Protocol of the Session on July 14, 2005

(Zuruf von Christian Weisbrich [CDU])

- Kollege Weisbrich, Sie hatten heute Morgen glänzend Gelegenheit, das zu lernen, obwohl es nicht Ihr Thema ist.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Erst dann kennt man den genauen Grundbedarf an Lehrern. Das alles steht in § 2 Schulfinanzgesetz; das ist die alte AVO, die früher in § 5 Schulfinanzgesetz stand.

Wir werfen Ihnen nicht vor, Herr Dr. Rüttgers, dass Sie den Grundbedarf bedienen; wir haben heute Morgen im Haushalts- und Finanzausschuss schließlich zugestimmt. Unser Vorwurf lautet vielmehr, dass Sie den Menschen im Land weismachen, es seien neue zusätzliche Stellen, die dazu dienten, Unterrichtsausfall abzudecken. Das ist die Lüge, und das sage ich hier noch einmal deutlich!

(Beifall von SPD und GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Das ist die Lehrer-Lüge! - Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist die Rüttgers- Lüge!)

Und, Herr Dr. Rüttgers, in diesem Zusammenhang, weil es so schön passt: Sie haben kritisiert, wir hätten Mütter und Familien im Stich gelassen.

Können Sie sich gar nicht mehr daran erinnern, was hier für Debatten abgelaufen sind, als wir bereits vor Jahren begonnen haben, das Programm „Verlässliche Grundschule - Schule von acht bis eins“ einzuführen, als wir das Programm dann systematisch ausgeweitet haben, als wir ferner eine große Offensive zur Gründung der offenen Ganztagsgrundschule gestartet haben?! Können Sie sich nicht daran erinnern, wie Sie sich hier mit Ihren Fachkollegen aufgestellt und behauptet haben, das sei der Untergang dieses Landes, der Untergang jeder Betreuung für Kinder?!

Und heute werfen Sie uns, also denjenigen, die diesen mutigen Schritt gemacht haben, vor, wir hätten Mütter und Familien im Stich gelassen!?

Wissen Sie nicht, was Ihnen die einzelnen Grundschulen oder die Eltern vor Ort sagen, wenn eine Grundschule in ihrer Nähe das Angebot „offener Ganztag“ beinhaltet? - Die Schulen sind froh, es anbieten zu können, und die Eltern sind froh, ihre Kinder dort anmelden zu können.

Sie sind doch der Erste gewesen, der erklärt hat: Das führen wir weiter.

Also kann das so schlecht nicht gewesen sein. Wir können also Mütter und Familien nicht so furchtbar im Stich gelassen haben, wie von Ihnen

hier dargestellt. Sonst wäre die Nachfrage nicht so groß gewesen, dass wir aufstocken mussten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Herr Dr. Rüttgers, ich habe großes Verständnis dafür, dass Sie hier vorhin die Contenance verloren haben. Ich habe es deshalb, weil ich sehr aufmerksam die Presse studiert habe. Manchmal ist es klug, Sachen nicht selbst zu formulieren, sondern zu schauen, was Fachleute formuliert haben. Und dass Journalisten hinsichtlich Formulierungen Fachleute sind, steht außer Frage. Deshalb lassen Sie mich, Frau Präsidentin, zwei kleine Zitate - das erste ist aus der „Neuen Ruhr Zeitung“ von heute - vortragen.

Dort heißt es:

„Regierungserklärungen sind selten ein Quell konkreter neuer Erkenntnisse. Wenn sie dann noch ein wenig origineller Redner wie Jürgen Rüttgers vorträgt, können anderthalb Stunden verdammt lang werden.“

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Zustimmung, Meine Damen und Herren!

Aber wir wollen uns nicht vorwerfen lassen, Einzelmeinungen zu zitieren. Deshalb möchte ich ein ebenso deutliches Zitat aus der „Westdeutschen Zeitung“ von heute anschließen. Dort heißt es:

„Man kombiniere einen schlechten Redenschreiber mit einem schlechten Redner, und fertig ist die Regierungserklärung von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers […].“

Weiter heißt es:

„Wer hat Rüttgers nur diese schaurig-hölzerne Kitsch-Rhetorik aufgeschrieben, die schon im NRW-Wahlkampf abgestanden wirkte […]? […] Rüttgers Regierungserklärung wirkte in weiten Teilen“

- hören Sie zu! -

„wie eine Nebelmaschine. Seine kraftlose, nebulöse Regierungserklärung lässt nichts Gutes ahnen.“

Dem, meine Damen und Herren, ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN - Rainer Schmeltzer [SPD]: Aber zitier nicht alles! Du hast nicht so viel Redezeit! - Christian Weisbrich [CDU]: Zum Sieg hat es gereicht!)

Aber eigentlich stehe ich heute hier, weil ich mich ein wenig mit dem, was diese Regierungserklärung und der Koalitionsvertrag an außerordentlich

spärlichen Fakten zum Thema Haushaltspolitik bieten, in der Sache auseinander setzen wollte. Ich möchte auf drei Stichworte aus der gestrigen Rede zurückkommen: Stellenabbau, Neuverschuldung, Ausgabenanstieg.

Fangen wir mit dem Stellenabbau an. Das ist eine interessante Rechnung, aber sie ist nicht neu und hier schon oft diskutiert. Ich möchte sie denjenigen, die erstmalig im Parlament sitzen, gerne in Erinnerung rufen.

Sie in der CDU kündigen seit Jahren an, Sie wollten in der Landesverwaltung weitere 1,5 % der Stellen abbauen, und zwar jährlich. Wir haben Sie immer wieder in zig Haushaltsberatungen gefragt, wie Sie das machen wollen. Gestern haben Sie nun erklärt, Sie wollten an diesem Plan festhalten, wollten aber weite Teile der Landesverwaltung außen vor lassen.

