Man kann sich angesichts dieser Reaktion ernsthaft fragen: Ist das Dummheit? Oder ist es das, was die Kollegin Freimuth schon zitiert hat: Dreistigkeit? Oder ist es möglicherweise eine unheilvolle Kombination aus beidem, die den Regierenden Bürgermeister als Reaktion auf das sehr kluge Urteil verkünden lässt:
Meine sehr geehrten Damen und Herren, eigentlich könnte man den Eindruck haben, dass die Berliner Sparpolitik unter Fiskalgesichtspunkten durchaus anerkennenswert begonnen hatte. Nun, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, hat es fast den Anschein, als wolle die rot-rote Koalition diesen Kurs für eine weitere ungehemmte Ausgabenpolitik aufgeben. Das wäre dann allerdings fast wie beim Suppenkasper, der trotz elterlicher Ermahnung seine Suppe nicht essen will – eine Suppe, meine Damen und Herren, die im Falle Berlins ausgesprochen mager und sehr, sehr dünnflüssig daherkommt. Wenn das eine Buchstabensuppe wäre, meine Damen und Herren, dann würden sich die Buchstaben wahrscheinlich selber zusammenfinden und das Wort bilden: „Stoppt Dreistigkeit!“
Nicht nur die Bundeshauptstadt muss in diesen Zeiten eine strenge Haushaltsdiät einhalten; auch in den anderen Bundesländern kennt man das trockene Brot des strengen Sparens ganz genau. Auch die Koalition aus CDU und FDP hier in Nordrhein-Westfalen fährt seit knapp eineinhalb Jahren nach der Regierungsübernahme einen konsequenten Sparkurs, der überall im Lande spürbar ist. Trotzdem sind wir entschlossen, auf diesem steinigen Weg weiterzugehen, weil er alternativlos ist.
Deshalb ist auch die Position der Koalition – das hat ja schon unser Antrag zu Art. 115 Grundgesetz gezeigt – völlig klar: Wir brauchen neue Regelungen, die als Beitrag für eine nachhaltige Generationengerechtigkeit zukünftig haushaltswirtschaftliche Schieflagen verhindern können. Die Mittel dafür sind ein Frühwarnsystem und eine gesetzlich verankerte Schuldenbremse. Allerdings – auch das ist für uns klar –: Dieses Frühwarnsystem gehört am besten in das Grundgesetz und hat auf der Länderebene zu greifen. Dass die Bundesländer ihre Haushalte auch weiterhin in eigener Verantwortung aufstellen dürfen und müssen, daran lassen wir aus Nordrhein-Westfalen nicht rütteln.
Meine Damen und Herren, davon wird uns auch die Politik von Klaus Wowereit nicht abbringen. Nach 39 Jahren SPD-Beteiligung an Landesregierungen kann man wirklich ernsthaft Zweifel daran haben, dass Sozialdemokraten mit Geld umgehen können; eine sozialdemokratische Koalition mit gewendeten Kommunisten kann es ganz gewiss nicht – das zeigt die Reaktion von Klaus Wowereit. Wenn ich nach Berlin blicke, habe ich wirklich Angst, dass das eintritt, was der deutsche Fernsehjournalist und Autor Dagobert Lindlau einmal gesagt hat: Wir werden an einer Mehrheit der Dummen zugrunde gehen. – Wir in NordrheinWestfalen wollen das nicht,
deswegen unsere konsequente Sparpolitik. Wir werden den Haushalt hier entschulden. Wir werden auf diesem Weg weitermachen für die Menschen in NRW.
(Beifall von CDU und FDP – Jochen Dieck- mann [SPD]: Das sind doch alles Diepgens Schulden! Der hat mehr aufgehäuft als Herr Wowereit! Das ist Geschichtsklitterung!)
Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Präsidentin! Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2006 über die Haushaltsnotlage Berlins wird erhebliche Auswirkungen haben. So gefühlt, wie Sie von der FDP das hier dargestellt haben, ist die Situation in Berlin ja nicht: 60 Milliarden € Schulden sind eine gewaltige Summe. Der rot-rote Senat hat dem Verfassungsgericht kein überzeugendes Sanierungskonzept vorlegen können. Das Bundesverfassungsgericht hat die Forderung Berlins auf Gewährung von Sanierungsbeihilfen zurückgewiesen und gleichzeitig deutlich gemacht, dass die Institutionen und Instrumente zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen in Deutschland nicht greifen. Berlin errichtete in sehr kurzer Zeit einen riesigen Schuldenberg, und Berlin steht hier nicht allein. Besorgniserregend ist vor allem auch der rasante Anstieg der Verschuldung in den neuen Ländern mit Ausnahme Sachsens.
Wir Grünen begrüßen die Vorgabe des Verfassungsgerichts, welche Bund und Länder verpflichtet, nun in eine ernsthafte Diskussion um Lösungskonzepte zur Vorbeugung von Haushaltskrisen und zu deren Bewältigung einzutreten. Diese Diskussion muss eine Änderung der Verschuldungsregeln des Art. 115 Grundgesetz ausdrücklich miteinbeziehen. Trotz Spitzenbesetzung mit den Finanzministern von Bund und Ländern war der Finanzplanungsrat nicht in der Lage, die katastrophale Situation der Haushalte vieler Länder und des Bundes zu verhindern. Die verfassungsrechtliche Schranke des Art. 115 zur Begrenzung der Neuverschuldung hat sich als unzureichend erwiesen, die Verschuldungsspirale zu durchbrechen.
Verantwortlich für den rapiden Anstieg der Verschuldung Berlins von 11 Milliarden € im Jahr 1991 auf über 61 Milliarden € in 2006 ist maßgeblich die unseriöse Finanzpolitik der Koalition von SPD und CDU bis 2001. Daher ist Berlin zu Recht gefordert, die bestehenden Potenziale zur Haushaltskonsolidierung weiter auszuschöpfen, bevor es mit der Hilfe der Solidargemeinschaft rechnen kann.
Sehr geehrte Damen und Herren, was heißt dieses Urteil und welche Konsequenzen hat es für NRW? Denn auch die CDU/FDP-Landesregierung hat entgegen ihren Ankündigungen die Schuldenspirale weiter in die Höhe geschraubt. Wir haben allein im Haushaltsentwurf 2007 über 4 Milliarden € Neuverschuldung. In der mittelfristigen Finanzplanung sind es weit über 130 Milliarden €.
Schuldenspirale nach unten zu bringen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Das Gegenteil ist der Fall. Sie produzieren nur weitere Probleme.
Sie produzieren vor allem Probleme für die Mieterinnen und Mieter der LEG-Wohnungen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie hier ankündigen.
Sie sparen im Haushaltsentwurf 2007 vor allem auch zulasten der Kommunen. Das ist der entscheidende Punkt.
Politisch ist es nicht nur für NRW, sondern auch bundesweit ein einschneidender Vorgang, dass sich die Oberbürgermeister und Kämmerer von 17 Städten aus dem Ruhrgebiet und dem Bergischen Land am 9. Juni parteiübergreifend auf eine gemeinsame Erklärung zur dramatischen Finanzsituation ihrer Kommunen geeinigt haben und politische Konsequenzen fordern. Daran sollten Sie sich orientieren. Die Oberbürgermeister und Kämmerer weisen zu Recht darauf hin, dass ihre Gemeinden nicht nur seit Jahren die ökonomischen und sozialen Lasten des Strukturwandels in NRW tragen, sondern zusätzlich auch durch ein schlechtes Gemeindefinanzsystem benachteiligt werden. Sie fordern eine solide kommunale Wirtschaftssteuer, die einen größeren Kreis von Steuerpflichtigen auf einer breiteren Bemessungsgrundlage einbezieht. Sie setzen sich für eine Reduzierung des kommunalen Anteils an den Sozialhilfekosten ein.
