Protocol of the Session on July 14, 2005

„Wir haben keine freien Bordmittel mehr. Gestern musste ein Kollege den Unterricht abbrechen, weil er im wahrsten Sinne des Wortes keine Kraft mehr hatte, ein Kollege, der seine Pflichten immer vorbildlich erfüllte. Altersstruktur, Korrekturbelastungen und Unterbesetzung der Schule führen dazu, dass viele meiner Kollegen am Ende ihrer Kräfte sind.

Nun erhielt ich heute die Nachricht, dass eine Kollegin nach einer Tumorerkrankung sich entschlossen hat, zum Schuljahresende in den Ruhestand zu treten. Eine andere Kollegin steht aus gesundheitlichen Gründen - sie ist ausgebrannt - vor dem Schritt, sich vorübergehend beurlauben zu lassen. Ich habe um Geld-statt-Stellen-Mittel gebeten. Wohl vergeblich.“

Das ist die Wirklichkeit. Das schreibt dieser Schulleiter. Ich befürchte, er hat Recht. Wir werden das ändern.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer die Rede der Frau Abgeordneten Kraft gehört hat, hat eine Rede gehört, die - wie eben schon gesagt - in einer schwierigen Situation, nach einer Abwahl, nachdem man selber das Ministeramt verlassen musste, gehalten werden musste.

(Martin Börschel [SPD]: Sie müssen sich ja sehr getroffen fühlen, wenn Sie so etwas sa- gen! Unglaublich! - Hannelore Kraft [SPD]: Reden Sie ruhig weiter!)

Das ist nicht einfach. Es ist in dieser schwierigen Lage, in der sich das Land befindet, sicherlich nicht einfach - das weiß auch die neue Landesregierung -, den Menschen im Land wieder Hoffnung zu geben

(Zurufe von der SPD: Oh!)

und vor dem Hintergrund dieser finanziell desaströsen Situation Reformen und Veränderungen durchzuführen, die dem Land wieder Zukunft geben.

Frau Abgeordnete Kraft, Sie werden sich für die nächsten Debatten schon überlegen müssen, was Sie der neuen Landesregierung vorwerfen.

(Gisela Walsken [SPD]: Regieren Sie doch erst einmal! Legen Sie doch etwas vor!)

Sich in ein und derselben Rede hinzustellen und zu sagen, die Regierungserklärung enthielte

nichts Konkretes, und gleichzeitig zu behaupten, sie enthielte so etwas wie eine konservative Gegenrevolution, passt nicht zusammen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: So steht es in der Presse heute!)

Ich frage Sie: Ist es etwa eine konservative Gegenrevolution oder wie Sie das nennen wollen, wenn diese Landesregierung ankündigt: Wir bauen das Ganztagsschulsystem aus?

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])

Wir sind bereit, zusätzlich zu dem alten Programm 50.000 neue Ganztagsplätze in den Hauptschulen zur Verfügung zu stellen - übrigens für eine Schule, die Sie zur Restschule haben verkommen lassen.

(Beifall von CDU und FDP - Zuruf von Han- nelore Kraft [SPD])

Ist es falsch, wenn wir sagen, dass wir eine bessere Betreuung für Kinder bis zu drei Jahren wollen, und wenn wir sagen, dass wir bereit sind, auch dafür bis zu 50.000 Plätze bis zum Jahre 2012 aufzubauen - eine ganz schwierige Sache, weil auch die Kommunen betroffen sind?

Ist es falsch, wenn wir sagen, dass wir ein besseres Betreuungssystem wollen, und die Plätze, die durch Tagesväter und Tagesmütter wahrgenommen werden, um 20.000 erhöhen wollen?

Ist es falsch, Frau Löhrmann, wenn man sagt, dass man junge Frauen in die Lage versetzen will, sich leichter für ein Kind entscheiden zu können, wenn man will, dass sie anders als jetzt in diesem Land kein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn sie versuchen, ihre Berufs- und Erziehungstätigkeit miteinander zu verbinden? Das, meine Damen und Herren, ist das, was jetzt notwendig ist.

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])

Sie mögen ja eine progressive Rhetorik von Multikulti und Gender und Gott weiß nicht was draufgehabt haben, nur die konkreten Menschen vor Ort, die Frauen und Mütter, haben Sie im Stich gelassen. Das ist das, was die Realität ist, trotz all Ihrer Rhetorik.

(Beifall von CDU und FDP - Rainer Schmelt- zer [SPD]: Wollen wir mal gucken, wann ein Mensch vor Ihrer Tür steht! Das dauert nicht lange!)

