Protocol of the Session on September 19, 2007

Drucksache 14/4199

Änderungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP

Drucksache 14/5080

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kommunalpolitik

und Verwaltungsstrukturreform

Drucksache 14/4974

zweite Lesung

Meine Damen und Herren, ich erteile Herrn Schmitz von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition der Erneuerung setzt heute einen weiteren Meilenstein,

(Bodo Wißen [SPD]: Die Koalition der Ver- blödung!)

um die Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen zu verschlanken und effizienter zu gestalten. Wir verabschieden heute nämlich das Bürokratieabbaugesetz II.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Mit dem Gesetz wird die Möglichkeit des Widerspruchsverfahrens vor der Verwaltungsbehörde im Wesentlichen abgeschafft. Es wird demnächst nur noch in eng begrenzten Ausnahmefällen die Möglichkeit geben, Widerspruch bei der Behörde einzulegen. Dieses Gesetz liegt mir persönlich am Herzen, weil ich in meiner langjährigen anwaltlichen Tätigkeit zu der Überzeugung gelangt bin, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahren in mindestens 90 % der Fälle überflüssig waren, da ihre Erfolglosigkeit von vornherein feststand.

Der Bürger wird nunmehr schneller und effizienter zu seinem Recht kommen, da er gleich die unabhängigen Gerichte anrufen kann und nicht erst die Warteschleife innerhalb der Behörde durchlaufen muss. Diese Meinung ist auch in der Anhörung von den meisten Sachverständigen geteilt worden.

Mein einziges Bedenken betraf die sogenannten Massenbescheide, die etwa im Abgabenrecht zu erteilen sind. Aber hier haben die Sachverständigen überzeugende Lösungsmöglichkeiten dargestellt, wie dieses vermeintliche Problem zu lösen ist.

Durch das Gesetz wird auch – insoweit nehme ich das Argument der Opposition auf – der Rechtsschutz des Bürgers nicht verkürzt, sondern – wie ich eben schon dargelegt habe – verstärkt, weil der rechtsuchende Bürger nunmehr schneller zu seinem Recht kommen wird. Jeder, der in der Praxis damit zu tun hat, weiß, dass die wenigsten Bürger die Entscheidung der Verwaltungsbehörde akzeptieren. Vielmehr suchen sie die Entscheidung des unabhängigen Gerichts, und sie geben sich erst dann zufrieden, wenn eine Entscheidung durch das unabhängige Gericht getroffen wird. Diese Entscheidung wird der Bürger nun schneller bekommen. Der Umweg in Form eines Widerspruchsverfahrens ist in den meisten Fällen überflüssig geworden.

Deswegen begrüßen wir dieses Gesetz, das meiner Meinung nach – ich habe es vorhin schon angedeutet – längst überfällig war. Wir hätten ein solches Gesetz schon viel früher machen können.

(Sören Link [SPD] meldet sich zu einer Zwi- schenfrage.)

Denn – ich kann es nur noch einmal wiederholen und beziehe mich auf meine lange anwaltliche Erfahrung – der Widerspruch war meistens von vornherein vergeblich, weil sich der entscheidende Beamte im Vorfeld ohnehin bei seinen Vorgesetzten erkundigt hat, um einen Bescheid zu erlassen, der nachher Bestand hatte.

Ich bin mit meinen Ausführungen fertig, sodass sich die Zwischenfrage erledigt hat.

(Lachen von SPD und GRÜNEN)

Ich begrüße das Gesetz. Wir werden es heute in zweiter Lesung beschließen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Schmitz. Sie haben signalisiert, dass Sie die Zwischenfrage des Kollegen Link nicht zulassen wollen. – Nun hat als nächster Redner Herr Kollege Körfges für die Fraktion der SPD das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sache mit der Koalition der Erneuerung, der dann die Ernüchterung folgte – im Augenblick sind wir im Bereich der Enttäuschung –, hat eine ziemliche Geschichte.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Ich will auf einen Tagesordnungspunkt von heute Morgen zurückkommen, im Rahmen dessen uns sowohl von der Regierungsbank als auch von den regierungstragenden Fraktionen ganz furchtbar vorgeworfen worden ist, dass es eine Unsitte sei, ins Plenum Änderungsanträge einzubringen.

(Zuruf von der CDU: Das hat niemand ge- sagt!)

Doch, auch unser parlamentarischer Stil ist gerügt worden.

Auf Ihrer Seite zieht sich mittlerweile allerdings ein solches Verfahren wie ein roter Faden durch das, was uns die Landesregierung vorlegt: Sie als regierungstragende Fraktionen müssen bitterböse nachbessern und die notwendigen Änderungen vornehmen, damit aus einem Gesetzentwurf überhaupt erst etwas zu Verabschiedendes wird. Das ist auch kein toller Stil.

(Beifall von Bodo Wißen [SPD])

Insgesamt wird, meine Damen und Herren, die Sache auch durch diese Änderungen nicht besser.

