Darüber hinaus sprechen sich alle fortschrittlichen Entwürfe für einen offenen Vollzug als Regelvollzug aus.
In der Anhörung des HFA zur zweiten Ergänzungsvorlage wurde deutlich, dass diese Regierung in der Justizpolitik falsche Signale setzt. Es ist das falsche Signal, wenn Haftvermeidungsprojekte, wie von Ihnen bereits im Haushalt 2006 praktiziert, massiv gekürzt werden. Es ist das falsche Signal, wenn Geld für neue Jugendarrestanstalten bereitgestellt wird. Und es ist das falsche Signal, wenn Jugendliche in U-Haft einsitzen müssen, weil nicht ausreichend erzieherische Alternativen vor Ort zur Verfügung stehen.
Die soziale Arbeit im Präventionsbereich und bei der Straffälligenhilfe, bei der Haftvermeidung und beim Täter-Opfer-Ausgleich bleibt seit dem Haushalt 2006 zerschlagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU. Nur bei einer Präventivmaßnahme haben Sie offensichtlich noch gerade die Kurve gekriegt. Spät, aber immerhin rechtzeitig stellen Sie fest, dass die externe Drogenbe
ratung in den Knästen unumgänglich ist, Herr Giebels. Auch an dieser Stelle drängt sich wieder die Frage auf: Musste erst ein junger Mann von 20 Jahren so grausam sterben, dass Sie jetzt erst handeln?
Gleich hätten Sie unserem Antrag zustimmen müssen, wenn Sie wissen, dass das der richtige Ansatz ist. Aber damals haben Sie, FDP und CDU, gemeinsam diesen Antrag abgelehnt. Das war, wenn ich mich recht erinnere, drei Tage vor dem schrecklichen Ereignis in Siegburg.
Wenn Sie inzwischen bei diesem Punkt gelernt haben und nachbessern wollen, was spräche dann dagegen, unserem Antrag zur U-HaftVermeidung ebenfalls zuzustimmen? Wer A sagt, muss auch B sagen.
Wir alle wissen, Untersuchungshaft ist das schärfste strafprozessuale Zwangsmittel, das nur als Ultima Ratio eingesetzt werden darf. Nach dem Jugendgerichtsgesetz kommt Untersuchungshaft allein dann in Betracht, wenn ihr Zweck durch keine andere Maßnahme erreicht werden kann. Da es aber in Nordrhein-Westfalen bisher nur drei spezialisierte Projekte zur Vermeidung von U-Haft gibt, sieht unser Antrag vor – der Kollege Sichau hat das eben auch noch einmal unterstützt –, eine weitere Einrichtung im Rheinland zu fördern. Denn 450 Jugendliche in U-Haft sind immer noch viel zu viele.
Es ist seit Langem bekannt, dass die stationären Sanktionen des Jugendstrafrechtes sowie die Untersuchungshaft schädliche Nebenwirkungen für die jugendliche Entwicklung haben können. Denn gerade bei besonders jungen Gefangenen, die sich noch in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit befinden, wirkt sich die belastende Situation während der U-Haft besonders nachteilig aus.
Ich glaube, wir müssen uns deshalb auch nicht wundern, dass eine Aachener Richterin im letzten Jahr unmissverständlich klar gemacht hat, dass sie wegen der Übergriffe in den Haftanstalten keine Jugendlichen mehr in U-Haft stecke. Die aktuellen Vorkommnisse in der JVA Siegburg und in anderen Haftanstalten zeigen, wie Recht sie damit hatte.
Wenn wir uns noch einmal vergegenwärtigen, dass in Nordrhein-Westfalen ganze 18 U-HaftVermeidungsplätze zur Verfügung stehen, gleichzeitig durchschnittlich aber 450 Jugendliche in UHaft sitzen, dann wird das Missverhältnis mehr als deutlich. Also tun Sie heute mit uns einen kleinen Schritt und schaffen Sie weitere Plätze zur U-HaftVermeidung in einer spezialisierten Einrichtung im Rheinland!
Diese soll in Form einer Intensivwohngruppe als Alternative und zur Verkürzung von U-Haft eingerichtet und mit multiprofessionellem Personal ausgestattet werden.
Lassen Sie mich abschließend noch eine Forderung in Bezug auf etwas aufstellen, was das Bundesverfassungsgericht unlängst dringend angemahnt hat. Zur Sicherung eines qualitativen Vollzugskonzeptes im Jugendstrafvollzug brauchen wir endlich ein eigenes Jugendstrafvollzugsgesetz in Nordrhein-Westfalen. Dieses ist längst überfällig. Hierzu gehören aus unserer Sicht die Mindestvorgaben Sozialtherapie, Wohngruppenvollzug als Regelform der Unterbringung, das Recht auf Einzelunterbringung, der offene Vollzug als Regelvollzug, die qualitative und finanzielle Absicherung des Resozialisierungsvollzuges, Aus- und Fortbildungsplätze für mindestens zwei Drittel der Gefangenen und der Vorrang der Konfliktschlichtung vor Disziplinarmaßnahmen.
Das sind unsere Eckpunkte für ein Jugendstrafvollzugsgesetz. Hierzu gilt es, klare Regeln festzulegen. Es braucht klare Regeln für den offenen Vollzug, es braucht klare Regeln für den Familienbesuch, und es braucht klare Regeln für die Aus- und Weiterbildung, damit jugendliche Straftäter mit einer guten Perspektive wieder in den Alltag zurückkehren können. Erst am Jugendstrafvollzugsgesetz wird sich messen lassen können, ob sich aus den vorgeschlagenen Sofortmaßnahmen zum Strafvollzug ein tragfähiges Konzept entwickelt.
