Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Im August wurde den Schulträgern mit einem
Schreiben mitgeteilt, dass das Land einen Landesfonds von 10 Millionen € auflegt, um bedürftigen Kindern zu ermöglichen, am Schulessen teilzunehmen. Ministerpräsident Rüttgers machte das zu einem persönlichen Anliegen. Ich zitiere:
„Es darf nicht sein, dass Kinder aus sozial schwächer gestellten Familien von dieser wichtigen gemeinsamen Mahlzeit ausgeschlossen werden oder die Kosten Eltern davon abhalten, Kinder in einer solchen Einrichtung anzumelden.“
In der Praxis sieht es allerdings so aus, dass es Kinder erster und zweiter Klasse gibt – nämlich die, die sich das Essen leisten können, und die, bei denen das nicht der Fall ist. Nicht wenige Kinder verlassen vor dem Mittagessen die Schule, kommen dann aber zur nachmittäglichen Betreuung wieder dorthin zurück. Ich brauche Ihnen sicher nicht zu schildern, welchen Druck diese Situation auf die Kinder ausübt; denn in 98 % der Fälle können wir davon ausgehen, dass für diese Kinder auch zu Hause kein Mittagessen zur Verfügung gestellt worden ist und sie mit hungrigem Magen in die Schule zurückkommen.
Dazu eine kleine Begebenheit: Eine Schule in Wuppertal. Ein Mädchen, ungefähr zwölf Jahre alt, stürzt in die Mensa einer Gesamtschule, greift sich ein Stück Fleisch vom Teller eines Fünftklässlers, stürmt nach draußen, verlässt die Schule, rennt auf die andere Straßenseite und schlingt dieses Stück Fleisch hinunter.
Das geschah am zweiten Schultag nach den Sommerferien. Hintergrund: Bis zu den Sommerferien erhielten bedürftige Kinder in Wuppertal ein kostenloses Schulessen. – Das ist die traurige Realität in NRW.
„Ziel des Landesfonds muss es sein, Kinder und Jugendliche an eine gesunde Ernährung heranzuführen und ein angemessenes Sozialverhalten beim Essen zu fördern.“
Das klingt alles sehr gut. Ich schildere Ihnen aber einmal Beispiele aus der Praxis. Der Gebrauch von Messern und Gabeln ist vielen Kindern fremd. Beispielsweise wird ein Stück Fleisch wird auf eine Gabel gespießt und rundherum abgenagt; ich erspare mir ein anderes Wort für „nagen“. Gemüsesorten sind vielen Kindern unbekannt. Gekochte Kartoffeln werden nicht identifiziert, weil man sie nur in Form von Pommes frites kennt.
Die gemeinsame Mahlzeit ist nicht nur von ernährungswissenschaftlicher Relevanz, sondern bietet auch eine soziale Komponente; denn in vielen
Familien wird eine gemeinsame Mahlzeit nicht mehr praktiziert – auch in den sogenannten bürgerlichen Familien nicht mehr.
Das vonseiten der Landesregierung veranschlagte Finanzierungskonzept in Höhe von 10 Millionen € ist nicht ausreichend. Außerdem ist diese Förderung – Frau Kollegin Löhrmann hat eben schon darauf hingewiesen – mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden, der den Erfordernissen von Schule nicht gerecht wird. Die Schulen müssen prüfen, welche Kinder bedürftig sind. Ihre Eltern haben mitzuteilen, ob sie Hartz-IV-Empfänger sind. Natürlich gibt es eine Menge Eltern, die sich schämen, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Deren Kinder können dann auch nicht am Mittagessen teilnehmen. Die Dunkelziffer ist hoch.
Hier gilt es, in Eigenverantwortung des Landes im Sinne der Kinder und Jugendlichen den Beitrag zu investieren, der notwendig ist. Die veranschlagten 10 Millionen € reichen bei Weitem nicht aus. Einige Kollegen haben bei dieser Debatte geschildert, dass ihre Heimatkommunen schon Gelder beim Landesfonds beantragt haben. Diese Anträge stellen mittlerweile viele Kommunen. Das wird zwangsläufig dazu führen, dass Sie feststellen müssen, dass mit diesen 10 Millionen € nicht auszukommen ist.
Gerne, Herr Minister. – Wenn es der Landesregierung wirklich so ernst damit ist, dass jedes Kind ein warmes Mittagessen erhält, muss sie auch die notwendigen finanziellen Investitionen tätigen und darf sich nicht darauf verlassen, durch Patenschaften und Sponsoring, also Bereitwilligkeit von Ehrenamtlern, die finanzielle Lücke zu schließen, wie der Ministerpräsident sich das vorstellt.
Denn es ist nicht damit getan – damit komme ich zum Schluss –, plakativ sozial zu argumentieren und in der Umsetzung jegliche soziale Verantwortung vermissen zu lassen. – Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt unbestritten sozial schwache Familien, bei denen die Regelsätze zu knapp bemessen sind, um auf Dauer ei
ne vollwertige, gesunde Ernährung aller Kinder sicherzustellen. Es liegt ferner in der Logik von Regelsätzen, dass in angemessenen Abständen eine Überprüfung und Anpassung an die Preisentwicklung stattfinden muss, damit ein System sachgerecht funktioniert. Richtig ist auch: Sozial schwache Kinder sind selbst nicht für ihre Herkunft verantwortlich und haben daher die Unterstützung der Gemeinschaft verdient.