Schauen wir uns an, was eigentlich im zweiten Teil der Föderalismusreform passieren muss, denn das ist ein entscheidender Punkt: Der zweite Teil der Föderalismusreform betrifft die Neuformulierung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern, im Weiteren aber auch Fragen wie den Zuschnitt der Bundesländer in Bezug auf ihre finanzielle Lebensfähigkeit und die Einbeziehung der Kommunen in den Solidarpakt Ost, der bis zum Jahr 2019 vereinbart ist. Dabei wird es auch um eine Debatte über das System der Aufbringung und das Problem einer Zweckentfremdung der Solidarpaktmittel durch die Empfänger gehen. Kurzum: De facto steht der gesamte innerdeutsche Finanzausgleich auf dem Prüfstand und damit auch grundlegende Fragen des Staatsverständnisses.
Spätestens seit Mitte der 90er-Jahre wird diese Auseinandersetzung politisch entlang der Frontlinie Wettbewerbsföderalismus gegen solidarischen Lastenausgleich geführt. Sie wissen, 1998 hatten Bayern und Baden-Württemberg gegen den geltenden Finanzausgleich geklagt.
Wir Grüne haben in dieser Auseinandersetzung die Ausrichtung der CDU am Konzept eines ökonomischen Wettbewerbsföderalismus völlig zu Recht als unsolidarisch kritisiert und den grundgesetzlichen Auftrag zur Herstellung vergleichbarer Lebensverhältnisse im föderalen Bundesstaat und insbesondere den Ost-West-Lastenausgleich verteidigt.
Unter der rot-grünen Bundesregierung wurden zum Beispiel als Reaktion auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil 2001 das Maßstäbegesetz und 2005 das Solidarpaktfortführungsgesetz verabschiedet, um Bedarfsunterschiede zwischen den Bundesländern besser zu klären und zu regeln.
Außerdem wurde eine Kommission unter dem Vorsitz von Klaus von Dohnanyi eingesetzt, um die bisherigen Erfahrungen mit den Fördermaßnahmen des Aufbau Ost auszuwerten. Dieser Bericht wurde im Sommer 2004 vorgelegt. Er konstatiert eine erhebliche Fehlverwendung der gigantischen Geldtransfers von den alten in die neuen Bundesländer und forderte eine grundlegende Neuausrichtung des Aufbau Ost. Die vorgezogenen Bundestagswahlen 2005 haben jede ernsthafte Debatte über Konsequenzen zum Erliegen gebracht. All das kommt jetzt – vermischt mit den Problemen der Föderalismusreform – wieder auf die Tagesordnung.
CDU und FDP wollen diese Lage für einen erneuten Vorstoß zur Durchsetzung eines Wettbewerbsföderalismus nutzen. Gerade die NRW-CDU vermischt dabei dieses negative ideologische Anliegen mit berechtigter Kritik an der Fehlverwendung durch die ostdeutschen Länder und mit der berechtigten Kritik an der unsinnigen schematischen Regelung, dass alle westdeutschen Kommunen ohne Ansehen ihrer eigenen Haushaltslage Transferleistungen für den Solidarpakt erbringen müssen.
Schon im April 2006 haben die Chefs der Staatskanzleien von Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, NRW und Sachsen über eine Strategie beraten. Ein Pakt für Fairness, finanzpolitische Solidarität und Generationengerechtigkeit wurde beraten. Von höheren Steuern für die Bürger finanzschwacher Länder zur Eigenfinanzierung bis zu zwangsweisen Zusammenschlüssen strukturschwacher Länder soll die Instrumentenpalette dieses Pakts gegen Solidarität reichen.
