Protocol of the Session on October 26, 2006

Mit Schreiben vom 17. Oktober hat der Chef der Staatskanzlei mitgeteilt, dass die Landesregierung den Landtag zu diesem Thema unterrichten möchte.

Ich eröffne die Beratung und erteile für die Landesregierung Herrn Minister Wittke zur Unterrichtung das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregierung hat sich in ihrer letzten Sitzung am 24. Oktober mit dem Gutachten über die Veräußerungsalternativen für die Landesentwicklungsgesellschaft befasst. Über das Ergebnis möchte ich Sie nunmehr informieren.

Lassen Sie mich zur Vorgeschichte noch kurz Folgendes sagen: Es ist hinreichend und allgemein bekannt, dass die finanzielle Situation der Landesentwicklungsgesellschaft nicht ganz einfach ist. Man könnte auch sagen: Dieses Landesunternehmen ist chronisch unterfinanziert.

Auf der anderen Seite gibt es erheblichen Sanierungs- und Modernisierungsbedarf in den Wohnungsbeständen der Landesentwicklungsgesellschaft. Das heißt, wenn man die Wohnungen zukunftssicher machen will, benötigt man Kapital. Dieses Kapital kann die Landesentwicklungsgesellschaft nicht aufbringen – so, wie sie es auch in der Vergangenheit nicht aufbringen konnte; denn wie Sie wissen, sind Jahr für Jahr Tausende von Wohnungen der Landesentwicklungsgesellschaft teilweise umstrukturiert und veräußert worden.

Auch die Eigentümerin der Landesentwicklungsgesellschaft, das Land Nordrhein-Westfalen, ist aufgrund der prekären Haushaltslage nicht imstande, der Gesellschaft frisches Kapital zuzuführen, damit die Wohnungsbestände saniert und modernisiert werden können. Das heißt, wir benötigen privates Kapital, um diese Wohnungen im Interesse der Mieterinnen und Mieter zukunftssicher zu machen.

Darüber hinaus werden Sie sich erinnern, dass bereits die Koalitionsvereinbarung die Veräußerung des Wohnungsbestandes der LEG – ich zitiere – „unter Berücksichtigung der notwendigen Sozialstandards“ – vorsieht. Damit wurde und wird das Ziel verfolgt, den Staat auf seine Kernaufgaben zu beschränken und sich von Beteiligungen zu trennen. Dies geschieht selbstverständlich sozialverträglich. So bringen wir ökonomische Vernunft und soziale Verantwortung in Einklang.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wer es glaubt, wird selig!)

In ihrer Sitzung am 15. November 2005 hat sich die Landesregierung darauf verständigt, in einem ersten Schritt einen Gutachter mit der Analyse der Tätigkeitsfelder der LEG und der Ermittlung der Chancen der unterschiedlichen Verkaufsoptionen zu beauftragen. Bei der europaweiten Ausschreibung erhielt das Beraterkonsortium Sal. Oppenheim und West-LB den Zuschlag. Die Gutachter haben ihr Gutachten nach fünf Monaten abgeliefert.

Die Landesregierung hat auf der Basis der Empfehlungen der Gutachter entschieden, die Anteile des Landes an der Landesentwicklungsgesellschaft, die über die Beteiligungsverwaltungsgesellschaft, BVG, gehalten werden, zu veräußern. Damit wird die Option gewählt, die LEG als Ganzes auf dem Markt anzubieten. So ist es im Übrigen auch immer wieder von den Betriebsräten der Landesentwicklungsgesellschaft, der Geschäftsführung der Landesentwicklungsgesellschaft und zuletzt auch von Vertretern der Sozialdemokratischen Partei in Nordrhein-Westfalen gefordert

worden, um – so wörtlich – „die LEG nicht zu zerschlagen“.

