Protocol of the Session on December 6, 2006

(Beifall von den GRÜNEN – Johannes Rem- mel [GRÜNE]: Nur zu!)

Hören Sie endlich auf, das Parlament zu missachten, und legen Sie alle Fakten auf den Tisch! Denn ganz offensichtlich sind die RAG-Betriebsgeheimnisse doch nicht so geheim, wie Sie immer tun.

Herr Ministerpräsident, ich erwarte von Ihnen, dass Sie heute das Parlament und die Öffentlichkeit über Ihre Linie für die weiteren Gespräche in dieser zentralen industriepolitischen Entscheidung informieren. Womit haben Sie sich dieses Zugeständnis an die SPD abkaufen lassen? – Das möchten wir gerne von Ihnen wissen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich fordere CDU und SPD auf: Kommen Sie zur Vernunft! Verzichten Sie auf einen Kuhhandel, der auf Kosten der Umwelt, auf Kosten der Staatsfinanzen und auf Kosten der Zukunftsfähigkeit unseres Landes geht! In 14 Tagen sprechen wir uns wieder. Ich hoffe, Herr Ministerpräsident, Sie geben dann eine Regierungserklärung zu dem Ergebnis, dass dann in Berlin erreicht worden ist, ab, damit wir es hier im Parlament ausführlich diskutieren können. Wenn Sie das nicht von sich aus tun – das verspreche ich Ihnen schon jetzt –, dann gibt es wieder eine Aktuelle Stunde. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Löhrmann. – Für die CDU spricht nun der Kollege Weisbrich.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Löhrmann, Ihren Temperamentsausbruch eben teile ich nicht in allen Facetten, aber – das kann ich sagen – er hat deutlich gemacht, dass sich eine Zweidrittelmehrheit in diesem Haus im Kern in der Sache einig ist: Wir wollen raus aus dem subventionierten Steinkohlebergbau.

(Beifall von der CDU)

Wir als Koalitionsfraktionen haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir uns große Sorgen um die Zukunft von 95.000 Beschäftigten der RAG machen zwei Drittel davon in den bergbaufernen

Bereichen Chemie, Energie und Immobilien. Diese Arbeitsplätze sind ausschließlich aus einem Grund gefährdet: wegen der persönlichen Profilierungssucht von Frau Kraft.

(Lachen von der SPD)

Zeitungen spekulieren darüber, Frau Kraft könne es nicht ertragen, dass Jürgen Rüttgers in den Herzen der Menschen die sozialen Kompetenzen übernommen hat, die zu Zeiten von Johannes Rau bei der SPD verortet waren.

(Ewald Groth [GRÜNE]: Die Seifenblase ist geplatzt, Herr Kollege!)

An diesen Spekulationen will ich mich gar nicht beteiligen. Das müssen Sie, Frau Kraft, mit Ihrem Gewissen ausmachen. Sie selbst müssen entscheiden, ob es moralisch anständig ist, Zigtausende von Arbeitsnehmern für Ihren persönlichen Ehrgeiz in Geiselhaft zu nehmen. Denn genau das tun Sie, verehrte Frau Kollegin.

(Oh-Rufe von der SPD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist doch eine Frechheit!)

Sie können es offenbar nicht ertragen, bei den Verhandlungen um ein sozialverträgliches Ende des subventionierten Steinkohlebergbaus bedeutungslos am Katzentisch zu sitzen. Deshalb versuchen Sie, eine Einigung zu torpedieren, die seit Ende September greifbar nahe ist.

Nur um sich selbst wieder ins Spiel zu bringen, kommen Sie mit einem Vorschlag um die Ecke, den Sie großspurig Masterplan nennen, der aber selbst in den Augen Ihres ehemaligen Koalitionspartners nicht viel mehr ist als totaler Unfug. Genau das, verehrte Frau Kraft, ist Ihre Forderung nach Dauersubventionen für eine Steinkohleförderung von jährlich 10 Millionen t.

Ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist, dass in Deutschland der jährliche Primärenergieverbrauch an Erdgas, Mineralöl, Kernenergie, Braunkohle, Steinkohle und erneuerbaren Energien umgerechnet in Steinkohleeinheiten rund 500 Millionen t beträgt. Bei einem Verhältnis von 500:10 können Sie doch niemandem einreden, dass ohne diese 10 Millionen t heimischer Steinkohle unsere Energieversorgung zusammenbricht oder auch nur ansatzweise gefährdet ist! Diese Argumentation können Sie sich für Leute aufsparen, die die Hose mit Messer und Gabel anziehen.

1997 haben Sie erklärt, 30 Millionen t Jahresförderung reichten nicht für einen lebens- und leistungsfähigen Bergbau aus. 2000 waren es dann 20 Millionen t und 2004 plötzlich nur noch 16 Millionen t. Jetzt sagen Sie, das Heil liege in

10 Millionen t. An diese Lügengeschichte können Sie doch selbst nicht mehr glauben. 10 Millionen t Steinkohleeinheiten lassen sich allein dadurch einsparen, dass wir auf Stand-by-Schaltungen bei Computern und Haushaltsgeräten verzichten.

Deshalb ist Ihr roter Steinkohlesockel nicht mehr und nicht weniger als eine steuerfinanzierte Propagandaaktion für vermeintliche SPD-Stammwähler. Daran werden wir uns nicht beteiligen. Das wissen Sie genau, denn Sie kennen unsere Koalitionsvereinbarung. Der Bund wird es auch nicht tun; denn bereits im Juli hat die Bundesregierung eine Kleine Anfrage der Linksfraktion mit der Antwort beschieden: Durch den Börsengang der RAG dürfen keinerlei zusätzliche Lasten oder Risiken für den Bund entstehen.

Wie soll Ihr sogenannter Masterplan Börsengang plus Sockelbergbau denn funktionieren, wenn die öffentliche Hand keine zusätzlichen Risiken übernimmt? Er funktioniert nicht, weil die bei einer Fortsetzung des Bergbaus auftretenden zusätzlichen Risiken ganz offensichtlich sind. Wenn Sie das nicht glauben, sollten Sie einmal die Anrainer des Bergwerks West oder auch die Anwohner im Saarland fragen, von denen wir täglich körbeweise Briefe bekommen, in denen sie uns ihre berechtigten Ängste und Sorgen schildern.

Solange es keine Vereinbarung über eine definitive Einstellung des Bergbaus gibt, so lange können keine Regierung und kein Parlament einer Auflösung des Haftungsverbundes zwischen Bergbau und Beteiligungsbereich zustimmen, ohne dem Steuerzahler schwersten Schaden zuzufügen.

(Beifall von CDU und GRÜNEN)

Sie reden davon, drei Bergwerke offenzuhalten, nämlich West, Ost und Prosper-Haniel, und sprechen in diesem Zusammenhang von einem künftigen Subventionsbedarf von 70 € pro Tonne. Das mag für das Bergwerk West gerade noch stimmen. Für Bottrop sind es aber schon jetzt mehr als 100 € pro Tonne und für den Standort Hamm sogar gut 280 € pro Tonne – mit rasch steigender Tendenz, wenn die Gesamtförderung zurückgeht, weil die Fixkosten leider gleich bleiben.

Frau Kraft, Sie kommen mir ein bisschen vor wie der Hund in der Fabel von Äsop, der mit einem Fleischbrocken im Maul nach seinem Spiegelbild im Wasser schnappt und am Ende gar nichts mehr hat.

Herr Schröder hat es versäumt, für seinen Kohlekompromiss ein Leistungsgesetz zu schaffen. Wir haben das immer gefordert. Ab 2008 hängt der

Bergbau deshalb am Fliegenfänger. Ohne Anschlussfinanzierung bekommt die RAG kein Wirtschaftsprüfungstestat. Das wollen wir nicht riskieren. Wenn die Anschlussfinanzierung nicht rasch vereinbart wird, droht der ganzen RAG, nicht nur der DSK, die Insolvenz, mindestens aber die Zerschlagung.