Sehen wir uns die Situation an: Nach dem Modell des Maastrichtkriteriums zur Verschuldung auf europäischer Ebene hat Jürgen Rüttgers bereits im
Wir müssen die Regeln für den Lastenausgleich neu gestalten. Wir müssen dafür sorgen, dass die finanzschwachen und hochverschuldeten Kommunen besser und wesentlich solider finanziert werden. Wir müssen natürlich auch einen gerechten Länderfinanzausgleich bewerkstelligen. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Von Ihrer Seite ist herzlich wenig zu erkennen. – Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schartau, lassen Sie mich nach der ersten Runde nur ein paar Bemerkungen an Sie richten. Natürlich kann man in einer Aktuellen Stunde viele andere Themen als das in der Tagesordnung ausgewiesene Thema ansprechen; Sie haben einige genannt. Aber dadurch, dass Sie diese Themen für wichtiger erklärt haben, haben Sie gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass Sie dieses geradezu bahnbrechende Urteil aus Karlsruhe offensichtlich für nicht so wichtig für unser Land halten.
Wir als Koalition halten es für eines der wesentlichsten Urteile, die Karlsruhe in der letzten Zeit überhaupt gesprochen hat.
Deshalb ist es richtig, dass die Koalition heute darüber diskutiert und das Parlament über die Meinung der Regierung in Kenntnis setzt. Denn gerade das Thema Finanzen berührt uns im Land ganz besonders.
Meine Damen und Herren, wir begrüßen dieses – ich möchte sagen: weise – Urteil ausdrücklich. Auf sehr deutliche Weise bekräftigt das Urteil zwei wesentliche finanzpolitische Grundsätze:
Erstens. Wer für sich finanzpolitische Autonomie reklamiert – darüber hat Herr Sagel gerade gesprochen –, muss auch für die finanziellen Folgen seiner Entscheidungen einstehen. Sie können es auch einfacher ausdrücken: Wer A sagt, muss auch B sagen. Finanzpolitische Autonomie und finanzpolitische Eigenverantwortlichkeit sind nämlich Kehrseiten ein und derselben Medaille.
Zweitens. Die bundesstaatliche Solidargemeinschaft darf nicht überstrapaziert werden. Auch dieses Thema hatten Sie angesprochen, Herr Sagel. Dabei liegt die Betonung auf „überstrapaziert“, denn es ist nicht so, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil Sanierungshilfen grundsätzlich für unzulässig erklärt hätte. Es knüpft sie lediglich – und aus meiner Sicht auch zu Recht – an sehr strenge Voraussetzungen.
Berlin profitiert bereits nach geltendem Recht in ganz erheblichem Maße vom bundesstaatlichen Finanzausgleich: Meine Damen und Herren, Berlin hat alleine in den letzten zehn Jahren, von 1995 bis 2005, fast 30 Milliarden € aus dem Länderfinanzausgleich bekommen. Man muss sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, was da an Geld verbraten worden ist. Natürlich muss man sich deshalb viele Regierungen der Vergangenheit sehr genau angucken.
Der Länderfinanzausgleich ist Ausdruck der innerhalb des Bundesstaates geübten Solidarität. Diese Solidarität als Grundprinzip will niemand infrage stellen, meine Damen und Herren. Sie darf nur nicht überstrapaziert werden. Jeder, der Solidarität übt, kann das immer nur in einem begrenzten Umfang tun. Zu viel Solidarität setzt die falschen Verhaltensanreize für diejenigen, die sie erfahren.
Um es gelinde zu formulieren: Ich empfinde es als Ausdruck allergrößter Chuzpe, wenn sich der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Wowereit, einige Tage, nach dem seine Klage abgewiesen wurde, hinstellt und sagt, dass ihn das alles gar nicht anficht und er nicht daran denkt zu sparen – nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebst du frei und ungeniert.
Herr Wowereit steckt in Koalitionsverhandlungen, meine Damen und Herren. Da sind solche Einsparungen vielleicht besonders schwer zu kommunizieren. Wir hier in NRW haben das allerdings völlig anders gehandhabt und damit Erfolg gehabt.
Mir ist natürlich auch klar, dass Herr Wowereit nicht plötzlich erklären kann, er wolle hier und dort Einsparungen realisieren, wo er doch im Rahmen seiner Klage behauptet hat, er hätte das Ende der Fahnenstange erreicht. Dennoch wäre es besser gewesen, er hätte vielleicht einfach geschwiegen.