Beide wesentlichen Lebensmodelle, sowohl das Nur-Mutter-Sein als auch die berufstätige Mutter, sind Lebensformen, die unseres Erachtens gleichwertig zu unterstützen sind. Die Entscheidung für oder gegen Kinder darf nicht allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen werden. Deswegen sollten wir es nicht zulassen, dass
Wo liegen die Ursachen für die niedrigen Geburtenraten? Wie kommt es, dass sich immer weniger Paare für Kinder entscheiden? Wie schaffen wir es, dass die bisher Kinderlosen, die sich eventuell ein Kind wünschen, den Mut und die Sicherheit haben, aus dem eventuellen einen realistischen Kinderwunsch zu machen?
Hemmnis Nummer 1 ist zum Beispiel bei jungen Akademikern die Unsitte, dass sie nach Beendigung ihres Studiums nur befristete Arbeitsverträge bekommen. Das heißt, hier fehlt die Sicherheit. Wer unsichere Berufsperspektiven hat, schreckt auch vor der Familiengründung zurück. Das gilt auch für jeden Arbeitnehmer, der um seinen Arbeitsplatz fürchtet. Deshalb ist gute Wirtschaftspolitik, wie wir sie hier betreiben, auch immer Familienpolitik.
Junge Paare – das zeigen entsprechende Studien – befürchten bei der Entscheidung für ein Kind immer öfter persönliche und finanzielle Einschränkungen: Einschränkung in der Selbstverwirklichung, mangelnde Vereinbarkeit mit beruflichen Anforderungen, Unvereinbarkeit mit Freizeitwünschen. Die meisten Punkte lassen sich in drei Kategorien einteilen: Zeit, verlässliche Betreuung und Geld.
Diese drei Schwerpunktfelder sind für uns konkrete Arbeitsaufträge. Wir müssen aber den jungen Menschen auch glaubwürdig vermitteln, dass Kinder mehr sind, dass Kinder Lebensglück bedeuten. Minister Laschet hat nicht umsonst eine Veränderung des Klimas für Familien eingeklagt. Damit spricht er mir aus dem Herzen.
Die Situation von Familien ist eine Verantwortung unserer gesamten Gesellschaft. Ja, wir brauchen den Klimawechsel, und wir brauchen das in der Praxis.
In unserer Gesellschaft stellt Kinderreichtum immer noch ein großes Armutsrisiko für die Familien dar. In der familienfreundlichen Flexibilisierung von Arbeitszeit in Nordrhein-Westfalen sehen wir große Entwicklungs- und Umsetzungspotenziale.
Eltern brauchen eine klare und verlässliche Vorstellung darüber, welche familienpolitischen Förderleistungen ihnen zustehen. Gemeinsam mit der Bundesregierung wird Nordrhein-Westfalen eine transparente und zielgenauere Förderung
von Familienleistungen anstreben. Dabei ist es unser Weg, den Familien Rahmenbedingungen zu bieten, die es ihnen ermöglichen, sich auf Gesundheit, Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern zu konzentrieren.
Meines Erachtens brauchen wir eine regelmäßige medizinische und ärztliche Betreuung, Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen für alle Kinder. Auch hier darf die soziale Herkunft nicht über die durchzuführende Vorsorgeuntersuchung entscheiden. Kinder aus bildungsfernen Schichten dürfen nicht aufgrund ihrer Herkunft ein größeres Gesundheitsrisiko tragen als andere. Das ist heute noch der Fall. Wir alle gemeinsam müssen sagen: Das ist ein Skandal.
Kinder brauchen eine kindgerechte Umgebung, ein soziales Umfeld, das sich um das Kind bemüht, Menschen, die hinsehen und nicht wegsehen.
Die Große Anfrage zur Situation der Familie ist deshalb sehr nützlich. Sie bringt uns alle eine Arbeitsbasis. Wir gewinnen die Zukunft der Kinder nur mit konsequenter Arbeit. Die umfassenden Antworten sind für uns Arbeitsgrundlage und Aufgabe zugleich. Sie zeigen, dass viel passiert ist, aber auch, dass noch sehr viel Arbeit vor uns liegt.
Gerade unsere nordrhein-westfälische Landesregierung hat Familienpolitik zu einer Hauptaufgabe gemacht. Ich möchte Ihnen einige Beispiel nennen: die U3-Betreuung wieder aufzubauen, die Umsetzung der Familienzentren konsequent zu begleiten, Familien in besonderen Problemsituationen zu unterstützen, Vorsorgeuntersuchungen zu fördern oder auch die sozialen Frühwarnsysteme weiterzuentwickeln. Der Hammer Kongress hat ja in diesen Tagen noch einige Erkenntnisse gebracht.
