Protocol of the Session on March 12, 2008

Drucksache 14/6327

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich Herrn Sichau von der antragstellenden Fraktion der SPD das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 31 Jahre nach der Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes legen wir heute als SPD-Fraktion den Entwurf eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes vor. Wir halten das für notwendig, weil die Einschränkung von Freiheit gesetzlicher Regelung bedarf, vor allem dann, wenn zugleich für Untersuchungsgefangene grundsätzlich die Unschuldsvermutung gilt. Wir wollen nicht wie beim Jugendstrafvollzugsgesetz erneut durch ein Verfassungsgericht zu einer solchen Regelung angehalten werden.

(Beifall von der SPD)

Orientiert haben wir uns an einem Entwurf auf Bundesebene. Wir haben ihn fortentwickelt und hinsichtlich der neuen Gesetzgebungskompetenz der Länder – und damit auch unseres Landes –

angepasst. Grundsätzlich gilt, dass der Vollzug selbst landesgesetzlich zu regeln ist. Seine Voraussetzungen sowie Strafverfahrenssicherungsmaßnahmen fallen jedoch nach wie vor in die Bundeskompetenz. Wir haben das ganz besonders deshalb berücksichtigt, weil so verfassungsgerichtliche Auseinandersetzungen vermieden werden können, wie sie – das ist wahrscheinlich bekannt – bezüglich des entsprechenden niedersächsischen Gesetzes aufgrund eines Vorlagenbeschlusses des Oberlandesgerichts in Oldenburg schon anhängig sind.

Inhaltlich wichtig ist uns bei diesem Gesetz insbesondere – das kann man natürlich bei der Einbringung nur sehr kursorisch darstellen –, dass vollzugliche Angebote wie Beschäftigung auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Das führt letztlich dazu, dass es eine sachgerechte und sinnvolle Tagesstruktur auch im Untersuchungshaftvollzug, also auf gesetzlicher Basis, gibt.

(Beifall von der SPD)

Wir verstehen diesen Entwurf als Grundlage für die Diskussion und die letztliche Entscheidung im Landtag. Dazu gehören selbstverständlich auch mögliche Korrekturen und Ergänzungen. Mit einer beabsichtigten Anhörung, die bei so komplexen Sachfragen nach unserer Auffassung selbstverständlich ist, wollen wir uns auch allen am Vollzug Beteiligten öffnen, einschließlich den Wissenschaften, insbesondere der Rechtswissenschaft, aber nicht nur dieser. Wir sagen schon jetzt eine sorgfältige Auswertung unsererseits zu, die ausdrücklich für weitere Veränderungen an unserem Entwurf offen ist. Vielleicht ist es sogar möglich, weitgehend gemeinsam ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz in unserem Hause zu verabschieden.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Ich will, da ich noch ein bisschen Zeit habe, noch weitere Aspekte nennen, die nicht in meinem Konzept gestanden haben, weil fünf Minuten manchmal schneller vergehen, als man meint.

Wir haben natürlich auch den jugendlichen und jungen Gefangenen in dieses Untersuchungshaftvollzugsgesetz aufgenommen, weil für uns der Gegenstand der Untersuchungshaft maßgebend ist.

Wir haben dieses Gesetz nicht befristet, weil wir der Auffassung sind, dass Untersuchungshaft auch über einen Fünfjahreszeitraum hinaus gesetzlich zu regeln sein wird. Allerdings soll das Ganze mit einer Evaluierung verbunden werden. Das ist bei komplexen Sachverhalten ausgespro

chen wichtig. Davon erhoffen wir uns nach dem Zeitraum entsprechende Erkenntnisse zur Weiterentwicklung eines solchen Gesetzes.

Zunächst soll nach unserer Absicht jedoch die Diskussion im Rechtsausschuss folgen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Herzlichen Dank, Kollege Sichau. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand im Präsidium wird Sie dafür kritisieren, wenn Sie Ihre Redezeiten nicht voll in Anspruch nehmen.

(Beifall von der CDU)

Wir werden uns im Ausschuss und dann in zweiter Lesung noch einmal ausführlich damit befassen. Also: Wer etwas kürzer vorträgt, ist uns willkommen. – Herr Giebels, Sie sind für die CDUFraktion der Nächste. Bitte schön.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf hat sich die SPD-Fraktion mit einer wichtigen Thematik befasst, die allerdings schon längst in der Arbeitsplanung der Koalition von CDU und FDP enthalten ist. Leider hat die SPD-Fraktion – so ist unser Eindruck – offenbar überhastet und ohne den für ein Gesetzgebungsverfahren angemessenen, bewährten Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ gearbeitet.

(Frank Sichau [SPD]: Jetzt bin ich mal ge- spannt, Herr Giebels!)

Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion offenbart eine ganze Reihe handwerklicher Fehler und inhaltlicher Schwächen. Ohne an dieser Stelle einer vertieften Beratung im zuständigen Rechtsausschuss vorgreifen zu wollen, will ich Ihnen dies anhand nur eines Punktes verdeutlichen.

Herr Kollege Sichau, Sie haben vorhin die Föderalismusreform angesprochen, die bekanntlich zum 1. September 2006 in Kraft getreten ist. Wir wissen, dass damit zum Teil die Kompetenzen übergegangen sind: Untersuchungshaftvollzugsgesetz ist Ländersache, Haftverfahrensrecht ist Bundessache.

