Protocol of the Session on November 16, 2007

Die einzige Übernahme, die in jüngster Zeit in die Kategorie „Groß schluckt Klein“ fällt, ist der Einstieg von der Gaz de France bei den Stadtwerken in Leipzig. Nun, Frau Thoben, wir wissen ja, dass Leipzig nicht in Nordrhein-Westfalen liegt, aber ich möchte nicht ausschließen, dass Kollege Priggen auch hierzu die Landesregierung auffordern wird, davon abzusehen.

(Ministerin Christa Thoben: Dann kommt die Börse hierhin!)

Meine Damen und Herren, kommen wir als Nächstes zu den völlig unreflektierten, zusammengeschobenen Aussagen diverser Personen und Institutionen.

Herr Kollege Priggen, so fordert Herr Rhiel nicht nur die Möglichkeit eines Zwangsverkaufs von Kraftwerken, sondern mit gleicher Vehemenz die Halbierung der Stromsteuer von 2 auf 1 Cent. Dazu habe ich von Ihnen nichts gehört. Wie stehen Sie denn dazu, Herr Kollege Priggen? Gleichfalls spricht sich Herr Rhiel aufgrund der bestehenden Netzregulierung gegen ein Ownership-Unbundling aus. Auch das ist ein klarer Gegensatz zu Ihrer Position!

Dieses Beispiel zeigt exemplarisch, wie die Grünen immer wieder versuchen, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Was die eigene Position

stützt, wird zitiert; der Rest wird einfach verschwiegen, Herr Priggen.

Die im Antrag erwähnte Monopolkommission spricht sich zwar dafür aus, den großen Versorgern zeitlich befristet zu verbieten, ihre eigenen Erzeugungskapazitäten zu erweitern; allerdings lehnt die Monopolkommission auch die eigentumsrechtliche Trennung von Erzeugung und Netz ab. An dieser Stelle bedienen sich die Grünen dann der Wettbewerbskommissarin Nelly Kroes.

Die Grünen hätten gar nicht so intensiv nach Verbündeten suchen müssen. Ein Kronzeuge hätte aus meiner Sicht bereits gereicht, Herr Kollege Priggen. All diese Forderungen stellt schließlich auch die Sozialistentruppe um Herrn Sagel immer wieder auf. Insofern finden Sie sich in einer tollen Fraktion wieder – herzlichen Glückwunsch! –, wohl mit zwei bemerkenswerten Parteibüchern.

Meine Damen und Herren, auch bei den Vorwürfen zur Preismanipulation handelt es sich bislang nur um einen Anfangsverdacht. Hier muss man abwarten, ob er sich erhärtet.

Eine Anmerkung möchte ich aber doch noch zu dem ganz entscheidenden Punkt machen, nämlich zu der Forderung nach einem Zwangsverkauf von Kraftwerken. – Wer einen Zwangsverkauf veranlasst, sollte sich vorher schon Gedanken machen, wer überhaupt als Käufer infrage kommt. Dies dürften in erster Linie ausländische Versorger, Stadtwerke und große Stromabnehmer wie die Stahlindustrie sein.

Herr Kollege Priggen, RWE bietet der Industrie derzeit bereits Beteiligungsmöglichkeiten an neuen, hochmodernen Steinkohlekraftwerken an. Die Unternehmen erhalten dafür über einen Zeitraum von 29 Jahren eine festgelegte Menge Strom zu reinen Erzeugungskosten. Das Interesse hieran seitens der Industrie hält sich bislang in Grenzen. Sie fordert stattdessen eine Beteiligung an bereits abgeschriebenen Kraftwerken, da ihnen die Kapitalkosten und das Risiko schwankender Rohstoffpreise zu hoch sind. Herr Priggen, die Industrie würde mit Kusshand die alten Braunkohlekraftwerke in Frimmersdorf übernehmen und weiterbetreiben. Das dürfte, glaube ich, auch nicht in Ihrem Sinne sein.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Das alles sollte man schon wissen, bevor man solche wohlfeilen Forderungen in den Raum stellt. Deshalb appelliere ich an die SPD, nicht das Geschäft der Grünen und der Linken zu betreiben und die Versorger fortwährend in Angst und Schrecken zu versetzen. Wem ständig mit Zwangsverkauf und Enteignung gedroht wird, der

ist bestimmt nicht bereit, in die dringend erforderliche Modernisierung und in den Ausbau neuer Kraftwerke und Netze zu investieren. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Brockes. – Frau Ministerin Thoben hat jetzt das Wort für die Landesregierung.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir hatten bereits am 24. Oktober in diesem Hause eine energiepolitische Aktuelle Stunde zu dem Thema „Ungerechtfertigte Strompreiserhöhungen der Energiekonzerne – Was tut die Landesregierung?“, ebenfalls auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Energiepolitisch ist vieles in Bewegung. Deshalb ist die neue Aktuelle Stunde durchaus berechtigt. Ein Vorwurf wird allerdings auch durch ständige Wiederholungen nicht richtiger, nämlich der der angeblichen Drangsalierung der Stadtwerke durch die Landesregierung. Hierüber haben wir schon vor vier Wochen diskutiert.