Die besondere Unterstützung in sozialen Brennpunkten – Sie wissen, dass wir auch dazu ein Programm haben – ist genauso zu nennen wie die konsequente Integrationspolitik, die, von Nordrhein-Westfalen ausgehend, inzwischen Gott sei Dank die ganze Republik nachdenklich macht. Dazu zählt natürlich auch die frühzeitige Sprachförderung – ein Integrationsmodell erster Güte, das sich im Wesentlichen an der Lebenswirklichkeit orientiert.
Es gilt, die familienfreundliche Personalpolitik von Unternehmen zu unterstützen. Ich bin sicher, dass es unserem Minister gelingt, zusammen mit seinem Ministerium ein vernünftiges GTK zu erarbei
ten, sodass wir in Zukunft sehr gut aufgestellt sind. – Auch die Verbesserung der Information und Stärkung der Eltern ist zu nennen.
Ich sage noch einmal deutlich: Die Verbesserung der Stadt- und Wohnentwicklung ist eine Schlüsselaufgabe vor Ort. Sie hat auch etwas mit Pflege zu tun, weil die Kinder bei ihren Eltern leben und sich später in der Pflege einbringen können. Es gilt, im Rahmen der Familienfreundlichkeit nicht nur die Kinderbetreuung sicherzustellen, sondern auch die Vereinbarkeit von Beruf und häuslicher Pflege zu erleichtern. Darüber hinaus gilt es, im Interesse der Familien in unserem Land den Dialog mit den Trägern im Familienbereich, den Verbänden und Bündnissen konsequent fortzusetzen.
Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren, die ideale Rolle des Staates bei der Unterstützung der Familien ist die Hilfe zu Selbsthilfe – und das konsequent. Aus aktuellem Anlass möchte ich nicht vergessen zu sagen, dass das Wächteramt des Staates sehr ernst genommen werden muss. Es gibt viele Ideen und Initiativen, die derzeit in Arbeitskreisen und Ausschüssen beraten werden. Ich bin sicher, dass wir diese Themen in unserer gemeinsamen Enquetekommission, die auf einem guten Weg ist, noch einmal fundamental besprechen und damit auch gute Empfehlungen für den Landtag und für die zukünftige Arbeit geben können. Wir sind insgesamt auf dem richtigen Weg und werden ihn konsequent weitergehen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kern. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Frau Abgeordnete Asch das Wort. Bitte.
Herr Präsident – ich darf das zum ersten Mal zu meinem lieben Kollegen Keymis sagen! Meine Damen und Herren! Wir sehen in dieser Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion wieder einmal, dass die Familie vom Nischendasein auf die Agenda der großen Themen gerückt ist. Das ist auch richtig so und lange überfällig.
Wir haben uns heute Morgen schon sehr intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, welchen Stellenwert Familie hat und welchen Stellenwert Kinder haben. Alle Fraktionen haben betont, dass wir Kinder nicht nur als einen Faktor der Demografie sehen und – wie manche Formulierungen nahe legen – sie auch nicht als Aspekt der Sicherung der sozialen Sicherungssysteme instrumentalisieren wollen. Wir sagen gemeinsam: Kinder sind ein
Wert an sich. Sie sind uns alle lieb und wert. Deswegen möchten wir ihr Leben und ihre Entwicklung möglichst optimal unterstützen. Dazu gehört es, dass wir die Familien, dass wir Eltern – Väter und Mütter – und andere Beziehungspersonen in ihrer Erziehungsfunktion stärken.
Pisa hat auch dem Letzten klargemacht, wie wichtig die frühe Förderung von Kindern ist und wie wichtig der familiäre Background für den Bildungserfolg ist. Es gibt eine ganz aktuelle Studie, die gestern von Unicef und Geolino vorgestellt wurde. Sie bestätigt, dass für Kinder selbst die Familie in der Wertigkeit ganz oben steht und welch hohe Bedeutung die Familie gerade in der Werteerziehung einnimmt.
Es gibt ein anderes interessantes Forschungsergebnis, das vom Ministerium in seiner Antwort beschrieben wird: Das Bild, das gemeinhin transportiert wird – die Familien in Deutschland seien so zerrüttet, und Familie würde eigentlich nicht mehr funktionieren –, entspricht nicht der Wahrheit. 80 % der Eltern sind miteinander – und nicht mit neuen Partnern – verheiratet. Das ist ein Datum das im Bildungsbericht der Bildungskommission der Bundesregierung, der in diesem Sommer veröffentlich worden ist, bestätigt wird.
Auch wenn die Realität normaler ist, als sie oft gezeichnet wird, dürfen wir nicht übersehen, dass sich die Familie und der Familienbegriff gewandelt haben. Darauf geht auch die Landesregierung in ihrer Antwort ein. Sie zitiert den fünften Familienbericht, der definiert: Familie ist da, wo Kinder sind. – Und der siebte Familienbericht führt aus: „Familie ist eine Gemeinschaft mit starken Bindungen, in der mehrere Generationen füreinander sorgen.“
Das sind zwei unterschiedliche Definitionen, die zugrunde gelegt werden. Wir sollten uns auch in der Enquetekommission darauf verständigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, welchen Familienbegriff wir haben und welchen Familienbegriff wir unserer gemeinsamen Arbeit zugrunde legen. Diese Diskussion werden wir gemeinsam führen.
