Protocol of the Session on September 20, 2007

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Trotzdem will ich gerne eingestehen, dass die Gesamtabwägung durch meine Fraktion weder in der Ausschussberatung noch im Plenum tatsächlich stattgefunden hat. Insofern ist der Prozess fehlerhaft verlaufen, so der Gutachter, und wir stellen uns unserer Verantwortung. Wir haben immer betont, da wir damals dieses Gesetz gemeinsam auf den Weg gebracht haben, haben wir heute auch eine gemeinsame Verantwortung zu überprüfen, ob das richtig war. Wir kommen zu dem Ergebnis: Das Gesetz hatte offensichtlich Fehler, und daher wollen wir diese Fehler korrigieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Noch einmal: Wir sind der Meinung, dass dem Land größerer Schaden entsteht, wenn wir die Dinge laufen lassen, anstatt den Fehler heute und in den folgenden Wochen zu korrigieren. In diesem Sinne hoffe ich – das ist auch an Ihre Adresse gerichtet –, dass die Zustimmung zu einem solchen Gesetz über unsere Fraktion hinausgeht und wir vielleicht mit einem ernsthaften Gesetzgebungsverfahren den Diskussionsprozess noch befördern können. – Vielen Dank.

Vielen Dank, Herr Kollege Remmel. – Für die CDU-Fraktion spricht der Herr Abgeordnete Lienenkämper.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Herr Remmel, Ihre Rede gibt mir Veranlassung, noch einmal die Genese des Verfahrens in Erinnerung zu rufen, wie wir es hier im Landtag miteinander besprochen haben und wie es bisher seinen Verlauf genommen hat. Wir haben im Februar im Wirtschaftsausschuss den Gesetzentwurf der Landesregierung, den Sie jetzt gerne wieder aufheben würden, behandelt. Wir haben ohne Änderungen an das Plenum die Beschlussempfehlung gegeben, dem Gesetz zuzustimmen, und zwar mit den Stimmen aller vier Fraktionen. So ist

es am 15. März ohne eine Gegenstimme in zweiter Lesung passiert.

Diese gesetzliche Initiative ist nicht vom Himmel gefallen, sondern hat eine Vorgeschichte. 2003/2004 hat es ein Raumordnungsverfahren, ein Planfeststellungsverfahren mit frühzeitiger Beteiligung aller Betroffenen gegeben. Wir haben im vorgeschalteten Verwaltungsverfahren sage und schreibe 104 beteiligte Träger öffentlicher Belange gehört; darunter allein 13 mit Sitz im Kreis Mettmann. Im gesamten Gesetzgebungsverfahren sind von dort keinerlei kritische Hinweise an uns herangetragen worden.

Nachdem das Gesetz verabschiedet worden ist – das ist zuzugestehen –, hat es die Entwicklung genommen, die wir jetzt alle sehen. Im Verfahren selber sind uns diese Hinweise von allen Beteiligten vielfältiger Herkunft so nicht unterbreitet worden.

Gestern hat das Düsseldorfer Verwaltungsgericht alle Eilanträge gegen die Pipeline abgelehnt, und zwar mit ausführlicher Begründung. Wenn Sie in Ihrem Gesetzentwurf davon sprechen, das einstimmig verabschiedete Gesetz sei offensichtlich verfassungswidrig, ist das also offenkundig unrichtig.

(Monika Düker [GRÜNE]: Das stellt nicht das Verwaltungsgericht fest!)

Das heißt nicht, dass wir nicht noch das Hauptsacheverfahren abwarten müssten. Das ist doch völlig normal. Deshalb beobachten wir das Ganze interessiert. Zu meinen, der Landtag könne nun entweder einen Baustopp erreichen oder sollte schon jetzt das Gesetz aufheben, ist aber absolut verfehlt. An dieser Stelle ist die Juristerei gefragt. Die Gerichte werden darüber entscheiden. Das werden wir alle zur Kenntnis nehmen müssen. Wir werden die Verfahren weiter intensiv beobachten.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Löhrmann?

Aber selbstverständlich.

Bitte schön, Frau Löhrmann.

Damit hatte ich gerechnet, Herr Kollege. – Es gibt einen schönen Spruch. Wer A sagt, muss aber nicht unbedingt B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.