Ich hatte auf die Eröffnung des GuD-Kraftwerks in Hamm hingewiesen. Dieses Projekt ist von vielen Stadtwerken gemeinsam realisiert. Das Projekt belegt anschaulich, dass die Reform des § 107 Gemeindeordnung die marktgerechte Weiterentwicklung der Stadtwerke als Akteure der Energieversorgung gewährleistet. Stadtwerke dürfen sich zur Bedienung des Heimatmarktes an Kraftwerken beteiligen und dürfen auch Kraftwerke bauen. Dass dies in der Praxis funktioniert, belegt nichts besser als das Projekt in Hamm.

Es gibt auch andere Belege, Herr Römer: Mehrere Stadtwerke planen im Westmünsterland gemeinsam einen Gasspeicher. Die Rheinenergie beteiligt sich an den Mannheimer Stadtwerken, um insbesondere den Strombezug zu optimieren. Weitere Gemeinschaftsprojekte beim Kraftwerksbau werden geprüft.

Dies alles begrüßt die Landesregierung. Die Realität sieht anders aus, als im Antrag unterstellt.

Im inhaltlichen Kern spricht der Antrag eine Reihe energiepolitischer Punkte an. Ich gehe kurz ein auf den Vorwurf der Absprachen zwischen den vier großen Stromkonzernen.

Wenn sie zutreffen, ist es ein Skandal. Der Präsident des Bundeskartellamts, Heitzer, ist bei der Anhörung im Ausschuss für Wirtschaft und Tech

nologie des Deutschen Bundestages zur Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen am 5. November auf diese Vorwürfe angesprochen worden. Er hat gesagt – ich zitiere –:

„Wir haben auch noch nicht alle Asservate, insbesondere die elektronischen, ausgewertet. Ich würde mal so sagen: Es sind zum Teil starke Indizien. Aber Beweise im strengen juristischen Sinne, soweit würde ich jetzt noch nicht gehen.“

Ich denke, wir sollten hier nicht über Mutmaßungen und Indizien diskutieren, solange die Fakten nicht geklärt sind. Ich vertraue voll darauf, dass das Bundeskartellamt und die EU-Kommission den vorliegenden Anhaltspunkten nachgehen und die Sache weiter verfolgen. Sobald hier handfeste Ergebnisse vorliegen, will ich die gerne auch hier im Hause und in den Ausschüssen diskutieren.

Sinnvoller und jetzt wichtiger ist die Diskussion, wie wir die wirtschaftlichen und rechtlichen Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerb bei Strom und Gas in Deutschland verbessern können.

Mein Kollege, der hessische Wirtschaftsminister Rhiel, hat am Montag der Öffentlichkeit einen Vorschlag in Form des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Marktstruktur bei Wettbewerbsversagen vorgestellt. Der Gesetzentwurf soll Anfang 2008 in den Bundesrat eingebracht werden. Kernpunkt ist die Möglichkeit des Bundeskartellamts, gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen bei Missbrauch der Marktstellung und fehlender Aussicht auf Verbesserung der Wettbewerbssituation den Verkauf von Vermögensteilen anzuordnen.

Letzte Woche hat die Monopolkommission ihr Sondergutachten vorgelegt. Sie gelangt zu deutlich anderen Rezepten als Minister Rhiel. Zur Förderung eines strukturell gesicherten Wettbewerbs hat sie ein detailliertes Maßnahmenbündel zusammengestellt. Das Hauptaugenmerk legt sie auf die Senkung struktureller Marktzutrittschancen sowie auf die Stabilität und Verlässlichkeit des Wettbewerbs- und Regulierungsrahmens.

In den Vorschlägen zur eigentumsrechtlichen Entflechtung sieht sie einerseits die Möglichkeit der Verbesserung der Wettbewerbsstruktur, andererseits spricht sie von nicht unerheblichen ökonomischen Risiken und rechtlichen Problemen. Die Rede ist auch von der Möglichkeit, Investitionsanreize zu reduzieren. – Beim Letzteren legen wir, glaube ich, gemeinsam erheblichen Wert darauf, dass dies nicht passiert.

Im Ergebnis empfiehlt die Monopolkommission auf jeden Fall, die Wirkungen der erst 2005 in Kraft getretenen energierechtlichen Regelungen abzuwarten und zu beobachten.

Sie sehen: Die Debatte ist von Unübersichtlichkeiten geprägt. Gerade deshalb gilt, dass Politik mit Augenmaß handeln muss. In der Energiepolitik werden Strukturentscheidungen getroffen, deren strategische Wirkung oder langjährige Folgen nicht mit einem Federstrich, ähnlich dem Abbruch eines Experiments, rückgängig gemacht werden können.

