Protocol of the Session on May 23, 2007

(Beifall von der SPD)

Die betroffenen Schülerinnen und Schüler werden einem Verfahren ausgesetzt, das auch von Erziehungswissenschaftlern infrage gestellt wird. Es ist und bleibt ein untaugliches Instrument. Es ist falsch, Kinder im Alter von neun oder zehn Jahren

mit einem mehrtägigen Assessment zu konfrontieren und sie durch Personen, die ihnen völlig unbekannt sind, abschließend beurteilen zu lassen. Das ist nicht kindgerecht, verschärft die Selektion und mindert die Bildungsbeteiligung.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Es gibt weitere Argumente für unsere ablehnende Haltung. Ich komme noch einmal auf die Anhörung im letzten Jahr zurück. Unter anderem hat bei dieser Anhörung Dr. Block von der Universität Duisburg-Essen empirische Befunde zur Zuverlässigkeit von Übergangsregelungen von der Grundschule zur Sekundarstufe vorgestellt. Der eine oder andere Anwesende erinnert sich vielleicht noch daran. Ich möchte aus der Zusammenfassung einer Veröffentlichung von Dr. Block zitieren:

„Übergangsempfehlungen der Grundschulen zum Besuch der weiterführenden Schule in der Sekundarstufe I sind in dem gegliederten Schulwesen der BRD eine zentrale Schaltstelle für die Verteilung von Bildungs- und Lebenschancen. Dabei erweisen sich diese Empfehlungen als wenig zuverlässig, wie Analysen zum Schulformwechsel auf der Basis der repräsentativen PISA-2000-Daten zeigen.

Jugendliche, die in ihrer Schullaufbahn von einer höheren auf eine niedrigere Schulform wechseln mussten, weisen zum überwiegenden Teil Grundschulempfehlungen für die Schulformen auf, an denen sie letztlich gescheitert sind.“

(Beifall von der SPD)

„Das Risiko, aufgrund einer falschen Grundschulempfehlung einer nicht geeigneten, weil zu hohen Schulform zugewiesen zu werden, ist um ein Vielfaches größer, als aufgrund übersteigerter Bildungsansprüche der Eltern an einer nicht geeigneten Schulform angemeldet zu werden.“

So das Fazit von Dr. Block. – Hätten die Mehrheitsfraktionen und mit ihnen die Landesregierung die wesentlichen Aussagen der Anhörung und vieler anderer kritischer Stimmen hierzu ernst genommen, hätten sie den Unsinn der Verschärfung der Selektion gar nicht erst eingeführt und damit rund 3.300 neunjährigen Kindern in diesem Jahr den Stress des dreitägigen Prognoseunterrichts erspart.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Dieser unsägliche Prognoseunterricht ist ein weiteres Beispiel dafür, dass nicht die individuelle

Förderung im Mittelpunkt des Handelns der schwarz-gelben Landesregierung steht, sondern vielmehr die individuelle Aussortierung und damit Beschämung einzelner Kinder.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Mit diesem Verfahren wird nicht das Kind in den Mittelpunkt gestellt, sondern vielmehr die Schulform. Passt das Kind in diese Schule, wird gefragt, aber nicht etwa: Wie können wir es schaffen, alle Kinder mitzunehmen? – Das ist doch das eigentliche Manko unseres Bildungssystems.

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Ursache für dieses Dilemma liegt doch letztendlich in unserem zergliederten Schulsystem begründet. Längeres gemeinsames Lernen würde hier für Abhilfe sorgen.

Zum Schluss noch ein Hinweis: Auf guten Rat hören Sie ja nicht. Frau Beer ist darauf schon eingegangen. Wahrscheinlich werden Sie erst klug, wenn Ihnen die Gerichte die rote Karte zeigen. Denn mit Sicherheit werden Eltern gegen die Ergebnisse des Prognoseunterrichts klagen. Ihre Chancen stehen nicht schlecht. Denn wie man Ende April der Presse entnehmen konnte, beurteilen Rechtsexperten die Klagechancen von Eltern als sehr gut. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Stotz. – Für die Fraktion der FDP hat nun Frau Pieper-von Heiden das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wären wir nicht in diesem Hohen Hause, Frau Beer, wäre ich geneigt zu sagen: Nach Ihrem Beitrag denke ich nicht Zwangszuweisung, sondern eher an Zwangseinweisung. Das war eine Zumutung.

(Unruhe bei SPD und 2)

Es ist erstaunlich, wie viele Themen dafür herhalten müssen, bevor Sie zum eigentlichen Punkt kommen, um diesen in der Öffentlichkeit ständig breitzutreten.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Koalition der Kinderquäler!)

Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie können es nicht lassen und bringen durch die Hintertür wieder einmal das Thema „Schulstruktur“ auf die Tagesordnung.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Nichts hören! Nichts sehen! Kopf in den Sand!)

Man braucht nur einen Blick auf den dritten Punkt Ihrer Forderungen zu werfen. Unsere Position hierzu dürfte klar sein: FDP und CDU stehen fest zum gegliederten Schulsystem und zu den Reformen im System. Da können Sie noch so kreativ an das Thema herangehen.

