Protocol of the Session on July 14, 2005

Bei diesem neoliberalen Geschwätz, das wir heute vom FDP-Fraktionsvorsitzenden gehört haben - übrigens von einem Menschen, der nicht einen einzigen Tag in seinem Berufsleben tatsächlich in einem Betrieb verbracht hat; das ist, ehrlich gesagt, auch kaum auszuhalten -, ist, glaube ich, noch einmal sehr deutlich geworden: Natur und Landschaft zerstören, durch gentechnisch veränderte Lebensmittel die Gesundheit der Menschen gefährden, Sozialabbau betreiben, Menschen in die Armut treiben - das sind die politischen Vorhaben dieser neuen Landesregierung. Ein Minis

terpräsident, der von der FDP getrieben jetzt wie Don Quichotte gegen Windmühlen ankämpft! Das ist das, was Sie hier in den nächsten Jahren offensichtlich vorhaben.

Kommen wir zur Haushaltspolitik und den Finanzen. Wenn man sich das einmal etwas genauer ansieht, dann muss man feststellen: Da wird es ganz grauslich. Da ist die Erklärung eines Ministerpräsidenten, der sich erdreistet, in seiner ersten Rede hier - in der Rede nämlich, die wir gestern gehört haben - platt zu lügen.

(Christian Weisbrich [CDU]: Was?)

Gestern Morgen haben Sie hier vor dem Hohen Haus noch erklärt - ich zitiere wörtlich -:

„Wir werden in dieser Legislaturperiode 4.000 zusätzliche Lehrerstellen gegen den Unterrichtsausfall schaffen. Damit fangen wir sofort an. Bereits zum Start des neuen Schuljahres … stellen wir 1.000 neue Stellen bereit.“

Gestern versprochen, heute gebrochen! Ich war heute Morgen im Haushalts- und Finanzausschuss. Dort hörten wir in der Debatte, dass, um den vorhandenen beziehungsweise aktuell ermittelten Unterrichtsausfall zu beheben, 1.000 Lehrerinnen und Lehrer jetzt neu eingestellt werden sollen. - Keine einzige Stunde, um den bereits vorhandenen Unterrichtsausfall zu beheben! Das ist die Realität.

Herr Kollege Sagel, gestatten Sie …

Genau das, was Sie den Leuten versprochen haben, nämlich Unterrichtsausfall zu beheben, passiert mit diesen Lehrerinnen und Lehrern jetzt nicht. Das sind vielmehr Lehrer und Lehrerinnen, die den neuen Anforderungen, die durch zusätzliche Schüler entstehen - wie jetzt von den Bezirksregierungen ermittelt -, gerecht werden müssen. Deswegen haben wir dem natürlich auch zugestimmt. Aber die Realität ist: Eine Finanzierung - völlige Fehlanzeige! Wir haben heute im Haushalts- und Finanzausschuss mehrmals beim Finanzminister nachgefragt: Wie wollen Sie es überhaupt finanzieren?

Herr Kollege Sagel …

Ein Verweis lediglich auf den Nachtragshaushalt! 22 Millionen - völlig ungedeckter Scheck.

Herr Kollege Sagel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weisbrich?

Aber immer doch.

Herr Kollege Sagel, ich weiß nicht genau, ob ich Sie eben richtig verstanden habe. Ich meine Sie wörtlich verstanden zu haben: Der Ministerpräsident erdreistet sich zu lügen. - Haben Sie das gesagt, oder habe ich das falsch verstanden?

Da haben Sie mich völlig richtig verstanden.

Wenn Sie das gesagt haben, dann bitte ich die Frau Präsidentin, einmal darüber nachzudenken, ob das so geht - als Tatsachenbehauptung: „Der Ministerpräsident erdreistet sich zu lügen.“

(Beifall von CDU und FDP)

Ich bleibe auch bei dieser Aussage; denn, wie gesagt, ich habe ihn gerade wörtlich zitiert. Der Haushalts- und Finanzausschuss hat ja heute nach einer Vorlage des Finanzministeriums einen anderen Beschluss gefasst. Darin steht sehr sachlich begründet, dass genau das, was der Ministerpräsident hier vor dem Hohen Hause gestern vorgetragen hat, nicht stimmt. Dabei bleibe ich auch.

(Christian Weisbrich [CDU]: Darüber würde ich noch einmal gut nachdenken!)

- Ich brauche nicht darüber nachzudenken. Aber Sie sollten vielleicht einmal darüber nachdenken, was Sie den Leuten hier im Land versprechen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie versprechen denen 4.000 Lehrerstellen sofort, und jetzt haben Sie 1.000 Lehrerstellen beschlossen, die tatsächlich überhaupt nicht das gewährleisten, was Sie den Leuten versprochen haben, nämlich den Unterrichtsausfall zu bekämpfen. Sie machen nur das, wozu Sie gesetzlich verpflichtet sind. Das ist die Realität.

(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Herr Kollege Sagel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Henke?

Ja, wenn Herr Henke auch noch einen so großen Bedarf hat. Ich habe

hier noch 50 Minuten stehen. Ich glaube, unsere Fraktion wird das nicht aufbrauchen.

Wir stoppen die Zeit auch, Herr Kollege.

Ja, kein Problem. Dann soll er mal fragen.

(Christian Lindner [FDP]: Das ist aber groß- zügig!)

Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie eben behauptet haben, wir hätten 4.000 zusätzliche Lehrerstellen sofort versprochen? Würden Sie zugeben, dass, wenn Sie das so sagen, Sie dann Kriterien, die Sie an andere anlegen, auch gegen sich selber gelten lassen müssen und dass Sie, wenn Sie gleiche Kriterien anlegen, mindestens was die Bewertung dieser Aussage angeht, zu einem relativ kritischen Ergebnis kommen müssen? Die CDU hat immer angekündigt: 4.000 zusätzliche Lehrerstellen im Laufe der Legislaturperiode.

