Protocol of the Session on September 15, 2005

(Gisela Walsken [SPD]: Zwei Milliarden!)

Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger von der SPD-Fraktion?

Ja gerne, wenn es mir nicht angerechnet wird.

Das tun wir nicht. - Herr Jäger.

Das ist sehr großzügig von Ihnen, Herr Linssen.

Herr Linssen, ist Ihnen bekannt, dass es ein Wahlprogramm zur Landtagswahl in NordrheinWestfalen am 22. Mai 2005 gab, in dem der Schuldenstand des Landes Nordrhein-Westfalen mit 117 Milliarden € beschrieben wurde und diesem Land zugleich große neue politische Wohltaten versprochen wurden? Ist Ihnen bekannt, dass das im CDU-Wahlprogramm stand?

Nein, Herr Kollege, das ist mir nicht bekannt.

(Beifall von CDU und FDP - Gisela Walsken [SPD]: Aha!)

Mir ist nur bekannt, dass in unserem Wahlprogramm etwas steht von 110 Milliarden € Schulden, die sich jetzt - der Fairness halber sei das hinzugefügt - vermutlich auf 111 oder 112 Milliarden € erhöhen werden.

(Zurufe von der SPD)

Außerdem ist mir bekannt, dass die neue Regierung, als sie noch Opposition war, im Wahlkampf genauso gearbeitet hat wie jetzt: Sie hat ehrlich und offen dargelegt, welche Forderungen erhoben werden.

(Beifall von CDU und FDP - Lachen von SPD und GRÜNEN - Zurufe von Rainer Schmelt- zer [SPD] und Gisela Walsken [SPD])

- Frau Walsken, lassen Sie mich das jetzt bitte ausführen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Studiengebühren für BAFöG-Empfänger!)

Meine Damen und Herren, was haben wir vorgetragen? Wir haben vorgetragen, dass wir 4.000 zusätzliche Lehrer einstellen werden. Das war unser Hauptversprechen.

Und das halten wir ein. Sie werden uns an der gesamten Legislaturperiode messen können.

(Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Das stimmt nicht!)

Indem Sie diese Geschichten mit den Stellen aufzäumen, tun Sie so, als wenn das der Untergang des Abendlandes wäre!

(Edgar Moron [SPD]: Das war ein Wahlver- sprechen!)

Hören Sie mal: Wir sprechen da über 0,2 % bis 0,3 % des Volumens des Nachtragshaushaltes.

(Hannelore Kraft [SPD]: Peanuts!)

Schämen Sie sich eigentlich nicht, dieses Thema so hochzujapsen, um vergessen zu machen, dass Sie die restlichen 99,8 % verursacht haben?

(Beifall von CDU und FDP)

Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Abgeordneten Walsken?

Ja, das ist dann aber die letzte. Frau Walsken, ich muss ja im Zusammenhang vortragen können. Bitte schön.

Bitte.

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Das Thema versprochen - gebrochen möchte ich gerne in eine Frage kleiden: 1,5 % Personalstellenabbau lautete Ihr Programm zum Haushalt seit Jahren. Das sind, wenn wir ein halbes Jahr Regierungszeit unterstellen, mindestens 250 Stellen noch in diesem Jahr 2005.

Herr Minister, Sie legen etwa 100 Stellen drauf. Sind Sie mit mir der Auffassung, dass Sie Ihr Wahlversprechen gebrochen haben?

Ach, nein, Frau Walsken, mir kommen fast die Tränen. Sie werden mir vermutlich nicht übel nehmen, wenn ich jetzt nicht mit Ihnen einverstanden bin.

(Gisela Walsken [SPD]: Doch! - Heiterkeit)

- Liebe Frau Walsken, messen Sie uns doch bitte an den Aussagen. Da steht 1,5 %. Wir haben auch hineingeschrieben, wo wir Ausnahmen machen werden. Dann kommen wir zur Endabrechnung im Jahre 2010 wieder zusammen.

(Gisela Walsken [SPD]: Ach, so geht das!)

Dann werden Sie feststellen, dass wir alles buchstabengetreu erfüllt haben.

(Beifall von CDU und FDP - Gisela Walsken [SPD]: Ach, so!)

Wenn Sie ein marodes Unternehmen übernehmen - Frau Kraft, gehen Sie mal in die Wirtschaft, Sie kennen doch auch ein bisschen davon -, was passiert denn da? Da kommt eine Mannschaft an, die sich als Sanierungsmannschaft nicht nur generiert, sondern sich auch verantwortlich fühlt.