Die Experten in der Anhörung im HFA haben uns Recht gegeben: Aus den jetzigen Maßnahmen der Landesregierung ist kein stimmiges Vollzugskonzept abzuleiten. Das Personaltableau bleibt unklar, und die Ausweitung der Zahl von Haftplätzen ist so lange umstritten, wie bei der Haftvermeidung Mittel gekürzt und wie nicht – wo immer möglich – vor Haftantritt seriös die Alternativen geprüft werden. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn man hier – und ich rede ja in aller Regel als Letzter – zuhören muss, erstaunt einen, dass man immer aufs Neue feststellen muss, dass Rot-Grün sehr vergesslich ist. Es wird vergessen, dass man bis zum Mai 2005 Haftplätze für 18.000 Häftlinge geschaffen hat, die dort zum Teil viele Jahre verbringen müssen, dass Gebäude errichtet und dass Konzepte erstellt wurden. Dass man einen solch großen Apparat nicht binnen 16, 18 oder 20 Monaten vom Kopf auf die Füße stellen kann, ist doch vollkommen selbstverständlich.
Ich hätte mir gewünscht, dass heute ein bisschen Selbstkritik zu hören gewesen wäre, nämlich dergestalt, dass man sagt: Ja, auch bei SPD und Grünen hat es in der Vergangenheit Versäumnisse gegeben. Wenn Sie so angefangen hätten, hätten wir viel qualifizierter über die Dinge miteinander streiten können.
Aber so, wie Sie sich hier verhalten, kann ich nur sagen: Scheinheiligkeit pur, meine Damen und Herren.
Frau Seidl, natürlich haben Sie Haushaltsänderungsanträge gestellt. Aber haben Sie auch nur eine JVA-Kraft mehr gefordert?
Nein, haben Sie nicht! Sie haben sich auf die für Sie wichtigen Projekte gestürzt. Das ist Ihr gutes Recht. Aber gestatten Sie dann bitte auch den regierungstragenden Fraktionen, sich auf die Projekte zu stürzen, die sie für richtig erachten. Und wir sehen, dass von denen, die in den Gefängnissen sind, sehr viele ins Gefängnis gehören. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie wir die Bevölkerung vor diesen Gefangenen schützen und wie wir die Gefangenen voreinander schützen. Das ist uns ein sehr wichtiges Anliegen.
Nein, gestatte ich nicht. – Wir haben doch in den Jahren davor erleben dürfen, wie rot-grüner Strafvollzug aussah: Da wurden Skifreizeiten gefördert; es waren Surfkurse gefördert worden;
es gab in Bielefeld-Senne einen offenen Vollzug, in dem die Leute wie in einem Hotelbetrieb herein- und herausgingen, später kamen, zwischendurch einfach einmal gingen, betrunken auf den Fluren lagen und Ähnliches.
In diesem Zustand haben wir den Strafvollzug in NRW übernommen, und ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, die Schwachpunkte auszumerzen.
Deswegen haben wir bisher einen Schwerpunkt darauf gelegt, in den Justizvollzugsanstalten die Situation zu verbessern, indem wir das Personal verstärken, indem wir die kw-Vermerke gestrichen haben – und das nicht erst seit dem Ereignis in Siegburg, sondern auch schon davor, lieber Kollege Jäger – und indem wir die Sünden, die Sie noch verursacht haben – nämlich die Bausünden –, angegangen sind.
Die JVA in Ratingen wurde uns vor der Landtagswahl als quasi gebaut verkauft. Und was ist damit? Die Stadt Ratingen hatte natürlich nicht die Zustimmung gegeben. Die Berechnungen zu einer Erstellung auf privatem Wege waren katastrophal. Es war unwirtschaftlich, was dort hinterlassen wurde.
Das Gerichtsgebäude in Düsseldorf zum Beispiel hatten Sie verkauft, bevor Sie einen Neubau geplant hatten.
Bei all solchen Dingen haben Sie Fakten geschaffen, die das Ministerium – auch seine Arbeitskraft – über Jahre hinweg gebunden haben. Dieses arbeiten wir jetzt ab.
Dann hört man, wir würden jetzt die Amtsgerichte zusammenlegen. – Natürlich diskutieren wir darüber, Amtsgerichte zusammenzulegen. Aber welche Amtsgerichte sind betroffen? Es sind Amtgerichte betroffen, die in einer Stadt liegen. In einer Stadt wie Düsseldorf haben wir, solange ich denken kann – ich glaube aber, es ist auch schon länger so gewesen –, nur ein Amtsgericht. In Duisburg haben wir mehrere. Es gibt aus meiner Sicht keine Notwendigkeit, dass wir in einer Stadt meh
rere haben und in einer anderen Stadt nur eines. Aber wir sagen nicht einmal, dass wir diese Amtsgerichte schließen. Wir wollen prüfen, ob es Sinn macht, sie zu schließen. Wir machen Wirtschaftlichkeitsberechnungen, wir hören die Betroffenen an und all diese Dinge.
Wie sah das bei Ihnen aus? – Bei der Arbeitsgerichtsbarkeit wollten Sie die auswärtigen Gerichtstage in einem großen Hauruckakt in der Fläche in NRW in der letzten Legislaturperiode zusammenstreichen. Erst wurde gesagt, wir streichen, dann wurde diskutiert, und danach wurde es zurückgenommen. Nein, so gehen wir nicht vor. Wir überlegen, wir diskutieren und wir entscheiden dann. Das ist vernünftige Politik.