Aus all diesen Gründen helfen wir als Koalition der Erneuerung sozial schwachen Kindern unbürokratisch mit dem neuen Härtefonds des Landes, der eine Mittagsverpflegung für 50.000 Jugendliche sicherstellt. So wurde dies bereits am 13. Juni 2007 unsererseits vom Parlament beschlossen. Dafür brauchen wir die Grünen nicht, Frau Löhrmann. Gehen Sie bei allen Fantasien, die Sie ja haben dürfen, bitte nicht davon aus, dass die Grünen für diesen Beschluss kausal verantwortlich waren.
Sie haben damals dagegen gestimmt. Sie hätten – ich kenne auch Zeiten der Opposition – ohne Weiteres hier erklären können: Die Grünen haben viel weiter reichende Vorstellungen für eine viel größere Anzahl von Fällen,
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie haben Ihren Antrag doch nur gestellt, weil Sie unserem Antrag nicht zustimmen wollten!)
aber Sie freuen sich über das, was hier auf den Weg gebracht wird und könnten daher unserem Antragsvorhaben zustimmen. Zumindest nach Ihrer Logik wäre das ein erster Schritt in die richtige Richtung gewesen.
Ich selber werbe seit Juni, als wir den Beschluss gefasst haben, in meiner Stadt Essen dafür, die Gelder in Anspruch zu nehmen. Es freut mich außerordentlich, dass wir auch in meiner Stadt Essen, die als Stadt im Ruhrgebiet sicherlich Fallkonstellationen hat, bei denen sich eine Inanspruchnahme des Fonds mehr als anbietet, davon partizipieren wollen.
„Wer immer die neueste Satellitenschüssel auf dem Dach und viel Alkohol im Haus hat, dem brauchen wir nichts zu finanzieren.“
Vor dem Hintergrund Ihrer eben gemachten Äußerungen frage ich Sie, ob Sie die zitierte Aussage aufrechterhalten.
Herr Trampe-Brinkmann, mit dem, was Sie hier vortragen, unterstellen Sie, dass hier – vermeintlich – vollständig die Wahrheit aus einer Sitzung wiedergegeben wird. Das ist nicht der Fall.
Ich empfehle Ihnen einen Blick in das Wortprotokoll. Sie werden dort von mir ausdrücklich den Hinweis finden, dass – so ist es sehr klar im Wortprotokoll der entsprechenden Ausschusssitzung festgehalten -unterschiedliche Fallkonstellationen von Einzelfall zu Einzelfall sehr differenziert zu bewerten sind, dass es eine sehr unterschiedliche Problemlage gibt.
Ich lege großen Wert darauf, dass diese generalisierende Aussage, die mir hier unterstellt wird, von mir zu keinem Zeitpunkt getroffen wurde. Es gibt zu keinem Zeitpunkt von mir für Hartz-IVEmpfänger eine solch generalisierende Aussage. Die wäre so, wie sie von der Caritas zitiert wird, auch in der Tat falsch, weil man vielen Menschen damit Unrecht tun würde. Bitte lesen Sie das im Protokoll nach. Ich stelle Ihnen gerne die entsprechenden Passagen zur Verfügung.
Die Wahrheit, Herr Trampe-Brinkmann, ist aber, dass bei vielem, was SPD und Grüne heute fordern, Sie selber nicht gehandelt haben, als Sie in der Verantwortung standen.
Selbstverständlich, Frau Schneppe! Und das habe ich kritisiert. Wir haben in der letzten Legislaturperiode, als der Ausbau des Ganztagsbetriebes begann, doch diese Fragen gestellt. Da haben Sie klar gesagt: Das ist eine Sache der Kommune! Damit hat das Land nichts zu tun! Wir haben keinerlei Erkenntnisse, ob sich Schüler wegen der Kosten abmelden oder nicht. – Das ist in Landtagsdrucksachen festgehalten, in der Parlamentskorrespondenz Ihrer Ministerien. Das war die Reaktion, die wir damals in unserer alten Oppositionsrolle geerntet haben.
Deshalb bitte ich Sie: Wenn das Ihr Handeln bestimmt hat, solange Sie in Verantwortung standen, dann seien Sie so fair und erkennen das an, was sich in der Zwischenzeit in diesem Land geändert hat.
Dann erkennen Sie nämlich an, dass die Regelung, die Sie bei dem vorhergehenden Tagesordnungspunkt kritisiert haben – Stichwort „Lernmittelfreiheit“ –, 1:1 das von Ihnen hinterlassene Schulgesetz ist. Dann erkennen Sie an, dass es bei Ihnen keine Regelung für das Schulmittagessen gab und wir jetzt zumindest einen ersten großen Schritt machen. 50.000 Kinder erfahren nun eine wesentliche Unterstützung für eine gesunde und nahrhafte Ernährung. Das kann man nicht einfach vom Tisch wischen.
Das ist doch der dritte Aufguss Ihrer Forderung in diesem Jahr! Das ist doch keine neue Idee von Ihnen, mit der Sie hier ankommen.
(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wir machen un- sere Hausaufgaben vernünftig! Der Minister- präsident hat doch gefragt: Wo sind die Ge- setzentwürfe?)
Sie kommen mit diesem Thema permanent neu um die Ecke. Sie haben sich nur leider nicht für diese Zielgruppe eingesetzt, als Sie hier noch in der Regierungsverantwortung standen.
Und jetzt fordern Sie einen allgemeinen Rechtsanspruch. Da sage ich Ihnen: So weitreichend, wie Sie das hier fordern, geht das über das Ziel hinaus.