Wie bewerten Sie diese Aussage im Zusammenhang mit der jetzigen Diskussion?

Frau Kollegin Löhrmann, diese Frage beantworte ich ganz eindeutig mit einem B. Wir sagen B, nachdem wir A gesagt haben, weil A zum jetzigen Zeitpunkt nicht erkennbar falsch ist.

(Beifall von CDU und FDP)

Im Übrigen haben wir es mit berechtigten Anliegen der Bürger zu tun. Diese nehmen wir sehr ernst. Natürlich ist es ein ernster Vorgang, wenn Unterschriftensammlungen in einem solchen Umfang wie hier vorgelegt werden. Natürlich ist es ein ernster Vorgang, wenn sich die Menschen in der betroffenen Region Sorgen um die Sicherheit machen. Natürlich ist es ein ernster Vorgang, wenn sich die Menschen in ihrer Region Sorgen um ihre Grundstücke und um mögliche Enteignungsverfahren machen. Natürlich ist es auch absolut legitim, diese berechtigten Anliegen – zu welchem Zeitpunkt auch immer – vorzutragen.

Sicherlich wäre es sinnvoller gewesen, wenn man viel frühzeitiger und umfangreicher informiert hätte. Ich bin sicher: Viele von den Bedenken, die jetzt artikuliert werden, hätten frühzeitig zerstreut werden können, wenn früher, besser, intensiver und umfassender informiert worden wäre.

(Beifall von CDU und FDP)

Das ist sicherlich unterblieben. Dies wird jetzt nachzuholen sein. Mein Gefühl sagt mir, dass das auch in einem relativ großen Umfang gelingen wird.

Wir sind ausdrücklich für die Fortsetzung dieser Informationsoffensive. Deswegen haben wir der Anhörung im Umweltausschuss zugestimmt. Sie ist nun für den 18. Oktober 2007 terminiert. Im Rahmen dieser Anhörung werden wir noch eine ganze Menge Argumente auf den Tisch dieses Hauses bekommen, die wir anschließend gemeinsam bewerten müssen.

Im Übrigen gibt es nicht nur die juristischen Argumente, die ich eben genannt habe, nämlich die der Frage nach der Verfassungsgemäßheit oder Verfassungswidrigkeit, auch die Frage nach der Allgemeinnützigkeit oder der Firmennützigkeit für Bayer sowie die Fragen der Sicherheit, die Fragen des Katastrophenschutzes und all die berechtigten Anliegen.

Daneben gibt es auch Anliegen wirtschaftlicher Natur, die wir zu berücksichtigen haben. Natürlich werden wir auch die Argumente hören, die im Zu

sammenhang mit dem Chemiestandort NordrheinWestfalen stehen. Außerdem werden wir die Argumente anzuhören haben, die im Zusammenhang mit Bayer als wichtigem Arbeitgeber in Nordrhein-Westfalen und den Arbeitsplätzen stehen, die dabei eine Rolle spielen.

Wir werden auch nochmals die Argumente zum Verkehr hören und uns fragen müssen: Ist beispielsweise ein alternativer Transport mit Gastankkraftwagen über Landstraßen und quer durch Dörfer und Städte wirklich günstiger als die Nutzung einer Spezialleitung?

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Diese alte Diskussion!)

Vielleicht werden uns auch noch ganz andere Lösungen vorgeschlagen. Das alles wird im Nachgang zur Anhörung von uns zu behandeln und abzuwägen sein.

Drohungen und markige Worte, wie wir sie jetzt von vielen Seiten hören, helfen bei diesen Fragen am allerwenigsten weiter. Eine sachliche Bewertung aller Argumente hilft an dieser Stelle viel, viel mehr. Es ist wie im sonstigen Leben: Nicht derjenige, der am lautesten schreit, hat recht.

