Protocol of the Session on August 23, 2007

„Die Reise, von der wir nicht wissen, wohin sie mit uns geht“, „Wie kann die Welt in Zukunft gestaltet werden?“, das ist alles sehr pathetisch formuliert und macht sich möglicherweise in einer Einladung ganz nett – die Kollegin hat darauf hingewiesen –, im Antrag klingt das jedoch ein bisschen stark hervorgegriffen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Was würde wohl Wolfgang Clement dazu sagen?)

Aber gut, nehmen wir das einmal als einen Ansatz hin, gemeinsam in eine politische Debatte einzutreten. Dafür eignet sich natürlich ein solcher thematischer und dramatischer Aufriss.

Sie sprechen von einem kollektiven Gedächtnis, das identitätsstiftend ist. Das sehen wir sicherlich alle so. Wenn wir uns nicht gemeinsam an das erinnern, was uns historisch und gesellschaftlich geprägt hat, dann sind wir am Ende verloren. Vor dem Hintergrund kann man einen solchen Antrag sicherlich formulieren.

Richtig ist, was Frau Kollegin Nell-Paul gesagt hat: Der Antrag ist relativ wenig konkret.

Es sind ein paar Punkte aufgeführt, die im Grundsatz unstreitig sind. Sie können natürlich – Herr Kollege Sternberg, das wissen Sie auch – auf eine lange Geschichte, eine Tradition der Pflege dieser Dinge zurückgreifen. Es hat im Land Nordrhein-Westfalen solche Bemühungen immer ge

geben. Es sind immer Archive gepflegt worden. Es ist immer versucht worden, dieses kollektive Gedächtnis für uns alle zu bewahren und zugänglich zu machen.

Ich schließe mich dem Lob an die Landschaftsverbände gerne an. Ich glaube, dass beide beispielhaft – gerade auch in den letzten Jahren und zuletzt noch – bewiesen haben, dass ihnen die Pflege des Kulturgutes in diesem Bereich der Erinnerungskultur stark am Herzen liegt. Vor diesem Hintergrund ist das eine gute und wichtige Zusammenarbeit und ist die Landesinitiative im Prinzip auch zu begrüßen!

Genauso ist – Ihr Antrag flankiert das dann offensichtlich – die bereits vorgestellte Haushaltsentscheidung der Landesregierung zu begrüßen, die wir in den nächsten Wochen und Monaten gemeinsam beraten werden, nämlich in der Titelgruppe 65 „Substanzerhaltung von Kulturgütern“. Ich begrüße es für meine Fraktion ausdrücklich, dass hier ein Mehransatz von 1.025.000 € veranschlagt wurde. Es ist richtig, dieses kulturpolitische Schwerpunktthema, nämlich Substanzerhalt von Kulturgütern, zu stärken. Vor diesem Hintergrund kommt Ihr Antrag sozusagen ein bisschen zu spät, weil es im Haushaltsentwurf schon veranschlagt ist.

Wir haben eine Reihe von Punkten, die wir in diesem Zusammenhang sicherlich auch berücksichtigt wissen müssen, z. B. dass wir eine – wie ich finde – sehr eindrucksvolle Migrationsgeschichte haben. Das gehört ebenfalls zur Erinnerungskultur.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das muss man, glaube ich, in einem solchen Antrag noch berücksichtigen.

Ich denke, es gibt einen weiteren wichtigen Passus, den Sie leider auch im Haushalt bisher nicht berücksichtigt haben, nämlich die sogenannte politische Bildung. Herr Kollege Sternberg hat in seiner Rede schon darauf hingewiesen, dass das Ganze auch eine politische Bedeutung hat. Sie haben davon gesprochen, dass man Europa eine Seele geben will. Ich behaupte: Europa hat mehrere Seelen, und es geht natürlich darum, sich mit all diesen verschiedenen Erscheinungen und Seelen zu befassen.

