Protocol of the Session on March 13, 2008

Herr Lindner und Frau Asch, wenn Sie dann über die Werthaltigkeit dieser Studie diskutieren, muss ich sagen: 1.500 Menschen sind repräsentativ in Direktinterviews befragt worden. An der einen oder anderen Stelle haben sie im Prinzip vielleicht das gesagt, was sie glaubten, dass es der Gegenüber von ihnen erwartet. Das ist aber grundsätzlich bei jeder Meinungsumfrage so. Wenn wir das generell infrage stellen, sollten wir uns als po

litische Parteien einmal überlegen, ob wir wirklich Kampagnen durchführen, bei denen man Plakate sieht, 5 % rauf oder runter und andere Dinge feststellt. Man darf solche Umfragen nicht immer nur dann nutzen, wenn sie einem gefallen, und dann, wenn sie einem nicht richtig gefallen, die Frage aufwerfen, ob das alles überhaupt werthaltig sei.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

1.500 Menschen in Deutschland sind in Direktinterviews von Gallup befragt worden. Diese Zahl kann man durchaus repräsentativ nennen.

Die überwiegende Mehrheit der Muslime schätzt die westlichen Demokratien gerade wegen ihrer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Der überwiegende Teil schätzt gerade die Religionsfreiheit der westlichen Demokratien.

All dies überrascht nicht – in Deutschland schon gar nicht; denn bereits 2004 hat der damalige Bundesinnenminister Otto Schily eine Befragung der Muslime in Deutschland in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse im Herbst letzten Jahres veröffentlicht worden sind. Sie entsprechen in etwa den Ergebnissen der Gallup-Studie.

In der Gallup-Studie werden etwa 7 % der Befragten als radikal eingestuft; in der Studie des Bundesinnenministers waren es 6 %. Ergänzend muss man darauf hinweisen, dass „radikal“ nicht nur religiös radikal bedeutet, sondern auch religiös-politisch radikal. Bei unserer Wahrnehmung von Muslimen liegt das allerdings vielfach ganz dicht beieinander.

Beide Studien zeigen aber, dass die Integration von Menschen muslimischen Glaubens und die Akzeptanz der Muslime durch die Mehrheitsgesellschaft erheblich miteinander korrelieren. Das ist unseres Erachtens der Kern, und hierin liegt auch der Handlungsauftrag, der sich aus der Gallup-Studie und aus der Studie des Bundesinnenministers ergibt.

Vier von fünf Deutschen halten den Islam für fanatisch. Laut Allensbach meinen 60 % der Deutschen, dass Islam und Demokratie sich nicht vertragen. Wir müssen dem Islam und seinen Werten Respekt entgegenbringen. In der Gallup-Studie machen die in den westlichen Staaten lebenden Muslime überaus deutlich: Ihr Glaube und damit sie selber werden nicht akzeptiert. Und sie fühlen sich nicht akzeptiert.

Wir müssen also folgende Dinge in Bezug auf den Umgang mit den Muslimen in NordrheinWestfalen für uns politisch festhalten.

Erstens. Muslime dürfen nicht länger bei jeder sich bietenden Gelegenheit von Politik und anderen verdächtigt werden. Das muss klar sein. So etwas geht auch immer sehr schnell. Lesen Sie heute zum Beispiel einmal den Kommentar von Herrn Stenglein in der „NRZ“. Das befördert Radikalisierungstendenzen und schürt Ängste bei der Mehrheitsbevölkerung.

Zweitens. Muslime müssen mehr Akzeptanz und Respekt erfahren – aber eben auch ihr Glaube. Das bedeutet, dass man zum Beispiel vielleicht auch einmal die Reaktionen auf die Handreichung des Integrationsbeauftragten hier in NordrheinWestfalen überdenken sollte. Denn man muss nicht immer gleich Parallelgesellschaften herbeireden.

Es sind Vorschläge gemacht worden, die sich durchaus in Schulgesetzen und in Verordnungen wiederfinden lassen. Deshalb kann ich zum Beispiel, Herr Kruse, wirklich nicht verstehen, dass Sie deshalb schon wieder gleich den Untergang des Abendlandes herbeireden.

(Beifall von der SPD)

Drittens. Politische und religiöse Radikalisierung hat ihre Ursache in den Gefühlen, an der deutschen Gesellschaft nicht teilhaben zu können. Gesellschaftliche Teilhabe durch Bildung, Arbeit und Ausbildung ist der beste Schutz vor islamistischen und extremen Tendenzen bei den Muslimen.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Viertens. Der Staat muss aber dennoch entschieden gegen Extremismus und Fundamentalismus vorgehen – gegen muslimischen, gegen religiös motivierten jedweder Art, aber eben auch gegen politischen. Das ist seine Aufgabe, für die wir genug rechtliche Mittel haben.