Das sind neue Leute, die Sie brauchen, weil die alten nicht immer den richtigen Geist haben. Sie brauchen sie, um dieses schlingernde Schiff wieder auf Kurs zu bringen. Das ist unsere Aufgabe. Dafür brauchen wir die paar Leute, die im Vergleich zu 344.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landes wirklich Peanuts sind.

(Beifall von CDU und FDP)

So, jetzt kommen wir zur Sache: Sie haben in diesem Wahlkampf versucht, zunächst das Mehrwertsteuerthema aufzuziehen. Vorhin klang es kurz an. Es ist Ihnen nicht so richtig gelungen. Sie versuchen zwar immer noch weiszumachen, dass das eine zweiprozentige Erhöhung ist. Sie wissen, dass es nominal eine zweiprozentige Erhöhung ist, die sich aber nur zu 1 % - das sagen alle Wissenschaftler - auswirkt, weil wir den verminderten Steuersatz von 7 % haben. Das zunächst einmal.

Dagegen steht, dass wir die Arbeitslosenversicherung um zwei Prozentpunkte senken wollen. Ich habe Ihnen von diesem Pult aus schon gesagt: Eine Mehrwertsteuer zu erhöhen, ist eine Kröte, die man nur schlucken kann, wenn man sich dafür auf der anderen Seite wirklich etwas Besseres einhandelt.

Zur Senkung der Lohnnebenkosten lesen Sie all Ihre Papiere, vor allem das Bundeskanzleramtspapier von Ende Dezember 2002 zur Vorbereitung der Agenda 2010. So deutlich habe ich in keinem CDU-Papier jemals gelesen, wie sich eine Senkung der sozialen Nebenkosten auf Arbeitsplätze auswirkt: Alles bei Ihnen nachzulesen, alles von Herrn Steinmeier aufgeschrieben. Herr Schröder wusste damals nicht, ob er sich das Papier zu Eigen machen sollte, ja oder nein. In seltener Klarheit steht dort, dass die Senkung um einen Prozentpunkt 100.000 Arbeitsplätze schafft. Und das ist unsere Aufgabe. Bei der Aufgabe haben Sie nämlich gründlich versagt.

(Beifall von der CDU - Edgar Moron [SPD]: Dass eine Mehrwertsteuererhöhung Arbeits- plätze schafft, ist auch etwas Neues!)

Sie haben bei der Hauptaufgabe versagt, Arbeitsplätze zu schaffen. Sie haben uns im Jahr 1998 bei der Bundestagswahl vorgeführt, weil wir soundso viele Arbeitslose hatten - weniger als heute. Dafür sind wir abgewählt worden. So werden Sie am Sonntag genau deswegen auch abgewählt.

(Beifall von CDU und FDP - Zuruf von Edgar Moron [SPD])

Wenden wir uns dem Steuerrecht zu. Dieses Steuerrecht - das ist hier angeklungen - ist viel zu kompliziert. Es muss vereinfacht werden.

Das berühmte Bild, wonach 70 % der Steuerliteratur in Deutsch geschrieben wird, kennen Sie alle. Es sagt etwas aus über dieses Verhinderungsinstrument, über die Unübersichtlichkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, denken Sie einmal an unseren eigenen Haushalt: 26.000 Finanzbeamte sind draußen tätig. Deren Sprecher standen früher vor Herrn Dieckmann, heute stehen sie vor mir und sagen: Könnt ihr das nicht endlich mal vereinfachen? Wir werden nicht mehr damit fertig.

300 bis 400 Schreiben des Bundesfinanzministers jedes Jahr, meine Damen und Herren. Sie können sie nicht mehr lesen, geschweige denn umsetzen. Auch deshalb müssen wir eine Vereinfachung haben. Aber wir brauchen das vor allen Dingen zur Belebung der Wirtschaft.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, wir brauchen diesen steuerpolitischen Neuanfang. Ich vermute, davon sind viele von Ihnen auch überzeugt. Wir brauchen ihn, um international wettbewerbsfähig zu sein, um Investitionen bei uns anzuregen. Ich glaube, dass das, was hier sowohl von FDP als auch von der CDU vorgetragen worden ist - ich nehme die Sätze der FDP - 15 %, 25 %, 35 % - ich nehme das CDU-Programm - 12 % bis 39 % - der richtige Weg ist, um zu einer Belebung zu kommen.

Aber noch wichtiger ist aus meiner Sicht die Vereinfachung. Ich sage ganz deutlich: Ich bin glücklich und froh darüber, dass Paul Kirchhof als ein parteineutraler Mann erklärt hat, in dieser Frage mitzuarbeiten und auf langfristige Sicht mit dafür zu sorgen, dass wir die ganzen Steuerschlupflöcher abschaffen.

(Beifall von Angela Freimuth [FDP] - Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Das glauben Sie selber nicht!)