Vor diesem Hintergrund will ich darauf abheben, dass die politische Bildung aus meiner Sicht eine wichtige Rolle spielt. Da muss man leider feststellen – auch mit Blick auf den Haushaltsentwurf, der gestern eingebracht worden ist –, dass der Ansatz für die Förderung von Projekten der Gedenkstät

tenarbeiten und Aufarbeitung der deutschen Geschichte – gerne auch mit dem Hinweis auf die Geschichte der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik – mit 118.200 € leider gleich bleibt. Das ist ein Miniansatz dafür, dass wir an der Stelle gerade Kinder und Jugendliche stärker einbinden wollen. Vor diesem Hintergrund muss man Ihre vielen guten Worte noch einmal genau prüfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es geht nämlich darum, diesen Ansatz für die politische Bildungsarbeit – gerade auch für das Reisen an solche Stätten –, für eine intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte vor Ort weiter zu ermöglichen. Hier gibt es sicherlich noch eine Menge Nachholbedarf. Wir hatten dort in früheren Zeiten, selbst als rot-grün sparen musste, einen etwas höheren Ansatz im Haushalt, als er derzeit zu finden ist. Insofern können wir Sie da also nur ermutigen. Den Rest der Debatte führen wir natürlich im zuständigen Ausschuss.

Auch vor dem Hintergrund, dass wir bereits seit 1998 das sehr schöne und sehr informative Portal „Archive in NRW“ im Internet haben – mit all den Verlinkungen, die man in Ruhe betrachten kann –, bin ich guter Hoffnung, dass auch diese Regierung das sinnvoll Begonnene der alten Regierung weiter klug fortsetzen wird – mit und ohne den Antrag, den Sie heute eingebracht haben. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Keymis. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Breuer das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will vorweg, Frau Nell-Paul, zwei Anmerkungen zu Ihrem Beitrag machen: Bei dem Thema „Archive und Jugend“ haben Sie nur die Zahlen des Landschaftsverbandes Rheinland zitiert. Ich möchte darauf nur aufmerksam machen, damit es im Protokoll steht, dass es viele kleine Archive gibt, die sich längst zusammenschließen und bei denen die Resonanz wesentlich größer ist. Sie sollten diese Zahlen also ganz abgewogen diskutieren. Ich bin überzeugt, dass dies eine gute Geschichte ist und möchte nur, dass im Protokoll vermerkt ist, dass es eben nicht nur das Archiv beim Landschaftsverband Rheinland gibt.

Zum Zweiten haben Sie etwas zum Ministerpräsidenten gesagt. Wir sind uns, glaube ich, einig,

dass Erinnerungen auch schmerzhaft sein können.

(Zuruf von Karl Schultheis [SPD])

Ich habe den Eindruck gehabt, dass die eine oder der andere von Ihnen gestern auch diesen Schmerz empfunden haben. Das geht übrigens nicht nur Ihnen so.

Bezüglich des Antrags der Koalitionsfraktionen möchte ich deutlich machen, dass es ein Programm ist. Ich bin den Koalitionsfraktionen sehr dankbar, dass sie diese Initiative in den Landtag einbringen. Sie deckt das weite Feld der Substanzerhaltung ab und stellt dar, wie spannend und wie lebendig diese Fragen sind, meine Damen und Herren.

An diesem Antrag wird auch deutlich, dass nicht irgendwelche Kleinigkeiten oder Gedankenspiele behandelt werden, sondern dass wir mit unserer Kulturpolitik etwas anderes gestalten wollen. Es gilt, im Auge zu behalten, was unsere Gesellschaft zusammenhält und den Kitt für unser Zusammenleben darstellt. Deshalb wollen wir den Ansatz für den Substanzerhalt im kommenden Jahr um rund ein Drittel, um 32 % von 3,2 Millionen € auf gut 4,2 Millionen €. Sie werden das dann ja entsprechend diskutieren.

In der Kürze der Zeit möchte ich noch ein paar Sachverhalte hervorheben, um zu demonstrieren, dass wir Geschichte aufarbeiten und vor allen Dingen auch Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben wollen, sich mit der Geschichte ihrer Region und ihrer Vorfahren auseinanderzusetzen. Nicht zuletzt geht es um Identität. Es geht um die Identität mit unserem Land, und es geht auch um unsere kulturellen, geschichtlichen und historischen Wurzeln.

Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen:

Erstens. Unsere Initiative Substanzerhalt: Sie ist ein voller Erfolg. Was in Zusammenarbeit mit den beiden Landschaftsverbänden geschieht, ist von größter landesgeschichtlicher Bedeutung, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU)

Ich bin auch froh, dass alle Fraktionen das begleitet haben.