Die Gutachter haben neben dieser Variante vier weitere Möglichkeiten einer Verwertung der LEG geprüft und evaluiert: erstens einen Verkauf der Wohnungsbestände und sonstiger Wirtschaftsgüter als sogenannten Assetdeal, zweitens eine Verwertung der einzelnen bestandshaltenden Gesellschaften, drittens einen Börsengang der LEG und, viertens, eine Verwertung der LEG als sogenannte REITs.

Der Evaluierung lagen mehrere Kriterien zugrunde, die unter anderem folgende Aspekte berücksichtigten: Mit welcher Verkaufsvariante lässt sich am besten eine Sozialcharta umsetzen und vor allem dauerhaft absichern? Wie lässt sich sicherstellen, dass alle Wohnungsbestände verkauft werden und keine Restanten übrig bleiben? Welches Verfahren lässt sich dabei am besten steuern? Welche Variante ist zügig umzusetzen und bietet die höchste Erlöserwartung?

Bei Anlegen dieses Kriterienrasters kam das Konsortium zu dem Ergebnis, dass die Variante des Anteilsverkaufes, des sogenannten Share Deals auf BVG-Ebene, eindeutig zu bevorzugen ist. Diese Variante bietet folgende Vorteile: eine einfache Möglichkeit der Durchsetzung und Absicherung sozialer Vorgaben, unkomplizierteste Möglichkeit der Abwicklung des Verfahrens in zeitlicher, technischer und rechtlicher Sicht, geringes Umsetzungsrisiko, komplette Verwertung der LEG und schließlich eine höhere Erlöserwartung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die von mir gewählte Reihenfolge der entscheidungserheblichen Kriterien und der Entscheidungsgründe ist nicht zufällig gewählt. Die Landesregierung hat mit oberster Priorität die sozialen Aspekte des Verkaufes beleuchtet und sich auf eine Sozialcharta verständigt, die über dem Niveau des als richtungweisend geltenden Gagfah-Sozialkatalogs der ehemaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte liegt.

Meine Damen und Herren, vom Verkauf der DGBeigenen Wohnungen Anfang dieses Jahres will ich an dieser Stelle gar nicht sprechen. Denn Sie wissen, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund seine Wohnungsbestände zu Beginn dieses Jahres ohne jegliche Sozialcharta, ohne Halteverpflichtungen,

(Beifall von CDU und FDP)

ohne Investitionsverpflichtungen und ohne Schutzklausel für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ver

äußert hat. Das tun wir nicht, weil wir uns unserer sozialen Verantwortung bewusst sind.

(Beifall von CDU und FDP)

Nach der Festlegung dieser Sozialstandards, der Haltekriterien, der Investitionsverpflichtungen und der Sicherungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können wir feststellen, dass dieses Wohnungspaket als das am besten abgesicherte von allen vergleichbaren Transaktionen in Deutschland an den Markt geht. Damit setzen wir Maßstäbe in Deutschland, und das haben wir bewusst getan. Ich glaube, es ist wichtig, dies hier noch einmal festzuhalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Katalog, der auf Basis der Empfehlungen des Gutachtens gemeinsam mit dem Beraterkonsortium erarbeitet worden ist, enthält folgende Regelungen zum Mieterschutz: erstens Fortbestand der Sozialcharta nach Drittverkäufen bis Ende der Bestandsschutzzeit von zehn Jahren, zweitens Begrenzung der Mieterhöhungen unter dem gesetzlichen Niveau, drittens Verzicht auf Luxussanierungen, viertens Ausschluss von Kündigungsmöglichkeiten, fünftens lebenslanges Wohnrecht für ältere Mieter sowie sechstens Bestandsschutz für Mietereinbauten.