Frau Abgeordnete Kraft, die Nummer, zu sagen, alles, was gut ist - die Medien, die Dienstleistungen, die Infrastruktur -, hat Euch die liebe SPD

beschert, und alles, was schlecht ist - die Schulden, der Unterrichtsausfall oder die Frage der 1 Million Arbeitslosen -, wäre - wie Sie wörtlich gesagt haben - ab dem nächsten Haushalt unsere Arbeitslosigkeit und unser Unterrichtsausfall, ist zu einfach.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja natürlich!)

Für wie dumm und dämlich halten Sie eigentlich die Menschen? Das hat nun wahrlich nichts mit Intellekt zu tun, sondern nur mit Frechheit.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall von CDU und FDP - Die Mitglieder der CDU- und FDP- Fraktion erheben sich von den Plätzen. - Rainer Schmeltzer [SPD]: Recht hat, wer schreit! Da sind drei sitzen geblieben!)

Vielen Dank, Herr Dr. Rüttgers. - Als nächste Rednerin hat Frau Kollegin Gisela Walsken von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihre Vorfreude in Ehren. Ich kann es verstehen. Ich werde mir Mühe geben, Ihrer Vorfreude gerecht zu werden. Aber lassen Sie mich zuerst, Herr Dr. Rüttgers, feststellen: Wenn wir den Grad Ihrer Aufgeregtheit messen, Ihre Herumschreierei und Ihre Herumpöbeleien, dann muss Frau Kraft heute Morgen hier in diesem Hause eine hervorragende Rede gehalten haben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN - Rainer Schmeltzer [SPD]: Bravo!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mir vorstelle, dass Sie jetzt auf dem Stuhl des Regierungschefs sitzen,

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Gott sei Dank!)

- vorsichtig, Kollege Kuhmichel -, dann weiß ich nicht, ob es angemessen ist, sich hier zu geben, als sei man nach wie vor der Wadenbeißer der Opposition. Ich halte es für unangemessen für dieses Amt, Herr Dr. Rüttgers,

(Beifall von SPD und GRÜNEN - Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

und wünsche mir sehr, dass Sie es in den nächsten Wochen und Monaten schaffen werden, die Fläche dieses Stuhls entsprechend mit Souveränität auszufüllen

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

und dann das Land nach außen entsprechend zu vertreten, denn ich schäme mich in Teilen für Sie

vor den Zuhörerinnen und Zuhörern, die da sind und das hier erleben müssen. Ich halte das für nicht angemessen.

(Zuruf von Edgar Moron [SPD])

Meine Damen und Herren, ich halte es übrigens auch nicht - wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen - für angemessen, dass es uns heute nicht möglich war, die angedachte Schweigeminute gemeinsam zu begehen,

(Beifall von der SPD)

denn diese - das ist durchaus eine an das Präsidium gerichtete Kritik; das erlaube ich mir hier - hat während Ihrer Rede, Herr Dr. Rüttgers, stattgefunden. Auch das muss man als Regierungschef wissen. Das muss man beachten und muss im Zweifelsfall auch einmal innehalten können. Aber ich denke und hoffe, Sie werden das lernen.

Meine Damen und Herren, ich möchte gerne zwei Punkte aus Ihren Anwürfen herausgreifen, weil sie heute eine besondere Rolle gespielt haben.

Ich meine zum einen das Thema „LehrerLüge“/1.000 Stellen. Ich hatte heute Morgen Gelegenheit, live dabei zu sein, als der Finanzminister die Begründung des Antrags auf Genehmigung dieser 1.000 Stellen vortrug. Es ist für alle Fraktionen im Raum deutlich geworden: Es geht nicht um ein Mehr, sondern um die Deckung des Grundbedarfs, wie in den Gesetzen, die die rotgrüne Landesregierung hier vor Jahren verabschiedet hat, vorgesehen. Es geht um das Bedienen der Schüler-Lehrer-Relation. Um nicht mehr und nicht weniger geht es.

(Beifall von der SPD)

Herr Dr. Rüttgers, gewöhnen Sie sich an, nicht nur zu verkünden, Sie würden im Stil einer neuen Ehrlichkeit agieren, sondern dann auch tatsächlich ehrlich zu sein.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die Frage, die sich anschloss und mit der Sie den Vorwurf an uns verbunden haben, warum wir nämlich erst heute exakt wüssten, wie viele Lehrer wir brauchen würden, kann man über eine kurze Frage an Ihre Schulministerin klären. Denn erst zwischen Februar und dem Beginn der Sommerferien wird in Nordrhein-Westfalen klar, wie die Klassenbildung aussieht, wie viele Schülerinnen und Schüler sich in den einzelnen Schulformen befinden werden …

(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])