Wir haben uns daraufhin der Mühe unterzogen, zusammenzurechnen. Werden wir von Ihnen angekündigt die Bereiche Polizei, Hochschule, und Schule herausgenommen, bleiben von etwas mehr als 300.000 Stellen nicht einmal 40.000 Stellen übrig. 1,5 % sind dann in der Sparrunde 600 Stellen pro Jahr. Wollen Sie damit die ersten 1.000 Lehrerstellen gegenfinanzieren? 400 davon wären schon bei dieser Rechnung. nicht gegenfinanziert - ganz zu schweigen davon, dass die Einsparungen noch nicht erfolgt sind, also zurzeit die Gegenfinanzierung gar nicht erbracht werden kann beziehungsweise erbracht worden ist.

Die alte Landesregierung hat es durch den Abbau von kw-Vermerken geschafft, den Personalhaushalt in den letzten Jahren um 900 Stellen real abzusenken - und das, obwohl wir in der Legislaturperiode 4.100 neue Lehrer zusätzlich eingestellt haben. Das wollen Sie auch. Wie aber wollen Sie das mit den jährlich 600 Stellen gegenrechnen?

Wollen Sie doch betriebsbedingte Kündigungen? - Dann soll doch bitte die neue Ehrlichkeit gelten. Dann sagen Sie den Menschen in den Landesverwaltungen, sie würden künftig gekündigt werden. Seien Sie an dieser Stelle ehrlich.

Oder, meine Damen und Herren, sagen Sie deutlich: Die Zahlen interessieren uns gar nicht. Wir haben das mal da hineingeschrieben. Im Grunde wissen wir noch gar nicht, wie wir diese 1,5 % einsapren werden oder wo wir überhaupt einsparen wollen.

Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir Ihnen auf den Fersen bleiben. Wir werden Sie auch bei Vorlage des Nachtragshaushaltes fra

gen, wie denn die wegen des Anstiegs an Schülerinnen und Schülern notwendigen 1000 Stellen finanziert werden.

Sie behaupten, seit 1998 - das haben Sie gestern noch einmal wiederholt - wäre keine Stelle in der Landesverwaltung abgebaut worden. - Das ist sachlich falsch. In den Jahren 2000 bis 2005 haben wir trotz der genannten 4.100 neuen Stellen die Gesamtzahl aller Stellen absenken können - den Gesamtstand können Sie nachlesen, darüber brauchen wir überhaupt nicht zu streiten -: in der Zeit von 2003 bis 2004 um 991 Stellen und dann noch einmal um 819 Stellen.

Das heißt, die alte Landesregierung hat es geschafft - wie damals auch angekündigt -, zusätzliche Lehrerstellen zu schaffen, diese Stellen aus nicht mehr benötigten Stellen zu finanzieren und noch darüber hinaus zu sparen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der CDU und der FDP, müssen Sie erst einmal nachmachen.

(Beifall von der SPD)

Wir schauen uns dann an, wie diese Rechnung im Nachtragshaushalt aussieht.

Dann werfen Sie uns immer wieder vor: Die Personalkosten steigen - ja, das ist richtig -, obwohl die Anzahl der Stellen zurückgeht. - Sie, zumindest Ihre Fachleute aus den Ausschüssen - mit denen müssen Sie einmal kommunizieren -, wissen, dass es dafür Gründe gibt, dass es Steigerungsraten zu verkraften gab. Ich möchte nur vier Punkte herausnehmen:

- Anstieg der aktiven Bezüge in den letzten fünf Jahren um über 80 %,

- Anstieg der Versorgungsausgaben um 185 %, Herr Dr. Rüttgers,

- Anstieg der Beihilfen für diejenigen, die aktiv beschäftigt sind, um 115 %, der Beihilfen der Versorgungsempfänger sogar um 430 %.

Meine Damen und Herren der Regierungskoalition, jetzt frage ich Sie: Wie wollen Sie mit diesen Steigerungsraten umgehen? Wie wollen Sie sie gegenfinanzieren? Wollen Sie künftig die Versorgungsausgaben reduzieren? Wollen Sie die Beihilfen kürzen? Oder wollen Sie, wie ich es eben schon einmal gesagt habe, den Menschen in den Landesverwaltungen tatsächlich kündigen? Seien Sie ehrlich und sagen Sie den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land, was Sie planen! Alles andere ist unseriös.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Zu einem weiteren Stichwort, dem von Ihnen behaupteten ungebremsten Ausgabenanstieg: Das taucht in Ihrem Wahlprogramm, im Koalitionsvertrag, aber auch in der Regierungserklärung auf. Ich nenne Ihnen dazu gerne Zahlen, die man durch bloßes Nachschlagen im Haushaltsplan nachvollziehen kann.

Im Haushaltsplanentwurf für das Haushaltsjahr 2003 etatisiert für das ganze Land rund 49,1 Milliarden €, für das Jahr 2004 48,68 Milliarden. Das ist ein Rückgang um exakt 1 %. Verringert man das Ausgabenvolumen dieses Jahres, in dem wir einen durchlaufenden Posten „WestLB“ dabei haben - Fachleute wissen warum -, dann haben wir noch einmal die Ausgaben um 650 Millionen reduziert, Herr Dr. Rüttgers. Ich frage Sie: Wie können Sie da von ungebremstem Ausgabenanstieg reden?

(Beifall von der SPD)

Sagen Sie, was Sie meinen, es sei denn, Sie wollen hier bloß ein entsprechendes Klima schaffen, um uns in den Wochen nach der Sommerpause klarzumachen, dass Sie wieder neue Schulden aufnehmen wollen.