Zweitens. In diesen Kontext gehört ein Kooperationsvorhaben, das Ministerpräsident Jürgen Rüttgers Anfang Juli in Auschwitz unterzeichnet hat. Nordrhein-Westfalen kooperiert mit der dortigen Museumsleitung und unterstützt die Konservierung von 39.000 Akten von KZ-Häftlingen, die

dem grausamen Arzt Mengele damals gnadenlos ausgeliefert waren. Diese Dokumente sind oft die einzigen Zeugnisse überhaupt dafür, dass diese Menschen gelebt haben, und sie sind Zeugnisse dafür, was sie Furchtbares erlitten haben.

Drittens. Ich bin auch sehr dankbar, dass Sie auf unsere Planungen für das Programm zur Restaurierung von Werken der bildenden Kunst hinweisen. In der Tat muss man sich immer wieder bewusst machen, welche Schätze in den Depots unserer Museen lagern, und das sollten wir vor allen Dingen deutlich machen.

Viertens. Wir möchten die Jungen für das Alte interessieren. Wir müssen dieses Geschichtsbewusstsein der jungen Menschen stärker entwickeln. Viele Schülerinnen und Schüler wissen schon gar nicht mehr, wie es in der jüngeren Geschichte in Deutschland angefangen hat. Abhilfe schaffen kann der Geschichtsunterricht, Abhilfe möchten wir aber auch schaffen, indem wir die Archive noch stärker für junge Menschen öffnen und jugendgerecht machen.

Meine Damen und Herren, das sind nur einige Beispiele. Die Arbeit fängt in manchen Bereichen jetzt erst richtig an. Ich freue mich, dass diese Arbeit eine breite parlamentarische Unterstützung hat. Gespannt darf man auf die vertiefenden Diskussionen im Ausschuss sein. Ich habe – auch angesichts aller heutigen Beiträge – die große Zuversicht, dass wir in diesen wichtigen Fragen von Zusammenhalt, Identität und Geschichtsbewusstsein, die Jungen und die Alten zusammenbringen, das Junge und das Alte zusammenbringen. Ich glaube, dass wir mit Konsens an diesem Thema arbeiten sollten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Breuer.

Meine Damen und Herren, der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 14/4869 an den Kulturausschuss – federführend –, den Ausschuss für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie, den Ausschuss für Generationen, Familie und Integration sowie an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll in öffentlicher Sitzung im federführenden Kulturausschuss erfolgen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Ist jemand dagegen? – Enthaltungen? – Das ist vom Plenum einstimmig so beschlossen.

Wir kommen zu:

7 Gesetz zur Einführung des Wahlalters 16 bei Landtagswahlen

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD Drucksache 14/4867

erste Lesung

Zur Einbringung des Gesetzentwurfes erteile ich dem Kollegen Kuschke von der SPD-Fraktion das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was wir wollen, nämlich die Änderung von Art. 31 Abs. 2 Satz 1, ist schnell dargestellt: Wahlberechtigt ist, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat.

Wir haben dazu im Hauptausschuss eine Anhörung durchgeführt. Die Anhörung hat keinerlei verfassungsrechtliche oder gesetzestechnische Bedenken ergeben. Im Gegenteil: Einer der Sachverständigen, Prof. Koch, hat in seiner Stellungnahme ausgeführt – ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren –:

„Für Niedersachsen hat der Niedersächsische Staatsgerichtshof die Gleichwertigkeit von Landes- und Kommunalaufgaben ausdrücklich anerkannt. Auf dieser Grundlage erscheint als zweifelhaft, ob Differenzierungen hinsichtlich des Wahlalters für unterschiedliche Wahlen überhaupt möglich sind. Dies gilt jedenfalls insoweit, als die Regelung des Wahlalters in die Zuständigkeit desselben Gesetzgebers fällt.“

Das wäre bei uns gegeben: mit unserer Zuständigkeit für die Festsetzung des Wahlalters bei den Kommunalwahlen und bei den Landtagswahlen.

Meine Damen und Herren, ich denke aber, es geht um viel mehr. Ich will das an zwei Beispielen verdeutlichen.

Erstes Beispiel: Am 11. September 2003 bringt eine Gruppe von 25 Mitgliedern des Deutschen Bundestages von SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag ein. In diesem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, Art. 38 Grundgesetz zu ändern. Es wird ein Wahlrecht ab der Geburt gefordert. Dieses soll von den gesetzlichen Vertretern wahrgenommen werden.