Die Ausführungen der Landesregierung in ihrer Antwort zu den neuen familiären Lebensformen sind richtig. Aber es fehlen leider doch noch einige Erkenntnisse, insbesondere zu den regionalen Verteilungen zwischen Stadt und Land. Es ist wichtig, dass wir noch weiter forschen, sodass noch mehr Daten vorhanden sind.
„Erwerbstätigkeit und ein interessanter Beruf sind heute übergreifend Teil der männlichen und weiblichen Lebensentwürfe in den jüngeren Generationen.“
Ich freue mich über diesen Erkenntniszuwachs. Sie sollten aber wissen, dass das nicht erst heute so ist. Das gilt schon seit mehr als 20 Jahren.
Vielleicht haben Sie mit jüngerer Generation alle unter Fünfzigjährigen gemeint; dann wäre ich auch noch dabei. Aber ich glaube, die Zeitspanne, in der sich das Verständnis der Rolle der Frauen geändert hat, ist sehr viel größer.
Aber auch die Lebensentwürfe der Männer scheinen sich in eine entscheidende Richtung zu entwickeln – allerdings in eine, die für uns nicht wünschenswert ist. In Deutschland gibt es eine Entwicklung – das gilt für alle Bundesländer –, die uns von anderen europäischen Ländern unterscheidet: Es gibt einen extrem niedrigen, stark gesunkenen Kinderwunsch bei Männern. Das sollte uns zu denken geben: Es sind nicht nur die Frauen, die für Kinder verantwortlich sind.
Die Männer haben eine ganz wesentliche Schlüsselfunktion in ihrer Bereitschaft, sich für Kinder zu entscheiden und dann auch die Verantwortung für Kinder zu übernehmen. Auch diesen Aspekt müssen wir sehr genau betrachten, auch in der Enquetekommission. Es ist nicht richtig, die Verantwortung immer nur auf die Frauen zu schieben und zu sagen, sie wollten keine Kinder mehr bekommen.
Welche Bedingungen brauchen nun Familien, damit Eltern ihre Lebensentwürfe verwirklichen können und Kinder die bestmöglichen Startbedingungen haben? Eine ganz große Rolle spielt – das haben wir heute Morgen auch schon festgestellt – ein veränderter Berufsalltag. Die Wirtschaft fordert immer mehr an Flexibilität – das ist das große Schlagwort, das vorgegeben wird –, Kinder brauchen genau das Gegenteil: Kinder brauchen Verlässlichkeit, und sie brauchen die Ressource Zeit. Das ist etwas, was im Moment gegeneinander steht.
Wenn wir über Familie sprechen, müssen wir meiner Meinung nach auch über die Gestaltung von Berufsalltag sprechen und uns von zu starken
Anforderungen aus der Wirtschaft abgrenzen, was die Flexibilisierung der Arbeitswelt angeht. Das ist einfach nicht mit der Verlässlichkeit kompatibel, die Kinder einfordern.
Es gibt einige Leerstellen, die noch gefüllt werden müssen, zu denen keine Daten vorliegen. Es ist zum Beispiel erschreckend, wie wenig es im Vergleich der Bundesländer zum Thema Kinderarmut, zum Kita-Besuch von Kindern aus armen Familien oder zu den Veränderungen der Familienstruktur im Lebenslauf gibt.
Auf die Frage nach dem Zusammenhang von Gesundheit und Armut antwortet die Landesregierung, Herr Laschet, mit Zahlen des Kariesbefalls bei Gymnasiasten und Hauptschülern. Das ist ziemlich verkürzt, „unterkomplex“, um noch einmal mein Lieblingswort zu bemühen. Da muss nachgearbeitet werden. Die Gesundheitssituation und den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Armut kann man nicht auf den Kariesbefall bei Gymnasiasten und Hauptschülern verkürzen. Da müssen andere und mehr Daten geliefert werden. Als Indikator für Armut die besuchte Schulform zu wählen, ist entlarvend für die Sortierungswirkung unseres Schulsystems.
Meine Damen und Herren, der Landtag hat beschlossen, das Thema Chancen für Kinder über die tagespolitische Diskussion hinaus zum Gegenstand tiefer gehender Beratungen zu machen und hat dazu die Enquetekommission einberufen. Gemeinsam mit den Sachverständigen suchen wir hier als Landespolitiker nach gemeinsamen Wegen, die Bedingung für Erziehung, Bildung und Betreuung und damit für Kinder und Familie insgesamt zu verbessern.
Die Antwort auf die Große Anfrage leistet einen Beitrag für die Diskussion in der Enquetekommission. Dafür bedanke ich mich.