Protocol of the Session on November 14, 2007

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Horstmar, Schöppingen!)

die konkret den Menschen vor Ort helfen, die auch eine Verbesserung der Lern- und Lebensbedingungen junger Menschen darstellen? Warum wollen Sie immer nur über eine Schulstrukturdebatte reden? Nach meinem Verständnis hat ein Zurück in die 70er-Jahre mit dem Begriff der Innovation relativ wenig zu tun. Deshalb stehen wir als Koalition der Erneuerung in unserer Philosophie für eine Leistungsschule im Wettbewerb.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Leistungsmittel- schule!)

Deshalb, Frau Löhrmann, machen wir uns Gedanken um die konkreten Verbesserungen in den Schulen im gegliederten System, und wir halten unsere Versprechen ein.

(Zuruf von der SPD: Da müssen Sie etwas übersehen haben!)

Wir halten unsere Versprechen ein, was die Hauptschuloffensive angeht, haben dort im Bereich des Ganztags viel auf den Weg gebracht, um auch hier zu einer Chancengleichheit zu kommen und nicht nur länger das Gesamtschulprivileg als Angebot für die Eltern zu haben. Wir stabilisieren die Realschulen und haben mit unse

rem G8-Modell der Schulzeitverkürzung den Bildungsgang der Gymnasien neu ausgerichtet.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Abschotten, damit es keine Durchlässigkeit mehr gibt!)

Das ist ein eigenprofilierter Bildungsgang, und dieser eigenprofilierte Bildungsgang ist bewusst so im System beabsichtigt.

Wir konzentrieren unsere Arbeitsressourcen auf eine Qualitätsoffensive der Schulen und nicht auf ergebnislose Schulstrukturdebatten, die am Ende des Tages für die konkrete Verbesserung der Arbeit vor Ort nichts bringen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Pinkwart ist lie- ber rausgegangen!)

Herr Witzel, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Frau Hendricks?

Aber gerne.

Bitte schön, Frau Hendricks.

Herr Witzel, Sie haben mich eben persönlich angesprochen und darauf hingewiesen, dass es eine sechsjährige Grundschule in Niedersachsen gegeben habe. Ihnen ist doch auch klar – hoffe ich –, dass es in Niedersachsen nie eine sechsjährige Grundschule gegeben hat, sondern eine eigenständige Orientierungsstufe mit all den Problemen, die dieser anhaften, sodass man natürlich nicht behaupten kann, dass eine sechsjährige Grundschule in Niedersachsen nicht funktioniert habe. Ist Ihnen das bekannt?

Frau Hendricks, mir ist bekannt, dass Sie den korrekten Begriff der Orientierungsstufe genannt haben. Das, was Sie hier vorgetragen haben, ist zutreffend. Sie werden mir aber Recht geben, dass wir uns auf die Formulierung einigen: Es gab für die Kinder ein gemeinsames Lernen bis Ende Klasse 6 – die Differenzierung setzte danach ein – mit der Bezeichnung „Orientierungsstufe für die Klassen 5 und 6“, so wie Sie das hier präzisiert haben.

Deshalb möchte ich alle bitten, die sich an Schulstrukturdebatten beteiligen und gerne auf Skandinavien schauen,

(Ute Schäfer [SPD]: Ach so, nicht auf Pink- wart!)

dass sie hier nicht Finnland als Steinbruch benutzen und nur die Facette sehen, die sie sehen wollen. Die Bewertung insgesamt ist sehr viel facettenreicher. Ich meine damit nicht, dass UNICEF kürzlich festgestellt hat, dass in ganz Europa die unglücklichsten Schüler in Finnland zur Schule gehen, sondern das gesamte System ist mit Deutschland kulturell nicht vergleichbar.

Es gibt in Finnland eine freie Schulwahl. Niemand muss sein Kind automatisch in die nächstgelegene Schule geben, wenn er sich im Wettbewerb für eine andere entscheiden möchte.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Aufgrund weitgehender Schulautonomie sortieren sich Schülerströme nach curricularer Profilierung

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Die haben die Freiheit abgeschafft!)

und dem Fremdsprachenangebot der Schulstandorte. Dies führt zu großen Leistungsunterschieden in formal gleichen Schulen. Das nennen die Fachleute dann intrasystemische Diversifikation. Dies hat nichts mit dem Irrglauben zu tun, heterogene Klassen brächten homogene Leistungen.

