Protocol of the Session on June 13, 2007

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Erinnern wir uns knapp zwei Jahre zurück: In seiner Regierungserklärung vom 13. Juli 2005 erläutert Ministerpräsident Rüttgers, dass seine Regierung – Zitat – „ein lückenloses, bedarfsgerechtes und verlässliches Modell der Kinderbetreuung aufbauen will, das hohen pädagogischen Ansprüchen genügt“.

Herr Ministerpräsident – er ist leider nicht unter uns –, Herr Minister Laschet, mit diesem Gesetzentwurf ist Ihnen das nicht gelungen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die mit dem sogenannten Kinderbildungsgesetz realisierbare Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern wird weder lückenlos noch bedarfsgerecht noch verlässlich sein, und hohen pädagogischen Ansprüchen wird das hiermit Machbare schon gar nicht gerecht.

Das, was nun vorliegt, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat eine lange Moderations- und Beratungsgeschichte – die Details sind uns allen vertraut. Es wurde Konsens erreicht, dann entstand ein Referentenentwurf. Hier bereits setzte das ungläubige Staunen derer ein, die den Konsens mit unterzeichnet hatten.

Dem Entwurf folgte ein zweiter, der nun vorliegt. Und nun, Herr Minister? Seit gestern ist das ungläubige Staunen zur Verärgerung, ja schlimmer noch: zur Ablehnung geworden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

„Freie Wohlfahrtspflege lehnt Entwurf des KiBiz ab“ – so die Überschrift einer Pressemitteilung vom 12. Juni 2007, also gestern. „Die Freie Wohlfahrtspflege NRW“, so heißt es weiter in der Erklärung, „sieht den erzielten Konsens … durch die Landesregierung aufgekündigt“.

(Beifall von der SPD)

Das ist ein denkwürdiger Vorgang. In monatelangen, sicherlich harten, aber letztlich konstruktiven Verhandlungen erzielte Absprachen werden mit Ihrem, Herr Minister Laschet, nun vorliegenden Gesetzentwurf zunichte gemacht. Es ist eben nicht nur die Opposition in diesem Hause, die den Entwurf seit Monaten in zahllosen Informationsveranstaltungen kritisiert; nun sind es vernehmbar auch die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege.

(Beifall von der SPD)

Es sind seit Bekanntwerden Ihrer Pläne auch tausende Eltern und ebenso zahlreich Erzieherinnen und Leiterinnen von Einrichtungen, die sagen: So nicht, Herr Minister!

(Beifall von der SPD)

Warum diese Ablehnung? – In einer Zeit, in der wir alle um die besten Lösungen für die Problemlage, die ich mit dem Schlagwort PISA-Schock benennen möchte, streiten, in einer Zeit, in der wir alle um die besten familienpolitischen Lösungen streiten, weil das Thema endlich in den Vorder

grund des Bewusstseins der Öffentlichkeit und der Gesellschaft getreten ist, in einer Zeit, in der wir durch Forschungsergebnisse sehr viel besser als vor einigen Jahren wissen, wie Kinder von Geburt an lernen und wie wir das fördern können – in einer solchen Zeit hat nicht nur meine Fraktion einen wahrhaftig größeren Wurf erwartet, wenn es darum geht, diese Erkenntnisse und Anforderungen an frühe Bildung, Betreuung und Erziehung in ein neues Gesetz zu gießen.

(Beifall von der SPD)

Im Jahr des Kindes 2006 – ich erinnere immer wieder sehr ungern daran; es ist auch gerade thematisiert worden; wir sehen das unterschiedlich; hier werden wir sicherlich nicht zu einer Linie kommen – entzieht die Landesregierung dem Bereich der Kindertagesbetreuung 156 Millionen €, nämlich 72 Millionen € bei den Sachkosten und 84 Millionen beim Elternbeitragsdefizitausgleich.

(Minister Armin Laschet: Das ist schlicht nicht wahr!)

Nun verkünden Sie, Herr Minister, dass Sie 2008 ein Plus von 150 Millionen € gegenüber den heutigen Ausgaben des Landes erreichen. Allein die Absenkung des kirchlichen Trägeranteils frisst von diesem angeblichen Plus bereits 84 Millionen € auf.

(Beifall von der SPD)

Hinzu kommen Ausgaben für zusätzliche Aufgaben, die Familienzentren und die Sprachförderung; darauf komme ich noch zurück. Wo also finden wir, wie Sie in Ihrer Broschüre „Rückenwind für jedes Kind“ schreiben, mehr Geld für diese wichtigen Aufgaben? Wo sind die Verbesserungen, die Sie ankündigen? Ich finde, Herr Minister, der Rückenwind für jedes Kind wird gerade zum Gegenwind für Sie und die Regierungsfraktionen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ein Weiteres! Sie können das Gegenteil noch oft behaupten, dadurch wird diese Prognose nicht entkräftet: Die Elternbeiträge werden steigen. Ihr Gesetzentwurf schreibt völlig unbeeindruckt von der Diskussion im vergangenen Jahr 19 % auch zukünftig fest. In wie vielen Kommunen werden die eigentlich erreicht? Sie kennen die Antwort und behaupten dennoch in der „WAZ“ am 11. Juni 2007 – Zitat:

„… das waren vorher 19 Prozent, das sind künftig 19 Prozent.“

(Minister Armin Laschet: So ist es! – Zuruf von der SPD: Auf dem Papier! – Weitere Zu- rufe von der SPD)

Auf dem Papier. Papier ist geduldig. – In Köln werden beispielsweise 13 % erreicht. Das Thema Gelsenkirchen ist Ihnen allen hinlänglich bekannt.