Es kommt immer darauf an, welcher Sachverständige auf welche Frage wie antwortet. Ich will nicht unterstellen, dass zum Beispiel Richter oder Anwälte – ich will auch nichts gegen meinen eigenen Berufsstand sagen – spezielle Interessen bei der Abschaffung des Widerspruchverfahrens haben. Aber eines ist unverkennbar, weshalb ich ganz deutlich frage: Gibt es Ihnen nicht zu denken, dass alle kommunalen Spitzenverbände gesagt haben, wir sollten unheimlich vorsichtig mit der flächendeckenden Abschaffung von Widerspruchverfahren sein? Denn genau an der Stelle kämen auf sie Unwägbarkeiten und unkalkulierbare Kosten und unter Umständen auch ganz böse Überraschungen zu.

Mir liegt unter anderem ein Schreiben aus meiner Heimatstadt vor. Ein Mitarbeiter der Verwaltung hat einen bestimmten Fall aufgeführt und dann gerechnet. Er hat geschrieben, bei Masseverfahren könne häufig, ohne dass die Verwaltung einen Fehler macht, eine Kleinigkeit danebengehen. Diese ziehe sich dann durch den gesamten Vorgang. Die Verwaltung könnte relativ kostengünstig im Widerspruchsverfahren Abhilfe schaffen. Werde das Widerspruchsverfahren aber aufgegeben, landeten diese Verfahren alle vor Gericht, verbunden mit der Kostenfolge für die Kommune. Der zuständige Mitarbeiter meiner Heimatstadt hat die Kosten auf 250.000 € per anno beziffert.

In anderen Städten, beispielsweise in Köln, gibt es ähnliche Erkenntnisse.

Das heißt, Sie schaffen damit einen Rechtsbehelf auch zuungunsten der Kommunen ab. Darüber hinaus schaffen Sie einen für die Bürgerinnen und Bürger einfachen unbürokratischen Rechtsbehelf ab, ohne dafür etwas adäquates anderes zu liefern.

(Beifall von der SPD)

Ich gebe den Sachverständigen recht, die sagen, wenn es überall ein Beschwerdemanagement gäbe, wenn das Verfahren nach § 28 Verwaltungsverfahrensgesetz ausgereift wäre und überall in gleicher Weise angewandt würde, könnte man die Abschaffung dieses Rechtsbehelfes überlegen.

Sie schaffen ihn aber einfach ab, ohne einen adäquaten Ersatz zu schaffen für diese einfache Möglichkeit, im Bereich des Vorverfahrens die Bürgerinnen und Bürger angemessen zu beteiligen. Nach dem System der kommunizierenden Röhren, wie die Sachverständigen bestätigt haben, laufen dann bei Gericht eine Menge mehr Verfahren. Die Eingangszahlen bei den Verwaltungsgerichten – dafür gibt es aus Niedersachsen schlagende Beispiele – explodieren regelrecht.

Herr Kollege Körfges, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuschke?

Ich habe das schon mitbekommen. – Bitte, Herr Kollege Kuschke.

Bitte sehr, Herr Kollege Kuschke.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Kollege Körfges, ich bin auf Ihr Wohlwollen angewiesen, weil die Vertreter der Regierungsfraktionen keine Zwischenfragen zulassen.

Mir liegt ein Schreiben der Hüttenwerke Kaiser, einer der größten europäischen Kupferhütten, aus dem Heimatort von Herrn Kollegen Schmeltzer und mir, vor. Darin heißt es deutlich – ich darf mit Genehmigung der Präsidentin zitieren –:

„Die Beseitigung des Widerspruchsverfahrens würde zudem insbesondere im industriellen Anlagenzulassungsrecht zu einer sachlichen und zeitlichen Ausdehnung des Anhörungsverfahrens führen.“

Wie bewerten Sie gerade diesen Hinweis auf den Bereich des industriellen Anlagenzulassungsrechts vor dem Hintergrund, dass die vermeintli

che Koalition der Erneuerung angeblich gerade den Industriestandort stärken will?

Diese Bedenken – dieses Statement kannte ich nicht – decken sich mit vielen anderen Stellungnahmen beispielsweise vom BDI, von ThyssenKrupp aus Duisburg und von vielen anderen namhaften Unternehmen, die der Meinung sind, es sollte ihnen die Möglichkeit belassen werden, im Rahmen des Widerspruchsverfahrens im Gespräch für das Unternehmen und für den Standort bessere Wege zu erarbeiten. Wir sollten Sie nicht auf den Rechtsweg zwingen.

Ganz doll bei der ganzen Angelegenheit ist, dass auch diejenigen, die sich aus einer ganz anderen Richtung mit der Thematik Natur und Umwelt beschäftigen, Probleme mit der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens haben.

Es ist ein historischer Augenblick. Sie schaffen es mal wieder, bei uns in Nordrhein-Westfalen Dinge möglich zu machen, die man vorher für unmöglich gehalten hätte: Sowohl der BUND als auch der BDI sind gegen Ihr Gesetz. Für mich ist das Grund genug, zu sagen, dass man den Gesetzentwurf einfach nur ablehnen kann. – Ich bedanke mich.

(Beifall von der SPD)