Protocol of the Session on October 25, 2006

Das heißt, Berlin lebt nach dem Motto: Je pleiter ich bin, desto mehr Geld kann ich ausgeben. – Das hat nichts mit Prioritätensetzung zu tun, Herr Börschel.

(Beifall von CDU und FDP – Martin Börschel [SPD] unterhält sich mit seinem Tischnach- barn.)

Vielleicht hören Sie mir einmal aufmerksam zu.

Ich wünschte mir, dass wir so schnell wie möglich ein drittes Kindergartenjahr beitragsfrei stellen

könnten. Aber wir können es nicht. Sie haben die Prioritätensetzung früher offensichtlich so vorgenommen, dass Sie eher in die Kohle als in ein drittes beitragsfreies Kindergartenjahr investiert haben. Das war Ihre Prioritätensetzung.

(Beifall von der CDU)

Sie wissen, wie wir in dieser Frage argumentieren. Wir wollen die Kohle zurückführen, um Spielräume zum Beispiel für Investitionen in beitragsfreie Kindergartenjahre zu schaffen. Wir sind aber nicht so weit, weil wir die von der Verfassung gesetzte Regelobergrenze der Verschuldung immer noch überschreiten. Und deshalb klagen Sie doch auch in Münster. Ich weiß nicht, wie das alles bei Ihnen zusammenpasst: Sie zeihen uns unsolider Finanzpolitik, obwohl wir die Verschuldung dramatisch runterschrauben. Gleichzeitig werfen Sie uns vor, wir würden an der falschen Ecke und zu viel sparen. Es passt nicht zusammen.

(Martin Börschel [SPD]: Sie verschleiern!)

Ich weiß, wie man sich als Opposition gerieren muss. Man muss ja fast immer gegen das sein, was die Regierung tut. Das kann ich verstehen, schließlich haben wir es auch Jahrzehnte lang gemacht. Aber Sie müssen doch endlich einmal verstehen, dass dieser Kurs ohne jede Alternative ist, meine Damen und Herren.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie brauchen mich auch gar nicht aufzufordern, die Steuerposition im Sinne von Wahrheit und Klarheit richtig zu etatisieren. Ich erinnere mich sehr gut an die Debatte, als wir eine Steuerschätzung bekamen und die SPD gesagt hat: Die Regionalisierung der Steuerschätzung würde nach unserer Erkenntnis einen Ansatz von plus 490 Millionen € ermöglichen. – Ich habe seinerzeit als vorsichtiger Kaufmann gesagt: Ich weiß nicht, welche Dinge in unserer Unternehmenslandschaft, gerade bei sehr volatilen Einkünften auch bei großen Konzernen möglich sind. Ich bin eher vorsichtig und sage: 300 Millionen € statt 490 Millionen €.

(Zuruf von Martin Börschel [SPD])

Jetzt haben wir beide uns gewaltig vertan. Sie haben sich richtig vertan, und ich habe mich richtig vertan. Gott sei Dank sind wir positiv überrascht worden.

(Minister Oliver Wittke: Das war früher an- ders!)

Sicherlich werden Sie von mir in den nächsten Tagen, wenn wir die Steuerschätzung vorliegen

haben – da müssen Sie sich leider noch ein bisschen gedulden –, in der Hinsicht etwas hören. Denn ich halte von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit sehr viel.

Ich sage Ihnen noch einmal: Ich gehe lieber in den Ansätzen bei den Einnahmen etwas unter das, was möglich ist, und in den Ausgaben lieber an die obere Kante. Sie haben es jetzt jahrelang andersherum gemacht.

(Beifall von CDU und FDP)

Und das ist das Desaster der rot-grünen Finanzpolitik in diesem Land gewesen. Mit uns passiert so etwas nicht.

(Beifall von CDU und FDP – Martin Börschel [SPD]: Wo ist der Nachtragshaushalt? Kommt er, oder kommt er nicht?)

Vielen Dank, Herr Finanzminister. – Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Börschel das Wort.

(Martin Börschel [SPD]: Ich wollte eine Zwi- schenfrage stellen!)

Zwischenfragen gibt es in der Aktuellen Stunde nicht. Ihre Handbewegung sah so aus, als wollten Sie sich zu Wort melden. – Das tun Sie nicht. Damit ist der Fall erledigt.

Dann hat Herr Sagel für die Grünen das Wort. Bitte schön.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einiges klarzustellen.

Herr Linssen, wir wollen hier doch nicht ernsthaft eine Neiddebatte führen, was manche sich leisten können und was andere nicht.

Herr Klein, es ist schon sehr dreist, wenn Sie von Anständigen und Unanständigen mit Blick auf Berlin sprechen. Sie produzieren doch nach wie vor genau so viele Schulden. Sie haben, wie ich das eben in einem Zwischenruf schon deutlich gemacht habe, nur das Glück, dass im Augenblick die Steuereinnahmen etwas reichhaltiger sprudeln und in Berlin eine wirtschaftlich völlig abträgliche Mehrwertsteuererhöhung verabschiedet wurde, die sogar, wie wir in der Anhörung in der letzten Woche noch hören konnten, selbst die Wirtschaftverbände, denen Sie sich immer so verbunden fühlen, ganz massiv kritisieren.