Zu den Reformen in unserem Schulsystem gehört auch der Prognoseunterricht an den Grundschulen, der Ende April in Nordrhein-Westfalen das erste Mal stattgefunden hat. Dass Frau Beer mit Blick auf diese Zeit von „Schicksalstagen für Neunjährige“ spricht, ist unangemessen und völlig überzogen.

(Beifall von der CDU)

Dadurch bestätigt sich aber, dass die Grünen Ängste schüren wollen und keinen Skrupel haben, so auf dem Rücken der Kinder einen politischen Dissens auszutragen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie quälen die Kinder mit Ihrer Politik!)

Sie tragen einen politischen Dissens bei den Schulstrukturen auf dem Rücken unserer Kinder aus.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie quälen die Kinder!)

Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal deutlich machen, dass der Prognoseunterricht zum Wohle unserer Kinder eingeführt wurde und ausdrücklich keine neue Reifeprüfung ist, wie Sie es behaupten, Frau Beer. Der Übergang von der Grundschule in eine weiterführende Schule ist eine für den weiteren Bildungsgang wichtige Entscheidung. Daher müssen zum Ende der Grundschulzeit die richtigen Weichen gestellt und sowohl eine Überforderung als auch eine Unterforderung vermieden werden.

Zahlreiche Kinder gerieten bislang in die für sie falsche Schullaufbahn, und zwar nicht zuletzt wegen der Unverbindlichkeit der Grundschulgutachten, unzureichender zusätzlicher Entscheidungskriterien und des teilweise einerseits überehrgeizigen, andererseits aber auch zu bescheidenen Elternwillens. Bisher jährlich 15.000 Schulwechsler in Nordrhein-Westfalen belegen, dass nicht alle Kinder für Gymnasien oder Realschulen geeignet sind, sondern sich auf diese Weise überfordert fühlen. Wir kennen doch alle genug Fälle, in denen Kinder trotz drohender Überforderung das Gymnasium besuchen bzw. Kinder vielfach aus Tradition eine Schulform besuchen, die unterhalb ihrer Möglichkeiten liegt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem wird nun mit einer größeren Verbindlichkeit der Grundschulgutachten entgegengetreten. Studien von Prof. Bos zeigen, dass es richtig ist, der Einschätzung der Lehrerinnen und Lehrer mehr Gewicht zu geben. Wenn sie zu entscheiden haben, kommen dabei gerechtere Empfehlungen heraus. Zu behaupten, es werde massiv in die Rechte der Eltern eingegriffen, trifft überhaupt nicht zu. Bei nur wirklich strittigen Fällen kommt es überhaupt erst zum Prognoseunterricht. Sogar der Elternverband NRW begrüßt, dass die Schulwahl nun nicht mehr alleine von den Eltern abhängig ist.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Beer?

Nein danke, ich denke, wir hatten genug Polemik.

Lassen Sie uns bitte auf die Zahlen schauen: Bei mehr als 98 % der Kinder sind sich Eltern und Lehrer einig. Von 189.000 Viertklässlern werden nun lediglich 0,9 % der Kinder eine andere als von den Eltern ursprünglich vorgesehene Schulform besuchen. Es wird deutlich, dass die Opposition, also Sie, das Thema künstlich aufbauscht.

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich auch nicht unerwähnt lassen, dass FDP und CDU die individuelle Förderung im Schulgesetz verankert haben. Dazu gehört auch, unterschiedliche objektive Leistungsanforderungen verschiedener Schulformen und Bildungsabschlüsse nicht zu ignorieren und die jeweils am besten geeignete Schulform für ein Kind am Ende der Grundschulzeit auszusuchen. Innerhalb dieses Systems fördern wir individuell.

Außerdem ist das nordrhein-westfälische Schulsystem unter Schwarz-Gelb durchlässig wie nie zuvor.

(Lachen von SPD und GRÜNEN)

Ja, schauen Sie ins Schulgesetz hinein! Das neue Schulgesetz sieht während der Erprobungsstufe jedes halbe Jahr eine Überprüfung vor, ob ein Kind inzwischen für eine andere Schulform geeignet ist.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schäfer?

Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Präsident, wenn Sie mir ein bisschen mehr Ruhe verschaffen könnten.

(Lachen von SPD und GRÜNEN)

Für die Ruhe im Saal bin ich gerne mit verantwortlich. Eine Zwischenfrage wollen Sie aber nicht zulassen?

Nein, ich möchte meine Ausführungen zu Ende führen.

Danke schön. Bitte fahren Sie fort in Ihrer Rede. 20 Sekunden sind noch da.

Wenn gleich gegebenenfalls noch Zeit ist, dann gerne. Ich habe nur noch ein paar Sätze.

Unser Prognoseunterricht fragt nicht nur Wissen ab, sondern sieht auch eine Gesamtbetrachtung des Kindes vor. Ein solches Netz mit doppeltem Boden ist wichtig und notwendig, um kein Kind durch den Rost fallen zu lassen, aber auch, um kein Kind durch zu hohe Elternansprüche zu überfordern.

(Karl-Heinz Haseloh [SPD]: Redezeitverlän- gerung!)