Herr Henke, Selbstkritik ist eine unserer hervorragenden Tugenden. Nur, der Punkt ist: Sie stellen jetzt die Landesregierung. Ihre Kollegen Frau Kastner und Herr Sternberg sind im Wahlkampf in Münster mit mir auf vielen Veranstaltungen gewesen und haben dort immer wieder gesagt: 4.000 Lehrerinnen- und Lehrerstellen sofort! Das war die Aussage, die diese beiden Abgeordneten, die auch diesem Hohen Hause angehören, aber leider im Moment nicht an ihrem Platz sind, tatsächlich gemacht haben. Das sind die Aussagen, die Sie die ganze Zeit verkündet haben. Die FDP hat sogar gesagt: 7.000 zusätzliche Lehrerinnen- und Lehrerstellen.

Das ist die Realität, wie wir sie hier erleben müssen. Ich kann nur sagen: Sie belügen die Leute, die Sie vor kurzer Zeit noch gewählt haben. Das ist Ihre erste große Lüge, die Sie begangen haben.

(Christian Weisbrich [CDU]: Jetzt hören Sie mal mit dem Lügenkram auf!)

Auch wenn man sich andere Punkte ansieht: Sie kündigen einen Stellenabbau von 1,5 % an. Flugs erklären Sie dann aber: Die Bereiche Schule, Hochschule, Polizei, Finanzen usw. sind alle ausgenommen - also fast alles, was an landespolitischen Stellen finanziert wird. Auch da stellt man sich die Frage: Wie wollen Sie diesen Stellenabbau von 1,5 % bewerkstelligen, wenn Sie das alles ausnehmen?

(Vorsitz: Präsidentin Regina van Dinther)

Weiterhin sagen Sie: Das Ziel ist ein verfassungskonformer Haushalt. Aber Sie bleiben jede Antwort schuldig, wie das gehen soll. Wo die Mittel fehlen, muss offensichtlich die Rhetorik herhalten. Selbst die ist bei Ihnen aber relativ schwach ausgeprägt. Ansonsten wollen Sie offensichtlich nur Mittel verteilen, die Sie noch gar nicht haben.

Damit sind wir beim nächsten Stichwort, der Mehrwertsteuer, wo Sie die nächste große Lüge vorbereiten. Vor einer Woche ist hier noch erklärt worden, dass man gegen eine Mehrwertsteuer sei. Das war zumindest die Aussage des Ministerpräsidenten. Jetzt, ein paar Tage später, heißt es auf einmal: Wir wollen die Mehrwertsteuer erhöhen; wir wollen sie dazu verwenden, die Lohnnebenkosten zu senken. Interessanterweise ist das die Aussage des Finanzministers. Auf der anderen Seite sieht und hört man schon, dass man offensichtlich - wie es auch Herr Klein vor einiger Zeit schon deutlich gemacht hat - den Haushalt sanieren will. Ich bin sehr gespannt darauf, …

Herr Sagel, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lindlar zu?

… wie Sie das machen wollen. Wer möchte jetzt fragen?

Herr Lindlar.

Normalerweise ist es üblich, dass die Abgeordneten der Opposition die Regierung fragen. Ich bin etwas verwundert darüber, dass Sie mich jetzt andauernd fragen.

Lassen Sie die Frage zu?

(Gisela Walsken [SPD]: Informationsbedarf!)

Okay. - Herr Lindlar, ich gebe Ihnen das Wort.

Herr Abgeordneter Sagel, sind Sie bereit zuzugeben, dass Sie die Verfassungswidrigkeit von mehreren Haushalten so lange geleugnet haben, bis sie durch das Verfassungsgericht des Landes in Münster bestätigt wurde?

(Zuruf von Frank Sichau [SPD])

Wir haben in bestem Glauben und Gewissen verfassungskonforme Haushalte aufgestellt. Es ist allerdings bei zwei

Haushalten - das ist aktenkundig - festgestellt worden, dass sie aufgrund von haushaltstechnischen Maßnahmen, die von dem Gericht anders beurteilt worden sind, nicht verfassungskonform waren.

(Gisela Walsken [SPD]: Teilaspekt!)

Fakt ist: Wir haben auch für das Jahr 2005 einen verfassungskonformen Haushalt aufgestellt. Sie beklagen immer wieder die Nettoneuverschuldung, wollen jetzt aber direkt noch 2 Milliarden € an Schulden draufpacken. Das ist die Politik, die Sie machen. Offensichtlich ist Ihre Politik darauf ausgerichtet zu hoffen, dass irgendwann tatsächlich die höhere Mehrwertsteuer kommt. Vorher müssen Sie natürlich noch eine Bundestagswahl gewinnen. Deswegen sind das alles Ausgaben, für die Sie die Finanzmittel noch nicht zur Verfügung haben. Ansonsten ist Ihre gesamte Politik offensichtlich darauf ausgerichtet, Glück zu haben, nämlich zu hoffen, dass die Konjunktur anspringt und Sie damit alles entsprechend finanzieren können.

Ein weiterer Punkt sind die Förderprogramme. Auch sie sollen um 20 % zurückgefahren werden. Das gibt einen Sozialabbau bis zum Sozialkahlschlag. Vor allem werden - das ist auch ein sehr wichtiger Punkt - die Standards sehr dramatisch gesenkt werden. Im gesamten Sozialbereich und in vielen anderen Bereichen ist damit zu rechnen.