Fünftens. Gleichzeitig muss die Mehrheitsgesellschaft, muss Politik zum Dialog bereit sein und immer auch bereit bleiben.

Ich komme zu dem Punkt, wer für die Muslime spricht. Ein Problem der Islamkonferenz ist es, dass wir auch durch die Studie des Bundesinnenministers wissen, dass nur rund 23 % der Muslime in Deutschland in den Verbänden organisiert sind, die bei der Islamkonferenz am Tisch sitzen. Deshalb haben wir es mit einer großen Gruppe von Menschen zu tun, die sich überhaupt nicht organisiert und dort nicht wiederfindet.

Das macht deutlich, dass die anderen, die bei der Islamkonferenz am Tisch sitzen, zum Teil vor allem für sich selber und eben auch nicht für die

Muslime sprechen; das muss man sehen. Die Schwierigkeit in diesem Dialog liegt oft darin begründet, dass gerade die Einzelpersonen bisweilen als Kronzeugen benutzt werden, um die Vorurteile der deutschen Mehrheitsgesellschaft an einigen Stellen zu manifestieren.

(Beifall von der SPD)

Noch ein letzter Punkt zum Thema Religionsunterricht. Ich kann nur davor warnen, beglückt von diesen Ergebnissen darauf zu hoffen, dass wir in Nordrhein-Westfalen und in den anderen Bundesländern schnell islamischen Religionsunterricht bekommen. Ich befürchte, bis dahin ist es noch ein langer Weg. Denn es war auch ein langer Weg, alevitischen Religionsunterricht zu bekommen. Wir sind weit davon entfernt, den Religionsunterricht für die Aleviten flächendeckend in Nordrhein-Westfalen einzurichten. Das wird auch noch eine Zeit dauern. Deshalb ist es gerade bei dem anderen Themenfeld noch schwieriger.

Daher bitte ich dieses Haus darum, die islamische Unterweisung nicht zu diskreditieren und auch nicht herunterzureden,

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

weil wir die islamische Unterweisung möglicherweise noch länger brauchen, als es manchen lieb ist.

Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Glaubens in Deutschland ist insbesondere für die Muslime nicht immer einfach. Das müssen wir erkennen; das zeigt uns die Gallup-Studie. Wir haben es in der Hand, es gemeinsam mit ihnen zu verbessern. Ich denke, in diesem Haus haben wir gute Schritte in die richtige Richtung getan. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Danke schön, Frau Altenkamp. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Prof. Dr. Sternberg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über eine spektakuläre Großuntersuchung. Aber was ist eigentlich so erstaunlich und überraschend an den Ergebnissen der Gallup-Studie? Glauben eigentlich die Soziologen von Gallup, mit der Befragung von etwa 0,04 Promille der 1,2 Milliarden Muslime könne man die politischen Haltungen eines Fünftels der Weltbevölkerung messen?

(Widerspruch von Britta Altenkamp [SPD])

Kann man annehmen, dass die Anhänger der Weltreligion Islam weltweit – die meisten leben übrigens in Indonesien – in ihren vielfältigen Ausrichtungen alle eine gleiche und dann vielleicht sogar auch noch politisch radikale Meinung hätten? Ich glaube, Menschenrechte kann man eben nicht – und das hat diese Umfrage sicherlich gezeigt – auf amerikanisch-westliche Erfindungen oder Themen beschränken.

Eine solche Umfrage deckt vor allen Dingen die unterschwelligen Vorurteile einer Befragungsagentur und auch die Erwartungshaltung einer Medienöffentlichkeit auf. Was würde man eigentlich sagen, wenn man die knapp 2 Milliarden Christen weltweit auf eine politische Haltung festlegen wollte? Das hat Gallup übrigens auch schon einmal probiert und gemessen.

(Minister Armin Laschet: Das wäre schön!)

Werden dabei nicht Religion und Zivilisation vertauscht? Eines wird deutlich, meine Damen und Herren: Es gibt einen Unterschied zwischen Religionszugehörigkeit und politischer Überzeugung. Religion dient in politischen Auseinandersetzungen in der Regel als Verstärkung von ganz anders gelagerten Interessen und Ressentiments. Es besteht ein großer Unterschied zwischen kulturellen und nationalen Phänomenen und der Religion, durch die sie geprägt sind. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit, aber sie ist angesichts einer solchen Studie vielleicht in Erinnerung zu rufen.