Wie sieht es mit der übrigen Finanzierung aus, meine Damen und Herren? Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass eben nicht für eine kindgerechte, bedarfsgerechte, qualitätsvolle und verlässliche Arbeit in den Einrichtungen geplant wurde, sondern für eine finanzministergerechte, eine gedeckelte Finanzierung nach Haushaltslage, für eine Finanzierung, die genau nicht Kindern und Eltern Priorität bei der Aufgabenerledigung des Landes einräumt.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ja, Sie haben nachgebessert und gestehen Einrichtungen in sozial schwierigen Stadtteilen nunmehr pro Jahr 15.000 € zu. Das ist mehr als die vorher geplanten null €. Aber was kostet zum Beispiel eine zusätzliche Fachkraft? Was kostet zum Beispiel heilpädagogische Gruppenarbeit? Ihr Gesetzentwurf setzt so wenig Standards wie möglich. Das leuchtet ein, müssten Sie doch ihre Umsetzung auch finanzieren. Ihr Bildungsbegriff ist so dürr wie der Staatsbegriff der Kollegen von der FDP.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Bildung erschöpft sich zukünftig in Sprachbildung. Ganzheitliche Förderung sieht unseres Erachtens anders aus und kostet außerdem mehr als die von Ihnen geplanten 6,45 € pro Woche. So verbesserungswürdig das geltende GTK sicherlich an manchen Stellen ist – die Bildungsvereinbarung ist und bleibt eine vorbildliche und bewährte Grundlage, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Herr Minister, Sie haben die Familienzentren angesprochen. Das ist eine im Wortsinne ausgezeichnete Idee, neue Aufgaben für die Einrichtungen, für das Personal. Viele sind gerne und engagiert in die Startphase gegangen. Dennoch ist das Projekt unterfinanziert. Der Landesarbeitskreis Westfalen-Lippe der evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Familienfragen schreibt dazu am 30. Mai 2007 – Zitat –:

„Die finanziellen Rahmenbedingungen für eine dauerhaft gute Arbeit und die Gewinnung attraktiver Kooperationspartner (sind) völlig unzureichend. … Die … vorgesehene Ausstattung ist daher dringend zu verbessern.“

Natürlich habe ich mich gefreut, dass der Kölner Verein, in dem ich mitarbeite, Kooperationspartner eines am 4. Juni ausgezeichneten Familienzentrums ist. Warum haben wir die Auszeichnung erhalten? – Wir haben sie deshalb erhalten, weil wir, angebunden an die Kita, Begrüßungsbesuche bei Familien nach der Geburt abstatten, mit einer Hebamme kooperieren und so frühestmöglich Kontakt zu Familien in riskanten Lebenssituationen aufbauen. Das alles aber, meine Damen und Herren, finanzieren wir, unser Verein, mit einer akquirierten Förderung einer Stiftung in Höhe von mehreren 10.000 € und nicht – noch nicht – mit der Landesförderung. Das nur als Beispiel.

(Beifall von der SPD)

Ein Letztes, meine Damen und Herren: Die Wertschätzung von Erzieherinnen und Leiterinnen durch den Gesetzentwurf ist nicht sonderlich hoch. Fortbildung wird natürlich eingefordert. Aber Unterstützung in personeller oder finanzieller Hinsicht: Fehlanzeige! Das ist Entscheidungsfreiheit der Träger und in Pauschalen natürlich enthalten. Leitungsfreistellung für die Vielzahl neuer Aufgaben wird reduziert.

Wir wissen um die Bedeutung des Ehrenamtes in unserem Land. Aber wir wussten noch nicht, dass pädagogisches Personal in Kindertageseinrichtungen sukzessive auch in diesen Bereich des Engagements der Landesregierung übergeht.

(Beifall von der SPD)

Wie fühlen sich wohl Erzieherinnen, wenn sie auf der Internetseite des CDU-Kollegen Thomas Jarzombek unter den sieben Gründen für das neue Kinderbildungsgesetz Folgendes lesen? Zitat:

„Erstmalig Bildung im Kindergarten. Bisher wurden Kinder im Kindergarten betreut. Bildung gab es nur per Zufall: Dort, wo engagierte Erzieher in Eigenregie loslegten.“

Herr Jarzombek, mit dieser Frechheit gegenüber den Erzieherinnen und Leiterinnen und ihren Leistungen, gegenüber Tausenden engagierter Arbeitnehmer/-innen disqualifizieren Sie sich für die Teilnahme an der weiteren Diskussion zu diesem Thema.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Kollege, eine Entschuldigung stünde Ihnen da gut an. Dazu können Sie Ihre Heimseite benutzen.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen nur einige von zahlreichen weiteren Gründen für die Ablehnung meiner Fraktion zum Gesetzentwurf in der

jetzt vorliegenden Form genannt. Das weitere Beratungsverfahren muss grundsätzliche Änderungen ergeben, sollen wir diese Position ändern. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Hack. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Frau Kastner.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in der ersten Lesung einen Gesetzentwurf, der sicherlich zu den familienpolitisch bedeutsamsten Gesetzentwürfen dieser Legislaturperiode gehören wird.

(Zuruf von der SPD: Ja, aber negativ!)

Sie werden verstehen, dass meine Bewertung ein bisschen anders aussieht als die gerade vorgetragene seitens der Opposition. Unserer Meinung nach finden sich in dem Gesetzentwurf deutlich unsere politischen Vorstellungen wieder, die wir ja bereits im Koalitionsvertrag festgelegt hatten.