In einer ersten kurzen Durchsicht Ihres Gesetzentwurfs ist bereits deutlich geworden, dass sich dieser maßgeblich an einen Gesetzentwurf auf Bundesebene aus dem Jahre 2004 anlehnt.

(Frank Sichau [SPD]: Das habe ich gesagt!)

Dies war bekanntlich vor der benannten Föderalismusreform. Indem Sie dennoch wesentliche inhaltliche Elemente des Gesetzentwurfs aus der Zeit vor der Reform in den heute von Ihnen eingebrachten Gesetzentwurf aufnehmen, stellt sich die Frage, ob Sie die geänderte Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Ländern in ausreichendem Umfang beachtet haben.

(Frank Sichau [SPD]: Ja!)

Das ist die große Frage, Herr Sichau. Das werden wir im Fachausschuss diskutieren. Daran haben einige Zweifel.

Die diesbezüglich insbesondere unter verfassungsrechtlichen Maßstäben durchzuführende Abgrenzung und Klärung der zu einzelnen vorzunehmenden Regelungen noch offenen Rechtsfragen müssen gründlich geschehen. Dies ist auch der Grund dafür, dass – mit einer Ausnahme – alle anderen Bundesländer noch keine eigenen gesetzlichen Regelungen zum Untersuchungshaftvollzug besitzen, jedoch wie wir in NordrheinWestfalen daran arbeiten.

Gerne wollen wir diese und weitere Aspekte in den anstehenden Beratungen des Rechtsausschusses vertiefen. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Giebels. – Für die FDP-Fraktion hat Herr Dr. Orth das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man diesen Gesetzentwurf durchsieht, hat man das Gefühl, die SPD-Fraktion hat gedacht: Jetzt haben wir schon das Strafvollzugsgesetz verpennt, jetzt müssen wir wenigstens mit einem Untersuchungshaftvollzugsgesetz die Ersten sein. Damit das schnell geht, nimmt man, wie schon erwähnt, den Entwurf aus dem Bund aus dem Jahre 2004, schreibt „Land NRW“ obendrauf und vergisst anscheinend vollkommen, den Gesetzentwurf von der Bundesebene im Einzelnen durchzulesen.

An etlichen Stellen ist der Entwurf kompetenzwidrig, und man hat nicht daran gedacht, dass vieles durch die StPO geregelt ist. Ich will hierzu mal die Briefkontrolle anführen. Das ist eine gerichtliche Entscheidung; dafür gilt die StPO. Die Vorführung von Inhaftierten in zugrunde liegenden Verfahren verläuft nach StPO. Die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen wie Einzelhaft, Kontrolle von Lesestoff, Kleidung, Bettwäsche – all das ist über die StPO geregelt.

Sie sollten diesen Gesetzentwurf zurückziehen. Denn er ist es nicht wert, behandelt zu werden.

(Beifall von FDP und CDU)

Wenn Sie ihn dennoch aufrechterhalten wollen, kann ich nur den dringenden Rat geben: Bringen Sie uns einen Neudruck! Werfen Sie die Punkte alle heraus! Ich habe hier eine Liste von rund 15 Punkten, die alle in der StPO abschließend geregelt sind. Belasten Sie das Parlament nicht mit Sachverhalten, die Sie vielleicht vor 31 Jahren hätten einbringen sollen,

(Frank Sichau [SPD]: Da gab es die StPO auch schon!)

aber heute definitiv zu spät kommen!

Ich sehe den Beratungen mit der Hoffnung entgegen, dass wir diesen Antrag im Ergebnis aber nicht behandeln müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Frau Düker spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön. – Ihre Vorredner haben sich alle sehr kurz gefasst.

Danke für den Hinweis, Herr Präsident. Ich finde es sehr hilfreich, dass auch ich darauf aufmerksam gemacht wurde, dass ich meine parlamentarischen Rechte in Anspruch nehmen kann, aber nicht muss. Das finde ich immer wieder hilfreich.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Ganz ernst war das aber nicht gemeint.

Aber auch ich mache es kurz. Der Kollege Sichau hat, meine ich, „31 Jahre nach Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes“ gesagt, es sind aber 37 Jahre, seitdem die Strafvollzugskommission diesen Vorschlag gemacht hat, nämlich 1971, die U-Haft gesetzlich zu regeln. Seitdem haben wir nur untergesetzliche Verordnungsregelungen. Von daher unterstützen wir das Anliegen der SPD-Fraktion.

Ich gebe meiner Hoffnung Ausdruck, dass wir es vielleicht einmal schaffen, bei dem Thema sachgerecht, pragmatisch, über eine Anhörung von Sachverständigen, vielleicht zu einer Lösung zu kommen, die alle mittragen können. Es geht um Eingriffe in Freiheitsrechte und es geht darum, das gesetzlich zu regeln. So muss es im Interesse aller sein, dass wir es vielleicht einmal nach einer Anhörung schaffen, eine gemeinsame Lösung zu

finden. Dafür sind wir offen. Wir stellen uns gerne der Diskussion. Ich finde die Initiative sinnvoll und gut, darüber zu reden. – Danke schön. – 3 Minuten 38 Sekunden übrig!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich bin begeistert, Frau Kollegin. Vielen Dank. – Jetzt hat für die Landesregierung Frau Ministerin MüllerPiepenkötter das Wort.