CDU und FDP haben den Ausstieg aus dem subventionierten Steinkohlebergbau im Jahr 2005 ganz formell beim Wähler zur Abstimmung gestellt. Mit der vernichtenden Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen haben Sie auch die Führung im Bund verloren. Sie können jetzt doch nicht glauben, dass wir uns von Ihnen auf der Nase herumtanzen lassen, nachdem der Wähler so entschieden hat. Verehrte Frau Kraft, klettern Sie nicht zu hoch auf den Baum; denn Sie wissen ja: Je höher, desto platsch!

Ihr Modell ist nichts als Schönfärberei. Ihr Modell ist ökonomischer Unfug. Ihr Modell gehört in die Tonne – je schneller, desto besser für die Beschäftigten der RAG, die eine klare berufliche und persönliche Perspektive brauchen. Versuchen Sie nicht, uns daran zu hindern, dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern diese Perspektive so schnell wie möglich zu geben! – Schönen Dank.

(Beifall von CDU, FDP und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Weisbrich. – Für die FDP spricht der Kollege Brockes.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Löhrmann, ich stimme Ihrer Kritik in Bezug auf die SPDFraktion absolut zu. Eines muss man an dieser Stelle aber auch einmal erwähnen: Bis vor 19 Monaten haben Sie diese Politik der Sozialdemokraten mitgetragen und gedeckt.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, die Verhandlungen der Berliner Kohlerunde über den Ausstieg aus dem subventionierten Steinkohlebergbau hätten am vergangenen Mittwoch einen erfolgreichen Abschluss finden können. Die Position der Bergbauländer Nordrhein-Westfalen und Saarland ist unstrittig und hinlänglich bekannt. Beide möchten schnellstmöglich und sozialverträglich aus dem Subventionsbergbau aussteigen. Die CDU hat auf ihrem Dresdner Parteitag den Ausstieg bis zum Jahr 2015 beschlossen. Selbst die RAG und die IG BCE erkennen mittlerweile das Primat der Politik an und tragen damit den Ausstiegsbeschluss mit.

Der Durchbruch war in den Verhandlungen zum Greifen nah. Dass es hierzu nicht gekommen ist, verdanken wir völlig unrealistischen Forderungen der SPD nach einem Sockelbergbau. Eine besonders unwürdige Rolle nehmen hierbei die nordrhein-westfälischen Genossen ein. Nicht genug, dass sie die gescheiterten Gespräche als ihren Erfolg gefeiert haben! Der frühere Ministerpräsident Steinbrück sah sich zu Beginn der Verhandlungen auch zu einer Erklärung in eigener Sache genötigt. Das lässt wirklich tief blicken. Laut „Spiegel“ vom 4. Dezember 2006 hat Herr Steinbrück gesagt: „Ich spreche hier nicht als Bundesfinanzminister; ich sitze hier als SPDPolitiker.“

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, wenn in der nächsten Verhandlungsrunde wieder nicht der Bundesfinanzminister anwesend sein sollte, sondern nur der Vertreter des Juniorpartners der großen Koalition, erwarte ich, ehrlich gesagt, dass Sie Ihren Juniorpartner auch mit in die Verhandlungen einbringen.

(Beifall von der FDP)

Meine Damen und Herren, Frau Kraft, ich bin mir nicht sicher, ob Sie die Erniedrigung Ihres ehemaligen Kabinettschefs nicht auch klammheimlich als Erfolg gefeiert haben. Unabhängig davon führt Ihr Verhalten uns allen vor Augen, wie überfällig der Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen war und was uns dadurch alles erspart geblieben ist.

