmal total nach Missbrauch riecht. Das hat aber nichts, überhaupt nichts mit der geforderten Aufnahme der Zeitarbeitsbranche in das Entsendegesetz zu tun und schon gar nichts mit der dahinter stehenden Mindestlohnforderung.

Was von dieser Mindestlohnforderung zu halten ist, meine Damen und Herren, können Sie der Wirtschaftspresse von heute entnehmen, denn in einem Brandbrief fordern die sieben Chefs der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute, den Wahnsinn Mindestlohn endlich zu stoppen, weil er sozialpolitisch ineffizient ist, weil er Arbeitsplätze vernichtet und weil er die bewährte Tarifautonomie einem staatlichen Lohndiktat opfert.

(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Endlich hat Herr Romberg ein Thema zu Klatschen!)

Das scheint Sie wenig zu interessieren. Herr Schmeltzer, Ihnen auch ganz persönlich geht es

um Schützenhilfe für die Gewerkschaftskampagne „Leiharbeit verhindern, begrenzen, gestalten“, die im April mit Macht gestartet werden soll. Ihnen geht es darum, die wenigen positiven Ergebnisse der Agenda 2010 wieder einzusammeln und den Linkskurs der SPD in Nordrhein-Westfalen zu verschärfen. – So haben wir nicht gewettet.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Mit Ihnen wette ich nicht!)

Herr Kollege Schmeltzer, bisher ist es so, dass nur 3 % der Unternehmen in Deutschland Leiharbeiter einsetzen. Nur eine kleine Minderheit der Arbeitnehmer ist bei einer Verleihagentur angestellt. Und diese Zahlen stammen nicht etwa von mir, sondern sie stammen aus einer aktuellen wissenschaftlichen Analyse der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, in der es weiter heißt: „Die Zahlen legen auch nah, dass es bislang keinen weit verbreiteten Trend gibt, vollzeitbeschäftigte Stammarbeitnehmer durch Leiharbeiter zu ersetzen.“

Vor diesem Hintergrund kann man sicherlich darüber reden, dass die Fehler, die Ihnen 2004 unterlaufen sind, jetzt mit Vernunft und Augenmaß korrigiert werden. Aber dass wir dem Arbeitsmarkt flächendeckend auch noch das letzte Quäntchen Flexibilität rauben, das wird, glaube ich, nicht passieren.

Um es klar zu sagen: Nokia hat geschweinigelt, und zwar nicht nur gegenüber den Zeitarbeitern, den Leiharbeitern. Nokia hat auch geschweinigelt gegenüber den eigenen Leuten. Nokia hat im Verhältnis zur Stammbelegschaft viel zu viele Leiharbeitnehmer beschäftigt – völlig d’accord. Nokia hat über den Einsatz von Leiharbeitern nicht nur Produktionsspitzen abfedern wollen, sondern sie haben offenbar auch eine Strategie zur Senkung von Lohnkosten verfolgt.

Nokia ist das schwarze Schaf in der sozialen Marktwirtschaft. Da besteht meiner Meinung nach Konsens.

(Beifall von CDU und FDP)

Wegen eines schwarzen Schafs schlachten wir nicht gleich die ganze Herde, sondern wir grenzen es aus und versuchen, dass es keinen Nachahmer findet. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)