Individuelle Förderung erfolgt in kleinen Systemen. Nur 3 % aller Schulen haben mehr als 500 Schüler, aber 40 % weniger als 50 Schüler.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Gerade lernschwächere Schüler gedeihen in einer vertrauten Lernumwelt. Der Unterricht erfolgt höchst differenziert; bei Förderbedarf halten Speziallehrer Unterricht in Kleingruppen und Einzelunterricht; Spezialkonferenzen entwickeln individuelle Lehrpläne für Problemschüler. Die durchschnittliche Klassenfrequenz beträgt weniger als 20 Schüler. Es gibt keinen nennenswerten Unterrichtsausfall. Sozialpädagogen und Psychologen sind integraler Bestandteil des Schulpersonals. Lehrkräfte konzentrieren sich auf den Unterricht und werden entlastet. Die Lehrerausbildung vermittelt diagnostische Kompetenz und differenzierte Methodik. Leseförderung und Fremdsprachen kommt ein hoher Stellenwert zu. Die zweite Fremdsprache beginnt in Klasse 5, die dritte in Klasse 7.

In einem scharfen Zentralabitur erfolgen Aufgabenstellung und Korrektur, beides gleichermaßen zentral. Strikt nach gezeigter Leistung entscheidet der Fachbereich einer Hochschule schließlich über die Aufnahme eines potenziellen Studenten an der Universität.

Ich glaube, das zeigt viele große Unterschiede zu dem System, welches wir kulturell in Deutschland kennen. Man kann gegenseitig voneinander lernen, aber man darf Schule im Ausland nicht mit einem Steinbruch vergleichen, sondern muss die Gesamtsicht in der Perspektive haben und darf sich dafür auch nicht verstellen.

Interessant ist die Frage, wie sich im innerdeutschen Vergleich unterschiedliche Systeme auswirken. Da haben Sie ja die ganz nüchternen Ergebnisse vorliegen: Die Bundesländer, die ein funktionierendes dreigliedriges Schulsystem haben, kommen zu höheren Leistungen

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Die Sachsen, genau!)

als diejenigen, die es in den letzten Jahren nicht gepflegt haben. Das ist die grundsätzliche Tendenz, die Sie im Vergleich der Flächenländer sehen.

Deshalb sagen wir als Koalition der Erneuerung: Wir führen keine ideologisch rückwärtsgewandte Schulstrukturdebatte. Wir wollen als Koalition der Erneuerung keine Einheitsschule. Wir wollen eine Qualitätsdebatte in unserem Land und eine bessere finanzielle Ausstattung unserer Schulen, eine höhere gesellschaftliche Wertschätzung von Schule und Bildung und vertreten das hier als Koalition der Erneuerung aus Überzeugung und nicht deshalb, weil wir irgendwann – vor ein paar Jahren – etwas aufgeschrieben haben.

Wir halten unsere Zusagen im Bereich der zusätzlichen Ressourcen in den kommenden Landeshaushalten. Wir halten unsere schulstrukturellen Zusagen und bemühen uns um die Stabilisierung der Hauptschule, freuen uns ausdrücklich, dass es uns als Koalition der Erneuerung geglückt ist, hier erfreuliche Ergebnisse im Übergangsverhalten zu haben.

Dass vieles von dem, was Sie als Opposition vortragen, bis zum Ende des Tages gedacht nicht haltbar ist, sehen Sie ganz aktuell an der Frage der Auflösung der Schulbezirke und der freien Schulwahl. Was haben Sie dieses Thema zum Zeitpunkt der Beschlussfassung wie eine Monstranz vor sich hergetragen!

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Aber viele wol- len das gar nicht!)

Was haben Sie bei der Verabschiedung des Schulgesetzes für einen Protest organisiert, was hier Furchtbares auf unser Land zukommt! Sie haben Änderungsanträge zum Schulgesetz gestellt mit namentlicher Abstimmung und immer wieder die Debatte bemüht. Und jetzt ist genau

das eingetreten, was wir Ihnen immer prognostiziert haben.