Dies vorausgeschickt stelle ich fest: Die Landesregierung hüllt sich nicht in Schweigen, sie ist im Gegenteil sehr aktiv gewesen. Anfang dieses Jahres – Herr Römer, das mögen Sie für lächerlich halten – haben wir im Bundesrat einen Antrag auf Verlängerung der Preisgenehmigung für Haushaltskunden nach der Bundestarifordnung Elektrizität gestellt, und zwar vor dem Hintergrund, dass man die Aufhebung dieser Verordnung terminlich mit dem Inkrafttreten stärkerer kartellrechtlicher Durchgriffsmöglichkeiten hätte verknüpfen können. Diese Verknüpfung wäre wenigstens ein kleiner Beitrag gewesen. Ich habe dafür leider keine Mehrheit gefunden.

Die Landesregierung begrüßt und unterstützt ausdrücklich die Pläne des Bundes zur Verschärfung der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht mit einem neuen § 29. Der Entwurf knüpft an die Erzielung unangemessener Gewinne an und sieht eine weitgehende Beweislastumkehr hinsichtlich preisrelevanter struktureller Gegebenheiten zulasten des marktbeherrschenden Energieversorgers vor. Das bisher im Kartellrecht angewandte Vergleichsmarktprinzip kann letztlich einen flächendeckenden Missbrauch zum Beispiel durch Preiserhöhungen im Gleichtakt nur eingeschränkt erfassen. Bei den leitungsgebundenen Energien ist nämlich nur ein Vergleich zwischen marktbeherrschenden Unternehmen möglich. Der Bundestag hat den Gesetzentwurf gestern mit kleinen Änderungen beschlossen.

Der Schlüssel zur tatsächlichen Verbesserung des Wettbewerbs – das ist unsere Überzeugung – liegt in der Erleichterung der Genehmigungsverfahren für neue Kraftwerke und im Ausbau der Grenzkuppelstellen zur Verbesserung des europäischen Energieaustauschs.

(Beifall von CDU und FDP)

Mit diesen Maßnahmen wird langfristig das Kapazitätsangebot erhöht, das die Marktposition der Energieabnehmer verbessert. Es gibt durchaus Hinweise, dass die gegenwärtigen Preisbewe

gungen auf dem Strommarkt mit einem Mangel an Erzeugungskapazitäten zu tun haben können. Der Ausbau der energiewirtschaftlichen Kapazitäten setzt am Kern des Problems an. Diese Lösungsoption ist allen wie auch immer gearteten Entflechtungskonzepten eindeutig überlegen.

Der von der Monopolkommission ins Spiel gebrachte Gedanke eines Moratoriums für die Erweiterung von Erzeugungskapazitäten der marktbeherrschenden Energieversorger geht in die andere Richtung und wird deshalb abgelehnt. Wie soll ich mir erweiterte Kapazitäten wünschen, damit der Markt eine weitere Chance hat, und es gleichzeitig denen, die investieren können, verbieten?

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung wird natürlich die eigentumsrechtlichen Entflechtungsvorschläge prüfen. Insbesondere die tatsächlichen Konsequenzen für Investitionen in die Netzinfrastruktur sowie in den Kraftwerkspark und die daraus folgenden mutmaßlichen Wettbewerbswirkungen müssen aber doch bedacht werden, bevor man sich für einen solchen Weg stark macht.

(Uwe Leuchtenberg [SPD]: Sagen Sie das mal Herrn Rhiel!)

Das tue ich, und zwar auch öffentlich. Es stimmt auch nicht, wie Herr Römer gesagt hat, dass ich mich nicht gemeldet hätte. Ich halte von dem Vorschlag von Herrn Rhiel nicht viel, weil ich mir immer vorstelle: Wo sind die Käufer? Wer ist das?

(Beifall von der FDP)

Freue ich mich etwa am Ende, wenn Gazprom und EDF die Kraftwerke hier aufkaufen? Was habe ich dann an Wettbewerb gewonnen? Ich möchte lieber die Frage besprechen, ob das geeignete Schritte zu mehr Wettbewerb sind. Deshalb werden wir am Montag in der Wirtschaftsministerkonferenz sicherlich noch einmal über dieses Thema reden.

Auch bei der vertikalen Trennung der Produktionsstufe muss bedacht werden: Welche Folgen sind daraus zu erwarten? Ist die Einschätzung der Monopolkommission wenigstens in Ansätzen realistisch, dass das keinen Einfluss auf den Netzausbau hat, den wir in den kommenden Jahren dringend brauchen werden? Darf ich dann solche Schritte tun? – Ich habe Zweifel. Wir werden uns auf jeden Fall mit sehr vielen Sachargumenten an der Debatte beteiligen.

Für die Landesregierung sind Entflechtungsregelungen unter anderem, aber nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen nur die Ultima Ratio nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten. Das werden wir auch zum dritten Binnenmarktpaket der EU-Kommission demnächst im Bundesrat so vortragen.

(Beifall von CDU und FDP)

Frau Ministerin, Ihre Redezeit ist zu Ende. Sie können sich gleich noch einmal melden. Das wäre kein Problem.

Gut, dann antworte ich später noch einmal auf Herrn Römer.

Ja, danke schön.

(Beifall von CDU und FDP)