Meine Damen und Herren, wir sind als Politik aber auch aufgerufen, den Auftrag ernst zu nehmen, den das Grundgesetz uns gibt. Wir sollen an der politischen Willensbildung der Bevölkerung mitwirken. Das heißt nicht, dass wir dem gebildeten Willen des Volkes in jedem Fall hinterherlaufen. Herr Kollege Remmel, bei Ihrem Antrag habe ich das Gefühl gehabt, dass Sie das heute ein Stück weit versuchen.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Lienenkämper. – Für die Fraktion der SPD hat jetzt Herr Kuschke das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat: Es geht nicht um Drohungen und nicht um eine zugespitzte emotionale Auseinandersetzung, sondern schlichtweg um die Frage, ob wir in einer Industriegesellschaft in der Lage sind, schwierige Verfahren mit rechtsstaatlichen Mitteln zu handeln.

Ich will aber natürlich auch darauf verweisen, dass zwischen dem formalen Argument – das meine ich überhaupt nicht despektierlich – „rechtsstaatliche Verfahren“ und dem, was die Bürgerinnen und Bürger fühlen, also dem subjektiven Gefühl von Rechtsstaatlichkeit und dem Rechtsempfinden, auch Unterschiede bestehen.

Diese Lücke muss gefüllt werden. Bisher ist sie nicht gefüllt worden. Ich komme gleich noch einmal darauf zurück.

Dem, was Herr Kollege Remmel zur Zustandsbeschreibung ausgeführt hat, will ich nichts hinzufügen; das unterstreiche ich voll und ganz.

Lieber Kollege Remmel, wir kommen aber zu einer anderen Beurteilung Ihrer Initiative, die Sie heute vorlegen. Wir glauben in der Tat, dass die einzige Instanz, die das widerrufen kann, was wir hier auf den Weg gebracht haben, das Verfassungsgericht ist. Das Verfassungsgericht ist die einzige Instanz, der eine Verwerfungskompetenz zusteht.

Es hilft überhaupt nichts – ich halte das sogar für kontraproduktiv –, wenn Sie in Ihrem Gesetzentwurf von rechtlicher Überprüfung sprechen. Möglicherweise haben Sie mit den Ressourcen, die Ihrer Fraktion zur Verfügung stehen, eine rechtliche Prüfung durchgeführt, aber das ist keine gerichtliche Überprüfung. Ich würde den Hinweis auf eine rechtliche Überprüfung auch deswegen nicht in einen solchen Gesetzentwurf schreiben, weil wir seit gestern immerhin eine erste gerichtliche Prüfung und deren Ergebnis haben.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])

Im Interesse des Anliegens, das uns ja gemeinsam ist, Herr Kollege Remmel – oder wer aus der grünen Fraktion im Augenblick gerade zuhören kann –, ist es sinnvoll, diese Argumentation auf keinen Fall weiter zu verfolgen.

Der zweite Punkt – das will ich in aller Deutlichkeit sagen, weil ich glaube, dass wir uns in Wochen, Monaten oder Jahren erneut mit ähnlich schwierigen Entscheidungen auseinandersetzen werden –: Wir dürfen nicht zulassen, auch wenn die Versuchung groß ist, dass wir in eine Situation hineinkommen, in der wir aktiv einer Vermischung der Gewalten Vorschub leisten.

(Beifall von SPD und FDP)

Das ist der Weg, auf dem wir sind.

Dritte Anmerkung: Herr Kollege Remmel, meine Damen und Herren, ich halte es nun wirklich für einen politisch-strategischen Fehler, dass Sie den Ball in das falsche Spielfeld spielen. Nicht hier ist das Spielfeld, das Spielfeld ist dort: Die Regierungsbank ist das Spielfeld und das Unternehmen.

(Beifall von der SPD)

Ich schlage also auch aus politisch-strategischen Gründen vor, dass wir gemeinsam einen anderen Weg suchen.

Was sind die Erwartungen, die wir in der Tat haben? Vieles an Informationen, an Klarstellungen – auch darauf ist mein Vorredner eingegangen – ist weitaus zu spät erfolgt. Frau Ministerin Thoben, ich kann es Ihnen nicht ersparen, ganz deutlich zu sagen, dass die Landesregierung bis zum heutigen Tage in fünf wesentlichen Punkten nicht gehandelt hat:

Punkt 1. Ich kenne keine einzige Positionierung, die die Landesregierung und Sie als Wirtschaftsministerin in dieser Auseinandersetzung eingenommen haben.

(Beifall von der SPD)