Um sicherzustellen, dass die Landesentwicklungsgesellschaft auch nach dem Verkauf ihre wohnungspolitische Funktion weiterhin wahrnehmen kann, sollen ergänzend zu den angesprochenen Klauseln folgende Vereinbarungen für den Sozialkatalog vorgesehen werden:

Erstens. Der Investor hat Instandhaltungen in Höhe von mindestens 12,50 €/m2 Wohnfläche vorzunehmen und die erforderlichen Maßnahmen zur Erhaltung beziehungsweise Herstellung der Marktfähigkeit der Wohnungen zu ergreifen. – Das ist mehr als das, was die Landesentwicklungsgesellschaft im Durchschnitt der vergangenen drei Jahre in ihre Wohnungsbestände investiert hat.

Zweitens. Die Weiterveräußerung von Wohnungen wird – und das ist, meine Damen und Herren, bislang ebenfalls einmalig in Deutschland – auf maximal 2,5 % per anno des Bestandes für die kommenden zehn Jahre nach der Privatisierung beschränkt.

Wir haben uns für derart restriktive Kriterien entschieden, weil wir sicherstellen wollen, dass die Landesentwicklungsgesellschaft mit ihren Wohnungsbeständen an wohnungshaltende und wohnungsentwickelnde Unternehmen, nicht jedoch an Wohnungshändler veräußert wird. Wir wollen,

dass langfristig orientierte Unternehmen seriös mit diesen Wohnungsbeständen umgehen, weil – ich sage es noch einmal – wir uns unserer sozialen und wohnungsbaupolitischen Verantwortung bewusst sind.

Die Mieterprivatisierung ist von dieser Quote nicht erfasst. Sie ist vorrangig und soll nach den Vorgaben des einstimmig gefassten Landtagsbeschlusses der letzten Legislaturperiode erfolgen. Auch das – so denke ich – ist eine besonders wichtige Regelung, hinsichtlich derer wir schon einmal Einvernehmen in diesem Hohen Haus in der vergangenen Legislaturperiode erzielt haben.

Auch die Interessen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen geschützt werden. Vorgesehen sind ein Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, die Fortführung bestehender Tarifverträge, das Festhalten an Betriebsvereinbarungen, die Verfügungsbeschränkung für Gesellschaftsanteile und schließlich die Wahrung der wirtschaftlichen Identität des Konzerns mit Sitz in unserem Land Nordrhein-Westfalen.

Ich denke, die gewählte Vorgehensweise zeigt deutlich, dass der Landesregierung das Vorhaben, den Prozess sozialverträglich auszugestalten, sehr am Herzen liegt. Und noch einmal: Ich bin überzeugt davon, dass dies der beste und sicherste Weg ist, wirtschaftliche Vernunft mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie wird es nun weitergehen? – Da die Landesanteile an der Landesentwicklungsgesellschaft in Höhe von mehr als 68 % über die Beteiligungsverwaltungsgesellschaft gehalten werden, geht mit der aktuellen Entscheidung die Zuständigkeit für das weitere Verkaufsverfahren von meinem Haus auf das Finanzministerium über, das für die Beteiligungsverwaltung dieser Gesellschaft zuständig ist.

Es wird nun umgehend der Transaktionsberater ausgeschrieben und beauftragt werden. Dieser wird gemeinsam mit der Landesregierung die LEG für den Verkauf vorbereiten. So muss die Sparte „Public Services“ – die heißt tatsächlich so; man könnte auf Deutsch auch „öffentliche Aufgaben“ sagen –, die zum Beispiel den Grundstücksfonds enthält, herausgelöst werden, weil sich diese nach Auffassung des Konsortiums nicht für den Verkauf eignet. Mit dem Abschluss des gesamten Verkaufsverfahrens kann frühestens Anfang 2008 gerechnet werden.

Wie wird der Landtag bei diesem Prozess eingebunden? – Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, zunächst mit der Großen Anfrage 5

der SPD-Fraktion „Zukunft der Mieterinnen und Mieter sowie der Belegschaft der LEG NRW“ beginnen.