Die Unterschiedlichkeit der islamischen Gruppen und Menschen belegt übrigens auch die Studie der Ruhr-Universität Bochum „Religiöse Vielfalt in Nordrhein-Westfalen“, die vor vier Monaten mit Unterstützung des Landes erschienen ist. Die Ergebnisse solcher Studien helfen dabei, die Muslime in unserem Land differenzierter zu verstehen – Muslime, die eher durch gemeinsame Herkunft und kulturelle Prägung als durch ihre gemeinsame Religion miteinander verbunden sind.

Übrigens liegt die religiöse Aktivität in NordrheinWestfalen bei Muslimen und Christen ungefähr gleich bei etwa 60 %. Es ist also keineswegs so, als gäbe es nur noch unfromme Christen und fromme Muslime.

(Zuruf von Britta Altenkamp [SPD])

Die öffentliche Diskussion über diese Untersuchung und die in Berlin einberufene Islamkonferenz geben uns aber Anlass, über die Wege der Integration in Nordrhein-Westfalen nachzudenken, wie das mein Kollege Michael Solf vorhin eindrucksvoll dargestellt hat. Diese Koalition hat mit dem ersten Minister für diese Aufgaben, Armin

Laschet, und mit dem Integrationsbeauftragten Thomas Kufen die Integrationspolitik verstärkt.

Als Land sind wir zuständig. In unserem Land wird ernst gemacht mit der Entwicklung des islamischen Religionsunterrichts, mit interkultureller Bildung – dazu haben wir übrigens einen eigenen Etatposten eingerichtet –, mit Sprachbildung für Kinder vor der Schulzeit und etwa auch, um nur ein Beispiel zu nennen, mit dem niederschwelligen Angebot für muslimische Frauen in Familienzentren.

Meine Damen und Herren, die Studie zeigt aber einen weiteren Befund, der für diejenigen, die islamische Freunde oder Bekannte haben, alles andere als überraschend ist: Religiöse, wertgebundene Muslime haben eine Nähe zu wertgebundener Politik. Es gibt selbstverständlich auch andere, von denen ja auch schon die Rede war.

Es gibt natürlich auch eine ganze Reihe von Problemen in der praktischen Arbeit der Integration von Muslimen. Das betrifft übrigens kaum Menschen aus den asiatischen Herkunftsländern, sondern vor allem türkische Zuwanderer aus ländlichen Gebieten, deren Gesellschaften zwar vom Islam geprägt sind, die aber deshalb nicht islamisch sind. Mit ihnen gibt es häufig solche Probleme.

Es gibt Abschottungsversuche von oft tief verunsicherten Menschen gegenüber der Aufnahmegesellschaft. Da ist Aufklärungsarbeit notwendig, da ist politische Bildung notwendig, und da ist vor allen Dingen die Einbeziehung derer notwendig, die als Muslime längst in unserem Land integriert sind und hier leben.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es stellen sich im Blick auf die Muslime der dritten Generation bei uns ganz neue Fragen. Wie können Menschen, die ganz selbstverständlich Deutsche sind, ihren Glauben als deutsche Muslime leben, ohne in eine der Splittergruppen oder in radikale Bewegungen gedrängt zu werden?

Die weitaus meisten deutschten Muslime mit türkischer Zuwanderungsgeschichte – das sind in Nordrhein-Westfalen die meisten – sind auf eine türkische, staatlich gelenkte Organisation verwiesen, die türkisch sprechende Imame hierher bringt und die dauerhafte Identifikation der Muslime mit dem Land der Eltern und Großeltern zum Ziel hat.

Ich sehe da ein Problem, und ich glaube, wir brauchen mehr deutsche muslimische Gemeinden mit in Deutschland ausgebildeten, deutsch sprechenden Imamen. Der Islam – diese bedeutende

Religion – hat so viele Anhänger bei uns, dass der europäische Islam eine eigenständige Verortung abseits von türkischen Staatsinteressen braucht.

Wenn sich Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in diesem Land assimilieren wollen oder wenn es sich über Generationen so ergeben hat, dann darf das auch nicht verboten sein. Da sei zur Klärung gesagt: Assimilation einzufordern, ist unmenschlich, aber Assimilation zu verbieten, ist mindestens ebenso ein Verbrechen.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Meine Damen und Herren, die Bochumer Studie belegt, Religion hat integrationsstiftende Wirkung, integrationsstiftende Wirkung auch für den Zusammenhalt einer Gesellschaft, integrationsstiftende Wirkung auch dafür, dass Muslime und Christen in dieser Gesellschaft zusammenleben.