Die wirklich Leidtragenden Ihres taktischen Spielchens sind jedoch ganz andere. Sie verhindern mutwillig, dass die Bergleute Planungssicherheit für ihre weitere Zukunft erhalten. Durch die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt ergeben sich für die hochqualifizierten Mitarbeiter der DSK derzeit gute Möglichkeiten, eine neue Beschäftigung außerhalb des Bergbaus aufzunehmen. Mit Ihrer Blockadehaltung tragen Sie alleine die Verantwortung dafür, wenn diese Chance leichtfertig verspielt wird. Mit Ihrer destruktiven Haltung gefährden Sie ebenfalls ganz bewusst den möglichen Börsengang der RAG. Damit bringen Sie die Arbeitsplätze Zehntausender in Gefahr.

Dies zeigt, wie weit sich mittlerweile die Sozialdemokratie von den Menschen in diesem Lande entfernt hat. Außer Ihnen hat jeder der Beteiligten akzeptiert, dass der Haftungsverbund von weißem und schwarzem Bereich der RAG nur aufgelöst werden kann, wenn gleichzeitig das Ende des Subventionsbergbaus besiegelt wird.

Schaut man sich die Förderkosten der einzelnen Zechen an, wird in eindrucksvoller Weise deutlich, auf welch verlorenem Posten die deutsche Stein

kohle steht. So fördert zum Beispiel das Bergwerk Ost die Tonne Steinkohle zu 349 €. Selbst die Förderkosten der besten deutschen Zechen sind mehr als doppelt so hoch als der Weltmarktpreis von derzeit 60 €. Das beweist die ökonomische Unsinnigkeit eines Kohlesockels.

Daran werden auch die Berechnungen, die seitens der SPD zurzeit angestellt werden, nichts ändern. Der Versuch, die Altlasten und Ewigkeitskosten aus den Förderkosten herauszurechnen und der Kohle nicht mehr anzulasten, ist nichts anderes als ein durchsichtiger Taschenspielertrick, Herr Römer.

Die für uns relevanten Steinkohleimportländer befinden sich überwiegend in krisensicheren Regionen. Die breite Streuung unserer Bezugsbasis lässt zudem auch zukünftig keine einseitige Abhängigkeit von einzelnen Förderstaaten erwarten.

Noch einige weitere Zahlen entlarven Ihre Argumentation:

Die heimische Förderung entspricht lediglich 3,3 % der weltweit gehandelten Kohlemenge.

Der Beitrag der deutschen Steinkohle zur Primärenergieversorgung liegt in Deutschland gerade einmal bei 5 % – mit sinkender Tendenz. Dies zeigt, dass der Beitrag der deutschen Steinkohle zur Versorgungssicherheit verschwindend gering ist.

Ich komme zum Fazit: Der Kohlesockel ist ökonomisch, energiepolitisch, finanzpolitisch und aus Sicht des Ruhrgebiets auch strukturpolitisch in keinster Weise zu verantworten. Die FDPLandtagsfraktion hat aufgezeigt, dass der Ausstieg bereits im Jahr 2012 möglich ist. Für eine über 2012 hinausgehende Finanzierung des Steinkohlenbergbaus wird ein finanzieller Mehrbedarf von 9,3 Milliarden € für weitere vier Jahre respektive 12 Milliarden € für weitere sechs Jahre genannt. Demnach würde jeder Arbeitsplatz in einem Zeitraum von sechs Jahren ca. 1,13 Milliarden € Steuergelder verschlingen, um dann zu verschwinden.

Die FDP-Landtagsfraktion hat vor wenigen Wochen einen gemeinsamen Beschluss mit der FDPBundestagsfraktion gefasst, in dem wir uns dafür aussprechen, dass ein Großteil der zukünftig eingesparten Subventionen aus dem Steinkohlenbergbau in den Bergbauregionen verbleiben soll. Wir begrüßen, dass auch die Bundes-CDU diesen Gedanken aufgegriffen hat und zum Gegenstand der kommenden Verhandlungen machen möchte.