Ich habe dem Landtag ergänzende Antworten, die das nunmehr vorliegende Gutachten aufgreifen, übermittelt. Darüber hinaus sind den Sprechern der Fraktionen der Fachausschüsse Auszüge des Gutachtens zur vertraulichen Information zur Verfügung gestellt worden. Damit dürfte sich der Antrag Drucksache 14/2731 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erledigt haben.

Ich bitte um Verständnis, meine Damen und Herren, dass wir nicht das gesamte Gutachten herausgeben und alle Fragen der Großen Anfrage beantworten können, da damit Betriebsinterna veröffentlicht und die Gesellschaft geschädigt würde.

Wir haben mit der Weitergabe der Gutachtenauszüge einen in der Landesregierung bei der Veräußerung von Beteiligungen bislang einmaligen Weg beschritten und damit gezeigt, dass diese Landesregierung das Informationsrecht des Landtages mehr als ernst nimmt. Aber: Dieses Informationsrecht findet seine Grenze bei der Wahrung der Rechte der Gesellschaft und der Rechtswidrigkeit der Datenübermittlung.

Die Landesregierung wird den Landtag bei weiteren Verfahrensschritten auch zukünftig im Rahmen des gesetzlich Möglichen und Machbaren informieren und selbstverständlich auch beteiligen.

Der Verkauf der Landesentwicklungsgesellschaft, meine Damen und Herren, eignet sich nicht als Bühne für politische Profilierungsbemühungen und Polemik. Wir alle sollten im Interesse der Mieterinnen und Mieter und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einer sozialverträglichen Lösung und dem Gelingen des Vorhabens interessiert sein. Ich würde mich freuen, wenn die zukünftige Debatte von diesem Sachinteresse getragen würde. Denn noch einmal: Ein politisches Süppchen auf dem Rücken von Mieterinnen und Mietern, von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu kochen wäre nicht nur hochgradig unseriös, sondern würde auch das weitere Verfahren in erheblichem Maße belasten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, Sie haben den Bericht der Landesregierung entgegengenommen. Jetzt schließt sich vereinbarungsgemäß die Aussprache über die Große Anfrage 5, über

die Unterrichtung und über den von mir vorhin erwähnten Antrag Drucksache 14/2731 an.

Es liegen Wortmeldungen vor. Die Debatte beginnt mit der Frau Abgeordneten Ruff-Händelkes von der SPD-Fraktion. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anfang Juni hat unsere SPD-Fraktion eine Große Anfrage gestellt; der Minister hat es gerade gesagt. Darin geht es um die Zukunft der Belegschaft und der Mieterinnen und Mieter der LEG. Meine Damen und Herren, 29 der gestellten Fragen sind bis heute nicht beantwortet.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das kann ich Ihnen nicht ersparen. Es werden auch noch ein paar dazukommen. Meine Zeit wird nicht reichen, alle Fragen noch einmal zu stellen.

Ich möchte auf die Sozialstandards zu sprechen kommen. Minister Wittke, ich habe mich eben sehr gewundert: Sie haben tatsächlich ausgeführt, Sie würden die notwendigen Sozialstandards erfüllen. Ich habe gedacht, ich traue meinen Ohren nicht; denn am Samstag hat Staatssekretär Kozlowski beim Deutschen Mieterbund noch gesagt: Wir bieten Sozialstandards, die weit über das übliche Maß hinausgehen und in der ganzen Bundesrepublik Standard für ähnliche Transaktionen werden sollten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Hannelore Kraft [SPD]: Was denn jetzt?)

Ich denke, das passt nicht zusammen.

Jetzt zu den Sozialstandards im Einzelnen. Meine Damen und Herren, zehn Jahre keine Mieterhöhung: Wo kann ich das einklagen? An wen kann ich mich als Mieter wenden, wenn dieser Standard nicht eingehalten wird? Vielleicht an diese Landesregierung, die 2010 nicht mehr regiert?

(Heiterkeit und Beifall von der SPD)