Nachdem sich im letzten Jahr bereits die Optionskommunen, die freiwillig früher mit der freien Schulwahl anfangen wollten, gerne für diesen Weg entschieden haben und es von diesem aktuellen Anmeldetermin für alle Kommunen verpflichtend war, dies so zu organisieren, haben Sie in keiner einzigen Kommune des Landes, nachdem der Anmeldestichtag mit dem 30. Oktober abgelaufen ist, Beispiele dafür, dass all die Horrorvisionen, die Sie als Opposition an die Wand gemalt haben, auch nur irgendwo eingetreten wären.

Es gibt keinen massenhaften Schülertourismus und keine Entvölkerung ganzer Landschaften. Wir haben ganz andere Erfahrungen gemacht. Wir haben jetzt einen Qualitätswettbewerb und mehr Transparenz. Es gibt Grundschulen, die, weil sie selber Entscheidungen treffen können, dafür sorgen, dass sich Eltern viel früher für die Anmeldung ihres Kindes an der Schule und für die Standorte der Schulen interessieren. Die Grundschulen veranstalten jetzt Tage der offenen Tür – das kannte man sonst nur im Wettbewerb der weiterführenden Schulen –, weil sie sich mit ihrer Arbeit entsprechend präsentieren wollen. Es gibt keinerlei Organisationschaos, wie in der Vergangenheit von Ihnen prognostiziert, keinerlei Schulflucht.

Wir haben festzustellen, dass sich im landesweiten Schnitt etwa 15 % bei der Wahl der Grundschule anders entschieden haben, als es bei einer Zuweisung staatlicherseits der Fall gewesen wäre. Das sind etwa doppelt so viele Ausnahmefälle wie bislang. Die abweichenden Entscheidungen liegen je nach Kommune zwischen 5 und 10 % im Vergleich zu dem Status quo vor der Reform. Damit sind alle kommunalen Schulträger bestens klargekommen.

Für Eltern war es nicht mit großem bürokratischen Aufwand verbunden, ihre Kinder zur Schule ihrer Wahl anzumelden. Den kommunalen Schulträgern sind keinerlei Mehrkosten entstanden, weil sie, wie wir es immer vertreten haben, sachgerecht Kapazitäten nutzen können, die in ihrer Struktur angelegt sind.

Wir haben – ganz im Gegenteil – die Gerichte entlastet, weil sich die Eltern mit dem großen Geldbeutel, die sich den besten Anwalt leisten können, nicht mehr durch die Gerichte klagen. Denn früher konnten sich nur die Eltern katholischen Glaubens über das vorhandene Konfessionsprivileg für die katholische Grundschule entscheiden, während das Gesellschaftsteilen mit anderer religiöser Ori

entierung nicht möglich war. Es ist eine Maßnahme zur Gleichberechtigung der Bevölkerung. Wir sorgen nicht mehr dafür, dass es Grundschulbezirke gibt, die abschottend wirken und Kinder aus Villenvierteln heraushalten. Wir haben keine Grundschulbezirke mehr, die eine Mauer um einen sozialen Brennpunkt herum bilden.

Wir haben Entscheidungsfreiheit für Menschen. Es ist eine gute Entwicklung, Schule in Fragen, die sie entscheiden kann, freier zu machen, Eltern mehr Verantwortung zu geben, Markt und Wettbewerb zu vertrauen. Das tut die Koalition der Erneuerung im Rahmen der vorhandenen Schulstruktur. Deshalb: keine ideologische Schulstrukturdebatte, keine Einheitsschule, sondern Qualitätsentwicklung unseres Bildungswesens mit mehr Ressourcen und für mehr Chancen für die Kinder in Nordrhein-Westfalen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Witzel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Beer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich zu beobachten, wie sich das bildungspolitische Kasperletheater aus dem schwarzgelben Schulkomödiantenstadel hier und heute vorstellt. Herr Witzel hat gerade ausführlich gesagt, was Herr Pinkwart denken darf und in welchen Grenzen er sich äußern darf.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der FDP-Landesvorsitzende macht am Wochenende klar, dass die schulpolitische Sprecherin und der Schulstrukturbetonwerker Witzel eine Neandertalposition besetzen, die sich längst überlebt hat. Dann wird der Landesvorsitzende der FDP von der sogenannten liberalen Partei hier im Lande von eben jener Neandertalfraktion zusammengefaltet, und die Innovation des Innovationsministers ist vorbei.

(Beifall von den GRÜNEN)