Das sind 1,4 Milliarden € Mehreinnahmen in Ihrem Haushalt. Rechnet man dies dazu, dann sieht Ihre Haushaltsentlastung schon ganz anders aus. Dann sind Sie in ähnlichen Höhen, in denen wir

uns leider auch bewegen mussten. Wir hatten allerdings die Situation, dass das Land NRW durch die Beschlüsse, die in Berlin, auch im Bundesrat mit Ihren Stimmen gefasst worden sind, ab 2001 ganz massiv in die Schuldenspirale gekommen ist. Das muss man mit im Auge haben.

Ich stimme Ihnen hinsichtlich der Kohlesubventionen zu: Wir kritisieren ja auch, dass damit in der Politik der SPD falsche Schwerpunkte gesetzt werden. Eines ist aber ebenfalls klar, Herr Klein: Man kann Ihre Rede auch so verstehen, dass Sie eine völlige Abschaffung des Länderfinanzausgleichs wollen. Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass Sie das meinen. Wir wollen verhindern, dass wir eine Vermischung von Richtigem und Falschem im Rahmen der Föderalismusreform gerade vonseiten der CDU erleben.

Wir wollen, dass finanzschwache und hochverschuldete Kommunen zumindest von der Zahlung in den Solidarpakt befreit werden. Das ist eine Forderung auch der Oberbürgermeister, der wir uns als Grüne anschließen. Wir wollen, dass entsprechende Regeln zum Solidarpakt II verändert werden. Das ist ein notwendiges politisches Minimum. Wir wollen auch die Regeln für den bundesweiten Lastenausgleich neu gestalten.

Da bietet sich im Übrigen an, dass eine Reform der Vergabe der europäischen Strukturhilfen angestrebt wird. Hier werden die Mittel jetzt nicht mehr nur nach dem Regionalprinzip vergeben, sondern stattdessen ist es möglich, nach den Mitteln der Grundsätze der Bedarfsorientierung und Projektorientierung vorzugehen. Genau das ist ein konkreter Vorschlag, den ich Ihnen an dieser Stelle machen möchte.

Sinnvoll wäre eine Verfahrensreform, durch die für Kommunen und Regionen direkte Möglichkeiten geschaffen werden, Mittel aus einem bundesweiten Lastenausgleich projektorientiert zu beantragen. Das wäre ein konkreter Vorschlag. Das würde vor allem dem strukturschwachen Ruhrgebiet helfen, für das insbesondere im Hinblick auf den nördlichen Teil nach wie vor eine Strukturreform ansteht. Im südlichen Teil haben wir es auch durch unsere tatkräftige Unterstützung hinbekommen, ein entsprechendes Konzept zu erarbeiten.

Das wären eine Anstrengung und ein erster Schritt, die mit einer Debatte über die zweite Stufe der Föderalismusreform begonnen werden sollten. Das wäre auch etwas, was uns in NordrheinWestfalen helfen würde. Dadurch könnten wir die wirtschaftliche Situation in Nordrhein-Westfalen insgesamt und vor allem im Ruhrgebiet verbes

sern – das ist nach wie vor wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch eine Region mit vielen Problemen – und entscheidende Schritte vorangehen. Bisher vermisse ich jede Initiative in diese Richtung von Ihrer Seite. Ich kann da überhaupt nichts erkennen. Teilweise kann man die Argumentation der SPD sogar verstehen, wenn sie sagt: Wenn schon die Kohlesubventionen gestrichen werden und nichts anderes passiert, dann wird das die Probleme weiter verschärfen. – Da muss jetzt etwas passieren, und das fordern wir ein.

Wir stehen nach wie vor dafür, dass die Kohlesubventionen auf null heruntergefahren werden und dass wir den Ausstieg bis 2005 hinbekommen. Aber wir wollen auch, dass Mittel gerade für das Ruhrgebiet nicht verloren gehen. Da sind Sie, Herr Linssen, und CDU/FDP-Landesregierung gefordert.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie können nicht nur darauf hoffen, dass sich das Problem von alleine löst. Das werden wir noch einige Jahre hinter uns herschleppen. Von daher noch einmal ganz konkret die Aufforderung: Werden Sie in diesem Bereich aktiv! Setzen Sie sich ein!

Was die Haushalts- und Finanzsituation in Nordrhein-Westfalen angeht, kann ich nur sagen: Herr Linssen, Sie sind ein Glücksritter. Im Moment haben Sie Glück. Ich bezweifele, dass dies im nächsten Jahr auch noch so ist, wenn die Mehrwertsteuererhöhung tatsächlich kommt und sich die Wirtschaftsentwicklung wieder abschwächt.

(Zuruf von Minister Dr. Helmut Linssen)

Daran werden Sie ganz entscheidend beteiligt sein, weil Sie die kleinen Leute über die Mehrwertsteuererhöhung zur Kasse bitten. Auf der anderen Seite wollen Sie die Unternehmen entlasten. Das heißt, dass an dieser Stelle Geld von unten nach oben verteilt wird. Eine solche Politik betreiben Sie hier.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Sagel. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Aktuelle Stunde.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt

5 Hochschulfreiheitsgesetz (HFG)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 14/2063

zweite Lesung

In Verbindung damit:

Für ein modernes und liberales Hochschulgesetz

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/2095

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie Drucksache 14/2737